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Standpunkte der Reichs- wie auch der Landesverfassungen für unzulässig erklärt werden muß. Eine andere Frage würde aber Diejenige sein, wenn der Bundesrat. resp. die Verbündeten Regierungen beschließen würden, zur Hebung vieler Kalamitäten in der Landwirtschaft gewisse Reformen durch die Reichsgesetzgebung gleich für das ganze deutsche Reich durchzusetzen. Es brauchten ja auch noch gar keine eigentlichen landwirtschaftlichen Reformgesetze zu sein, sondern die Reformen könnten sich auf Eisenbahnverkehr, Wasserstraßen, Arbeiterverhältnisse und ähnliche Dinge zu Gunsten der Landwirtschaft beziehen. Immerhin müßte aber dabei ein vorheriges Einvernehmen der Vertreter der verbündeten Regierungen im Bundesrate als Voraussetzung gelten, sonst ist eine gemeinsame Regelung von für die Landwirtschaft wichtigen Fragen unmöglich. Ohne daß die verfassungsmäßigen Rechte der einzelnen Staaten beschränkt werden, könnte für Artikel 2 der Reichsverfassung ja auch der Zusatz eingeichoben werden: Angelegenheiten der Landwirtschaft können auf Antrag des Bundesrates durch die Reichsgesetzgebung gemeinsam für das ganze Reich gefördert werden. Ganz anders liegen die Aufgaben des Reiches für das Gebiet der Gewerbe, denn die Förderung derselben ist in der Reichsverfassung mit eingeschlossen, und in Folge der Bestimmungen der Reichsgesetze über die Freizügigkeit und den Gewerbebetrieb auch durchaus notwendig. Es würde eine wahre Verwirrung entstehen, wenn diese wichtigen Fragen nicht Gegenstände der Reichsverfassung wären.
Potsdam, 28. April. Die Kaiserin ist mit dem Prinzen um 5 Uhr auf der Wildparkstation eingetroffen und hat sich, von zahlreichem Publikum lebhaft begrüßt, nach dem Neuen Palais begeben.
Die Frage einer endgültigen Regelung der Samoa-Angelegenheit ist durch die Gelüste der neuseeländischen Regierung, die von Neuseeland verhältnismäßig gar nicht so sehr weit entfernte Samoa-Gruppe zu annektieren, wieder aufgerollt worden. Sehr richtig meint die „Nordd. Allg. Ztg." eine Aenderung oder Aufhebung des Samoa-Vertrages könnten nur die drei beteiligten Mächte, Deutschland, England und Nordamerika, beschließen, wobei den Verhältnissen auf Samoa und den daselbst vorhandenen materiellen Interessen der einzelnen Nationen Rechnung getragen werden müsse. — Jedenfalls steht zu erwarten» daß die deutsche Regierung die so gewichtigen deutschen Interessen auf Samoa bei einer etwaigen endgiltigen Auseinandersetzung in der Samoafrage kräftig zu wahren wissen wird. — Se. Maj. der Kaiser hat in einer an das Auswärtige Amt gerichteten Allerhöchsten Willensäußerung sich auf das Bestimmteste dahin ausgesprochen, daß Samoa von Deutschland nicht preisgegeben werden dürfe.
Nach der Anciennitätsliste der Offiziere, von der jetzt die neueste Zusammenstellung erschienen ist, beträgt die Zahl der General- Feldmarschälle und General-Obersten 9. Die erste Stelle nimmt nach wie vor General-Feld- marschall Graf v. Blumenthal ein» neu ernannt ist General-Oberst der Kavallerie Frhr. v. Los und in die Zahl der preußischen General-Feld- marschälle ist Erzherzog Albrecht von Oesterreich ausgenommen. Unter den Generalen der Infanterie, Kavallerie und Artillerie steht der Großherzog Adolf von Luxemburg an der Spitze, der feit 1855 General der Kavallerie ist, dann folgt der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz mit einem Patent von 1859. Aus den sechziger Zähren sind fünf, aus den siebziger Jahren vier Generale vorhanden. Unter den 65 Generalen befinden sich 31 deutsche Fürsten und Prinzen u. s. w. Der älteste kommandierende General fft General-Oberst der Kavallerie Frhr. v. Los (8. A.-K.), welcher 1849 Offizier wurde, der jüngste ist Gen.-Lieut. Prinz Friedrich von Hohenzollern mit einem S.-L.-Patent von 1862. Die Gen.-Lts. sind meist Ende der 50er Jahre, Auge später, Offizier geworden. Die General- Majors haben S.-L.-Patente aus den letzten oOer und Anfang der 60er Jahre.
Aus Baden den 27. April wird uns gemeldet: Die badischen Maurer fangen an unruhig zu werden, und in Freiburg ist es bekanntlich bereits zu einem Ausstand derselben gekommen, der die Zentralkasse des Fachvereins bis jetzt schon 3500 gekostet hat. Das Freiburger Beispiel scheint Nachahmung finden zu'sollen. So haben z. B. in Pforzheim, woselbst zur Zeit eine sehr rege Bauthätigkeit herrscht, die Maurer in den letzten Tagen hinter einander mehrere stark besuchte Versammlungen abgehalten, in welchen beschlossen wurde, die Arbeitgeber aufzufordern, die ital. Arbeiter zu entlassen. Gegen die ital. Maurer, die überhaupt in Baden in großer Zahl vorhanden sind, herrscht große Erbitterung, nicht minder gegen die württembergischen Arbeiter, welche in letzter Zeit die Streikenden in Freiburg teilweise ersetzt haben. Die Beschäftigung der Italiener soll auch den Gegenstand einer Petition an den Landtag bilden.
Württemberg.
Stuttgart, 26. April. Die Kommission zur Beratung des Verfassungsentwurfs beendete die erste Lesung und es erschien heute der Ministerpräsident v. Mittnacht in Begleitung des Ministers des Innern v. Pischek in der Kommission. Die Beschlüsse welche schon zuvor zur Kenntnis der Regierung gebracht waren, gehen dahin: Die erste Kammer ist zusammengesetzt wie bisher, aus den Prinzen und den Standesherren, außerdem aus höchstens 12 vom König auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern (Entwurf: 10 Mitglieder), aus dem katholischen Landesbischof, dem Konsistorialpräsidenten und dem dienstältesten protestantischen Prälaten (Entwurf : zwei vom König zu ernennende Prälaten), endlich aus einem von den Gemeindekollegien aus ihrer Mitte zu wählenden Vertreter der Städte Stuttgart, Ulm und Heilbronn (Entwurf: die Vertreter sind vom König zu ernennen). Es fallen somit die beiden Vorstände der Zentralstellen, weshalb auch 12 lebenslängliche vom König zu ernennende Mitglieder statt den vorgesehenen 10 vorgesehen sind. In der zweiten Kammer sollen die Ritter von 13 auf 8, die Prälaten von 6 auf 4, die Vertreter der katholischen Kirche von 3 auf 2 reduziert werden. Die Vertreter werden von dem Domkapitel aus seiner Mitte und von den Dekanen katholischer Konfession aus ihrer Mitte gewählt, Der Kanzler der Universität bleibt. Dagegen sollen Stuttgart 4, die sechs anderen guten Städte, sowie die Städte Cannstatt, Gmünd, Eßlingen und Göppingen je 1 und jeder der 63 Oberamtsbezirke gleichfalls je 1 Abgeordneten erhalten. Es fallen somit der Vertreter der technischen Hochschule und die 6 Pivilegierten der Landwirtschvft und des Gewerbes und Handels, wogegen die namentlich aufgeführten Städte je ein Mandat erhalten. Auch wird den Rittergutsbesitzern das passive Wahlrecht nicht gewährt. Endlich soll die Sitzordnung der Abgeordneten in beiden Kammern durch die Geschäftsordnung geändert werden. Diese Beschlüsse entsprachen den Anträgen Göz; die Anträge Payer auf Schaffung einer reinen Volkskammer, für welche die Linke und der Abgeordnete Sachs stimmten, blieben in der Minderheit. Gegen die Schaffung neuer Privilegierten sprach sich eine lebhafte Stimmung aus. Der Ministerpräsident verlas eine Erklärung des Staatsministeriums, wonach die Regierung vorläufig auf ihrem Projekt beharrt, ohne den Kommissions- befchlüssen prinzipiell entgegenzutreten, dem Vorschlag einer reinen Volkskammer aber ihre Zustimmung versagen zu müssen erklärt. Nach Keuntnisnahme der Erklärung, an welche stt! keine Debatte knüpfte, wurden Göz zum Referenten und Payer zum Korreferenten bestellt.
Stuttgart, 30. Apr. Großes Aufsehen erregt das plötzliche Verschwinden des Geschäftsführers eines hiesigen Kurz- und Manufakturwarengeschäfts. namens M. Derselbe war erst seit wenigen Monaten in dem Geschäft angestellt und hatte sich mit der bisherigen ersten Verkäuferin des gleichen Geschäfts verlobt. Die Hochzeit sollte binnen kurzer Frist stattfinden. Wie verlautet, hatte der Durchgrbrannte vorher
in einer bayrischen Stadt gleichfalls einen Vertrauensposten bekleidet und daselbst beträchtliche Unterschlagungen verübt, welche er durch Bücher- älschung zu verdecken suchte. Seine betrügerische Handlungsweise kam aber an den Tag und er ollte deshalb in Untersuchungshaft genommen werden. Hievon scheint er rechtzeitig Wind bc- 'ommen zu haben.
Bon den Geld- und Warenbörsen.
Stuttgart, 26. April. Die ^/zfache Ueberzeich- nuilg der neuen S»/,igen Reichsanleihe von 160 Milt. Mark hat weder auf den Geldstand im allgemeinen noch auf die Börse irgend eine« nennenswerten Einfluß ausgeübt. Um so empfindlicher aber wirkte die schwierige Lage des Kohlenmarktes uud die vielfachen Förderungseinschränkungen ans den Kohlenzechen. Die deutschen Eisenwerke, welche infdlge 'des Zustandekommens des deutsch-russischen Handelsvertrags den Himmel voll Baßgeigen hangen sahen, haben inzwischen die Erfahrung gemacht, daß mit dem Geschäft nach Rußland „nicht viel los" ist; und auch sie müssen an Betriebseinschränkungen denken, während gleichzeitig ihre Verkaufspreise im Weichen begriffen sind. Zu allem hin kam die fortdauernde Verstimmung über die neue Börsensteuer, um auf die Spekulationswerte eine» Druck auszuüben. Zwar sind österr. Staatsbahnaktien und Lombarden gegenüber dem Schluß der Vorwoche nur um Bruchteile schwächer, Gotthardtbahnaktien sogar um 2°/g besser und zwar infolge ihres günstigen Betriebsausweises. Dagegen verloren österr. Kreüitaktien über V,°/o, Disk.-Kom. konnten sich behaupten, Darm- tädter Bank verlor nahezu 2°/^, Deutsche Bank Bon Jndustriewerten verloren Köln-Rottweiler Pulveraktien 1°/», Bochumer Gußstahl l'/r, Dortmunder Union nahezu 3, Laurahütte 3, Gelsenkirchener 4 und Harpener 2°/g. 3°/„. Reichsanleihe hielt sich auf dem Kurse von 87.90; Italiener gewannen ungarische und österreichische Renten sind um Bruchteile gebessert, ruff. Werte etwas schwächer, auch russ. Banknoten verloren V 4 °/o. Der Privatdiskont blieb in Berlin aus 1Vr°/o- Die Ultimoabwickelung ist alt allen Börsen glatt verlaufen. — Infolge des in ganz Europa gefallenen ergiebigen Regens und des stürmischen Warenangebots sowohl aus Rußland als aus Amerika verkehrten die Getreidemärkte bei sehr gedrückter Stimmung zu bedeutend ermäßigten Preisen. Weizen pr. Mai fiel in Berlin von 143.20 auf 139.25 und pr. Juli von 145.50 auf 142.25, Roggen pr. Mai von 124.20 auf 122.50 und pr. Juli von 125.70 auf 124.20, Hafer pr. Mai von 134.70 auf 132.50 und pr. Juli von 134.20 auf 131.20. Die Preise für Weizen- und Roggenmehl blieben zwar nominell unverändert, doch verkaufen die meisten Mühlen unter Preis. In Wien fiel der Weizen von 7 fl. 55 auf 7 fl. 42, in Pest von 7 fl. 42 auf 7 fl. 18, der Hafer von 7 fl. 25 auf 7 fl. 10.
Ausland.
Paris, 27. April. Für die heule Mittag eröffnete Schwurgerlchtsoerhandiung gegen den anarchistischen Verbrecher Emile Henry sind innerhalb und außerhalb des Justizpalastes umfassende Vorsichtsmaßregeln getroffen worden. Der Zudrang ist sehr groß. — Der Angeklagte Henry verhält sich während der Verlesung der Anklageschrift gleichgiltig. Im Verhör sagt er aus: „Ich sah mich rn mehreren Cafss um, trat schließlich in das Terminus-Cafs ein, wo sich zahlreiche Gäste befanden und wartete länger, um eine möglichst große Anzahl Bourgeois zu töten." Der Präsident stellt fest, daß durch die Schlagentzündung einer gelötet und zwanzig verwundet wurden; er rügt den veradscheuungs« würdigen Cynismus, mit dem sich Henry zu dem Verbrechen bekennt. Sodann gehl er zu dem Sprengverbrechen in der Rue des Bons Enfants über.
Paris, 28. April. Der Staatsanwalt beantragte die Todesstrafe für Henry, der in vollem Maße verantwortlich sei. Darauf begann das Plaidoyer des Verteidigers.
Mo ns, 28. April. Im Kohlenbergwerk Boisduluc ist ein Fahrstuhl mit 16 Arbeitern infolge Reißens des Seiles in die Tiefe gestürzt. 13 Arbeiter wurden getötet und nur 3 konnten gerettet werden.
Atalante, 28. April. Die Zerstörungen im östlichen Lokris in Griechenland durch die furchtbaren Erdstöße von gestern abend sind vollständig und spotten aller Beschreibung. Wo Häuser stehen geblieben sind, ,st erne Annäherung gefährlich. Alles lagert im Freren. Es herrscht Mangel an Nahrungsmitteln. Die Erregung ist groß. Im Hafen von Atalante ver- sank heule nacht ein eben mit 2000 Broten angekommenes Schiff. Das Gebirge zeigt heute ln seiner ganzen Länge Risse. Immerfort er- hebt sich der Erdboden. Ein Ende der Katastrophe ist noch nicht abzusehen.