274

Während der Reichstag nach Hause ge­gangen ist, muß der Bund es rat noch einige Zeit zusammenbleiben, um die beim Sessions- schluß nötigen Aufräumungsarbeitenvorzunehmen. Ob er sich hierbei auch mit dem Reichstags- beschlusse. betreffend die Beseitigung des Jesuiten­gesetzes, befassen oder aber seine Entscheidung in der Sache bis zum nächsten Herbst verschieben wird, ist noch unbekannt. Die letzten Sitzungen des Reichstags wiesen noch reichhaltige Tages­ordnungen auf, die allermeisten Punkte derselben wurden aber förmlich im Eilzugstempo erledigt. Es wurden genehmigt fast sämmtliche restierende Sachen, die noch zur Erledigung gebracht werden sollten, nämlich der Entwurf über den Schutz von Waarenbezeichnungen und der hier­mit zusammenhängende Nachtragsetat (Mehr­anstellung von Beamten im Patentamt), die Novellen zum Biehseuchengesetz und zur Konkurs­ordnung, das Brieftaubengesetz, ferner die An­träge Rickert-Gröber, welche die Sicherung des Wahlgeheimnisses bezwecken, Rechnungssachen, Wahlprüfungen und endlich das neue Börsen­steuergesetz nach den Beschlüssen zweiter Lesung. Abgelehnt wurde die Vorlage über die Frist­verlängerung für den Sonntagsunterricht an den Fortbildungsbildungsschulen; den konser- vativerseits beantragten Entwurf eines Heim­stättengesetzes zogen die Antragsteller während der zweiten Lesung wieder zurück Es geht die Rede von einer angeblich geplanten Sommer- sejsion des Plarlaments. Es soll beabsichtigt sein, die Reichsboten zu einer Sondertagung im Juli behufs Beratung des deutsch-portugiesischen Handelsvertrages einzuberufen, über welches Projekt, wie weiter behauptet wird. Erwägungen zwischen den verbündeten Regierungen schweben. Da indessen der deutsch-portugiesische Handels­vertrag noch gar nicht einmal zum Gegenstand offizieller Verhandlungen zwischen den beider­seitigen Regierungen gemacht worden ist, so dürfte es auch mit der angekündigten Sommer­session des Reichstages noch gute Wege haben.

Berlin. 24. April. Der Saatenstand im gesamten deutschen Reiche war Mitte April folgender: Winterweizen gut, Sommerweizen gut bis mittel, Winterspelz gut, Winterroggen gut, Sommerroggen gut bis mittel, Sommer­gerste gut, Hafer gut bis mittel, Klee mittel, Wiesen mittel. Die Wintersaaten waren viel­fach durch Trockenheit beeinträchtigt. Die Mitte April eingelretenen Regenfälle berechtigen zu guten Hoffnungen; für die Frühjahrbestellung war die trockene warme Witterung außerordentlich günstig, doch ist die Saat infolge der Trocken­heit erst wenig aufgegangen.

Leipzig, 22. April. Vor kurzem ist hier ein Mädchen-Gymnasium eröffnet worden. Die Leiterin der Anstalt ist Fräulein vr. Mil. Käthe Windscheid, eine Tochter des verstorbenen berühmten Rechtslehrers.

Niefern, 24. April, Seit einigen Tagen ist der Straßenumbau zwischen der Straße nach Enzberg und der hiesigen Enzbrücke vollendet und dem Verkehr übergeben.

Württemberg.

Stuttgart, 24. April. Seine Maj. der König erlegte heute früh unter Führung des Oberförsters Pfizenmayer im Revier Reichenbach bei Freudenstadt 2 Auerhahnen,

Oberst v. Greifs des Württemberg. Infanterieregiments Nr. 126 Großherzog Friedrich von Baden in Straßburg der diesem Regiment in verschiedenen Dienststellungen lange Jahre angehört hat, ist unter Beförderung zum Generalmajor znm Kommandeur der 65. Jn- fanteriebrigade in Mörchingen ernannt worden. Sein Nachfolger im Kommando des 126. Regi­ments ist der württ. Oberst v. Stohrer.

Stuttgart, 23. April. Die Kommission der Kammer der Abgeordneten zur Vor­beratung des Verfossungsgesetzentwurfs, beschloß wesentliche Abänderungen des Entwurfs im Sinne der Vereinfachung desselben.

Stuttgart, 23. April. Vor dem Dis­ziplinargerichtshof für Körperschaftsbeamte be­gann am Montag den 23. April 9 Uhr vorm, die Verhandlung gegen den suspendierten Ober­

bürgermeister Hegelmaier von Heilbronn. Die Zusammensetzung des Gerichtshofes war folgende: Regierungsdirektor v. Bockshammer (Vorsitzender). Oberlandcsgerichtsräte Feyerabend und Schönhardt (Referent), Oberregierungsrat v. Bcllino, Regierungsrat Renz von Ülm, Ober­bürgermeister v. Abel von Ludwigsburg und «stadtschultheiß Hartranft von Freudenstadt. Vertreter der Staatsanwaltschaft war Reg.-Rat Maginot; Verteidiger Hegelmaiers: Rechtsanwalt Kleine. Sachverständige: Obermedizinalrat Dr. v. Landenberger von hier, Geh. Rat Dr. Schüle von Jllenau, Hofrat Prof. Fürstner von Straß­burg. Im Auftrag der bürgerlichen Kollegien Heilbronns sind zugegen: die Rechtsanwälte Dr. Schloß und Rosengart. Zeugen: die Gemeinde­räte Haag und Huber. Stadtbaumeister Wenzel, Stadtpfleger Füger und die Frauen Bertsch aus Mannheim und Müller aus Heilbronn. Nach­dem die Verhandlung eröffnet ist, teilt der Vor­sitzende den Sachverständigen mit, daß die Staats­anwaltschaft ein weiteres ärztliches Gutachten über den Geisteszustand Hegelmaiers verlangt habe, zudem sei das bereits in Hall gesprochene Urteil für die vorliegenden Fälle nicht maß­gebend. Hegelmaier bestreitet, daß die Ver­waltungsnovelle hier zuständig sei, der Verteidiger spricht seine Ansicht dahin aus, daß jenes Gesetz hier materiell nicht Anwendung finden könne und stellt einen dahingehenden Antrag im Namen seines Klienten. Der Gerichtshof schreibt jedoch nach kurzer Beratung dem Gesetze rückwirkende Kraft in prozessualer Hinsicht zu, in maKriellcr Hinsicht behalte er sich seinen Ausspruch vor. Hierauf verliest Reg.-Rat Maginot die An­schuldigungsschrift in ihrem gesamten Umfange. Zunächst gelangen mehrere Sittlichkeitsdelikte zur Verhandlung, welche eine bedeutende Reduzierung früher beschworener belastender Aussagen zweier Zeuginnen ergab. Weitere Anklagepunkte sind: Willkürlichkeiten im Dienst. Mißbrauch der Amtsgewalt und Bedrückung von Amtsunter­gebenen. Streit- und Beschwerdesucht, Wider­setzlichkeit gegen die Anordnungen der Aufsichts­behörden, Disziplinlosigkeit und Ungebühr. Un­sittlichkeit und Mangel an Wahrheitsliebe. Un­leidliches Verhältnis zu den bürgerl. Kollegien. Die Anklageschrift faßt zum Schluß alle einzelnen Punkte zusammen. Hkgelmaiers Ansehen in Heilbronn sei infolge seines Auftretens auf den Nullpunkt gesunken. Oeffentlich sei er als Mann der Lüge gekennzeichnet worden. So sei Hegel­maier in einer Weise herabgewürdigt worden, daß von einer gedeihlichen weiteren Amtsführung keine Rede sein könne. Die vorhandenen Akten haben ein Gewicht von 300 Pfund. Man nimmt an, daß die Verhandlung wegen der großen Zahl der Zeugen mehrere Tage in An­spruch nehmen wird. Nachschr. 24. April. In der heute fortgesetzten Verhandlung gegen Hegelmaier bestritt dieser die ihm zur Last ge­legten Willkürlichkeiten im Dienst. Nach der Anklageschrift soll er ohne Legitimation des Ge­meinderats eine Reise zum Hygiene-Kongreß nach Wien gemacht, ein Darlehen für städtische Zwecke unbefugt bei einem Heilbronner Bankhause aus­genommen haben u. a. m. Die Zeugenaussagen gestalten sich teils günstig, teils ungünstig für Hegelmaier, der die Loyalität seines Vorgehens verteidigt. Auf Antrag der sachverständigen Aerzte kommt am Mittwoch der Anklagepunkt betr. Streit- und Beschwerdesucht Hegelmaiers zur Verhandlung.

Der Staats-Anzeiger teilt die Ergebnisse der amtlichen Erhebungen des Königl. Statist. Landesamts über den Saatenstand im April d. I. für das Land Württemberg im ganzen wie für die einzelnen Kreise mit:

Die seit Mitte März d. I. bis vor kurzem dauernde Trockenheit hatte ernstliche Besorgnis für das Gedeihen der Saaten und insbesondere, in Antracht der vorjährigen Dürre, der Futter­pflanzen hervorgerufen. Indessen sind in den letzten Tagen im ganzen Lande ergiebige Regen­fälle niedergegangen, welche wieder zu guten Hoffnungen berechtigen. Die Winterhalm­früchte sind im Allgemeinen gut durch den Winter gekommen; besonders gilt dies von den im Herbst frühzeitig bestellten Saaten, während

Spätsaaten mancherorts durch häufiges Auf. und Zufrieren notgelitten haben und etwas dünn stehen. Ausgewinterte Saaten von Halmfrüchten sind selten und im großen Ganzen ist der Stand der Wintersaaten als ein schöner und Hoffnung?, voller zu bezeichnen. Der Bestellung der Sommersaaten, welche in den milderen Gegenden, insbesondere des Neckarkreises, schon frühzeitig erfolgte, war die trockene Witterung außerordentlich günstig. Doch ging infolge der Trockenheit nur ein Teil der Saal, namentlich Frühsaat schön auf. Vielfach wurde in den vor Eintritt des Regens abgefahren Berichten der Stand der Saaten als ungleich und dünn bezeichnet, jedoch beigefügt, daß ein baldiger kräftiger Regen, wie er ja indessen eingetreten ist, gründlich aufhelfen werde. In vielen Gegenden des Landes war übrigen um die Mitte des Monats die Bestellung der Sommersaaten noch im Gang oder erst kurz beendet, so daß hier ein Urteil über den Saatenstand noch gar nicht abgegeben werden konnte- und somit auch von Berechnung einer Durchfchnittsnotc für die Kreise - und das Land im Ganzen in diesem Monat noch abgesehen werden muß. Dies trifft gleicherweise auch für die Kartoffeln zu, welche meistens erst jetzt gelegt werden, sowie für den Hopfen, bei welchem vielfach der Schnitt kaum erst beendet ist. Der Stand des Klees (Rotklees) ist nur in einem Teile des Donaukreises und einigen Gegenden des Schwarzwaldkreises, wo derselbe im Vorjahr durch die Dürre nicht oder nur wenig notge­litten hat, ein befriedigender. Im größten Teile Landes und vor allem im Jagstkreis mußten bis jetzt sehr viele Kleeäcker umgepflügt werden. In mehreren Bezirken des Jagstkreises (Heiden­heim, Hall, Crailsheim, Gerabronn, Ellwangen, Neresheim, Aalen) ist sogar nahezu die gesäumte Anbaufläche des Klees (von 90-100°/-» umge­brochen worden, so daß dort überhaupt nur wenig Klee mehr vorhanden ist. Die stehen­gebliebenen Kleefelder sowie die in manchen Gegenden des Landes nach der Ernte des vorigen Jahres vorgenommenen Nachsaaten von Klee sind meist schwach und lückig. Es ist zu hoffen, daß der in den letzten Tagen niedergegangene Regen eine wesentliche Besserung der Kleefelder bewirken werde. Günstiger sind schon jetzt die Aussichten für die Luzerne, von welcher bis­her nur wenig umgepflügt werden mußte. Die Grasnarbe der Wiesen hatte schon im Herbst v.J. in vielen Gegenden des Landes in Folge der damals gefallenen reichlichen Niederschläge sich ge­bessert, so daß dort der Stand der Wiesen ein günstiger ist. Insbesondere haben in den milderen Gegenden die bessern Wiesen schön angetrieben. Wo dagegen im vorigen Jahre die Grasnarbe der Wiesen allzusehr ausbrannte, wie namentlich in einem großen Teile des Jagstkreises, haben sich dieselben noch immer nicht erholt. Aus mehreren Bezirken wird über Schaden durch Engerlinge berichtet. Ucdrigens werden die erfolgten Niederschläge auch für das Wachstum der Wiesen von überaus wohlthätiger Wirkung sein. Was noch die Obstaussichten betrifft, so zeigen Mitte des Monats die Birnbäume zum großen Teil, aber auch schon frühblühende Apfelbäume einen reichen und gesunden Blüten­stand. Auch aus den hochgelegenen und rauheren Gegenden, wo die Baumblüte noch zurück ist, wird der Reichtum an Tragknospea und Blüten­ansatz gerühmt.

Ulm. 23. April. Vom 1. Mai an kann, wie schon gemeldet, der Hauptturm des Münsters bestiegen werden. Wie viel sind es Treppen­stufen bis zur Spitze? Antwort: bis zum Viereckkranz 382, bis zum Achteckkranz weitere 168; die Verbindungslreppe zwischen Achteck und Helm hat 19, die Helmtreppe 189 Stufen. Wer also bis zu oberst steigen will, hat insgesamt 758 Stufen zu erklimmen. Das dürfte für manchen eine schwere Aufgabe sein!

Auflösung des Rätsels in Nr. 62.

Diebstahl.

Fortsetzung in der Beilage.

Redaktion, Druck und Verlag von C. Mceh in Neuenbürg