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den sollen, da die Aufstellung derartiger Wagen als Wohngebäude nicht zur Zierde einer Oberamtsstadt gereichen.)
* Calw, 19. Mai. Tie Vorbereitungen zu dem am 4. und 5. Juni hier stattfindenden 16. Landesverbandstag der Wirte Württembergs sind in vollem Gange. Die verschiedenen Ausschüsse haben mit ihrer Thätigkeit begonnen, so daß auf ein gutes Gelingen des Festes mit Sicherheit gehofft werden darf. Ter festgebende Verein wird es sich angelegen sein lassen, durch verschiedene — Unterhaltung und Abwechslung bietende Veranstaltungen — den herbeieilenden Kollegen angenehme Tage zu bereiten. Bei der Wichtigkeit der zur Beratung gestellten Anträge ist ein zahlreicher Besuch des Vcrbandstages zu erwarten. Die Tagesordnung umfaßt 14 Punkte. Tie wichtigsten Gegenstände der Verhandlungen sind: Bericht über die Denkschrift an den Landtag in Bezug aus daS neue Umgeldsgesetz (Referent: Zürndorfer- Rexingen); der Flaschenbierhandel durch die Brauereien (Referent Schäfer); Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf betr. die Arbeitszeit für das-Personal im Gastwirtsgcwerbe (Ref. Schramm); Stellungnahme gegen die Vereins- und Gcsellcnhaus-Wirt- schaften (Antrag Ravensburg) und Bericht über die Verbandsterbekasfe (Ref. Schramm). Mn Vergnügungen sind vorgesehen: Montag abend 6 Uhr: Gesellige Vereinigung im Saale der Brauerei Dreiß mit Konzert der Stadtkapelle; am Dienstag abend 8 Uhr: Jtal. Nacht im Garten des Bad. Hofes mit.Konzert der Stadtmusik und mit Gesangsvorträgen des Liederkranzes und der Concordia; am Mittwoch vormittag Frühspaziergang in der nächsten Umgebung der Stadt und nachmittags Wagenfahrt mir Musik über Hirsau—Oberreichenbach—Röthenbach—Zavelstein nach Teinach. Die Hauptverhandlungen finden Dienstag um 12 Uhr in der Turnhalle statt; die Delegierten tagen vormittags um 10 Uhr im Rößle. Der Festausschuß hat ferner die Vorbereitung getroffen, daß diejenigen Gäste, die sich für irgend eine der hier bestehenden Jn- dustrieen interessieren, in den betr. Etablissements bereitwillig Eintritt und fachgemäße Führung erhalten.
* Calw, 19. Mai. In den Wäldern hat das schöne Maiblümchen mit seiner Blütezeit begonnen. Jung und Alt erfreut sich an dem prächtigen Pflänzchen. Das Maiglöckchen gehört aber trotz seiner Zier und Beliebtheit zu denjenigen Pflanzen, gegen welche Vorsicht gebraucht werden muß. Sowohl der Stengel wie auch die Blüten
des Maiglöckchens entfalten einen starken Giftstoff: Das Glykosid, welches Blausäure in sich birgt. Man vermeide daher, die Blume besonders zwischen den Lippen zu tragen, da die kleinste kaum bemerkbare Rißwunde unförmlich anschwillt und Schmerzen verursacht, sobald der Saft der Pflanze in sie eindringt. Ebenso werfe man die abgeblühten, welken Blütenkelche nicht auf die Höfe, wo Geflügel umherläuft, denn schon oft sind jüngere Hühner und Tauben nach dem Genuß dieser Blumen verendet. Für die Spatzen ist die Maiblumenzeit eine Sterbe- zeit; jeder Spatz, der die welken Blüten aufpickt, ist verloren.
Stuttgart, 18. Mai. Die Kammer sprach sich heute einstimmig für die Einführung einheitlicher Reichspostwertzeichen aus unter Voraussetzung der Wahrung der Selbständigkeit Württembergs. Ministerpräsident von Breitling erklärte, daß gegenwärtig mit dem Reichspostamt Verhandlungen hierüber schweben und daß dem Abgeordnetenhause s. Z. über das Ergebnis dieser Verhandlungen Mitteilung gemacht werden soll.
Tübing en, 17. Mai. (Strafkammer) Ter 18jähr. Erdarbeiter Radaelli aus Mailand, der am 24. August 1900 wegen Lohndifferenzen aus einem scharfgeladenen Revolver auf den Bauführer Wolter aus Kirchberg in Hannover einen Schuß abfeuerte, ohne indessen zu treffen, war heute des versuchten Todtschlags angeklagt, wurde aber freigesprochen. Ter Angeklagte gab die That zu, bestritt aber die Tötungsabsicht, indem er geltend machte, durch die Lohndifferenz aufgeregt gewesen zu seiu. Als er dann noch gesehen habe, wie der Bauführer einen andern italienischen Arbeiter mißhandelt habe, sei sein Blut in Wallung gekommen, und er habe nur deshalb geschossen, damit Wolter den andern Arbeiter nicht mehr weiter mißhandeln solle. Ein Dolmetscher und ein Verteidiger waren dem Angeklagten beigegeben.
Weingarten, '17. Mai. Der Blutritt ging heute in herkömmlicher Weise von statten. Die Zahl der Wallfahrer darf auf 30—40000 geschätzt werden. Am Vorabend, an Christi Himmelfahrt, wurde das Fest durch die Non und abends durch die Predigt eines Kapuzinerpaters ans Bregenz eingeleitet. Am frühesten Morgen des Blutfreitags weckten Glockengeläute, Böllerschüsse und die Klänge der Regimentsmusik. Um 6 Uhr setzte sich die Prozession in Bewegung. Stadtpfarer Zeller, umgeben von vielen Amtsbrüdern, reichte dem funktionierenden Geistlichen, Vikar Dambacher, die Reliquie aufs prächtig geschirrte Pferd, worauf dieselbe inmitten
einer berittenen Ehreneskorte der Verehrung ausgesetzt wurde. Nach vierstündigem Kreislauf durch die Felder kehrte die große Prozession in die Kirche zurück, wo ein Hochamt gehalten wurde. Gegen 400 Berittene, darunter päpstl. Hausprälat Dr. Hofele von Ummendorf, Stadtpfarer Dr. Rpmbold von Cannstatt und andere Geistliche, hatten die Prozession auf schmucken Pferden mitgemacht, acht Musikkapellen und der Kirchenchor trugen die Buß- gesänge vor und sieben berittene Festordner sorgten für Ordnung. An beiden Tagen war Markt gehalten und die Geschäftsleute, namentlich Wirte, Metzger, Bäcker und manche Krämer hatten sehr gute Einnahmen. „
Mainz, 17. Mai. Gestern morgen kurz vor 6 Uhr fand in der Nähe des Neuthor ein Pistoleir-Duell zwischen dem Oberleutnant Richter vom Infanterieregiment Nr. 118 und dem Leutnant Vogt vom ersten hessischen Husarenregiment Nr. 13 statt, bei welchem 17 Kugeln gewechselt worden sein sollen und bei welchem der Beleidigte, Leutnant Richter schwer verletzt wurde. Derselbe wurde nach dem St. Vincenz-Hospital gebracht. Zwei Brüder seiner Frau dienen ebenfalls in der hiesigen Garnison als Offiziere. Sofort nach dem Duell wurde dem Gouvernement und von diesem dem Kaiser Mitteilung von diesem Vorfall gemacht. Nach einer neueren Bieldung soll es sich nicht um ein Pistolen-Ducll sondern um ein Duell auf schwere Säbel gehandelt haben. Die Schußwunden des Verletzten sollen von den Schüssen einer zu dem Duell gekommenen Patrouille herrühren. Beide Offiziere waren vor dem Duell zu dem heiligen Abendmahl gegangen.
Köln, 17. Mai. Die Staatsanwaltschaft sowie die Eisenbahndirektion des Ruhrgebiets entfalten eine fieberhafte Thätigkeit, um dem Anstifter der zahlreichen in letzter Zeit verübten Anschläge auf Personenzüge beizukommen. Derartige Attentate werden meist auf der Strecke Dortmund-Köln ausgeführt. So wurde auch am Mittwoch wieder kurz vor der Durchfahrt des Schnellzuges in der Nähe von Lüttringhausen eine quer über die Schiene liegende Schwelle sowie auf die Geleise gelegte schwere Steine gefunden, wodurch unfehlbar ein größeres Unglück herbeigeführt worden wäre. Auf derselben Strecke wurde bereits vor einigen Jahren durch Attentat eine Schiene entfernt und später zwei neue Attentate mittelst Dynamit verübt. Noch vor wenigen Tagen wurde ein Schnellzug durch eine quer über die Geleise gelegte Schwelle in Gefahr gebracht.
6 ^ ü 6 1 O ^1.» Nachdruck verboten.
Gin Wädchenschicksar.
Frei nach dem Englischen von A. Wendt.
(Fortsetzung.)
Mit leichten Schritten lief sie die beiden Treppen hinauf zu der zweiten Etage. Dort befand sich die Bilder-Galerie, welche rund um das Haus lief und ihr Licht von oben durch eine Glasdecke erhielt. Hier hatte Jane Gratton manche Stunde verbracht zwischen den gemalten Damen in ihren bunten, steifen Kostümen und den stattlichen Kavalieren mit hohen Halskrausen und wallenden Federn auf den Hüten, und oft hatte sie hier die bezaubernde Schönheit der jetzigen Mrs. Thornton auf dem Porträt bewundert.
Von den zahlreichen Thüren, welche sich auf die Galerie öffneten und welche sämtlich mit schweren Sammetportieren verhüllt waren, führte die eine zu einer Reihe von Zimmern, welche für die Kinder und ihre Gouvernante reserviert waren. Diese bestanden aus einem Vorzimmer, welches in die Schulstube führte, dann kam Miß Grattons Schlafzimmer und das der Kinder. Mr. Thornton war reich, alle Einrichtungen im Hause waren großartig und bequem. Miß Grattons Stelle konnte in dieser Beziehung eine beneidenswerte genannt werden. Ihr Gehalt war gut, ihre Pflichten nickt allzu schwer — denn sie hatte manche freie Stunde — und wenn dieselben sie schwer bedrückten, so war das nicht die Schuld der Familie. Die Ankunft von Tante Alice in Thornton-Hall brachte eine angenehme Abwechselung in Janes eintöniges Leben. Sie und die Kinder waren das ganze Frühjahr, den ganzen Sommer hindurch allein in der Hall gewesen, erst zur Jagdzeit waren Mr. und Mrs. Thornton gekommen und hatten Alice mitgebracht, und seitdem waren täglich neue Gäste angelangt. Diese hatten mit dem Leben der Erzieherin nichts zu thun; aber Tante Alice war ein häufiger Gast im Schulzimmer, ihr freundliches, höfliches Wesen war Jane sehr wohlthuend. Ihr blasses Gesicht leuchtete auf, und die Kinder jubelten, als die Tante die Thür öffnete. —
Zwölf Monate waren beinahe vergangen, seitdem Jane zuletzt auf den toten Bruder geblickt, seitdem sie den Bräutigam fortgeschickt hatte, und diese Monate waren hart zu durchleben gewesen. Jane hatte in dieser Zeit kennen gelernt, daß Armut, die sie so sehr fürchtete, nicht das größte Uebel ist. Sie war jetzt so allein, so verlassen und auf sich allein angewiesen in dem großen Hause. Zwar die Schülerinnen liebten sie, waren folgsam und gut und machten ihr keine große Mühe, aber dennoch fühlte sie das Verlassensein immer mehr und mehr. Von der Zukunft hatte sie nichts zu hoffen — der Rückblick in die
Vergangenheit brachte ihr tiefes Leid — mitunter kam eine thörichte, wilde Hoffnung über sie, Sir Harry würde sie finden, ihr verzeihen und ihr all ihr verlorenes Glück wiedergeben — aber die Zeit rollte unaufhaltsam dahin, die Hoffnung erstarb und machte einer kalten, ruhigen Resignation Platz.
Alice Durhams scharfe Augen sahen den freudigen Schimmer, der in den herrlichen, dunklen Augen Janes aufblitzte, als sie eintrat, und lächelte dem blaffen, schwarzgekleideten Mädchen freundlich ermunternd zu.
„Wenn ihr mir genug Atem zum Sprechen lassen wollt und mich nicht ganz erdrückt, habe ich eine gute Nachricht für Euch," sagte Alice lachend, als die Kinder sich an sie hängten und sie jubelnd umarmten; „aber wenn ihr mein Kleid ganz ruiniert, bleibe ich stumm."
Die Kinder jauchzten, zogen sich ein wenig zurück, aber blickten mit großen, erwartungsvollen Augen auf die Tante, welche die munteren, jungen Gesichter, die leider beide wenig von der Mutter Schönheit besaßen, freundlich anlächelte.
„Meine Schwester würde es gern sehen, wenn Sie und die Kinder mit zum tsouis lom'imwsnt fahren wollten, Ai iß Gratton. Sie müssen wissen, es kommt heute zu Ende, und ich bin überzeugt. Sie werden ein gutes Spiel sehen. Kommen Sie gern? Es ist heute ein schöner Tag zur Spazierfahrt," setzte sie liebenswürdig hinzu.
„Mrs. Thornton ist sehr gütig." entgegnete Jane, „ich bm überzeugt, wir werden alle gern gehen, nicht wahr?"
O, wie gern wir wollen!" rief die kleine Miß Thornton lustig.
„Wir können nun unsere Bücher fortlegen, nicht wahr. Miß Gratton? Es ist schon lange 12 Uhr vorüber!"
„Ja, Ihr könnt gehen," sagte Jane, auch ihre Bücher beiseite legend und Alice liebevoll betrachtend. Sie hatte ein tiefes, fast mütterliches Interesse für dieses Mädchen, welches doch vier oder fünf Jahre älter war, als sie selber; ein Interesse, welches den, der es verstand und begriff, tief gerührt hätte.
„Meine Schwester hat mir erzählt, daß Lady Smith so gütig war. Sie zu empfehlen," sagte Alice nach einer kleinen Pause, während die Kinder mit ihren Büchern beschäftigt waren, „sind die Smiths alte Freunde von Ihnen, kennen Sie sie genauer?"
„Nicht sehr genau," sagte Jane langsam, indem sie sich zwang, ruhig zu erscheinen. „Mr. Smith war ein Freund meines Bruders."
„Ah! Sie kennen also Mr. Smith?"
„Ich kannte ihn früher," antwortete die junge Gouvernante, während ein dunkles Rot ihr Gesicht übergoß. Alice erblaßte merklich, als sie dies gewahrte, und die Farbe war noch nicht in ihr Gesicht zurückgekehrt, als sie nach wenigen Minuten das Schulzimmer verließ und langsamen Schrittes ihr Zimmer aufsuchte.
(Fortsetzung folgt.)