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haben sich rechte Unterthanen, die noch auf die alte deutsche Tugend der Treue etwas geben, -u hüten, daß sie in einer Zeit, die alles kriti­siert, niemals die Ehre dem zu geben vergessen, dem Ehre gebührt. Soll nicht alle Ordnung zu Grunde gehen, so dürfen zwei Autoritäten nicht schwinden; das Wort unseres Herrn nennt sie: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist. und Gotte, was Gottes ist! In dem Kampf der Parteiungen und in der Zerrissenheit der Zeiten wollen wir nimmer aufhören, auf die über den Parteien stehende Autorität unseres himmlischen und unseres irdischen Königs mit Ehrfurcht hin- aufzuschauen.

Gerade ein Tag wie der heutige, des Kaisers Geburtstag, will uns von der niedrigen Warte der parteiischen Selbstsucht, die nur auf das Ihre sieht, auf die höhere Warte des patriotischen Gemeinstnnes stellen. Möchten heute die Deut­schen allen Hader und Streit, diesen alten Erb­feind unseres Volkes, der Deutschland so lange in Fesseln geschlagen hat, vergessen und mit Freude und Dank sich bewußt werden; wir haben einen Kaiser auf dem Thron des einigen, freien, mächtigen Deutschland! Was unsere Väter so lange ersehnt und erstrebt, wofür sie gern Gut und Blut dahingegeben hätten, das ist unser eigen. Wehe dir, deutsches Volk, wenn du gering achtest, was Dein Höchstes ist, deine Ehre, und dir durch innere Zwietracht das rauben ließest, was deine Söhne auf dem Schlacht­felde erstritten haben! Wehe dir, deutsches Volk, wenn du nichts mehr gäbest auf die Perle in deinem Jugendkranz, auf die Treue! Wehe dir. wenn du aus dem Herzen verlörest die Gottes­furcht, den höchsten Ruhm, der ein Volk erhöhet, und wenn du vergäßest, was Gott dir Gutes gethan hat! Der heutige Tag versammelt die deutschen Stämme um den deutschen Kaiserthron. Wie einst am Tage der Gründung des neuen Reiches dort im fremden Lande die Fürsten und Helden, die das Reich schaffen geholfen, ihrem Kaiser die Treue gelobten, so wollen wir Alle das heute von Neuem thun. Nur wenn der Herrscher sich getragen weiß von der Liebe, von der Treue seiner Unterthanen, kann er mit Freudigkeit und in Segen sein schweres, verant­wortungsvolles Amt ausrichten.

Der Anspruch auf Dankbarkeit, den sich der Kaiser erworben hat, ist in diesen Tagen ins Ungemessene vermehrt worden. Indem der Kaiser dem großen Helden u. Weisen der Nation die Hand reichte, hat er für immer eine tiefe Wunde am Leibe des Vaterlandes geschlossen, eine Wunde, die, wir wissen es, ihn selbst am tiefsten schmerzte. Der Labetrunk, den der Enkel Wilhelms I. nach Friedrichsruh gesandt, ist dem ganzen deutschen Volke kredenzt. Die Nation schöpft aus ihm neuen Mut, neue Freude am Reiche und sieht in dem Entschluß des Kaisers ihre hohe Meinung von dem edlen Wollen des geliebten Herrschers bestätigt. Möge, das sei unser Geburtstagswunsch, die Gunst des Schick­sals diesem Wollen immerdar zu Seite stehen.

Herrsche nach Gottes Recht,

Du und dein ganz Geschlecht,

Deutschland zum Heil!

Wahrheit dein Purpurkleid,

Gnade dein Krongeschmeid,

Friede dein Throngeleit,

Heil, Kaiser, dir!

Hamburg, 26. Jan. Fürst Bismarck bestieg um 9'/i Uhr heute Vorm, in Friedrichs­ruh den Salonwagen, vom Publikum stürmisch begrüßt; 6 weißgekleidete Jungfrauen gingen ihm auf dem Bahnhof voraus und streuten Blumen. In seiner Begleitung sind Graf Her­bert Bismarck, Professor Schweninger und Dr. Chrysander. Die Abfahrt erfolgte um 9 Uhr 25 Min. unter brausenden Hochrufen. Bei der Durchfahrt durch Ludwigslust und Wittenberge wurden dem Fürsten stürmische Huldigungen nebst Blumenspenden dargebracht. Der Fürst sehr kräftig und heiter aus und grüßte, im Wagen sitzend.

Berlin, 25. Jan. Deutscher Reichs- Erste Lesung des Gesetzentwurfs über A b za hlungsgeschäfte. Oberlandesgerichtsrat Buchka (d.kons.) erkennt durchaus die Dring- nchkett der gesetzgeberischen Regelung des Ab­

zahlungswesens an und empfiehlt die Annahme I des Gesetzes. Landesgerichtsrat Spahn (Zentr.) bedauert, daß sich der Gesetzentwurf nicht gegen den Hausierhandel richtet, welcher der Schwer­punkt des Abzahlungsgeschäfts sei. Rechtsanwalt Lenzmann (freis. Volksp.) stimmt dem Gesetz­entwürfe zu, behält sich aber vor, bei der 2. Lesung einen Abänderungsantrag einzubringen. Enncccerus (nl.) hält eine sorgsame Prüfung des Gesetzentwurfs für wünschenswert und ist im übrigen mit demselben einverstanden. Werner (Antis.) begrüßt die Vorlage mit Freuden, des- gleichen Auer (Soz.) Zweite Lesung demnächst im Plenum. Hierauf folgt die erste Lesung des Gesetzentwurfs zum Schutze von Warenbezeich­nungen. Roeren Landesgerichtsrat (Zent.) ist mit der Tendenz des Entwurfs einverstanden. Ha mm ach er (nl.) meint bei der Konkurrenz eines ein Waarenzeichen Anmcldenden mit einem, der die Eintragung bereits bewirkt hat, solle nicht ein ordentliches Gericht, sondern das Patentamt entscheiden. Staatssekretär Nieder- ding erklärt, der Wunsch des Vorredners habe seine besonderen Schwierigkeiten. Schmidt (fr. Volksp.) betont, besonders müsse diejenige Kon­kurrenz bekämpft werden,, die uns das Ausland macht. Die Vorlage wird einer besonderen Kommission überwiesen. Morgen Handelsprovi­sorium mit Spanien und kleinere Vorlagen.

Berlin, 25. Januar. Im preußischen Abgeordnetenhause wurde heule die Inter­pellation Kröcher über den fernen Abschluß von Handelsverträgen beraten, v. Heydebrandt begründete die Interpellation. Handelsministcr v. Berlepsch gab die bemerkenswerte Erklärung ab, daß die Regierung nicht in der Lage sei, die Zustimmung za den Handelsverträgen von Bedingungen abhängig zu machen, deren Erfüll­ung sie für unmöglich hält. Brömel (f. Ver.) bestritt es, daß die Not der Landwirtschaft wirk­lich so schlimm sei, wie v. Heydebrandt behauptet habe. Nachdem Krause (null.) Gothein und Ballestrem für den Standpunkt der Regier­ung und Friedberg (nai.) für denjenigen der Interpellation gesprochen hatten, wird die Be­ratung auf morgen 11 Uhr vertagt.

Von den Geld- und Warenbörsen.

Stuttgart, 25. Jan. Die europäischen Geld­börsen sind nach der flauen Haltung der Vorwoche wieder in eine entschieden bessere Stimmung gekommen. Hiezu trug eingestandenermaßen am meisten die Nach­richt von der völligen Aussöhnung des deutschen Kaisers mit dem Fürsten Bismarck bei. Die Berliner Börse, welche die übrigen deutschen und östreichischen Börsen mit sich reißt, erwartet von dieser Aussöhnung zunächst, wenn nicht eine Beseitigung, so doch eine wesentliche Milderung der geplanten Börsensteuer, insbesondere aber auch einen nachhaltigen Einfluß des Fürsten Bismarck ans die Reichspolitik in dem Sinne, daß eine bessere Handelspolitik auch wieder eine lebhaftere Ge­staltung des Geschäfs in allen Zweigen der Industrie und des Handels herbeiführen werde. Dazu kam eine ziemlich optimistische Auffassung bezüglich des Zustande­kommens eines deutsch-russischen Handelsvertrags. Mit Ausnahme des Hafers der wegen ungenügender Vorräte zu erhöhten Preisen umgesetzt wurde, verkehrten die Getreidemärkte in lustloser Haltung bei weichenden Preisen. Nach vorübergehendem Aufschwung des Geschäfts auf den Baumwollmärkten am Schluß der vorigen Woche trat bei Beginn der neuen Berichtswoche eine abermalige Verstauung ein, welche zwar wieder langsam zu weichen beginnt; doch sind die Terminpreise für amerikanische Sorten noch immer 7 bis 8 Points niedriger als am Schluß der Vorwoche. Auf den Garn- und Tüchermärkten ist das Geschäft recht ruhig, da die meisten Spinner und Weber noch unter den anfangs Januar eingegangenen neuen Kontrakten ar­beiten. Für effektive Ware ist die Nachfrage gering. Auf den Zuckermärkten ist eine wesentliche Besserung sowohl der Stimmung als der Preise eingetreten. Auf den Kaffeemärkten dauerte die ruhige Haltung der Vorwoche fort; die Spekulation zeigt sich noch immer äußerst reserviert, und auch für effektive Ware liegen die Verhältnisse zu Käufers Gunsten, während für spätere Termine ein weiterer Preisabschlag zu ver­zeichnen ist.

Telegramme an den Enzthäler.

Berlin, 26. Jan. Bezeichnend für die Gesinnung des Kaisers gegenüber dem Fürsten Bismarck ist der kurz vor der Ankunft des Altreichskanzlers erlassene Allerhöchste Befehl, alle Staatsgebäude zu beflaggen.

Berlin, 26. Januar. Zum Empfange Bismarcks sind die Linden reich beflaggt, die Häuser mit Abzeichen und mit Grün geschmückt; verschiedene Tribünen sind errichtet. Bor der

Passage ist die lebensgroße Wachsfigur Bismarcks aufgestellt. Ein zahlreiches Publikum drängt sich bei schönem Wetter stundenlang vor der Ankunft unter den Linden. Der Kaiser wurde um 11 Uhr. von einer Spazierfahrt zurückkehrend, überall jubelnd begrüßt. Fürst Bismarck ist kurz vor 1 Uhr auf dem Lehrter Bahnhof an­gekommen. Er trug die gelbe Kürassieruniform mit dem Helm. Auf dem Bahnhof war zum Empfang anwesend Prinz Heinrich mit mili­tärischem Gefolge. Unter brausenden Hurrah. rufen der begeisterten, in ungeheurer Anzahl erschienenen Menge fuhr der Fürst zur Linken des Prinzen Heinrich in einem zweispännigen, geschlossenen Galawagen -durch das Branden­burger Thor nach dem Schloß. Das Aussehen des Fürsten ist vorzüglich. Im zweiten Wagen fuhr Herbert Bismarck in Zivil, im dritten Prof. Schweninger. Eine Schwadron Gardekürassiere bildete Eskorte. Die Kürassier-Eskorte wurde beim Vorbeifahren überall mit Blumen beworfen. Die Staatsgebäude und zahlreiche Privathäuser sind beflaggt. Auf dem Schloßplatz war die Ehren­kompagnie vom 2. Garderegiment mit der Regi­mentskapelle aufgestellt. Fürst Bismarck verließ den Wagen und schritt die Ehrenkompagnie ab. welche sodann vor dem Fürsten Parademarsch machte. Der Kaiser trug zu Ehren des Fürsten die Uniform der Halberstadter Kürassiere. Mittags traf in Berlin eine Abordnung dieser Kürassiere ein, bei welchen Bismarck ü Is. suits steht. Den Höhepunkt erreichte die fast dramatisch lebendige Bersöhnungsreise in der Begegnung mit dem Kaiser. Der Monarch eilte mit schnellen Schritten dem treuesten Diener seines Großvaters entgegen, umarmte ihn zweimal und küßte ihn. Kurz nach der Ankunft fuhren Caprivi und sämtliche Staatssekretäre und Minister bei Bis­marck vor und gaben ihre Karten ab. Die Voss. Ztg." schreibt zu dieser Visite Caprivis: Das ist ein Augenblick, den ein genialer Zeichner festhalten sollte. Worüber beide Staatsmänner wohl reden?

Berlin, 26. Januar. Die Begrüßung Bismarcks durch den Kaiser war eine äußerst herzliche. Der Fürst war sichtlich gerührt. Fürst Bismarck wurde zum Chef des Halber­städter Kürassierregiments ernannt. Der Fürst blieb nach dem Empfang längere Zeit mit dem Kaiser allein. Unter den zu dem Diener ge­ladenen etwa 10 Personen befand sich auch Herbert Bismarck. Der Kaiser machte heute nachmittag einen Spazierritt. Bismarck verblieb in den Gemächern. Die Abreise erfolgt bestimmt abends 7 Uhr 19 Min.

Berlin, 26. Jan. Als der Kaiser heute nachmittag auf einem Spazierritt die Straße Unter den Linden" passierte, wurde er von der Menge mit brausenden Hurrahrufen em­pfangen und so umdrängt, daß er kaum den Ritt sortsetzen konnte.

Berlin, 26. Jan., abends 9 Uhr. Bei soeben erfolgter Abreise geleitete der Kaiser den Fürst Bismarck in zweispännigem Gala­wagen zum Bahnhofe und verabschiedete sich herzlichst. Der Kaiser verblieb solange auf dem Perron des Bahnhofs bis der Zug aus der Halle hinausgefahren war. Die Menschenmenge sang Deutschland, Deutschland über alles". Bis­marck besuchte nachmittags die Kaiserin Friedrich. Unter den Linden hatten mehrere Gebäude illuminiert.

Friedrichsruhe. 27. Januar. Fürst Bismarck ist gestern abend 11 Uhr in bestem Wohlsein hier eingetroffen. Der Weg vom Bahnhof bis zu seinem Schlosse war mit Ma­gnesiumlicht beleuchtet. Die versammelte Menge brach in stürmische Hurrahrufe aus.

Berlin, 27. Jan. Der König von Württemberg ist gestern abend ll?/i Uhr hier eingetroffen. Er wurde am Anhalter Bahn- Hof vom Kaiser empfangen und nach dem Schlosse