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geleitet. Heute mittag findet im Zeughaus Pacoleausgabe in Gegenwart des Kaisers statt.
Berlin, 26. Jan. Das „Armee-Verordnungsblatt" veröffentlicht einen allerhöchsten Gnadenerlaß für alle innerhalb des Bereiches der preußischen Militärverwaltung disziplinarisch verfügten Arreststrafen. Haststrafen, Geldbußen, ferner wegen militärischer Vergehen gerichtlich erkannten Arreststrafen, sofern die Strafe vier Wochen gelinden oder drei Wochen mittleren oder vierzehn Tage strengen Arrest nicht übersteigt. Ausgeschlossen sind diejenigen Militärgefangenen, welche wegen vorschriftswidriger Behandlung oder Mißhandlung Untergebener, wegen Diebstahls oder Unterschlagung bestraft sind, und diejenigen, neben deren Arreststrafe auf eine Militär. Ehrenstrafe erkannt worden ist.
Paris, 26. Jan. Die Blätter bringen sehr zahlreiche Depeschen über die Ankunft des Fürsten Bismarck in Berlin, in denen der begeisterte Empfang festgestellt wird. Man erwartet mit Spannung weitere Nachrichten.
Aus Brüssel wird gemeldet: In der Provinz und in der Stadt Namur sind in den letzten 3 Tagen 55 Choleratodesfälle vorgekommen.
Unterhaltender Heil.
In den Höllengrund.
Novelle von Reinhold Ortmann.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 11.)
Während dieses freundlichen Geplauders hatte sie die kühle Compresje geschickt befestigt, und Elfriede, die wirklich keinen Schmerz mehr spürte und deren sich allgemach jenes behagliche Gefühl der Ruhe und Sicherheit nach glücklich überstandener Gefahr bemächtigte, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, um noch einmal die Einrichtung des Zimmers zu mustern, das ihr auf den ersten Blick so wohl gefallen hatte.
Es war eigentlich nichts Besonderes darin, nichts, das sie nicht schon früher in derselben oder in besserer Gestalt anderswo gesehen hätte, nur in der freundlichen Zusammenstellung, in der geschickten, heiteren Anordnung des Ganzen und in der blinkenden Sauberkeit, die jeden einzelnen Gegenstand auszeichnete, lag ein eigener Reiz, eine anheimelnde Traulichkeit und Wärme, die keinen einzigen der stolzen Räume in ihrem eigenen Vaterhause eigen war.
Durch eine geöffnete Thür konnte die Komtesse auch einen Blick in das Nebenzimmer werfen. Sie sah nur einen großen, wenig modernen Schreibtisch und mehrere hohe, altväterische Schränke, die von oben bis unten mit Büchern gefüllt waren. Auch hier zeigte alles von promptester Ordnung, und mitten auf dem Schreibtisch stand eine große, mit Blumen gefüllte Vase, über welche eben die Sonne ein Bündel ihrer goldigen Strahlen warf. Sonst herrschte da drinnen nur eine matte, angenehme Helligkeit, denn das dichte Laubwerk einer breitästigen Kastanie wehrte dem Lichte den vollen Zutritt.
„Wie hübsch ist es bei Ihnen!" konnte sich Ellriede nicht enthalten zu sagen. „Ich bin doch zu Lebzeiten des Pastor Reichardt mehr als einmal im Pfarrhause gewesen, aber da kam mir alles eng und niedrig und dumpfig vor. Es ist, als wenn es nicht mehr dieselben Räume wären."
Ihre offene und zutrauliche Art mochte der alten Frau wohlthun, denn sie lächelte ein wenig geschmeichelt.
„Das macht, er mußte alles von bezahlten Händen Herrichten lassen," meinte sie. „Der Arme hatte ja niemanden um sich als eine Wirtschafterin. und wo eine Wohnung traulich und gemütlich werden soll, da muß es die Liebe sein, welche sie geschmückt hat."
„Und Sie haben Ihren Sohn gewiß sehr lieb?"
Es war eine törichte Frage, welche Elfriede selber verdroß, sobald sie sie ausgesprochen. Sie
meinte, die Erinnerung an Rohden müsse ihr mit einemmal den ganzen Zauber dieses Ortes verleiden, und doch mußte sie sich, wenn sie aufrichtig sein sollte, gestehen, daß sie während all' dieser Zeit an ihn gedacht hatte.
Frau Rohden aber sah sie mit einer Art von freundlichem Erstaunen an.
„Ich habe niemanden auf der Welt als ihn," sagte sie, und ich wünsche mir nichts Anderes, als daß ich bis an meinen Tod bei ihm bleiben darf! All' das Edle und Gute, das ich einst in meinem Vater und meinem Gatten liebte, in ihm finde ich es ja wieder. Sein goldenes Herz ersetzt mir in meinem Alter alles, was ich mit meiner Jugend für immer verloren glaubte."
Wie innig das klang, und bei aller Einfachheit wie tief und wahr empfunden! — Nun ja, sie ist seine Mutter, dachte Elfriede, und er wird sich ihr gegenüber wohl von einer besseren Seite zeigen! Und laut erwiderte sie, um — wie sie meinte — das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen:
„Aber im Allgemeinen fühlen Sie sich hier doch gewiß recht unbehaglich? Sie werden es ja kaum vermeiden können, mit diesen rohen Leuten aus dem Dorfe und aus der Fabrik in Berührung zu kommen?"
„Ich bin von ihrer Roheit noch nie belästigt worden," sagte die alte Frau mit einem kleinen Kopfschütteln. „Und ich denke, als die Mutter ihres Pfarrers bin ich davor auch ein für allemal geschützt! Sie alle lieben ihn ja von Herzen, und ich bin gewiß, daß auch der Schlimmste von ihnen jederzeit zu seinem und meinem Schutze lereit sein würde!"
„Sie lieben ihn?" fragte Elfriede erstaunt. „Und Pastor Reinhardt sagte immer, daß er im Dunkeln nicht gern allein über die Dorfstraße gehen möchte!"
„Wenn er das gesagt hat. liebes Kind, so ist es ein trauriges Wort aus dem Munde eines Seelsorgers. Mein Bernhard könnte jeden dieser armen Leute bitten, seinen letzten Groschen und sein letztes Stück Brot mit ihm zu teilen und keiner würde es ihm verweigern! Wohl sind sie auch ihm anfänglich mißtrauisch und hier und da sogar mit feindseligem Trotz entgegengekommen, aber mit der Kraft seiner Li.ebe und mit der Wahrhaftigkeit seiner Worte und Thaten hat er ihr Mißtrauen besiegt und ihren Trotz gebrochen. Er hat nicht gewartet, bis sie zu ihm kamen, und ich glaube selbst, daß er da sehr lange hätte vergeblich warten können — nein, er selber hat sie aufgesucht in ihren Hütten, in ihrem Elend und Unglück. Ohne sie um ihre Einwilligung zu fragen, ist er ihr Freund geworden, ein Freund mit Rat und That, und wenn es auch nicht die Art dieser Leute sein mag, mit vielen überschwenglichen Worten zu danken, so darf ich's doch mir gerechtem Stolze sagen, daß.heute in ganz Rothenfeld nicht ein einziger ist. der* in Rot und Bedrängnis seine Schritte nicht zuerst voll hoffnungsvollen Vertrauens nach dem Pfarrhause lenkte!"
Die Komtesse wurde mit einemmale sehr still. Sie schaute vor sich nieder auf die weiß gescheuerten Dielen und nur mit verschämter Scheu streifte ihr Blick noch einmal den altmodischen Schreibtisch mit der sonnenbeschienenen Blumenvase auf der abgenutzten Platte. Welch' ein rührendes Verhältnis mußte zwischen dieser Mutter und ihrem Sohne bestehen, wenn sie daran dachte, seine Arbeitsstätte mit frischen Blumen zu schmücken, und wenn ihre Augen so stolz aufleuchten konnten, da sie von ihm und seinem gesegneten Wirken sprach! Und auch des Pastors eigene Worte klangen in ihrem Herzen wieder. „Soll ich es als den Endzweck meines Daseins ansehen, mich für die unsinnigen Launen eines Kindes zu opfern?" hatte er gesagt, als sie ihn in tollem Uebermut aufgefordert, ihren Beschützer zu machen. Und sie hatte das nach allem, was man sie bisher über die Ritterlichkeit eines Mannes gegen das Weib gelehrt, für eine Aeußerung verächtlicher Feigheit gehalten. Ja. sie bemühte sich auch jetzt noch, es dafür zu nehmen, denn sie war ja ausgewachsen und erzogen in dieser Anschauungsweise, die selbst
ihrem rauhen und in seiner Jägerleidenschal, halb verwilderten Vater als das oberste alle, Gesetze galt. Aber es regte sich doch ein mächtige, Zweifel in ihrem Herzen, ab jenes Gesetz wirk, lieh für alle Menschen und unter allen Verhält, niffen bindend sei. Hatte dieser Pfarrer nick in Wahrheit Höheres und Besseres zu verricht als mit seinem eigenen Leben das eines leicht fertigen, waghalsigen Mädchens zu beschützen?
Das Blut stieg ihr heiß in die Schlag und der Kopf schmerzte sie von neuem. A, wußte nicht mehr, war es Aerger über den Pfarrer, oder war es Beschämung über jh, eigenes Beginnen, das sie empfand — nur daz eine wußte sie, daß sie sich bedrückt, gepeinigt unglücklich fühle, und daß sie sich am liebste, , an die Brust dieser alten Frau geworfen hätte! um sich recht von Herzen ouszuweinen.
Aber da rollte draußen auf dem Kieswege ein Wagen heran, und sie erkannte den gleich mäßigen Hufschlag der wohlgeschulten Pferde.
„Das ist der Papa!" sagte sie mit einen tiefen Aufatmen, und sie hatte kaum ausgesprochen, als Graf Recke bereits ungestüm die Thür dü Gemaches aufriß. Sein Gesicht war gerötet, aber als er Elfricde erblickte, blitzte die Helle Freude in seinen Augen auf.
„Teufelsmädel!" rief er. indem er auf sie zueilte und ihren Kopf in seine beiden Hände nahm. „Teufelsmädel, was machst Du mir für j Geschichten! Wenn Deine Mutter heute noch am Leben gewesen wäre, so hättest Du sie sicher, lich umgebracht mit diesem Schreck! Danke Gott, daß ich etwas stärkere Nerven habe als sie! — Und nun, da Du Deine Strafpredigt bekommen hast, nun laß Dir einen Kuß geben! Was Du gewagt hast, das thun Dir unter allen Reitern Seiner Majestät nicht zwanzig noch. Ich HM Respekt vor Dir, mein tapferes Mädel!"
Elfriede suchte sich seiner Liebkosung zn entwinden. Noch vor einer halben Stunde würde sie das Lob, das er ihr spendete, stolz und glücklich gemacht haben, jetzt aber hatte sie keine Freude daran. ,
„Laß uns aufbrechen, Papa," bat sie, „ich bedarf der Ruhe!"
Und nach einer verlegenen, gedrückten Danksagung, die zu ihrem vorigen, heileren und un- befangenen Geplauder in einem seltsamen Gegensatz stand, verabschiedete sie sich von der Mutter des Pfarrers und ließ sich zum Wagen tragen. Graf Trotha hatte taktvoll darauf verzichtet, ihren Vater zu begleiten, und Elfriede war ihm dankbar dafür. Sie fühlte, daß ihr seine Gesellschaft gerade jetzt fast unerträglich gewesen wäre, obwohl sie sich über den Grund dafür wohl kaum hätte Rechenschaft geben können.
Während Gras Recke noch immer seiner lauten Bewunderung ihrer Kühnheit Ausdruck gab und es darüber ganz vergaß, sich nach ! ihrem Befinden zu erkundigen, lehnte sie blaß k und schweigend in den Polstern und sehnte sich I nach dem Augenblick, da sie endlich allein sein t würde mit ihrem übervollen, schmerzlich zucken- ß
den Herzen. n
(Fortsetzung folgt.) s
Auflösung des Silben-Rätsels in Nr. 14. ;
Krone — Alfen — Juni — Saale — Ems Rems — Walhalla — Jagd — Lyceum — Hellebarde — England — Lanze — Mai.
Kaiser Wilhelm — Jedem das Seine.
Neuenbürg. 27. Jan. Auf dem heut. Schweinemarkl wurden Milchschweine zu 20—25 und Läufer von 50—85 §16 das
Paar rasch verkauft.
Bestellungen auf den
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ür die Monate Februar und März wollen etzt gemacht werden, damit die Zustellung des Blattes vom 1. Februar an erfolgen kann.
Man abonniert bei den Postanstalten und Postboten; in Neuenbürg direkt bei der Geschäftsstelle.
Redaktion, Druck und Verlag von C. Meeh in Neuenbürg.
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