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Spanien genehmigt, sodann folgt die erste Beratung der Tabakfabrikatssteuer. Staatssekretär Posadowsky ergreift als erster Redner das Wort zur Begründung der Vorlage. Er sucht die Berechtigung der Tabaksteuer wie überhaupt der indirekten Besteuerung durch Vergleiche mit den Steuerlasten anderer Länder festzustellen. Bei der Lohnsteigerung der arbeitenden Klassen sei eine Steigerung der indirekten Steuerlast um 7'/- Mark, wie sie seit 1879 stattgehabt hat. verschwindend klein. Indirekte Steuern verursachen keine Massenauswanderungen, solche seien aber sehr wohl bei größerer direkten Besteuerung zu befürchten. Von einer direkten Reichseinkommensteuer habe man Abstand genommen, um nicht den förderativen Charakter des deutschen Reiches zu gefährden. Die maßlose Agitation habe die Folgen einer Tabakssteuer weit übertrieben. Auf die Petitionen gegen die Vorlage gebe er nichts. Man wisse ja wie sie entstanden sind. In Berliner Zigarren-Geschäften z. B. haben Petitionen ausgelegen, welche jeder Schusterjunge unterichreiben konnte. (Widerspruch links). Redner tritt sodann der „Fabel" von Arbeiterentlassungen entgegen. Den verbündeten Regierungen liege nichts ferner als die Vorlagen zurückzuziehen. Sie hoffe vielmehr zuversichtlich ihre Annahme. Fritzen (Zentr) spricht gegen die Tabakfabrikatsteuer. Die durch ihre Annahme bedingten Arbeiterentlassungen würden nur neue Anhänger in die Arme der Sozialdemokratie treiben. Deshalb möge die Regierung lieber die erforderlichen Mittel durch Börsen-, Check-, Kunst- und Schaumweinsteuer oder etwa durch eine Erhöhung des Zolls auf Tabakfabrikale aufbringen. Auf Frhrn. von Stumm (R.P.), der für die Regierungsvorlage eintritt, äußert Bassermann (natl.) seine Bedenken gegen die Vorlage und spricht für eine Luxus- und Wehrsteuer. Die jetzige Vorlage sei auch vom Standpunkt des Tabakbaues zu verwerfen.
Die Börsen-Gesetzkommission des Reichstages hatte den Assessor Eschenbach beauftragt, zu untersuchen, wie viel ausländische Papiere allein in den letzten zehn Jahren in Deutschland durch die Börse untergebracht seien. Nach dem von Herrn Eschenbach ausgestellten Verzeichnis sind ui diesen zehn Jahren an den deutschen Börsen für 20 737 Millionen auswärtige Papiere zur Zeichnung aufgelegt worden, und von diesen für 5365 Millionen mit dem deutschen Stempel versehen worden, also in deutschen Besitz übergegangen. Es sind also jährlich ca. 536 Mill. deutschen Kapitals für ausländische Anleihen ins Ausland gegangen; allein nach Griechenland sind 414 Millionen gekommen.
Die Vorlage betreffend die Aufhebung des Identitätsnachweises für Getreide wird gegenwärtig im Reichsschatzamte ausgearbeitet.
Berlin, 11. Jan. Der Reichsanzeiger dementiert die gestrige Meldung der Kreuzzlg., daß es beabsichtigt sei, die Kolonialabteilung vom auswärtigen Amt zu trennen und dem Reichsmarineamt zuzuteilen.
Berlin, 12. Jan. Vom König von Württemberg ist der Präsident Dr. von Stieglitz zum ^Bevollmächtigten des Bundesrat ernannt worden.
Berlin, 11. Jan. Wie verlautet wird die Thronrede im preußischen Landtag in bestimmter Form die Absicht der Regierung zum Ausdruck bringen, daß man der Landwirtschaft nicht nur über die jetzige Krise hinwegzuhelfen habe, sondern, daß man für dieselbe auch neue feste Grund- lagen gewinnen müsse.
München, 11. Jan. Dr. Daller und die sämtlichen Mitglieder der Zentrums- fraktion haben folgenden Antrag eingebracht: Die Kammer wolle beschließen: Es sei an den Prinzregenten die Bitte zu richten, die Bevollmächtigten Bayerns zum Bundesrale anzuweisen, mit aller Energie dahin zu wirken, daß 1) bei etwaigem Abschlüsse eines Zoll- und Handels- Vertrages mit Rußland die bis in das Jahr 1893 bestandenen Getreideschutzzölle auch fernerhin aufrecht erhallen bleiben; 2) der Identitätsnachweis, welcher für die landwirtschaftlichen
Verhältnisse Süddeutschlands von außerordentlicher Wichtigkeit ist, nicht aufgehoben werde.
München. 10. Jan. Der „Bayr. Kur." meldet von kirchlicher autoritativer Seite, daß die Ziviltrauung und die kirchliche Trauung des Barons Seefried mit der Prinzessin Elisabeth einschließlich der Garantie katholischer Kinder- erziehung rechtskräftig erfolgt sei. Erzbischof Antonius hat die endgiltige Regelung dieser Angelegenheit vermittelt.
Berlin, 11. Jan. Der praktische Arzt Dr. M. Guttmann aus Nürnberg, welcher im Aufträge der bayerischen Regierung hier Studien macht, hat sich, wie den „Münch. N. Nachr." gemeldet wird, das Leben genommen.
München, 12. Jan. Gestern abend ist in der chemischen Kunstwaschanstalt von I. Fischer in der Westermühlstraße hier durch die Explosion eines Ballons Benzin ein großes Unglück angerichtet worden. Fischer, sein Schwiegersohn und Geschäftsteilhaber Hitzels- berger, sowie mehrere Arbeiter sind lebensgefährlich verletzt. Die Werkstälte ist gänzlich zerstört, in vielen Nachbarhäusern wurden die Fensterscheiben eingedrückt.
Der „süddeutsche Eisenbahn-Reformverein, Sektion Karlsruhe", hat bei dem Landtag eine Petition eingereicht, in der die Weiterführung der Bahnstrecke Karlsruhe-Rastatt bis Kehl befürwortet wird. Der Verband weist in der Begründung darauf hin, daß durch den Bau der strategischen Bahn Karlsruhe volle 37 Kilometer näher an Straßburg herangerückt werde. was zur Folge habe, daß der Verkehr von Rastatt ab die kürzere Strecke durch das Elsaß ein- schlagen wird. Das weroe bei den heutigen Verkehrsverhältnissen. wie die Generaldirektion selbst ausgeführt habe, einen Verlust von ca. 200000 ^ jährlich ausmachen, welche Summe zu 4 pCt. angesetzt, einem Anlagekapital von 4 Millionen Mark gleichkäme. Diesem Verlust, so meint die Petition, würde durch die Weiterführung der Bahnstrecke Rastatt-Kehl vorgebeugt werden. Der Ertrag der Bahnlinie werde schwerlich hinter dem der Thalbahn nach Mannheim zurückstehen, umsoweniger, als Straßburg eine weit volkreichere Stadt als Mannheim und für den Durchgangsverkehr für das Eisenbahnnetz überaus wichtig ist.
Mannheim, 10. Jan. Das Eis des Rheines hat sich im Lauf der verflossenen Nacht bis an die Ncckarmündung vorgeschoben. Der Oberrhein bringt heute infolge der eingelretenen milderen Temperatur nur sehr wenig neues Eis. Sowohl das Wasser des Rheins, als auch dasjenige des Neckars steigen in den letzten Tagen stark.
Einen Fall von Soldatenmißhandlung berichtet die „Colmarer Ztg." aus Winzenheim. Dort passierte vor einigen Tagen eine Abteilung von ca. 34 Mann des Mecklenb. Jäger-Bataillons Nr. 14 den Ort. Vor dem Verlassen der letzten Häuser wurde das Lied „Wir winden dir den Jungfernkranz" angestimmt, während im letzten Gliede zwei Mann bemüht waren, einen dritten im Takt mit Faustschlägen zu mißhandeln, wobei der. Abteilungsführer mit Fußtritten und Faustschlägen mithalf, bis der Betreffende auf der Straße zusammenbrach. Nachdem er wieder aufgerichtet war, wurde in derselben Weise fortgefahren.
Württemberg.
Der Köln. Ztg. wird aus Stuttgart gemeldet: „Sicherem Vernehmen nach beabsichtigt König Wilhelm sich Ende dieses Monats zur Teilnahme an der Feier des Geburtstages des Kaisers nach Berlin zu begeben.
Stuttgart, II. Jan. Dem Vernehmen nach hat heute Vormittag der Gemeinderat über die Frage beraten, ob die Feier des Geburtstags des Kaisers diesmal offiziell von dem Gemeinderat in die Hand genommen werden solle. Ein Antrag, von einer offiziellen Feier seitens der Gemeinde abzusehen und es bei der bisherigen Art der Feier zu belassen, wurde durch Mehrheitsbeschluß angenommen.
Stuttgart. 7. Jan. Seit einem Jahr bietet der Christliche Verein Junger Männer , den Unteroffizieren und Soldaten der hiesigen
Garnison durch Veranstaltung von Vorträgen, Abhaltung von Kursen für Französisch, Schönschreiben, Rechnen u. s. w. mancherlei Anregung, Belehrung und Unterhaltung. Das freundliche Entgegenkommen des Vereins wurde von den Eingeladenen durch zahlreichen Besuch belohnt und der bisherige Verlauf zeigt, daß die Sache einem wirklichen Bedürfnis entspricht. Zum erstenmal veranstaltete diese Soldatenvereinigung am letzten Freitag einen Familienabend für Unteroffiziere. Die Herren Verwalter Hiller, Redakteur Schrempf, Sergeant Meyer und Zahlmeister- Aspirant Köhler hielten Ansprachen. Der Singchor der Unteroffiziere des Infanterieregiments Kaiser Friedrich sowie der Posaunenchor unv der Streichchor des Christlichen Vereins Junger Männer verschönten den Abend durch eine Reihe trefflicher Vorträge. Die Aufführung des Körner'schen Dramas „Joseph Heyderich oder Deutsche Treue" bildete einen Glanzpunkt des Abends. Sowohl die Reden als die musikalischen Leistungen wurden von den etwa 150 versammelten Unteroffizieren und ihren Frauen mit warmem Beifall und aufrichtigem Dank belohnt, so daß dieser Versuch als ein durchaus gelungener bezeichnet werden darf. Ein ächt christlicher und deutscher Geist beherrschte das Ganze und alle Mitwirkenden fanden ihre Mühe reichlich belohnt. (S.C.B.)
Heilbronn, 12. Jan. Konzerstänger Prof. Diezel hat gestern im Falkensaale einen Liederabend veranstaltet, zu dem sich ein zahlreicher Zuhörerkreis eingefunden hatte.
Eine raffinierte Diebin scheint eine Schuhmachers-Ehefrau von Markgröningen zu fein. Dieselbe ist schon mehrfach wegen Diebstahls bestraft und sollte am 2. Januar eine 8monatliche Gefängnisstrafe antreten. Sie zog jedoch die Freiheit vor und wurde flüchtig. In Mannheim wurde sie aber wieder wegen Diebstahls festgenommen. Vor ihrer Flucht hat sie in einer benachbarten Ortschaft noch zwei Diebstähle ausgeführt.
Maulbronn, 10. Januar. Der große Steinbruch von Sorge und Läpple wurde dieser Tage an Herrn Werkmeister Karl Burrer von Gündelbach für 80 000 ^ verkauft. Mit der Gewinnung und Bearbeitung des weithin berühmten roten Sandsteins werden während der Saison ca. 200 Steinbrecher und Sleinhauer beschäftigt.
Ausland.
Brüssel, 12. Jan. Die Bildung eines extrem-klerikalen Ministeriums, sowie die Auflösung der Konstituante gilt für den Fall des Rücktritts Beernaerts für wahrscheinlich. Die Lage ist äußerst verworren.
Brüssel, 11. Jan. Da eine Verständigung mit der Volksvertretung in Betreff des Proportionalwahlsystems nicht zu erreichen war, hat das Ministerium Beernaert heute seine Demission eingereicht.
Paris. 11. Jan. Kammer. Dupuy wird mit 290 Stimmen zum Kammerpräsidenten gewählt.
Paris, 11. Jan. Ein bei dem hiesigen brasilianischen Gesandten eingetroffenes Telegramm stellt das Gerücht von dem Rücktritt des Generals Peixoto entschieden in Abrede und bemerkt, die Lage der Regierung sei unerschüttert.
Bukarest. 10. Jan. Heute war hierzu Ehren des scheidenden deutschen Gesandten von Bülow ein Festkommers veranstaltet .worden, der unter sehr lebhafter Teilnahme der gesamten deutschen Kolonie und vieler Oesterreicher glänzend verlief.
Rom, 12. Jan. Der verhaftete Priester Urso wird nach Palermo gebracht. Es verlautet. es seien Anzeichen vorhanden, daß zwischen dem Abg. Defelice und Urso ein Einverständnis über die revolutionäre Agitation in Sizilien bestanden hat.
Barcelona, 10. Jan. Aus einem Briefe Martine; Campos aus Melilla an einen seiner hiesigen Freunde geht hervor. daß trotz der Verhandlungen mit dem Sultan eine Kriegserklärung Spaniens an Marokko demnächst erfolgen werde.