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X. Altburg, 27. April. Heute Nachm. 5 Uhr fand hier ein Gewitter statt, verbunden mit Hagel. Es scheint Heuer ein gewitlerreiches Jahr werden zu wollen und werden die Landwirte wohl daran- thun, wenn sie ihre Feldfrüchte gegen Hagel versichern.
Nagold. Bedauerlicherweise hat sich in unserer Stadt im Laufe der letzten Woche die Ge- flügelcholera eingestellt. Um größerem Umsichgreifen dieser Seuche vorzubeugen, so fügt der „Ges." dieser Notiz bei, möge daran erinnert werden, daß nur das augenblickliche Einsperren des Geflügels vor Ansteckung schützt. Namentlich aber sei an dieser Stelle vor Ankauf des durch herumziehende Händler angepriesenen Geflügels gewarnt. Nur durch direkten Bezug, wie solcher durch ein Mitglied des Geflügelzuchtvereins Nagold (Oekonom Wagner in Rohrdorf) zum billigsten Preise besorgt wird, kann man vor derartigen Epidemien eher verschont bleiben. Das beste und lohnendste ist eigene Zucht.
Geislingen, 26. April. Gestern abend wurde in Altenstadt der 6jährige Knabe des Fabrikarbeiters Seitz von hier von einem Fuhrwerk so unglücklich überfahren, daß er nach einigen Stunden starb. Vorgestern entstand in Altenstadt durch Zündeln eines Knaben ein Waldbrand, der sehr schwer zu löschen war. ES brannten cirka 8 Morgen nieder.
Baden-Baden, 27. April. Die deutsche Kaiserin wird anfangs Mai mit den kaiserlichen Prinzen hier eintreffen und einige Zeit hier verweilen.
Frankfurt a. M., 26. April. Zu der Griesheimer Katastrophe wird noch weiter gemeldet: Gegen 11'/» Uhr war das Feuer soweit bewältigt, daß der größte Teil der auswärtigen Wehren sich zurückziehen durfte. Der Ort selbst durfte von den Bewohnern schon um 9 Uhr wieder betreten werden. Jedoch wurde von dieser Erlaubnis wenig Gebrauch gemacht. Noch Nach Mitternacht irrten hier Obdachlose in den Straßen herum. Auch das Militär ist zum Teil zurückgezogen. Nur rings um die Fabriken stehen Militärposten, um Diebstähle zu verhüten. Bis Mitternacht waren 17 Leichen geborgen. Wie viele unter den Trümmern liegen ist überhaupt erst im Laufe des heutigen Tages zu bestimmen, da ein großer Teil der Arbeiter schon nach der ersten Explosion geflüchtet ist und alle diejenigen, welche in den umliegenden Ortschaften sich aufhalten, als vermißt gezählt wurden. Die Fabrik Griesheim Elektron ist fast ganz zerstört, ebenso die Fabrik Marx u. Müller ist ebenfalls total abgebrannt. Auch ein großer Teil der Gebäulichkeiten von Farbwerk Griesheim ist durch das Feuer zerstört. Der Schaden, welcher durch Feuerversicherungen gedeckt ist, soll wie es heißt, mehr als 5 Millionen Mark betragen. Tie Arbeiter werden vorerst mit dem Aufräumen der Trümmerhaufen beschäftigt. Die ganze Nacht durch eilten Neugierige nach der Unfallstelle, welche sehr streng abgesperrt blieb.
Frankfurt a. M., 26. April. Nach den neuesten Feststellungen sind in dem Krankenhaus in Höchst 21 Schwerverletzte untergebracht, von welchen einer bereits gestorben sein soll. In den verschiedenen Frankfurter Spitälern liegen ungefähr 40 Schwerverletzte.
Griesheim, 27. April. Die Nacht ist ohne weitere Unfälle verlaufen. Nach amtlicher Mitteilung sind bis heute vormittag 11 Uhr 14 Leichen geborgen, doch werden noch weitere Leute vermißt. Die Zahl der Schwer-und Leichtverwundeten wird von zuständiger Seite auf 15 0 geschätzt. Die Zahl der in Frankfurter Hospitälern Untergebrachten beträgt ca. 50, während im Höchster Krankenhaus 21 Aufnahme gefunden haben.
Frankfurt a. M., 28. April. Die hies. Eisenbahndirektion ließ heute nachmittag Sonderzüge auf der Strecke Frankfurt—Höchst verkehren, da der Andrang nach der Unglücksstätte in Griesheim ein ganz enormer war. Die Beerdigung Ger Opfer der GrieSheimer Katastrophe findet Montag vormittag 10 Uhr statt.
Berlin, 26. April. In der Budget-Commission des Reichstages wurde heute das Gesetz über die Versorgung der Kriegs-Invaliden und KriegS-Hinterbliebenen in zweiter Lesung angenommen, ohne daß die Beschlüsse erster Lesung eine materielle Aenderung erfuhren. Nach Mitteilung der Regierung erhöht sich infolge des Gesetzes der jährliche Bedarf für die Invaliden auf 14 600 000 Die bereits in erster Lesung angenommene Resolution betreffend rechtzeitige Vorlegung der Revisionsgesetze bezüglich des Militär-Pensions- und Militär-Relicteu-Gesetzes in nächster Session wurde wiederum genehmigt und außerdem eine Resolution beschlossen, welche jährliche Vorlegung von Uebersichten über die Invaliden- und Pensions-Auszahlung verlangt.
Berlin, 27. April. Die Boycottierung sämtlicher Berliner und Vorort-Apotheken ist dem Lokal-Anzeiger zufolge in einer gestern abend stattgehabten Versammlung der Krankenkassen-Vor- ftände einstimmig beschlossen worden. Vertreten waren 87 Kassen, die über 40,000 Mitglieder zählen. Der Boykot soll am 1. Mai seinen Anfang nehmen. Zur Unterstützung des Boycotts gegen die Apotheken sind für die nächste Zeit Volksversammlungen angekündigt.
Berlin, 28. April. Dem Berliner Tageblatt zufolge wurden gestern zwei Aktiendiebe f est g e n o m m en, als sie im Bureau des Schaaff- hausen'schen Bank-Verein Aktien versilbern wollten, welche kürzlich in Köln bei einem Einbruch gestohlen worden sind.
Paris, 26. April. Der Matin berichtet über eine neue Spionage-Affäre folgendes: Ei n Deutscher namens Joh. O. ist auf Antrag der
zu muffen. Sie nennen es ein unleidliches Fest, und ich habe mich so aus den Ball gefreut. Wissen Sie, daß ich noch nie auf einem Ball gewesen bin?"
„Noch nie auf einem Ball gewesen? Armes kleines Mädchen!" sagte er mit einem fast zärtlichen Ton; „hätte ich das gewußt, so hätten wir hier längst schon einen Ball gehabt."
Während dieses Gesprächs hatten sie die Halle durchschritten und waren an den Tisch gelangt, auf welchen Jane ihren Brief neben die Posttasche gelegt hatte. „Ah, Sie haben Ihrem Bruder geschrieben," sagte der junge Mann, die Tasche ergreifend sie Jane geöffnet hinhaltend. Da entglitt der Brief den Händen des Mädchens und siel zur Erde, die Adresse nach oben. Sir Harry hob ihn auf, sah den fremden Herrennamen; eine tiefe Bläffe breitete sich über sein männlich-schönes Gesicht, und mit einem ernsten, vorwurfsvollen Blick gab er den Brief Jane, welche ihn mit einem leisen „Ich danke" in die Tasche gleiten ließ.
Das eingetretene, etwas verlegene Schweigen währte nicht lange, der Diener kam und meldete, daß der Thee im Wohnzimmer serviert sei. Beide gingen hinein; es war Lady Jates Lieblingszimmer, dessen schön geschnitzte, dunkle Möbel und schwellende Polster in dem matten Licht der beiden Tischlampen sehr behaglich und einladend aussahen. Da waren an den Wänden Paneele mit schönem, altem Porzellan, zierlichen Vasen und wertvollen Broncen; ein Strauß von duftenden Heliotrops verbreitete einen leichten Wohlgeruch im Zimmer, welcher sich mit dem Aroma des Thees angenehm vermischte.
Sir Harry, blaß und müde, hatte sich in einen Armstuhl nahe dem Kamin gesetzt und sah ernst auf das schöne Mädchen in dem dunklen Sommerkleid, sah auf die schön geformten, weißen Hände, welche das wertvolle Geschirr so sicher und geräuschlos handhabten, sah auf das süße Gesicht, die herrlichen, abgrundtiefen Augen.
Stahlgießerei Forges de Commentry wegen Verkaufs der Fabrikgeheimnisse für französische Kriegswaffen an Krupp in Essen verhaftet worden. Zeichnungen und Erklärungen der neuen französischen Waffen seien ihm von 4 Waffenarbeitern von Commentry, von denen augenblicklich zwei verhaftet sind, geliefert worden. Man erwartet in Paris das Eintreffen der Gerichtsbehörde, welche mit der Untersuchung beauftragt ist, um den Verhafteten einem Verhör zu unterziehen und eine Haussuchung in seiner Wohnung vorzunehmen.
Paris, 28. April. Das Blatt Rappel berichtet aus Rom: König Victor Emannel werde nach der Entbindung der Königin eine längere Reise ins Ausland machen und sich nach Berlin, Petersburg, London und Constantinopel begeben, Wien aber nicht berühren.
Brüssel, 28. April. Der Pariser Korrespondent des hiesigen Etoil belge meldet seinem Blatte über die neue Spionage-Angelegenheit folgende Einzelheiten: Wie die Untersuchung ergeben hat, befindet man sich vor einer wirklichen Spionage- Gesellschaft. In der Gießerei von Commentry wird augenblicklich ein neues Metall verarbeitet zur Herstellung von Kanonen und Panzerplatten. Der Vorarbeiter Givonnet hatte bereits verschiedenen französischen Gießereien das Angebot gemacht, ihnen das Herstellungs-Geheimnis zu verkaufen. Diese wiesen aber das Anerbieten zurück, worauf sich Gi- vonnet an Krupp in Essen wandte, der einen Agenten nach Paris schickte. Dieser stellte die Wichtigkeit des Fabrikationsgeheimnisses fest und schloß einen regelrechten Vertrag ab, wodurch sich Krupp verpflichtete, 200,000 Francs zu zahlen und Givonnet als Betriebsleiter in seinem Werke anzu- stellen zur Herstellung des neuen Produktes. Zwei weitere Arbeiter wurden ebenfalls bezeichnet, um Givonnet behilflich zu sein. Diese beiden Arbeiter sollten 100,000 Francs erhalten. Die außergewöhnlichen Ausgaben der Betreffenden zogen die Aufmerksamkeit der Gerichtsbehörde auf sich und hatten ihre Verhaftung zur Folge, worauf es auch gelang, den Agenten Krupps festzunehmen. Die Abfahrt der betreffenden Arbeiter sollte morgen Montag erfolgen.
London, 27. April. Lord Kitchener meldet aus Pretoria: Leutnant Reis und 20 kaiserliche Waldläufer haben südwestlich von Commusiedrift am Elefantenfluß den Kommandanten Schröder mit 41 Manu und einem Maxim-Geschütz gefangen genommen. Außerdem erbeuteten die Engländer eine große Anzahl Pferde und Maulesel und eine große Menge Munition. Die Engländer hatten die Buren bei Tagesanbruch umzingelt und heftiges Gewehrfeuer aus nächster Nähe auf sie abgegeben, sodaß sie gezwungen waren, sich zu ergeben.
Die Wirren irr China.
Berlin, 26. April. Nach einer Pekinger Privatmeldung wäre militärischerseitS nunmehr neuer-
„Wie schön sie ist! wie sehr ich sie liebe!" dachte er, „aber wenn —"
„Ich bitte, Sir," sagte Jane, ihm eine Taffe bringend. „Sie Armer, wie erschöpft und müde Sie find! Es ist schade, daß ich allein bin und keine von den schönen jungen Damen hier ist, Sie ein wenig aufzuheitern," fügte sie mit einem koketten Lächeln hinzu.
„Ja, sehr schade," meinte er trocken. Doch plötzlich seine Tasse zur Seite schiebend, erfaßte er ihre Hand und diese fest in der seinen halten, sagte er mit vor Erregung bebender Stimme: „Jane, haben mich diese süß lächelnden Lippen, diese glänzenden Augen die ganze Zeit hindurch getäuscht und betrogen? Sind sie auch wie all die anderen, kokett und flatterhaft. Sie, die ich für so wahr, so treu und keusch hielt?" — Nein, ich kann diesen Gedanken nicht fasten, nicht ausdenken!"
„Was ist geschehen, was meinen Sie?" fragte sie zaghaft und tief errötend, vergeblich bemüht, ihre Hand zu befreien.
„Habe ich Dich erschreckt, Mädchen? wie Du zitterst," sagte er mit innigem Ton, „vergieb, o vergieb mir, Jane! Wenn Du wüßtest, welche Angst, welche Qual ich die letzte Viertelstunde erlitten habe!" Erregt stand er auf, ließ ihre Hand fallen und sich an den Kaminsims lehnend, sprach er: „Ich sah vorher die Adr« sie des Briefes, ich konnte es nicht verhindern, wer ist der Mann, an den Du schriebst,, wer ist Willy Smith?"
Nach einer kleinen Pause antwortete Jane, stolz den Kopf erhebend: „Es ist ein Freund Roberts." «
„Roberts?" Deines Bruders? und auch Dein Freund?"
„Natürlich auch ein Freund von mir," entgegnete sie so ruhig wie möglich, aber ihr Herz klopfte heftig, sie fühlte, wie alle Farbe aus ihrem Antlitz gewichen war. (Fortsetzung folgt.)