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geladene Gewehr, in der linken Hand haltend, mit der Rechten das Fernrohr ans Auge führte, ging die Flinte in Folge einer Erschütterung des Bootes los und die Kugel drang in den Hinlerkopf ein, wodurch der sofortige Tod herbeigeführt wurde. Das furchtbar tragische Geschick des Verunglückten und seiner Hinterbliebenen erregt die allgemeinste und und aufrichtigste Teilnahme. Der große Betrieb der rühmlichst bekannten Maulbronner Sandsteinbrüche verliert in dem Dahingeschiedenen seinen höchst umsichtigen und für das Wohl seiner Arbeiter stets besorgten Leiter, einen Mann von seltener Rührigkeit und Thatkraft.
Nagold. Anläßlich des großen Brandunglücks lief aus dem K. Kabinett folgendes Telegramm bei dem K. Oberamt ein: „Seine Königliche Majestät haben die telegraphische Anzeige von dem in Nagold ausgebrochencn großen Brande mit lebhaftem Bedauern vernommen , lassen Allerhöchst Ihre aufrichtige Teilnahme aussprcchen und sehen weiterem Bericht, insbesondere auch wegen etwaiger Unterstützung der bedürftigsten Beschädigten, entgegen." Nach den bis jetzt gemachten genaueren Zusammenstellungen sind 35 Gebäude abgebrannt und 60 Familien obdachlos geworden. Der Gkbäudeschaden beträgt samt dem Schaden des Kirchenturms 169 24<H der versicherte Mobi- liarschaden ist 286 730 der Gesamtschaden somit für die Versicherungen 455 970 „lL ; derber Abgebrannten ist bedeutend größer, weil viele nur ungenügend, einige gar nicht versichert sind. Der ausgebrannte alte Turm ist gut versichert und soll samt schönem Geläute wieder hergestellt werden. An der Abräumung des Brandplatzcs wird so eifrig gearbeitet, daß bis I. Oktober bereits die neuen Bauplätze abge- steckl werden können, damit es vielleicht einer Anzahl der Abgebrannten möglich sein wird, sich noch vor Anbruch des Winters ein neues Heim zu bauen. Um die „Hintere Gasse" zu erweitern, hat die Stadt 2 Wohnhäuser und 2 Scheuern zum Abbruch angekauft Die Buchdruckerei des „Gesellschafters" ist im Hause des Gerbers Kappler untergebracht. Der „Gesellschafter" ist bereits wieder erschienen. Derselbe bringt einen genauen Bericht über die Unglücksnacht in Nagold.
Stuttgart. (Landesproduktenbörse. Bericht vom 2S. Sept. von dem Vorstand Fritz Kreglmger.s Die abgelausene Woche hat am Getreideweltmarkte keine Veränderung gebracht, nur Rumänien verlangt für Weizen 25—30 ^ mehr per 100 Kilo. Die süddeutschen Märkte waren in der vergangenen Woche etwas fester; für Gerste sind die Preise in Ungarn sowohl als auch auf den süddeutschen Schrannen fest. Hafer ist begehrt; für rumänischen und amerikanischen Hafer wurden 16 Mk. 25 bis 75 Ps. ab Mannheim verlangt. Der heut. Hopfenmarkt war mit 160 Ballen befahren und ziemlich gut besucht, Preise für geringe 190—205 Mk., mittel 210-225 Mk., prima 230—235 Mk. Die Börse ist ziemlich gut besucht. Geschäft von keinem großen Belang. Wir notieren per 100 Kilogramm: Weizen, Kansas 18 Mk. La Plata 17 Mk. 50 Pf., niederbayr. N Mk. 80 Ps., Kernen prima 18 Mk. 25 Pf., Dinkel, beregnet 11 Mk. 40 Ps., unberegnet 12 Mk. Gerste, migar. 19 Mk. bis 90 Mk. 50 Pf., Hafer, Alb neu 18 Mk. bis 18 Mk., 50 Pf. — Mehlpreise pr. 100 Kilogramm inkl. Sack unverändert.
Wernpreiszettel.
. Mundelsheim, 25. Sept. Im Laufe dieser Woche ^ird hier und in Hessigheim a. N. die Lese des sriihgewächses vorgsnommen. Menge je etwa 400 Hektoliter. Die allgemeine Weinlese folgt später. Bei dem überaus schönen Stand der Berglagen wäre es m die Trauben nicht noch mindestens 8 bis
10 Lage hängen blieben.
Endingen am Kaiserstuhl (Baden) 25. Sept. Die Weinlese hat begonnen. Güte vorzüglich, Menge mittelmäßig.
Obstpreiszettel.
Stuttgart, 26. Sept. Wilhelmsplatz: 22000 Ztr. wurtt. Mostobst, Preis pr. Ztr. gemischt 3 Aepfel
30 bis 3 60
Stuttgart, 26. Sept. Kartoffel- und Krarrt- Zufuhr am Leonhardsplatz: 300 Ztr. Kar- Meln, Preis per Ztr. 3 Mk. bis 3 Mk. 30 Pf. - Zufuhr am Marktplatz: 2000 Stück Filderkraut, Preis per 100 Stück 18-20 Mk.
Ausland.
Wien, 26. Sept. Kaiser Wilhelm ist heule früh 8 Uhr 10 Min. in Hetzendorf einge- irofjen und wurde vom Kaiser Franz Josef G ^ ^"iwrm des preußischen Kaiser Franz- M.rde-Rkgimenls am Bahnhofe empfangen. Da imfer Wilhelm sich jeden offiziellen Empfang
verbeten hatte, wurde derselbe nur noch vom Oberstjägermeister Grasen Abensperg-Traun empfangen, in dessen Begleitung er nach der Ankunft in Schönbrunn trotz des Regens zur Pürsche im Tiergarten von Lainz fuhr.
In Wien ist die Entdeckung einer anarchistischen Verschwörerbande gelungen, welche anscheinend bezweckte, neue Schreckensthaten in Scene zu setzen, wie solche schon in den Jahren 1884 und 1885 von den Wiener Anarchisten geplant waren. Zunächst wurden zwei schon längere Zeit verdächtige Tischlergesellen. Franz Haspel und Stephan Hanel, verhaftet, in deren Wohnung die Polizei revolutionäre Aufrufe, zahlreiche anarchistische Flugschriften, sowie ein bedeutendes Quantum von gefährlichen Sprengstoffen, eine ungefüllte Bombe, eine verdächtige Kiste mit Leitungsdrähte und Materialien zum Bombenanfertigen vorfand. Aus einer aufgefundenen Correspondenz erhellte die Verbindung der Verhafteten mit 12 anderen Arbeitern, die alsdann ebenfalls verhaftet wurden. Diese dergestalt entdeckte Anarchistengruppe soll ganz nach anarchistischer Weise organisiert sein und mit der allgemeinen sozialistischen Arbeiterbewegung in keinerlei Zusammenhang gestanden haben. Die Führer waren Haspel und Hahnel, sie rühmen sich Schüler von Most zu sein und unterhielten mit London Verbindungen. Zwei der Verhafteten, welche ihre Unschuld Nachweisen konnten, sind inzwischen wieder entlassen worden, die anderen wurden dem Wiener Landgericht eingcliefert. Die Verbindung der Verhafteten auch mit den amerikanischen Anarchisten ist nach den Vorgefundenen Schriftstücken zweifellos; die Bombenhülsen u. s. w. sind sogar genau nach Most's Vorschrift hergestellt.
Paris, 22. Sept. Der Wein des Jahres 1893 ist in Frankreich außerordentlich gut ausgefallen. Er wird den berühmten Weinen von 1846, 1865 und 1870 an die Seite gestellt. Sowohl bezüglich der Quantität, als der Qualität hat die Ernte die Erwartungen der Wein- bergsbesitzer übertroffen.
Die russischen Nihilisten und die französischen Anarchisten treffen Vorbereitungen zu gemeinsamen Kundgebungen gegen die Flottenfeier in Toulon.
DierussischeKriegsmarine muß durch den spurlosen Untergang des gepanzerten Küstenverteidigungsfahrzeuges „Russalka" eine beklagenswerte Katastrophe verzeichnen. Die „Russalka" war von Reval nach Helsingfors abgedampft, ist aber in letzterem Hafen nicht angekommen, sie muß also untergegangen sein, wofür auch die Auffindung der Leiche eines Matrosen und einer zerbrochenen Schaluppe der „Russalka" zeugen. Das unlergegangene Schiff hatte eine Besatzung von 10 Offizieren und 191 Matrosen und führte acht Geschütze.
Die Lage auf den verschiedenen süd amerikanischen Revolutions-Schauplätzen wechselt beständig. Speziell gilt dies von den Vorgängen in der argentinischen Provinz Tu-, cuman, wo bislang die Insurgenten im Vorteil waren, die aber jüngst durch die Regierungstruppen unter General Pellegrini eine empfindliche Niederlage erlitten haben. In Brasilien hat das aufständische Geschwader die Stadt San Francisco eingenommen.
Die Ernennung Sir Henry Nor- man's, des bisherigen Generalgouverneurs der Kolonie Queensland, zum Vizekönig von Indien, ist wieder rückgängig gemacht worden. Sir Henry hat, wie ihm dies regierungsseitig auch nahe nahegelegt wurde, „aus Gesundsheits- rücksichten" auf den Antritt seines neuen Amtes verzichtet. Als entschiedener Befürworter einer lediglich passiven Politik Englands in Zentralasien hätte er allerdings auch eine seltsame Figur an der Spitze der indischen Regierung abgegeben, denn dieser Posten erfordert gegenüber den immer deutlicheren Vorstößen der Russen nach der indischen Grenze hin einen energischen und thalkrästigen Mann.
Mont-sur-Marchiennes, 24. Septbr. Heute haben hier 18 Ehepaare ihre goldene Hochzeit unter großem Jubel der Einwohner und von der Gemeindeverwaltung veranstalteten besonderen Festlichkeiten gefeiert.
Telegramme an den Enzthäler.
Wildparkstation, 27. Septbr. Der Kaiser ist mittelst Sonderzngs heute früh 7'/r Uhr wohlbehalten hier eingetroffen und wurde am Bahnhof von der Kaiserin empfangen. Die Herrschaften begaben sich sofort in einem offenen Wagen nach dem neuen Palais.
Stettin, 27. Sept. Das Polizeipräsidium macht bekannt, daß der am 15. Sept. erkrankte und am 24. Sept. gestorbene Arbeiter der bakteriologischen Untersuchung zufolge der asiatischen Cholera erlegen ist.
London, 27. Sept. Die Tim.es meldet aus Jokohama vom 15. Sept.: Durch eine starke Ueberschwemmung wurden mehrere 1000 Häuser zerstört; 50 Personen wurden dabei getötet. zahlreiche Familien sind obdachlos. Der Kongwanitempel wurde durch Feuer zerstört.
Die „Times" meldelt aus Philadelphias: Die Hüttenarbeiter in Pittsburg willigten in 10°/oige Lohnherabsetzung ein.
Unterhaltender Teil.
Verloren und Gewonnen.
Novelle von C. Martin.
(Fortsetzung)
(Nachdruck verboten.)
So zogen acht Tage vorüber. Endlich kam gute Nachricht aus Italien, und der Baron befand sich in guter Laune. Er ging am Tage auf die Jagd oder ritt zu benachbarten Familien, doch verbrachte er den Abend stets daheim. Daß er Mela von Zeit zu Zeit beim Diner einen flammenden Blick zuwarf, bemerkte nur Fräulein Nerken.
„Meine verehrten Damen, begann er eines Tages beim Mittagstisch, „ich kann nun wirklich nicht mehr diese abscheulich langen Winterabende allein verleben. Gewiß bringen Sie mir gern ein kleines Opfer und leisten mir Gesellschaft. Auch Herr Serenz und Herr Lorkamp (er wendete sich bei diesen Worten artig an die beiden Eleven, die bei dem verheirateten Inspektor wohnten, im Schlosse aber mit dinierten) werden mir behilflich sein, die Langeweile ays diesen Räumen zu vertreiben. Nun, Fräulein Nerken, Sie sehen so spöttisch drein?"
„O Sie irren, Herr Baron", lächelte die Dame. „Ich bin gewiß von der Partie, wenn auch meine gesellschaftlichen Talente keine besonderen sind."
„Und Sie, Fräulein von Rosen? Sie müssen ja melancholisch werden, da oben bei Ihren Büchern. Gönnen Sie uns Ihre Gegenwart am Abend; wir wollen das Musikzimmer als Versammlungsort wählen, wir sind ja alle musikalisch?"
„Bon Melancholie ist noch keine Rede", sprach Mela heiter.
„Aber gern stimme ich Ihrem Vorschlag zu, wäre es auch nur, um Sie singen zu hören, Herr Baron. Ihre Frau Gemahlin nannte Ihre Stimme hinreißend schön. Ich bin also neugierig."
„O, da hat meine Frau leider übertrieben!" fiel rasch der Baron ein. „Hätte mein Gesang so viel Macht, ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt, denn alsdann könnte ich mir die Liebe der Menschen sichern, sie ewig an mich fesseln."
Mela sah erstaunt auf.
„Wie kann ein Mann, der Frau und Kinder hat, noch anderer Leute Liebe begehren? Ich denke, diese füllen sein Herz so vollständig aus, daß nichts anderes darin Raum findet."
Der Baron schüttelte den Kopf. Marie und Henriette, die eben von Tisch aufstanden und sich entfernten, lange nachschauend, sprach er endlich mit einem Seufzer:
„Es sollte wohl so sein, liebes Fräulein, aber wir leben in einer an Enttäuschungen reichen Welt. Oder glauben Sie nicht, daß von zehn Ehen nur zwei vielleicht aus Liebe geschlossen worden? Was für Gründe giebl es, um sich ins Ehejoch zu spannen!"
„Jammervoll, wenn es so ist!" brauste