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Most schon jegliche Besinnung raubt, was wird erst der neue Wein machen?
Neuenbürg, 28. Aug. Der von Falb als „Kritischer zweiter Güte" angesagte gestrige Sonntag, welcher größere Regenmengen bringen sollte, ist bedauerlicherweise nicht so verlaufen. Es zogen die regenverheißenden Wolken wieder vorüber und nur einige haben spärlich u. strichweise ihr Naß gespendet. Heute sieht es ebenso aus und nach dem Stand der Wettergläser und der veränderten Windrichtung kommt es noch nicht so rasch zu dem ersehnten Regen.
Pforzheim, 14. Aug. Der Beweggrund jenes unglücklichen Soldaten, welcher sich mittelst seines Dienstgewehrs selbst entleibte. war nicht Mißhandlung, sondern ein leibliches Uebel. Die Dienstführung dieses Rekruten war bisher eine straflose gewesen, im Gegensatz zu seiner früheren Lebensweise. Die Regimentsübungen sind beendigt, es beginnen jetzt die eigentlichen Manöver.
Deutsches Weich.
Kaiser Wilhelm war auf die Trauerkunde vom Ableben seines Großoheims, des Herzogs Ernst, noch in der Nacht vom Dicns- >ag zum Mittwoch mittels Sonderzuges nach Reinhardsbrunn geeilt. Von Reinhardsbrunn reiste der Kaiser dann direkt nach Schwerin, um der Einweihung des Denkmales für Großherzog Friedrich Franz II. beizuwohnen. Am nächsten Montag nimmt er an der Beifetzungsfeier des Herzogs Ernst in Kvburg Teil, bei welcher neben den nächsten Anverwandten des hohen Verewigten auch der König von Sachsen, der Großherzog von Baden, der Prinz Ludwig von Bayern und noch andere Fürstlichkeiten zugegen sein werden.
Dem verblichenen Herzog Ernst II. ist also sein Neffe, der Herzog von Edinburg, und nicht dessen Sohn, Prinz Alfred von England, auf dem Throne von Coburg-Gotha nachgefolgt. Die Entstehung des demnach unbegründet gewesenen Gerüchtes, wonach der Herzog von Edinburg zu Gunsten seines Sohnes aus die Thronfolge in Coburg-Gotha verzichtet haben sollte, ist noch nicht ganz aufgeklärt, jedenfalls hatte man bei Verbreitung desselben den Umstand außer Acht gelassen, daß Prinz Alfred als Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha gemäß den Bestimmungen des Staatsgrundge- setzes der Herzogtümer Coburg und Gotha erst am 15. Oktober 1895 volljährig werden wird. Vom rein deutschen Standpunkte aus betrachtet, wäre es vielleicht natürlicher gewesen, wenn Prinz Alfred an Stelle feines Vaters den erledigten Thron bestiegen hätte, wenn auch unter einer Regentschaft, da dem jungen englischen Fürstensohne eben im Hinblick auf seinen künftigen Beruf eine vorwiegend deutsche Erziehung und eine tüchtige deutsche Bildung zu Teil geworden ist. Man wird indessen von seinem Vater, dem nunmehrigen Herzog Alfred von Coburg, wohl erwarten dürfen, daß er sich als regierender Fürst eines deutschen Landes auch deutscher Sitte und Gesinnung anzupassen wissen wird, so daß ihm hoffentlich erspart bleibt, von seinen Unterthanen als ein Fremder auf dem Throne betrachtet zu werden. Vorläufig erscheinen daher auch die in manchen deutschen Blättern aufgetauchten Zweifel darüber, ob es angebracht erscheine, daß ein englischer Prinz als deutscher Bundesfürst von allen '""erpolllischen Angelegenheiten, also auch von der Stärke des Heeres und der Flotte, genaueste Kenntnis erhalte, schwerlich opportun. — Von den großen Londoner Blättern sprechen sich die meisten hoffnungsvoll und zuversichtlich über die Thronbesteigung des Herzogs von Cdinburg aus. Nur der liberale „Daily Chronicle" befürchtet, Herzog Alfred würde seine Untertanen niemals überzeugen können, daß er mehr beutsch alz englisch sei, und hieraus würden Schwierigkeiten für seine Volkstümlichkeit und -negententhätigkeit erwachsen.
Die Leiche des Herzogs Ernst war am' A ^ ^ Schlosse Reinhardtsbrunn ausgestellt. Am Montag früh fünf Uhr erfolgt ihre feierliche ^"Ehrung nach Bahnhof Schnepfenthal behufs Beisetzung in Coburg.
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Der Tabak muß bei der geplanten Reichsfinanzreform mit „bluten", daran ist gar kein Zweifel mehr. In einem ersichtlich offiziösen Artikel tritt die „Nordd. Allg. Ztg." für eine größere Besteuerung des Tabaks ein, wobei sich das Blatt auf die hohen Erträge beruft, welche der Tabak in anderen Ländern durch Monopole, Tabakbauverbote, hohe Eingangszölle u. s. w. bringen. Solche Erträge vom Tabak, meint die „Norddeutsche", würden sich auch in Deutschland ermöglichen lassen, nur über die Art der erhöhten Schröpfung des Tabaks schweigt sie sich noch aus.
Der Militär-Attachö Frankreichs in Berlin, Major Meunier, wird vorläufig auf Urlaub bleiben, während alle anderen fremdländischen Militärattaches in Berlin die Gäste deD Kaisers bei den großen Manövern in Elsaß-Lothringen sein werden. In Berliner politischen Kreisen faßt man dieses voraussichtliche Fernbleiben des französischen Militärattaches von den Manövern im Reichslande als einen versteckten Protest gegen die Annexion ElsaffLothringens auf. Man kann eine derartige Haltung der französischen Regierung kleinlich und lächerlich finden, dennoch geht äus der ganzen Angelegenheit hervor, daß die chauvinistischen Regungen auch an den maßgebenden Pariser Stellen im Wachsen begriffen sind.
In Berlin sind abermals Cholerafälle vorgekommen. Zwei Mädchen, Töchter eines Schiffers erkrankten unter „verdächtigen" Erscheinungen und wurden deshalb ins Krankenhaus gebracht, woselbst die Aerzte asiatische Cholera sestslellten. Von den zuständigen Behörden sind sofort die entsprechenden Vorsichtsmaßregeln getroffen worden.
Gebbhard Lebrecht von Blücher und Theodor Körner, diese Heldengestalten aus der Zeit der preußischen Befreiungskriege tauchen heut, am denkwürdigen 26. August, nach genau acht Jahrzehnten wieder in hehrer Weise aus der Vergangenheit auf. Der „Marscyall Vorwärts" wurde durch die siegreiche Schlacht an der Katzbach der Befreier Schlesiens; der todesmutige Dichterling aber hauchte am selben Tage fern der Heimat, in den Wäldern bei Gadebuich seine edle Seele aus. Beide Helden durchwogte das Hochgefühl stolzer Kampfeslust „mit Gott, für König und Vaterland". — „Napoleon muß herunter; ehe das nicht geschieht. will ich nicht sterben", war die innerste Ueberzeugung und das heiße Verlangen des „Vater Blücher", und von gleichem Bewußtsein beseelt griff Körner in die Saiten, daß sie also rauschten: „Der Tyrann reicht nicht hinauf, kann dem Himmel keine Sterne rauben. Unser Stern geht auf. Ob die Nacht die freud'ge Jugend töte, für den Willen giebt es keinen Tod." — Gleich teuer bleibt dem deutschen Volke das Andenken an ihre Helden, mögen auch Jahrzehnte seit jenem ihrem Ehrentage verflossen sein. Unser Stern ist aufgegangen und erstrahlte auf's Neue im Jahre 1870 in herrlichem Glanze, so daß er zur Kaiserkrone für Preußens König ward für immerdar. Diese Errungenschaften zu hüten, „so lang ein Tropfen Blut noch glüht, noch eine Faust den Degen zieht", das möge der heutige Tag uns mahnen, eingedenk des Wahlspruches: „Wir Deutschen fürchten Gott, sonst niemand auf der Welt!"
Grünberg in Schlesien, 26. Aug. Die große Tuchfabrik von Janke u. Comp mit Spinnerei und Weberei ist vergangene Nacht niedergebrannt. Der Schaden beträgt über 1 Million. 600 Arbeiter sind brotlos.
Osterode a. H., 27. Aug. In einem hiesigen Dampfsägewerk wurde eine Frau aus Petershütte, die durch einen verbotenen Eingang den Sägeraum betrat, von der Kreissäge erfaßt und sofort durchschnitten. Nach wenigen Augenblicken war die unglückliche Frau eine Leiche.
Leipzig, 25. Aug. Unter großer Teilnahme der geladenen Ehrengäste, der Aussteller und des Publikums wurde heule die internationale Gartenbauausstellung feierlich eröffnet. Die Ausstellung ist großartig, die Zahl der Aussteller beläuft sich auf 600.
München. 25. Aug. Heute nachmittag brach in den Eisenbahnwerkstätten ein Brand
aus, der bei dem herrschenden Winde, der Trockenheit und dem Wassermangel einen bedeutenden Umfang annahm. Das Gebäude brannte bis auf die Umfassungsmauern nieder, viele Maschinen. Tender, Drehbänke und anderes fielen dem Feuer zum Opfer. Die „Allg. Ztg." berechnet den Schaden aus 200 000 ^
Zustand.
Der jüngste italienisch-französische Zwischenfall — eigentlich könnte man von mehreren Zwischenfällen sprechen — ist im Allgemeinen als beigelegt zu betrachten. Frankreich hat die Genugthuungsforderungen der italienischen Regierung wegen der Vorgänge in Aigues-Mortes im Prinzip zugestanden, nämlich Amtsentsetzung des famosen Bürgermeisters von Aigues-Mortes, strafgerichtliche Verfolgung der Schuldigen und Entschädigung der in Aigues-Mortes verwundeten Italiener, resp. der Hinterbliebenen der getöteten Italiener. Allerdings macht die französische Regierung bei der Ämtsentsetzung des Bürgermeisters von Aigues-Mortes, der entschieden behauptet, er habe die verfolgten Italiener nach Kräften beschützt, noch Schwierigkeiten. Die italienische Regierung ihrerseits hat der französischen Regierung für die Ausschreitungen, welche bei den franzojenseindlichen Demonstrationen in Italien begangen worden sind, ausgiebigste Genugthuung nicht nur versprochen, sondern auch schon gegeben, an welcher korrekten Haltung des römischen Kabinets man sich in Paris immerhin ein Beispiel nehmen könnte. — Die antifranzösischenDemonstrationen, die in einer großen Anzahl italienischer Städte anläßlich des Gemetzels von Aigues- Mortes stattfanden, haben durch ihre Vermischung mit Kundgebungen für Deutschland und den Dreibund einen sehr bemerkenswerten Zug erhalten. Derselbe trat auch bei der Begrüßung des Königs und des Kronprinzen von Italien, sowie des Prinzen Heinrich von Preußen in Gasta hervor, wo die erlauchten Herrschaften an Bord der „Savoia" auf der Rückfahrt von den Flottenmanövern bei Neapel nach Spezzia am Dienstag eintrafen. Die Bevölkerung bereitete den Fürstlichkeiten eine glänzende Ovation unter begeisterten Hochrufen auf Italien, Deutschland und den Dreibund. — Der Kampf um die irische Home-Rule im englischen Unterhause ist nun durch Annahme der Bill beendigt; am Freitag hat die Schlußabstimmung über die Vorlage stattgefunden. Die Mehrheit der Regierung beträgt aber nur 38 Stimmen. — Die große Streikbewegung der englischen Bergleute wird wohl baldigst zu Ende gehen, da die Uneinigkeit unter den Streikenden zunimmt.
Luxemburg, 26. Aug. In dem Nachbarort Hesperingen ist durch Kesselexplosion die Kunstmühle Teich cingestürzt und in Brand geraten. Die Arbeiter wurden verschüttet. Die Garnison rückte zur Hilfeleistung aus. — Eine andere Nachricht sagt: Eine Explosion fand in der Hesperinger Mühle, vermutlich durch Mehlstaub veranlaßt, statt. Die Dächer des ganzen Häuserviertels wurden abgehoben. Neun Arbeiter sind verwundet, darunter vier lebensgefährlich. Die Feuersbrunst dauerte am Abend noch fort. Der Schaden beträgt 800 000 Frcs.
Die Südsee-Inselgruppe der Neuen Hebriden droht zu einem Zankapfel zwischen England und Frankreich zu werden. Frankreich soll sich bemühen, den Vertrag, durch welche« die Engländer festen Fuß auf den Neuen Hebriden faßten, aufzuheden, um dann selber zur Annektion dieser Gruppe schreiten zu können.
Telegramme an den Enzthäler.
Coburg. 28. Aug. Im Laufe des gestrigen Tages sind hier eingetroffen: Der König von Sachsen, Prinz von Wales, Großherzog von Baden, Herzog von Connaught, Erbroßherzog von Sachsen-Weimar, Prinz Wilhelm von Heffen- Darmstadt. Der Kaiser reiste gestern abend 10'/i Uhr von Potsdam ab und trifft heute 10.40 Uhr hier ein.