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Er hatte es bis dahin vermieden. Eberhard Dorrinck anzusehcn, und als er ihm jetzt den Blick zuwendete, war er betroffen von der Veränderung, die mit dem alten Manne vorgegangen war. Eberhards treue Augen glänzten wie in himmlischer Freude und wie ein Schimmer der Verklärung hatte es sich über sein gutes Antlitz verbreitet.
„Und ist es nichts anderes, das Sie von meinem Liebling trennt." sagte er, „so ist Gott sei Dank noch nichts verloren. Die Enthüllung, welche Sie mir da gemacht haben, bleibt auf ewig zwischen Ihnen und mir begraben. Weder Nelly noch Ihr armer Vater dürfen - je ein Wort davon erfahren. Sie ziehen mit Ihrer jungen Frau über den Ozean und sagen Ihrem Vater, daß seine Schuld gesühnt sei. Von dem Gelbe behalte ich so viel, daß ich während meines kurzen Lebensabends vor Not und Entbehrung geschützt bin, das andere haben Sie als Nellys Mitgift anzusehen und ihr sicher zu stellen. Dafür war es ja von vornherein bestimmt, und Ihr Vater stellt also das Darlehen, das er jo gut verwaltet hat. gerade zur rechten Zeit zurück."
Hermann war vor Ueberraschung und Rührung kaum eines Wortes mächtig.
„Und Sie — Sie wollen sich wirklich von Nelly trennen?" stammelte er. „Aber sagten Sie nicht selbst, Sie würden das nicht überleben?"
Da richtete sich der kleine Mann hoch auf, und es schien, als ob er den hochgewachsenen Jüugling um Haupteslänge überragte.
„Das Bewußtsein, recht gehandelt zu haben, ist ein starker Trost," sagte er. „Es wird mich stützen und aufrecht halten in allen schweren Tagen, die da kommen mögen!"
. Und wie es Eberhard Dorrinck bestimmt hatte, so geschah's. Er hatte alle Einwendungen Hermanns durch die Entschiedenheit seines Willens niedergeschlagen und hatte seiner Nichte noch in derselben Nacht den Verlobten wieder zugeführt. Nur daß die Hochzeit in aller Stille schon in Hamburg gefeiert wurde, hatte er sich ausbedungen, und dieselbe Glückseligkeit strahlte aus seinen Mienen, als er die liebliche junge Braut sechs Wochen später zum Altäre führte. Auch als er die Neuvermählten am folgenden Morgen zu dem Dampfschiff geleitete, das sie für immer entführen sollte, hielt sich der kleine Mann sehr tapfer, tröstete die in Thränen aufgelöste Nelly, die sich gar nicht von ihm losreißen und seine eigensinnige Weigerung, mit nach Amerika zu gehen, gar nicht begreifen konnte, durch allerlei heiteren Zuspruch und winkte mit seinem mächtigen roten Taschentuch dem Schiffe so lange nach, als er es nur mit den Blicken verfolgen konnte.
Dann ging er zurück in sein einsames, altes Haus, schloß sich in dem Wohnzimmer ein, in welchem er fünfzehn Jahre lang mit seinem geliebten Pflegekind so glücklich gewesen war, und — weinte. — — —
Am nächsten Tage saß Eberhard Dorrinck wieder wie gewöhnlich hinter dem Ladentisch, war freundlich und zuvorkommend gegen Jedermann, liebevoll und hilfreich aber gegen alle die, welche des Trostes und des Beistandes bedurften. Nur Diejenigen, welche ihn ganz genau beobachteten, bemerkten, daß die Trennung von seinem Liebling an seiner Lebenskraft zehrte, und daß er jetzt in wenigen Monaten schneller alterte als vorher in fünfzehn Jahren.
Ader dann kam auch wieder ein Heller Sonnentag für das alte Haus. Georg Warnholz, der sich einst Georg Wolter genannt, war gestorben, und wenige Tage nach seiner Beerdigung hatten sich Hermann und Nelly auf den Weg gemacht, um den alten Onkel selbst in ihr neues Heim zu holen. Und als er diesmal über die Schiffslreppe ging, da jubelte es in seinem Herzen wie Lerchengesang, da faltete er seine runzeligen Hände zu einem stummen Hankgebet und die Hellen Freudenthränen perlten über seine faltenreichen Wangen.
Nelly aber hat nie erfahren, welche große Gefahr einst durch Eberhard Dorrincks Opfermut von ihrer jungen Liebe abgewendet worden war.
Eine Distanz-Bierreise.
Das „Annaberger Wochenblatt" (Jahrgang 1893 Nr. 158) hat es für notwendig erachtet, seinen Lesern folgendes wichtige Ereignis nicht vorzuenthalten: Am 8. Juli 1893 wurde zu Weipert i. E. ein neuer Sport, eine Distanz- Bierreise von „Stadt Leipzig" und zurück ausgeführt. Von den 15 Teilnehmern ging der erste genau */-8 Uhr abends und folgte jede Minute ein Anderer. Dieselben mußten 24 Gasthäuser betreten und in jedem derselben einen Schnitt (0,3 Liter) Bier trinken, zusammen 7 Liter Bier. In jedem Gasthause wurden Kontrollmarken ausgefolgt. Die Sportler hatten sich möglichst leicht gekleidet. Besonders auffallend war Einer, der nach Art der Türken gekleidet war. Eine große Menge Schaulustiger hatte sich eingefunden und wurde vielfach erwogen, in welcher Zeit wohl die nicht geringe Wegstrecke (14 kw) zurückgelegt werden könnte. Alle Mutmaßungen schwankten zwischen 2 bis 3 Stunden. Man sollte sich jedoch täuschen, denn der Sieger gelangte bereits nach 1 Stunde 41 Minuten am Ziele an; der Letzte brauchte 2 Stunden. Demnach erhielt den 1. Preis — einen schönen Rauchtisch — der Fuhrwerksbcsitzer Herr August Hartmonn rc. Auch ein siebenter und ein Ehrenpreis für den nüchternsten am Ziele anlangenden Sportler wurde verteilt in Form eines großen, schönen Kranzes, in welchem viele eßbare, erfrischende Delikatessen eingeflochten waren. Vor und in dem Gasthofe „Stadt Leipzig" hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt.
Die Distanzwut hat schon manche Tollheiten zu Tage gefördert. Aber bisher standen doch selbst diese Ausartungen in einer gewissen Beziehung zur körperlichen Ausbildung des Volkes und entbehrten nicht gänzlich des wahren sportlichen Interesses. Auch hielt man im allgemeinen dafür, daß wahrer Sport und reichlicher Genuß geistiger Getränke unvereinbar seien; das war ein Irrtum. Nunmehr ist es in Weipert gelungen, auch das liebe Trinken in das System des Distanz-Sports einzufügen. Und wenn die Erfinder noch junge, unbesonnene Leute gewesen wären! Aber wir finden unter den „Siegern" einen Fuhrwerksbesitzer, also augenscheinlich einen erwachsenen Bürger. Wir wollen nicht auf die körperliche Ausbildung der Griechen bei dieser Gelegenheit zurückgreifen, aber im Mittelalter hielt sich doch auch der deutsche Bürger- und Handwerkerstand nicht für schlecht genug, in festlichem Kampfspiel seine Kräfte zu erproben; und nunmehr unternehmen deutsche Bürger als Volks-Belustigung eine Distanz-Bierreise, einer sogar nach Art der Türken gekleidet. Und als Siegespreise winken ein Goldfisch-Aquarium oder ein großer, schöner Kranz, „in welchem viele eßbare, erfrischende Delikatessen eingeflochten waren." Man möchte über die ganze Sache lachen, wenn sie nicht ein so verteufelt ernstes Symptom der deutschen Bierphilisterei wäre.
(Ein abscheuliches Verbrechen) ist bei Loch- städt bei Pillau an einem jungen Mädchen verübt worden. Während dasselbe mit einem Kinde durch den Wald schritt, tauchte plötzlich ein fremder Mensch auf, befahl dem Kinde fortzugehen, warf das Mädchen zur Erde, stopfte ihm Gras und Sand in den Mund und bearbeitete es mit den Fäusten und Füßen derartig, daß es die Besinnung verlor. Jetzt zerrte der Verbrecher seinem Opfer die Zunge heraus und versuchte sie abzuschneiden. In diesem Augenblick erschienen 2 Männer am Thatorte, vor denen der rohe Patron die Flucht ergriff. Die Retter brachten das mißhandelte Mädchen nach einer Wärterbude, wo ihm die erste Hilfe zu Teil wurde, doch lag es infolge der erlittenen Mißhandlungen den Tag über in Krämpfen. Der Verbrecher, ein Arbeiter, wurde an einer bei dem Kampfe erhaltenen Bißwunde erkannt und verhaftet.
Fröttmanning zog ein Soldat des badend. Jnfanterie-Leibregiments falsch auf und '
die Mündung seines Gewehres gegen den c des Gewehres seines Nebenmannes. Die«», ^ug an des letzteren Lauf, durchbohrte § Umhullungslauf, druckte den inneren „ Lauf an einer Stelle ein und schlizte den äußer . Lauf wie eine Baumrinde der Länge nach aus
Der g r ö ß te Soldat des deutschen Heeres weilt gegenwärtig, zu einer 14tägigen llebuu. einberufen, in Aachen. Es ist dies, wie da« „Echo der Gegenwart" berichtet, ein als Vire feldwebel eingezogener Referenden aus Gelsen' kirchen, der bei übrigens wohlproportioniertem Körperbau die stattliche Größe von 2 Meter 6 Centimeter hat. Seiner aktiven Dienstpflicht genügte der Riese vor einigen Jahren al« Ein- jährig-Freiwilliger beim 1 . Garderegimeni in Berlin. Eine Photographie dieses großen Vater- landsvertcidigers befindet sich im Besitze des Kaisers. Eine passende Uniform fand sich für ihn hier nicht vor. er mußte sich vielmehr seine eigene Uniform aus der Heimat hieher nachschicken lassen.
Aus Franken, 11. Aug. In der Krön- acher Ztg. liest man folgende Anzeige: „Bitte Damit aus mir vielleicht doch noch ein ordend licher Mensch werden kann, so ersuche ich alle Wirte Kronachs und der Umgegend dringendst, mir nichts mehr zu borgen. Zollbrunn. Peter Doppel vul§o Biebigau.
Aus der Schweiz. 11. Aug. Unterder Aufschrift „Bürgerstolz und Bürgernutzen" bringt die „Ostschw." folgende derbscherzhafte Geschichte: In einem hochgelegenen Dörflein des sanct- gallischen Oberlandes traf letzthin ein hoffnungsvoller Bürgerknabe auf einen anderen, der nicht Bürger war und auf der Straße verdautes Pferdefutter sammelte. „Was machst Du do," fuhr er denselben an, weischt Du ned, daß nur d'Bürger Roßmcst sammle dürfend?" „I ha Di nüd derno z'frage," entgegnete dek zweite, „weisch, es sind au ned alle Roß Bürger, wo de Mist hend falla lo!"
(Konkurs für eine Hinrichtung.) In Luzern, dessen Bevölkerung vor mehreren Jahren in der Majorität für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmte, wird demnächst ein Raubmörder namens Keller hingerichlet werden. Zu diesem Zwecke schrieb die Kantonalsregierung, da Luzern einen ständigen Scharfrichter nicht besitzt, einen „Konkurs" für die einmalige Hinrichtung aus. Obwohl die für diese „Arbeit" gebotene Entschädigung kaum zweihundert Franken beträgt, hat sich dennoch eine stattliche Anzahl von Bewerbern um die traurige Einlags-Arbeit angemeldet. Einer legte dem Offert sogar seine — Photographie bei. Weiter befindet sich unter den Konkurrenten auch ein achtzehnjähriger Jüngling, der sich für „stark" genug erklärt, „um auch einem Ochsen mit einem Hiebe den Kopf abzuschlagen."
(Unverbesserlich.) Bei einem Souper hat eine lebhafte Dame einen sehr schüchternen Herrn zum Tischnachbarn. Nachdem ihr alle Versuche, aus ihm etwas mehr wie „ja", „nein" und „ich weiß nicht" herauszubringen, mißlungen sind, fragt sie schließlich, als Klaviertöne aus einem Nebenzimmer erklingen: „Spielen Sic Klavier?" — „Nein, ich nicht," antwortete er — „das ist Jemand im Nebenzimmer!"
(Echter Klatsch.) Erste Gevat terin: „Glauben Sie die schreckliche Geschichte, die man sich von Fräulein Schwarz erzählt?" — Zweite Gevatterin: „Ganz entschieden! . - - Was erzay man denn von ihr?!"
Die Durchschlagskraft der Jnfanteriegeschoffe ist geradezu erstaunlich, wie folgender, von daher. Blättern berichtete Vorfall zeigt. Bei einer Uebung im Scharfschießen am Kugelfang bei
«L- Niemand, der nach Pforzheim kommt, versäume die bei Ludwig Becker vorm, ' Hardt in den Schaufenstern ausgestellten s II mit den unglaublich billigen PreisenanziY^
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.