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- lieber das bisherige Verhältnis der Muster- Msentscheide bemerken wir, daß die Zahl der Mer jährlich als tauglich ausgehobenen Rekruten während der letzten 10 Jahre in Württemberg durchschnittlich 7095 betrug gegen durchschnittlich 5777 Ueberweisungen zum Landsturm oder zur Ersatzreserve, 2637 Befreiten u„d 47 Ausgeschlossenen. Von 100 Entscheidungen lauteten also 45,6 auf tauglich. 37,1 auf Ersatzreserve. 17 auf untauglich, 0,3 auf ausgeschlossen. Im ganzen Reich lauteten von 100 Entscheidungen der letzten 10 Jahre 40,7 auf tauglich. 44.9 auf Ersatzreserve. 14,1 auf untauglich und 0.3 auf ausgeschlossen. Bemerkt sei noch, daß in Württemberg die Zahl der wegen moralischen Defekts Ausgeschlossenen ständig zurückgeht.
Cannstatt, 12. Aug. Ein schweres Unglück drohte gestern abend einem jungen Mann bei Abgang des Schnellzuges nach Stuttgart. Derselbe wollte, als der Zug schon in Bewegung war, noch hineinspringen, verfehlte aber das Trittbrett und wurde, an der Aufstiegstange sich sesthaltend. eine Strecke weit geschleift, bis aus die Hilferufe von allen Seilen der Zug zum Stehen gebracht wurde. Außer einigen Hautjchürsungen und etlichen Mark Strafe wegen Einsteigen in einen bereits in Bewegung befindlichen Zug kam der Betreffende zum Glück mit dem Schrecken davon.
Dem „Schw. B." wird geschrieben: Laut der uns vorliegenden Ehicagoer „Abendpost" hat sich Eberhard v. Wied er hold, der Sohn des f württembergischen Kriegsministers, der letzte Sprosse jenes erlauchten Geschlechtes, das durch die Verteidigung der schwäbischen Festung Hohentwiel 'gegen die Kaiserlichen im dreißigjährigen Kriege mit der württembergischen Geschichte ruhmvoll verknüpst ist, in Eleveland mit Morphium selbst den Tod gegeben. Eberhard von Wiederhold war Redaktionsmitglicd des „Beobachter am Eric" und bei der deutschen Bevölkerung in der Umgegend durch seinen Humor wohlbekannt und beliebt. Seine mit einer geborenen Deutschen eingegangene Ehe scheint indessen eine zehr unglückliche gewesen zu sein und nicht zum mindesten den Anlaß zu dem verzweifelten Schritte geboten zu haben."
Ausland.
Der Züricher internationale Sozialisten- kgngreß ist am Samstag mit dem Mehrheitsbeschluß zu Ende gegangen, daß große internationale Arbeitecverbände mit gemeinschaftlichen Sekretariaten zu errichten seien; als Ort des nächsten im Jahre 1895 abzuhaltcnden Sozialistenkongrcsses wurde London gewählt. Ueberblickt man noch einmal die Verhandlungen des Züricher Sozialistenkongresses, so kann man von ihnen sehr wohl sagen: „Viel Geschrei und wenig Wolle!" Denn die Schleußen der Be« redtsamkeit sind in der Züricher Versammlung allerdings mächtig genug geöffnet worden und daneben hat es ja auch nicht an lärmenden Zwischenfällen gefehlt, hervorgerufen durch die Vergewaltigung der Anarchisten und Unabhängigen seitens der Kongreßmehrheit. Aber von weittragenden Beschlüssen ist keine Rede, und speziell gerade in derjenigen Frage, welche den Kongreß am meisten beschäftigte, nämlich hinsichtlich der Stellungnahme der Sozialdemokratie im Kriegsfälle, sind die Kongreßverhandlungen w gut wie resultatlos verlaufen. Als deren bemerkenswertestes Ergebnis kann man vielleicht noch den Beschluß betrachten, wonach sich die sozialdemokratische Partei auch fernerhin an den Parlamentarischen Arbeiten und Wahlkämpfen behufs Erlangung der politischen Macht be- teüigen solle — indeß, dieser Beschluß macht wirklich „das Kraut nicht fett!"
In der Arrondissemenlshauptstadt Mont- beliard feierte man am Sonntag den hundertsten Jahrestag der Vereinigung dieser Stadt put Frankreich. Montbeliard ist das alte deutsche -vwmpklgard, welches früher durch Jahrhunderte hindurch der Hauptort einer Grafschaft im Her- Burgund war; 1793 wurden Stadt und Grafschaft von den Franzosen besetzt. Er- ahnenswert ist, daß der Arbeitsminister Vielte, etcher der Feier beiwohnte, eine Abordnung
der in Montbsliard stark vertretenen Uhrmacher empfing und derselben gegenüber die Hoffnung aussprach, daß sich bald wieder gute handelspolitische Beziehungen der Gegend zur Schweiz Herstellen lassen würden.
Lemberg, 14- Aug. Durch anhaltende Regengüsse sind weitere Ueberschwemmungen eingetreten; die Flüsse Dniester, Stryisan und Dunajec sind ausgetreten und haben das Getreide von den Feldern weggeschwemmt Der Verkehr ist an vielen Stellen unterbrochen. In Borocse wurde eine Baracke weggeschwemmt, wobei eine 7köpfige Familie und 6 Arbeiier ertranken.
Der bisher unbesiegte Meiste rschafts- sahrer um den Genfersce herum, der die Strecke von 180 Kilometer vor 2 Jahren in 6 Stunden 26 Minuten durchfuhr, wurde, wie die „Basler Nachr." melden, am letzten Sonntag von zwei Fahrern, Bozino (Genf) und Piquet (Payerne) übertroffen. Diese legten den Weg in 6 Stunden 9 Minuten, beziehentlich in 6 Stunden und 12 Minuten zurück.
Unterhaltender Heil.
Eberhard Dorrinck.
Erzählung von F. Hermann.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung)
Als er wieder zu sich kam, lag er in dem großen Saale eines Hospitals, und mehrere Personen umstanden mit teilnehmenden Mienen sein Lager. Da er unverletzt war und sich nur sehr schwach fühlte, konnte er sofort Auskunft auf die an ihn gerichteten Fragen geben.
„Ich heiße Eberhard Dorrinck," sagte er. „und ich bin ein Deutscher, der eben im Begriff steht, in seine Heimat zurückzukehren. Kann mir vielleicht einer der Herren sagen, was aus meinem Landsmanne Georg Wolter geworden ist, der mit mir im Eastern-Hotel wohnte?"
„Wir wissen nichts von ihm," antwortete der Arzt, aber sie dürfen ganz ruhig sein, denn es hat bei dem Brande Niemand einen ernstlichen Schaden an seiner Gesundheit davongetragen."
„Nun, das ist alles gut!" lächelte Dorrinck. „Dann wird sich auch alles Andere finden."
Schon am nächsten Tage konnte er als vollkommen hergestellt aus dem Krankenhause entlassen werden. Er begab sich nach der Brandstätte. um sich nach dem Verbleib seiner schwarzen Ledertasche zu erkundigen. Aber Niemand konnte ihm darüber Auskunft geben. Unter den als gerettet abgegebenen Gegenständen und Reiseeffekten befand sie sich jedenfalls nicht, und sie mußte entweder gestohlen oder den Flammen zum Opfer gefallen sein.
Eberhard Dorrinck nahm diese niederschmetternde Nachricht mit lächelnder Miene hin, und er schüttelte zu den bedauernden Aeußer- ungen des Beamten den Kopf, wie Jemand der ganz genau weiß, daß er keines Mitleids bedürftig ist.
„Mein Freund Georg Wolter hat die Tasche in Sicherheit gebracht," sagte er, wie zu sich selbst, „es hat keine Not, denn sobald er mich nur finden kann, wird er schon kommen, sie mir zurückzuliefern."
Aber Georg Wolter kam nicht, und die schwarze Tasche mit ihrem wertvollen Inhalt blieb spurlos verschwunden. Ob auch Eberhard Dorrinck Tag für Tag stundenlang in der Nähe der rauchgeschwärzten Ruinen des Eastern-Hotels verweilte, fest überzeugt, von irgendwoher seinen Schützling auftauchen zu sehen, all sein Harren blieb doch vergeblich, und endlich erschien er auf dem Zentraldureau der Polizeibehörde mit der bestimmten Erklärung, seine Freund Georg Wolter müsse bei dem Versuche, seine — Dor- rincks — Habseligkeiten zu retten, umgekommen sein und noch unter dem Schutt und den Trümmern des Hotels begraben liegen, da er sich sonst ohne jeden Zweifel längst wieder eingesunden haben würde. Der höhere Polizeibeamte, dem er in schmerzlicher Erregung diese Meldung abstattete, verzog das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln und versprach, für angemessene Nachforschungen Sorge tragen zu wollen. Aber Eberhardt Dorrinck hatte nicht mehr Zeit, das
Ergebnis derselben abzuwarten, denn die geringfügige Baarschaft, welche er zufällig in einer Tasche seines in jener Unglücksnacht rasch übergeworfenen Rockes bei sich getragen, ging fast zu Ende, und auch das Passagebillet nach Hamburg. welches er wie durch ein Wunder gerettet, mußte alsbald benutzt werden, wenn es nicht seine Giltigkeit verlieren sollte.
„Armer Bruder, arme kleine Nelly!" murmelte Dorrinck, als er das Schiff betrat, das ihn in seine deutsche Heimat zurückführen sollte; und ein wehmütiges Lächeln glitt über sein herzensgutes Gesicht, als allmählich das Land seinen Blicken entschwandt — das Land, welches er nun ebenso bettelarm verlassen mußte wie er es vor zwanzig Jahren zuerst betreten hatte.
Eberhardt Dorrink hatte seinen Bruder schon vor dem Eintritt jenes Unglücksfalls benachrichtigt, mit welchem Schiffe er in Hamburg eintreffen würde, und es war ihm eine rechte Herzensfreude gewesen, sich die Seligkeit des ersten Wiedersehens, das natürlich schon am Landungsplätze stattfinden würde, auszumalen.
Während der beiden letzten Reisetage aber steigerte sich die ungeduldige Sehnsucht des sonderbaren kleinen Männchens zu einem wirklichen Fieber. Er war kaum zu bewegen, zur Nachtzeit das Verdeck zu verlassen, denn er wollte durchaus der Erste sein, welcher die Türme von Hamburg aus dem Nebel auflauchen sähe. Schon als das Schiff bei Kuxhafen in die Elbe ernlief, hielt er sein mächtiges rotes Taschentuch in der Hand, damit er bei der Landung schon aus der Ferne seinem Bruder, den er natürlich unter Allen sogleich herausfinden würde, einen Gruß zuwinken könne. Und endlich, — endlich, war denn auch der lang ersehnte Augenblick gekommen! Der Hamburger Hafen mit seinem unabsehbaren Wald von Masten war erreicht, und der Platz, an welchem der große Amerika-Dampfer anlegen sollte, wimmelte von Menschen. Eberhardl Dorrinck stand an der äußersten Spitze deS Schiffes, schwenkte unermüdlich sein rotes Taschentuch und strengte die Sehkraft seiner Augen auf das Aeußerste an, um die liebe Gestalt des Bruders zu erspähen. Aber all' sein Bemühen war umsonst, und auch als er sich mitten in dem freudig-erregten Menschenhaufen befand und jedem Einzelnen scharf in's Gesicht sehen konnte, suchte er vergebens nach den wohl- bekannten Zügen, seines einzigen, teuren Blutsverwandten. Es wurde ihm recht weh um's Herz als er die liebevoll gehegte Hoffnung in nichts zerfließen sah; aber er tröstete sich doch mit dem Gedanken, daß Jener mit der Ankunftsstunde des Schiffes nicht unterrichtet, oder durch irgend einen Zufall verhindert worden sei, zum Hafen zu kommen.
„Desto größer und freudiger wird die Ueber- raschung werden, wenn ich plötzlich zu ihm m's Zimmer trete," sagte er za sich selbst, und eiligen Schrittes schlug er den wohlbekannten Weg nach jener engen und winkligen Gasse ein, in welcher das bescheidene Häuschen, das schon seine Eltern bewohnt hatten, stand.
Ganz außer Atem von der Anstrengung des Laufes und der seelischen Erregung, bog er um die Ecke; aber sein Fuß blieb plötzlich wie festgewurzelt am Boden haften, und wie ein eisiger Strom rieselte ein Gefühl des Entsetzens durch seine Glieder, als er vor dem lieben kleinen Hause, in dessen Erdgeschoß die von seinem Vater begründete Raritätenhandlung lag, ein gar unheimliches Gefährt, einen schwarz behängten Leichenwagen stehen sah. Einige Neugierige hatten sich in der Straße angesammelt, um das Heraustragen des Sarges abzuwarten; von Kutschen für das Trauergefolge aber war ebensowenig etwas zu sehen, wie von sonstigem Leichengepränge. Mit schweren unsichere« Schritten, gleich einem Trunkenen, näherte sich Eberhard Dorrinck dem Vaterhause, das er seit zwanzig Jahren zum ersten Male wieder sah. Einer der Müßiggänger, dem die Zeit des Harrens doch wohl zu lange währen mochte, kam ihm entgegen. Den fragte er mit leiser, kaum verständlicher Stimme nach dem Name«