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dessen, der da zu seiner letzten Ruhestätte geführt werden sollte.
„Es ist der Raritätenhändler Johannes Dorrinck." lautete die gleichgültige Antwort des Weilergehenden, das kleine Männchen aber lehnte sein Haupt gegen die Wand eines Hauses und weinte bitterlich. Nun wußte er freilich, warum er vorhin vergebens sein rotes Taschentuch geschwenkt und seine Augen angestrengt hatte, um den Bruder am Landungsplätze zu finden. — nun wußte er, warum ihm Johannes nicht hatte entgegen kommen können. Und er kam ihm dennoch entgegen! — Ehe noch Eberhard die Thür des Vaterhauses erreicht hatte, traten die sechs Leichenträger mit ihrer traurigen Last, einem ganz schmucklosen, weder mit einer Blume noch mit einem Kränzlein gezierten Sarge, heraus. Eilfertig und rücksichtlos, als wäre es nur ein Waarendallen. schoben sie ihn auf den Wagen, und als das kleine, sonderbar aussehende Männchen mit thränenerstickter Stimme bat, ihn doch das teure Antlitz des Verstorbenen noch ein einziges Mal sehen zu lassen, da zuckten sie die Achseln und meinten, mit einem solchen Verlangen hätte er früher kommen müssen — und dabei war es ihnen deutlich anzumerken, daß sie an sich halten mußten, um ihn nicht laut auszulachen. Wie sich der Wagen eben in Bewegung setzte, da kamen aus dem Hause auch die beiden Personen, die das ganze Trauergefolge bilden sollten. Es waren eine ältliche Frau, die übrigens ziemlich stumpf und gleichgültig drein schaute, und ein kleines wunderliebliches sechsjähriges Mädchen, dessen Thränen desto reichlicher flössen. Eberhard Dorrinck eilte auf die Beiden zu, nahm das Kind in seine Arme und küßte es in überströmender Zärtlichkeit auf beide Wangen. Die Frau machte ein verwundertes, beinahe ängstliches Gesicht. Sie mochte wohl glauben, es mit einem zu thun zu haben, dessen Verstandskräfte nicht genug in der gehörigen Ordnung seien. Die Kleine aber zeigte sich weder erschrocken noch furchtsam. Sie lehnte ihre rhänennasse Wange an die des unbekannten Mannes und fragte:
„Bist Du nicht der Onkel Eberhard aus Amerika?"
Und als er darauf, unfähig ein Wort zu sprechen, mit dem Kopfe nickte, fuhr das Kind fort:
„Ich habe es schon gewußt, daß Du heute kommen würdest, denn am Sonntag, als der Papa so sehr krank wurde, sagte er: wenn ich tot bin, wird der Onkel Eberhard aus Amerika Dein Vater sein und er wird Dich eben so lieb haben als ich!"
(Fortsetzung folgt.)
Die schöne Nichte oder wie man Zimmer vermietet, lautete der Titel eines Prozesses, der in Berlin (Judenstr.) zur Verhandlung gelangte. Beklagter, ein Candidat der Medizin, hatte, auf der Wohnungssuche begriffen, die bekannte Tafel auch an einem Hause Mark- grafenstraße entdeckt. Zwei Treppen rechts, hatte ihm die Affiche bedeutet. Hier klingelt er demnach, und als ihm geöffnet wird, bekommt er vor Ueberrajchung kaum die Frage über die Lippen, ob dies die Stätte sei. an der u. s. w. Mit einem lauten, vernehmlichen „Ja!" antwortet ihm nämlich ein gar rosiges Mündchen, das zu einem wunderlieblichen Gesichtchen gehörte. Schwärmerisch blickende, blaue Augen, blondes Haar, Stumpfnäschen, jedes im Besonderen geeignet, vergessen zu machen, daß das Zimmer recht klein, das Ameublement recht dürftig und der Preis — sie hatte mit bezauberndem Lächeln 36 Mark gefordert — ein recht bedeutender war. Unser Kandidat vergaß dies auch alles und bemerkte nur eines: das schöne Mädchen, das sich selbst als Nichte der Wirtsleute und eventuell als Fee seiner Stube in 8p6 vorstellte. Er mietete, und voller Ungeduld erwartete er den Ersten, der ihn unter dasselbe Dach mit der Holden bringen sollte. Er sollte biter entäuscht werden. Nicht sie, sondern Onkel und Tante, ein altes griesgrämiges Ehepaar, nahmen den Chambregarnisten in Empfang. Das Nichtchen war zu ihren An
gehörigen zurückgekehrt, wie es immer zu thun pflegte, sobald seine Mission beendet, d. h das Zimmer an den Mann gebracht war. Kaum hatte der junge Mann nun erfahren, daß gleich ihm in dieser Weise das Mädchen bereits vielen Wohnung Suchenden als eine kata morAaua vorspiegelt worden, die sich beim Einziehen jedes Mal verflüchtigte, als er auf der Stelle seine Sachen packte und sich davonmachte. „Verklagen Sie mich!" hatte er den dagegen protestierenden Alten zugerufen, die diesem Wunsche auch pflichtschuldigst nachgekommen waren. Mit der Verurteilung des Kandidaten endete zwar der Prozeß, dafür aber hatte er auch an's Tageslicht gefördert die Geschichte von der schönen Nichte, ein Kapitel aus den Geheimnissen, wie man in Berlin Zimmer vermietet.
(Vom Kaiser Friedrich) erzählt ein in Schleswig erscheinendes plattdeutsches Volksblatt folgende bekannte Anektode, welche sich in der plattdeutschen Uebertragung ganz hübsch liest: En olle Deener verteilt: As he noch Kronprinz weer, leet he mi mal na sin Arbeitsstuv rin ropen. He wöhl in sinen Papierkorv ümher. „Seggen Se mal, ik sök hier na en Couvert, dat ik gistern abend na düssen Korv rinsteken hev, und kann dat nicht sinnen. Het viellicht Jemand von Ing in den Korv ümher kramt?" — Ick sä: „Nee Hoheit!" — „Na, na" — sä de Prinz, „dat schient mi awer doch so. En oder de Anner hett wol in den Korv na olle Siegels oder Couverts umher röwert. Ik will nicht fragen, wek een dat Couvert hett, em schall niks geschehen. Ick will bloß wat nachsehn. Dat is en lüttes blages Linnen-Couvert von eenen Brief von de Königin von England, un ehr Siegel is darop. Se mutten mi dat an« schaffen. Behollen will ick dat nich, Se könnt dat späterhen den Banditen torüg geben!" In wenige Minuten wer dat Couvert dor. De Prinz bekeek dat. geev mi dat wedder un sä: „So, danke, bruk dat nich mehr. Geben Se dat den Banditen torüg. He har mi awer doch um Frielöv to sin Röwerie bidden kunnt. Na minet- wegen kann he in den Papierkorv wählen, awer ümmer erst den nächsten Morgen — verstahn Se wol!" — As ik den annern Morgen den Papierkorv dorchsäken da, funn ik, dat de Prinz bi jedes Couvert hinnen op schreben harr, wen sin Handschrift un Wapen da wer — „Prinz von Wales", „Graf von Flandern," „Großherzogin-von Hessen" u. s. w. Der Prinz wull den Deener de heraldischen Studien lichter maken.
Das größte Geschäft drr Welt hat in Chicago seinen Sitz. In dem Jahr 1892/93 hat die Firma Armour und Cie. 1750000 Schweine, 1800000 Stück Rindvieh und 625000 Schafe geschlachtet und ihre Verkäufe beliefen sich auf 102 000000 Dollars. Sie beschäftigte 11000 Leute, denen sie zusammen 5500000 Dollar Löhne zahlte. Zur Fortschaffung ihrer Erzeugnisse an Schinken, Speck, Schmalz rc. waren 4000 Eisenbahnwagen und 700 Pferde in fortwährendem Betrieb. Außerdem beschäftigte sie noch 750 Mann in ihrer Leimfabrik, welche 12 000000 Pfund Leim erzeugte.
Ein letzter Wille. Der in Montpellier verstorbene Gelehrte Gruyer hat 500000 Frc. hinterlassen zur Errichtung eines Denkmals in Basel zu Ehren der Schweizer, welche 1870 nach Beschießung von Straßburg der dortigen Bevölkerung Unterstützung brachten.
(Das Alter der Gänse.) Untersucht man genau einen Gänseflügel, so findet man an dessen äußeren Rücken, dicht an der größten Schwungfeder, zwei kleine, schmale, spitzige, ungeheuer festsitzende Federn. An der größten derselben kann man das Alter der Gänse erkennen. Nachdem die Gans das erste Lebensjahr zurückgelegt hat, zeigt sich auf der äußeren Seite dieser Feder, quer über dieselbe, eine Rinne, die so aussieht, als wäre sie dort mit einer dreitkantigen Feile cingeritzt. Mit Ende des zweiten, dritten, vierten ic. Jahres zeigt sich alljährlich je eine
Rinne neben der ersten mehr, sodaß man nack der Anzahl dieser Rinnen das Alter der be. treffenden Gans mit unfehlbarer Sicherheit nur abzulesen braucht.
(Verwendung von alten Zeitungspapicren z Altes Zeitungspapier behält bekanntlich den Geruch der Druckerschwärze an sich und macht dessen Anwendung daher nicht immer möglich. Der in New-Iork erscheinende „Fortschritt der Zeh« giebt die Thatsache als ganz sicher an. daß Zeitungspapier von Motten niemals ausgefressen würde, denn die Druckerschwärze wirkt so qm wie Kampfer, und (es ist deshalb auch vorteilhaft, alte Journale unter die Stubenteppiche z» legen, um Mottenfraß zu verhindern; ebenso hat es sich bewährt. Pelzwerk. Tuch und dergleichen in Zeitungen einzuschlagen, damit genannte Insekten sie nicht zerstören. Zeitungs- Papier wirkt, indem es keine Luft durchläßt, erhaltend auf Artikel, die luftdicht verschlossen sein müssen. Ein Krug Wasser mit einem Stück Eis darin läßt dasselbe im heißesten Sommer über Nacht nicht schmelzen, wenn das Gefäß ganz in Zeitungspapier eingehüllt ist.
(Der Beweis der Wahrheit.) Bettler (in einer Kneipe): Darf ich um eine kleine Unter- stützung bitten! Ich bin krank, kann nicht arbeiten und Hab' fünf kleine Kinder. Ich kann Ihnen ein Armutszeugnis vorlegen!" — Student: „Nicht nötig, lieber Mann, wenn Sie am 2l. von einem Studenten Geld verlangen, so ist das an und für sich schon ein Armutszeugnis."
(Malitiös.) Dichterling: „Denken Sie sich mein Entsetzen! Ich komm' gestern nach Hause und da ist mein kleiner Junge von 3 Jahren gerade damit beschäftigt, meine Gedichte in kleine Stücke zu schneiden!" — Kritiker: „Nicht möglich! . . Kann denn der Kleine schon lesen?"
Wanderlust.
Zum Wandern in die weite Welt Laßt mich mein Ränzlein schnüren, Bergauf, bergab, Wald, Flur und Feld Wo Himmelslust die Herzen schwellt, Will pilgernd ich durchspüren.
Mag in der Stube dumpfem Raum, Wer immer will, verrosten,
Ich will des Sommers Wonnetraum In Balsamluft beim Lindenbaum Verträumen froh und kosten.
Die kecke Feder auf dem Hut,
Laß ich daheim die Sorgen;
Leicht das Gepäck und kühn der Mut — Ein froher Sinn, ein frisches Blut Fragt nicht nach heut und morgen.
Das Herz wird nur im Grünen weit, Wo Blumen stehn und Reben,
Wenn jugendfrisch die Erde mait,
Die Sonne zarte Blüten freit In heißem Liebeswcben.
Geheimnisvoll zieht durch den Wald Von Gottes Macht ein Rauschen,
Die Seele hebt sich himmelan.
Wie herrlich ist's, als freier Mann Dem Waldesfrieden lauschen!
Das Auge schweift von Bergeshöh'n Ins Heimatthal so ferne,
Des Abends kühle Lüfte wehn. , Am Dorfbach still die Mühlen steh n, Am Himmel stehn die Sterne.
Auflösung des Rätsels in Nr. t24.
Reich.
Richtig gelöst von Karl Wagner in N-uenburg.
kkL* Niemand, der nach Pforzheim ' säume die bei Ludwig Becker vorm,
:dt in den Schaufenstern ausgestellten S o
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.