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Meyer (freis. Ver.) ist mit 3000 St. Majorität EN den bish. Abg. Kunert (Soz.) gewählt. »-Hagen i. W. Eugen Richter (freis. Volksp.) N, 13 000 St- gewählt. Breil (Soz.) 9000. - Kassel Hüpeden (kons.) II 812. Pfannkuch (Soz.) 10994. Straßburg i. E. Der Sozialist Bebel ist mit 8193 Stimmen gegen den bish. Abg. Petri (natl.), der 7693 erhielt, gewählt. Die elsäß. Protestler und die Ultra- montanen stimmten für Bebel. Kaisers­lautern. In Ludwigshafen ist Clemm (natl., Mer Abg.) mit etwa 6000 Stimmen Mehrheit gegen Ehrhardt (Soz.) gewählt.

Berlin, 26. Juni. (Telephon. Nachr.) Bis heute Vormittag sind 129 Stichwahlen be­kannt, davon 19 Konservative, 7 Reichspartei, 27 Nationalliberale, 8 Freisinnige Vereinigung. IS Freis. Volkspartei, 6 Süddeutsche Volkspartei. 8 Zentrum, 4 Polen, 8 Antisemiten, 19 Sozial­demokraten, 4 Welfen.

Württemberg.

Stuttgart, 24. Juni. Heute Vor- mittag fand von 10 bis '/,2 Uhr in der Zentral­stelle für Landwirtschaft unter dem Vorsitz des Direktors. Freiherrn Hans v. Ow, eine Sitzung des Notstandausschusses statt, welcher beiwohnten dieOckonomieräte Ege u. Stirm, Regierungs­rat Klausnitzer, Mühlebesitzer und Vorstand der Landesproduktenbörse Kreglinger rc. Zur Abgabe an die Viehbesitzer, bezw. die Gemeinden stehen folgende Vorräte bereit: 400 Waggon Mais, 10 Waggon Baumwollsaatmehl, 10 Waggon getrocknete Biertreber, 3 Waggon Erd­nußkuchen. 30 Waggon Palmkuchen. 100 Waggon Mohnkuchen, 3 Waggon Sesamkuchen, 2 Waggon Repskuchcn, 100 Waggon Torfstreu. 80 Waggon Chilisalpeter, 100 Waggon Thomasphosphat­mehl. Superphosphal jedes Quantum. Kainit ebenfalls jedes Quantum. Adressen von Srroh- und Heulieferanten wurden direkt an die Ober- ämter und Schultheißenämter abgesandt.

Stuttgart, 25. Juni. In Schaaren strömten gestern abend die Bürger Stuttgarts in den großen Festsaal der Liederhalle. Nicht nur Anhänger der Kandidatur Siegle, sondern auch Gegner hatten sich zahlreich eingefunden, um die Resultate der Stichwahl aus erster Hand zu erfahren. Schon um '/»7 Uhr trafen die ersten Ergebnisse ein. Zu Beginn war klar er­sichtlich, daß die Anhänger der Volkspartei der von den Herren Payer und Haußmann ansge­gebenen Parole keineswegs blindlings gefolgt waren. Die Spannung stieg auf's Höchste, als der sozialdemokratische Kandidat, wie cs schien, Um mehrere 100 Stimmen Vorsprung bekam. Als aber die Ergebnisse der Wahl von den Filderorten eintrafen, welche mit lautem Jubel begrüßt wurden, war das Schicksal der Gegner entschieden und mit 239 Stimmen Mehrheit sendet Stuttgart seinen bisherigen Abgeordneten G. Siegle wiederum nach Berlin. Gcmeinderat Dr. Schall hielt eine zündende Ansprache, forderte zur ferneren Arbeit im Interesse des Volkes und seiner Zukunft und zur Versöhnung der Bürger auf. Professor Dr. Hieber gedachte in kurzen Worten der Filderbäuern, die allezeit treu zu Kaiser und Reich stehen, sowie auch der An­gehörigen der Volkspartei und des Zentrums, welche für den nationalen Kandidaten gestimmt haben, endlich noch des wiedergewählten Reichs- tagsabgcordneten, der inzwischen selbst erschienen war. Mit Jubel begrüßt, ergriff Herr Siegle das Wort und betonte, daß es der aufopfernden Lhätigkeit aller bürgerlichen Elemente gelungen fei, den Sieg zu erringen, wenn es auch ein kleiner sei (ZwischenrufSiegle", allgemeine Heiterkeit). Die große Zahl der gegnerischen stimmen bekunde übrigens eine weitgehende Un­zufriedenheit innerhalb des Volkes. Zur Ueber- bruckung der bestehenden Kluft sei das Menschen­mögliche zu leisten. Gemeinsames Wirken für bas gemeinsame Vaterland und das gesammte Volk sei die Parole für die Zukunft. Rechts­anwalt Lebrecht brachte ein Hoch aus auf die Wlitglrcder der Volkspartei, die das Vaterland Uber die Partei gestellt haben. Redakteur Stock- ayer ermahnte, stets das Wohl des gesammten und Vaterlandes im Auge zu behalten no die schroffen Gegensätze zu überwinden. Ein

auf das deutsche Vaterland ausgebrachtes Hoch fand brausenden Wiederhall. Stehend sang die Versammlung:Deutschland, Deutschland über Alles." Um 10 Uhr schloß der Vorsitzende die Versammlung.

S t u t t g a r t, 24. Juni. (Schwurgericht.) In der heutigen Verhandlung wegen Fälschung einer öffentlichen Urkunde und damit versuchten Betrugs war der frühere Ankuppler auf dem Bahnhof zu Cannstatt Jakob Friede. Majer, ledig. Von Klein-Sachsenheim OA. Vaihingen angekiagt und geständig eine am Sonntag den 5. März auf dem hiesigen Bahnhofe um 15 ^f gelöste Fahrkarte 3. Klasse zur einmaligen Fahrt nach Cannstatt, die ihm unterwegs nicht durch­löchert worden war, am Sonntag den 19. März nochmals zur Fahrt nach Cannstatt benützt zu haben, nachdem er das Datum ausgckratzl hatte. Ein Schaffner entdeckte die Fälschung sofort und führte denselben in Cannstatt dem Bahnhofvor­stand vor. Der Angeklagte, welcher stark be­trunken gewesen sein will und noch nie bestraft wurde, erhielt von den Geschworenen mildernde Umstände zugebilligt und wurde zu der gesetz­lichen Mindeststrafe von 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Anklage vertrat der erste Staats­anwalt Nestle. Verteidiger war Rechtsanwalt Jordan, Obmann der Geschworenen Fabrikant Oskar Merkel von Eßlingen.

Ausland.

London, 24. Juni. Einem Telegramm des Admirals Markham aus Tripolis vom 23. Juni zufolge sind von den an Bord des Panzer­schiffesViktoria" gewesenen 718 Personen 262 Mann der Besatzung gerettet worden. Die Zahl der Geretteten beträgt mithin einschließlich von 34 geretteten Offizieren 295, demnach sind 422 Mann umgekommen. Kaiser Wilhelm richtete an den ersten Lord der Admiralität, ' Admiral Commerell, ein Telegramm, worin er ' anläßlich des Untergangs des Panzerschiffes Viktoria" sein tiefstes Beileid und sein Mit­gefühl mit Lady Tryon und deren Kindern ausspricht.

Als am 30. Mai 1878Der große Kur­fürst" in der Nähe von Folkestone untergegangen war, da fragte alle Welt:Wie ist es möglich, daß bei ruhiger See, bei heiterem Wetter und mäßigem Winde zwei Schiffe eines Geschwaders kollidieren und das eine davon in den Grund gebohrt, das andere es war das Panzerschiff König Wilhelm" stark beschädigt wird?" Damals war man gleich bei der Hand, für das Unglück diejunge" deutsche Marine verant­wortlich zu machen, und auf Frankreich und England hinzuweisen, wo derartige Fälle un­möglich wären. Nun kommt aus dem Mittel- meer die Kunde, welche nur allzudeutlich an jenes Unglück der deutschen Marine erinnert: In der Nähe von Tripolis wurde das englische PanzerschiffViktoria" beim Manövrieren durch das PanzerschiffCamperdown" in der rechten Seite angerannt und versank nach wenigen Minuten. Das furchtbare Unglück ruft das Mitgefühl der durch verschiedene Bande der Kameradschaft mit der englischen Seemacht verbundenen deutschen Marine wach. Der Kaiser, welcher den Rang eines Admirals der englischen Flotte einnimmt, hat diesem Gefühl sofort in einer Depesche Ausdruck gegeben. Auch bei dem furchtbaren Unglück, welches die deutsche Flotte im Hafen von Apia betroffen, hat die Kameradschaft mit der englischen sich trefflich bewährt. Das Bedauern mit den tapfern Seeleuten, die jetzt durch ein geringes Versehen auf düsterm Meeresgrund ruhen, ist ein allgemeines.

Französische Skandale. Frankreich, das Land der politischen Skandale ist um ein neues Ereignis auf diesem Gebiete reicher ge­worden. Unter unerhörten Auftritten in der französischen Kammer ist Herr Clemenceau ab- gethan, politisch abgeschlachtet worden. Die Vorgänge, um die es sich handelte, sind gewiß ein charakteristisches Zeichen für den französischen Parlamentarismus. Und um die Parlamentarier­leiche drängt sich nun die ganze Rotte derer, die ohne Gefahr ihren Mannesmut bethätigen und sich auf billige Weise eine Reclame machen

möchten. So kündigt der Herausgeber der Cocarde" auf Clemenceaus Kosten neue Ent­hüllungen an; er bezichtigt sich selbst, aus einem Sicherheitsschrank der englischen Botschaft mittelst Einbruchs eine Reihe von Dokumenten entwendet zu haben, welche beweisen sollen, daß der französischen Regierung durchVer- schulden eines im englischen Solde stehenden französischen Politikers" Papiere von höchster diplomatischer Wichtigkeit unterschlagen, copiert und London ausgeliefert wurden. Natürlich behält sich die Cocarde vor, sich behufs Steigerung ihrer Auflage diese sensationelle Geschichte nach Art spannender Criminalromane nur bruchstückweise zu veröffentlichen und dasfurchtbare für den französischen Patriotismus schmerzliche" Geheim- nis in Theelöffelrationen zu verzapfen. Wer unter dem Politiker in englischem Solde ge­meint ist. sieht ein Blinder. Warten wir ab. was die Gegner des Herrn Clemenceau aus der englischen Botschaft Interessantes gestohlen haben.

Telegramme an den Enzthäler.

Stuttgart. 26. Juni. Gestern Sonntag Vormittag wurde die Notstandskommission tele­phonisch zu Se. Maj dem Könige berufen, um über den Umfang der Futternot im Lande, sowie über die zu deren Linderung ergriffenen Maßnahmen ausführlichen Bericht zu erstatten. Bei dem König erschienen der Direktor der Zentralstelle für Landwirtschaft Freiherr Hans v. Ow, die Oeko'nomie-Räte und Landtagsabge­ordnete« Eger und Stockmayer und der Vorstand der Landesproduktenbörse. Mühlenbesitzer Fritz Kreglinger. Der König sprach sein herzliches Bedauern über die wegen des Futtermangels unter den Landwirten entstandene Notlage aus, nahm mit Interesse die Meldung entgegen, was bis jetzt schon zur Milderung der Not geschehe« sei, und daß alsbald eine so große Menge Kraftfutter-, Streu- u. Düngmittel den Bedrängte» zur Verfügung gestellt wurde und daß von den paratgestellten 400 Waggons Mais bereits '/» von einigen Gemeinden angekauft und von Mannheim aus an sie auch teilweise schon unterwegs sich befinden. Der König äußerte hierüber seine Befragung und versprach der Heb­ung jenes Notstandes seine nachhaltigste Fürsorge zu widmen, seine Regierung werde alles thun, was irgend möglich sei, um die Landwirtschaft vor weiterem schweren Schaden zu schützen.

Petersburg, 26. Juni. Der vom Journal" veröffentlichte neueingeführte doppelte Zolltarif enthält nachstehende Bestimmungen. Darnach wird der gegenwärtige Tarif, welcher als Minimaltarif angesehen wird, denjenigen Ländern zugestanden, welche die russischen Pro­dukte unter den günstigsten Bedingungen zur Ein- und Durchfuhr zulassen. Diejenigen Län­der, welche Rußland nicht die Behandlung der meistbegünstigten Länder zugestehen, werden dem Maximaltarif unterworfen sein. Die Festsetzung, wann und gegen welche Länder der Maximal- larif in Kraft tritt, ist dem Finanzminister in Vereinbarung mit dem auswärtigen Minister unter Genehmigung des Kaisers anheimgestellt.

London, 26. Juni. Reutermcldung auS Rangun. Infolge des behördlichen Verbots, in der Nähe des Hindutempcls Vieh zu schlachten, fanden gestern bei Beginn des Beirafestes ernste Ruhestörungen statt. Die aufgeregte Menge be­warf die Polizei mit Steinen und feuerte aus den Häusern. Ein Konstabler ist schwer ver­wundet, mehrere Richter verletzt. Die Polizei feuerte auf die Menge und verwundete etwa 20. Das Norsolk-Regiment säuberte schließlich die Straßen. Weitere Unruhen werden nicht befürchtet.