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Langerhans, der allerdings in Berlin selber in Stichwahl gegen einen Sozialdemokraten stehl und dadurch vielleicht etwas befangen ist. Ikstern in einer hiesigen Wahlversammlung unter dem stürmischen Beifall seiner Zuhörer gesagt hat, daß derjenige, welcher nicht ein Unrecht Men das Vaterland begehen wolle, nicht anders handeln könne, als bei der Stichwahl für einen Kandidaten der Ordnungsparteien einzutreten. Ohne wirklich an dem Vaterland ein Unrecht -u begehen", sagte der Redner,dürfen wir nicht einer Partei Gefolgschaft leisten, welche dm Zweck hat, unsere jetzige Gesellschaftsordnung zn stürzen, um eine neue an deren Stelle zu setze», welche der menschlichen Natur ganz und' gar zuwider ist." So Dr. Langerhans. Welche Ansicht Eugen Richter über die Sache hat, ist aus den bisherigen Mitteilungen ersichtlich. Es macht neuerdings beinahe den Eindruck, als ob der Mann an seiner politischen Selbstvernichtung arbeite, nachdem es ihm mit so überraschenden Erfolgen gelungen ist, seine Partei zu zerstören.

Berlin, 21. Juni. Der Polizei gelang es heute, eine Falschmünzerbande beider Arbeit abzufasfen; sie fand 1055 in falschen Fünf-, Zwei- und Einmarkstücken vor. Die Fälscher sind Polen; weitere Recherchen sind im Gange, da die eigentliche Falschmünzerwerkstatt anderswo vermutet wird.

Hitzferien. DerTgl. Rdsch." zufolge hat der preußische Kultusminister in Betreff der .Hitzferien" bestimmt, daß an allen Tagen, an denen Morgens um 10 Uhr das hundertteilige Thermometer schon 25 Grad zeigt, der Unter­richt am Nachmittage ausfallen muß und am Vormittage nicht über 4 Stunden dauern darf. Bei überfüllten Klassen und bei engen Klassen­zimmern kann bei geringerer Temperatur eine Aussetzung des Unterrichts erfolgen. Kinder, die einen weiten schattenlosen Weg zu machen haben, sollen an heißen Tagen von einem zweiten Gang zur Schule befreit werden. Es lann auch angebracht sein, den Unterricht an solchen Tagen durch Jugendspiele zu unterbrechen. Die Ausführung dieses Erlasses soll angeordnet und überwacht werden von dem Vorsteher der Schule, vom Oberschul-Jnspektor oder in Filialen vom Ortsschulvorstand.

Württemberg.

Se. Maj. der König hat vergangenen Samstag auf dem Wasen bei Cannstatt eine große Truppenbesichtigung abgehalten und dabei das Stuttgarter Ulanen-Regiment I. M. der Königin vorgesührt. Zu dem militärischen Schauspiel war eine große Anzahl von Zu­schauern erschienen, die Parade selbst verlief durchaus gelungen und zur Zufriedenheit des Königs.

Marienwahl, 21. Juni. Se. Maj. der König empfing heute vorm, den Landgerichtsrat Frhr. v. Gültlingen in Audienz.

Stuttgart, 22. Juni. Prinzessin Amalie, K. Hoh. von Urach, wurde heute mittag 12.30 von einer Prinzessin glücklich ent­bunden.

Nach dem am 5. ds. Mts. erfolgten Ab­leben des Bischofs Dr. v. Hefele, eines über­aus trefflichen Gelehrten und friedfertigen Kirchenfürsten hat dessen bisheriger Coadjutor, der bisherige Weihbischof Dr. Wilh. v. Reiser die Leitung der Diözese Rottenburg thatsächlich übernommen kraft seines sowohl von dem Papst als von der württemb. Staatsregierung aner­kannten Rechts der Nachfolge. Auch der neue l-andesbischof ist ein hochgebildeter und fried­liebender Mann, von welchem mit Bestimmtheit hortet werden kann, daß er in allen Punkten die Wege seines Vorgängers und väterlichen Freundes weiterwandeln und so auch den kon- wird"^" Frieden im Lande kräftig erhalten

Die Reichstagswahlen in Württemberg M en un 1 . Wahlkreis Stuttgart eine Stich- -i öwischen dem nationalen Kandidaten und in M Sozialdemokraten. im 2. 3. 4. 5. und - Wahlkreis. Stichwahlen zwischen den natio- j b" und demokratischen Kandidaten ergeben,

-9. 11. und 12. Wahlkreis wurden Demo­

kraten gewählt, im 7. und 14 die nationalen Kandidaten, im 13, 15., 16. und 17. die Zentrumskandidaten. Bei den Stichwahlen im I. und 3. Wahlkreis haben die nationalen Kan­didaten nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie die Stimmen auch derjenigen Wähler erhalten, die sich bei der I. Wahl der Stimmenabgabe enthalten haben. Bei den anderen Stichwahlen dürfte wohl überall die Volkspartei die Mandate erobern.

Stuttgart. 22. Juni. Auf gestern Vor­mittag 9 Uhr wurden von Staatsminister v. Schmid eine große Zahl von Oberamtleuten, Vorständen von landwirtschaftl. Vereinen, von Sachverständigen verschiedener Art. von Mit­gliedern des Ministeriums des Innern, sowie der Zentralstelle für die Landwirtschaft zu einer Beratung über den Umfang des Notstandes der Landwirtschaft infolge des Futtermangels und über die zu wirksamer Bekämpfung des­selben zu ergreifenden Maßregeln zusammen­berufen. Finanzminister Dr. v. Riecke mit ver­schiedenen Räten des Finanzministeriums und der Forstdirektion wohnten gleichfalls der Sitz­ung bei. Staatsminister v. Schmid eröffnete die Sitzung mit Hinweis auf die bereits einge­tretene und noch mehr drohende Verminderung des Viehstandes durch die Futternot. Unser Hauptviehstand, der Rindviehstand (1800000 Stück) repräsentiere einen Wert von mehreren 100 Mill. Mark. Der Viehstand sei eine Hauptgrundlage der ökonomischen Existenz der Landwirte. Durch die Verminderung des Vieh­standes und durch die notwendige spätere Er­gänzung werde das Nationalvermögen in doppelter Richtung geschädigt. Es sei deshalb dringlichst angezeigt, durchgreifende und um­fassende Maßregeln gegen die Futternot zu er­greifen. Bisher sei schon durch die Eröffnung des Waldes und durch Gewährung von '/, Transportermäßigung auf der würtl. Staats­bahn etwas Erkleckliches geschehen. Hoffentlich sei der heute gefallene Regen eine günstige Vor­bedeutung für die Zukunft. Der Staat werde zwar bei der Ermittlung des Bedarfs an Futter­mitteln, Sämereien rc., bei der Aufsuchung der Bezugsquellen und bei der Versorgung der Be­dürftigen thätig sein müssen, aber ebenso not­wendig sei es, daß alle beteiligten Faktoren, Gemeinden, Bezirke, Staat zusammenwirken. Der Staat habe natürlich, wenn Gemeinden und Bezirke mit ihren Kräften nicht ausreichen, unterstützend mit seinen Geldmitteln cinzugreifen. Er denke, cs sollte im Anschluß an die Kgl. Zentralstelle für die Landwirtschaft eine Kommis­sion gebildet werden, welche eine Art Generalagen­tur sei für Auskunft- und Ankaufs-Vermittlung.

Auf diese einleitende Rede des Ministers folgten die Mitteilungen der einberufenen Ober­amtleute über die Verhältnissen ihrer Bezirke und die bereits ergriffenen oder beabsichtigten Hilfs­maßregeln. Aus den sehr interessanten einzelnen Vorträgen der H. H. Oberamtleute wollen wir nur in Kürze zusammenstellen, daß die Verhält­nisse sehr verschieden liegen, daß verhältnismäßig günstig die oberschwäb. Bezirke Wangen, Tett- nang, Leutkirch, Waldsee, Biberach, Saulgau, Laupheim, Ulm dastehen, daß dagegen am schlimmsten die Lage auf der Alb von Tutt­lingen bis Neresheim und im nördlichen Teile unseres Landes, O.A. Mergentheim, Crailsheim, Gerabronn, Künzelsau rc. ist, wozu noch Gegen­den wie einzelne Teile des Schwarzwaldes, des Unterlandes, so Baihingen, Maulbronn, Back­nang, ein Teil des Oberamts Leonberg, Welz­heim rc. hinzukommen. Aus den anderen Be­zirken ist zu bemerken, daß teilweise die bisherige Not noch nicht so groß war, aber stark im Wachsen begriffen ist, aber auch teilweise heute schon einen hohen Grad erreicht hat, was sich aus den außerordentlich niederen Ertragszahlen von Futterfeldern und Vieh- und Fleischpreijen drastisch ergab. Oek.-Rat Stockmayer teilte mit, daß die Versammlung von 22 Landtagsabge­ordneten, welche gestern in Stuttgart getagt habe, den Notstand als einen sehr hohen be­zeichnet und die Notwendigkeit ausgesprochen habe, daß der Staat in hohem Grade mit seinen Mitteln einzustehcn habe, um die nötigen Futter­mittel rc. beizuschaffen. Ebenso habe die Ver.

sammlung die Notwendigkeit erkannt, daß der Wald in ausgiebigerer Weise herbeigezogen werde. Das System der Versteigerung entspreche durch­aus nicht den Bedürfnissen. Finanzminister Dr. v. Riecke sprach sich sehr wohlwollend über die Herbeiziehung der Kräfte des Waldes aus. machte aber zugleich auf die Gefahren zu großer Aus­beutung des Waldes aufmerksam. Verschiedene Redner machten darauf aufmerksam, wie ohne Schädigung des Waldes derselbe noch weit mehr zur Verminderung der Futter- und Streunot herbeigezogen werden könne. lim dem landwirtschaftlichen Publikum zu zeigen, daß die Regierung gewillt sei, lhatkräftig einzugreifen, wurde sofort der Ankauf von 30000 Doppelztr. (300 Waggons) Mais, welche von dem Vorstand der Landesproduktenbörse Stutt­gart. Hrn. Kregli nger-Berg, zu annehm­barem Preis angeboten waren, durch den Hrn. Finanzminister genehmigt. Schließlich wurde die Notstandskommission gewählt.

Der Schw. M. wird darauf aufmerksam gemacht, daß das Welschkorn, das in großen Mengen vorhanden sei, sich recht gut zu einem Futter­mittel eigne. Auf der Landesproduktenbörse am 20. Juni in Stuttgart wurde es mit 13'/, Mark für 200 Pfd. gehandelt, ist also billiger als das Heu. welches heute zu Markt gebracht wurde und 7 p. 100 Pf. kostete. Im Inte­resse der Gesamtheit wie besonders in dem der Landwirtschaft liegt es aber nun, daß sämtliche Futtermittel und Streu nicht nur, wie bisher geschehen, den Konsumvereinen und Gemeinden, sondern dem Handel im allgemeinen unter billigeren Eisenbahn - Transportjätzen geliefert werden, da es ja eine sehr große Zahl von Landwirten gibt, welche Konsumvereinen nicht angehören und ihre Futtermittel direkt, ohne Vermittlung der Gemeinden beziehen wollen.

Der Vorstand der Landesproduktenbörse, Fritz Kreglinger in Berg, hat sich bereit erklärt, an ihn gestellte Anfragen betr. der Bezugsquellen von Welschkorn sofort zu beantworten.

Deckenpsronn, 20. Juni. Ein ehr­bares hiesiges Bäuerlein kam gestern mit zwei Pferden nach Pforzheim, um dieselben an Pferde­metzger wegen großen Futtermangels zu ver­kaufen. Da ihm ein Spottpreis geboten wurde, überließ er das eine Pferd dem Hausknecht im Gasthaus z. Kreuz in Pforzheim für das Stall­und Futtergeld von etwa 80 Pfg. als Eigentum und ritt mit dem andern wieder hierher zurück.

Eßlingen, 14. Juni. DieEßl. Ztg." erzählt: In Vorahnung der Titelerhöyung unseres Stadtvorstandes war am Montag mittag im Vestibül des Rathauses ein prächtiges neues Ovalsaß von 363 Liter Gehalt (hervorgegangen aus der Werkstätle des Herrn G. Spannenberger hier) aufgestellt, das auf der Stirnseite als Widmung, umgeben von einem Rebenkranz, die Inschrift trägt: Wer da widmet seine Kraft Tag für Tag der Bürgerschaft Dem gebührt auch unbedingt. Daß er abends einen trinkt,

Der da neu belebt die Geister; Prosit, Oberbürgermeister!

Aus Reutlingen. 13. Juni, schreibt man dem Neuen Tagbl.: Wie wir hören, er­regt die Ausstellung der hiesigen Frauen­arbeitsschule in Chicago, deren Kosten sich auf etwas über 1000 belaufen werden, dort großes Interesse. Dies ist um so erfreulicher, als es Heuer gerade 25 Jahre sind, seit die Frauenarbeitsschule auf Anregung des Zeichen­lehrers Lachenmayer durch die Kgl. Zentralstelle und die Stadt Reutlingen gegründet wurde.

Blaubeuren. Dieser Tage fand ein Knabe auf dem Weg zum Bahnhof einen größeren Briefumschlag, in welchem, wie sich bei dessen Untersuchung ergab, Papiergeld und zwar in dem namhaften Betrag von 2600 befand. Der Vater des Finders vermutete, das Geld werde einem zur Bahn gegangenen Viehhändler entfallen sein, und ging sofort zum Bahnhof, wo er den Viehhändler traf. Die Vermutung war richtig, das Geld gehörte dem Händler, der indessen noch keine Ahnung von seinem Ver­luste halte; er nahm dann ruhig sein Geld in Empfang und gab dem Finder 1 ^ 50 (Isis da ein Wunder, wenn die Unehrlichkeit überhand nimmt!)