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eine derartige Steuer, und liefert sie sehr be­friedigende Ergebnisse, so daß ein Versuch in dieser Richtung auch in Deutschland gemacht werden könnte, obwohl die Sache ihre unver­kennbare Schwierigkeiten aufweist. Auch der Vorschlag, Steuerzuschläge auf die größeren Einkommen zu erheben, wäre populär, wenn auch die Einführung einer progressiven Reichs- Einkommensteuer in der Praxis auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen würde.

Neuerdings heißt es nun, Dr. Miquel soll die Einführung einer Reichserbschaftssteuer in's Auge gefaßt haben. Daneben bliebe noch ein anderweitiges Steuerprojekt in Hinblick auf die Militärvorlage zu erwägen übrig, auf welches in der Tagespresfe schon wiederholt aufmerksam gemacht worden ist. das einer Wehrsteuer. Für eine solche spricht namentlich der starke ethische Grund, daß derjenige, welcher sich nicht persön­lich dem Waffendienst für das Vaterland weihen kann, wenigstens zu den Kosten der Rüstung bei­tragen sollte, selbstverständlich nach Maßgabe seiner Vermöaensverhältnisse. In Oesterreich- Ungarn entrichten die zum Militärdienst Un­tauglichen eine Steuer bis 100 Gulden für jedes Jahr der Dienstzeit. Würde sich dieses Bei­spiel nicht auch in Deutschland nachahmen lassen?

Württemberg.

Zum württemb. Landesbischof ist er­nannt Dr. Wilhelm v. Reiser (geb. 1835). DerStaatsanz." sagt von dem neuen Landes­bischof:Die Gläubigen kennen ihn, sie wissen, daß er in den Fußstapfen seines ehrwürdigen Vorgängers seither gewandelt ist und ferner wandeln wird. Volles Vertrauen kommt ihm aus allen Herzen entgegen und man weiß in Württemberg, daß er den Blick nicht nur auf die Wohlfahrt der katholischen Kirche, sondern auch auf das teure Vaterland gerichtet hält."

Stuttgart, 6. Juni. Heute Abend hielt Buchdruckereibes.Nübling, derKandidatderdeutsch- nationalen antisemitischen Partei in Württemberg in der Siegelberger Musikhalle seine erste Wahl­versammlung ab. Die Wähler Stuttgarts hatten sich zahlreich eingefunden. Der Vorsitzende er- öffnete die Versammlung und erteilte dem Herrn Kandidaten zur Ausführung seines Programms das Wort. Redner hält es für notwendig, daß bei den diesmaligen Wahlen an Stelle der alten abgelebten Parteigesichtspunkte ausschließlich wirtschaftliche Grundsätze aufgestellt werden, insbesondere sei es unerläßlich mit dem Man­chestertum der sogenannten liberalen Parteien zu brechen. Die Kräftigung und Neubelebung des in seinem Grundvesten bedrohten Mittel­stands und den Schutz für die arbeitenden Klaffen hält Redner für die Hauptaufgabe des neuzuwählenden Reichstags. Weiter verlangte er Sicherung des ehrlichen Geschäftsverkehrs gegen den unehrlichen Wettbewerb der Schleuder- und Abzahlungsgeschäfte der schwindelhaften Wanderlager und Ausverkäufe, Entbürdung der Landwirtschaft von dem auf ihr lastenden un­verhältnismäßigen Steuerdruck durch eine der tatsächlichen Rentabilität der Güter entsprechen­den Besteuerung, sowie gesetzlichen Schutz der Landwirte gegen alle Ausbeutung durch Wucher und Güterschlächterei. Weiter tritt der Redner ein für Erhaltung der bestehenden Schutzzölle und Ablehnung aller Handelsverträge, welche eine Schädigung der Landwirtschaft in sich schließen. Mit Rücksicht auf die zweijährige Dienstzeit und die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht würde der Kandidat dem Antrag Huene bezüglich der Militärvorlage zustimmen, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Kosten das Großkapital trägt. Redner wurde häufig von Beifall unterbrochen, andererseits waren aber auch die Sozialdemokraten erschienen, welche die Versammlung durch höhnische Zwischenrufe zu stören versuchten. Nach dem Vortrag des Man­daten sprach u. a. Rabiner Grün, der einerseits anerkannte, daß Nübling sich den Juden gegen­über maßvoll ausgedrückt habe, andererseits aber dem Antisemitismus jede Berechtigung absprach. Die Sozialdemokraten ließen es an persönlichen Angriffen auf den Kandidaten nicht fehlen, da sie, wie es schien, sachlich nichts einzuwenden

wußten. Nach Schluß der Versammlung stimmten die zu Hervorrufung von Radau erschienenen Sozialdemokraten die Arbeitermarseillaise an, während die Angehörigen der deutsch-nationalen VolkspartciDeutschland, Deutschland über Alles" sangen.

Wie schon gemeldet, hat Herr Oberbürger­meister Hegelmaier von Jllenau aus das Zeugnis mitbekommen, daß er geistig völlig normal und überhaupt niemals geisteskrank ge­wesen sei, während bekanntlich das württemberg- ische Medizinal-Kollegium ein gegenteiliges Gut­achten über den Geisteszustand Hegelmaier's ab- gaben, indem es ihn als Hereditär mit dem Querulantenwahnsinn behaftet bezeichnete. Man wird sich aber wohl täuschen, wenn man glaubt, Hegelmaier könne nun in's Unendliche fortfahren, der Staatsregierung Verlegenheiten zu bereiten; letztere kann es abwarten, ob die Strafkammer in Heilbronn, die gegenwärtig allein die Sache zu behandeln hat, dem wissenschaft­lichen Gutachten des Stuttgarter Medizinal- Kollegiums oder demjenigen der badischen Irren­ärzte mehr Gewicht beilegen will, oder ob Hegelmaier nun etwa noch in eine bayerische Irrenanstalt zur Beobachtung überwiesen wird. Nimmt die Heilbronner Strafkammer an. daß Hegelmaier geistig vollkommen normal sei, so muß sie ihn, ob sie will oder nicht, auf Grund des bekannten Urteils des Reichsgerichts wegen falscher Beurkundung im Amte verurteilen und dann tritt erst der Disziplinarhof für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte gegen Hegelmaier in Thätigkeit. Der Spruch des Letzteren erscheint von vornherein gleichfalls nicht zweifelhaft. Die Heilbronner Tragödie wird und muß demgemäß doch ein Ende finden, und wenn die Heilbronner über Gebühr lange Zeit ihrem Oberbürgermeister das halbe Gehalt zahlen müssen, so können sie sich bei den Mitgliedern der dortigen Straf­kammer dafür bedanken. Gewählt haben diesen Mann übrigens die Heilbronner selber.

Den Boden see befahren gegenwärtig 40 Dampfer. Davon sind 17 Salonboote und 6 Schraubendampfer. Auf Bayern entfallen sechs Dampfboote, auf Württemberg 8 und ein kleiner Schraubendampfer, auf Baden 8, auf Oesterreich 5 und 2 kleine Schraubendampfer, auf die Schweiz resp. Nord-Ost-Bahn 6. Eine Dampf-Trajektfähre gehört gemeinsch. Bayern und der Schweiz. Den Unterste befahren 3 Dampfboote und 1 Schraubendampfer.

Anstand.

Vor den österreichisch-ungarischen Delegationen hat Graf Kalnoky ein recht freund­liches Bild über die allgemeine politische Lage in Europa entrollt und dabei namentlich her­vorgehoben, daß die Beziehungen des Dreibundes und speziell Oesterreich-Ungarns mit Rußland viel besser geworden seien. Ueber dieses freund­liche Gesicht der Russen täuscht sich aber weder Oesterreich-Ungarn noch sonst jemand in der Welt. Den Russen ist begreiflicherweise sehr viel daran gelegen, daß die beabsichtigte Heeresver­stärkung in Deutschland nicht zu Stande komme, und sie stellen sich deshalb so lange als recht friedfertig hin, bis sie mit ihren Heeresrüstungen vollständig fertig sind. An der Genehmigung des Heeresbudgets in Oesterreich-Ungarn durch die Delegationen ist darum auch nicht zu zweifeln.

Wien, 6. Juni. Als Dritter am Ziele des Distanzmarsches Berlin - Wien langte gestern der Wiener Maschineningenieur Karl Neuhaus an. Er hatte den Berliner Start am vorigen Montag kurz nach 6 Uhr verlassen und war am nächsten Montag um 3 Uhr 5 Min. nachmittags hier eingetroffen. Er marschierte täglich 15 Stunden und legte durchschnittlich 80 Kilometer zurück. Als Vierter traf nach demNeuen Wiener Tagblatt" ein stuck. suris ein, der seinen Namen nicht nennen wollte. Er marschierte täglich 1417 Stunden und legte durchschnittlich 80 Kilometer zurück. Als Fünfter traf Rentner Goldbach ein. Die beiden Sieger Preiß und Elsässer Vegetarier werden von demWiener Vegetarier-Verein" begeistert gefeiert. Sie jubeln über denSieg des Vegetarismus" über die Leicheneffr.

Der frühere Minister Constans, wärtig fürFrankretch derkommende Mann" hat letzten Sonntag in Toulouse eine großen litische Programmierte gehalten, welche in «am Frankreich mit großem Beifall ausgenommen wird. Er verlangte eine solidere Begründung der Republik, damit das Bündnis mit einer edle» Nation (Rußland) sich noch fester gestalten könne. Frankreich wolle aufrichtig und ent­schlossen den Frieden,aber es will ihn unter

unbeeinträchtigter Aufrechterhaltung seiner eigenen

Interessen und seiner eigenen Rechte, die es überall zu verteidigen und gegen alles zu schützen entschlossen ist." Gerade den letzten Satz haben die Franzosen richtig verstanden. und auch mir wissen, daß Frankreich nur einen solchen Frieden will. der ihm Elsaß-Lothringen und das link? Rheinufer gibt.

Mailand. 6. Juni. Ein furchtbares Gewitter mit Wirbelwind und Hagelschlag zxr. störte die Ernte in den Provinzen Mantua und Verona. Von dem geschätzten Wein Valpole- sella giebts Heuer keinen Tropfen.

Aus Monte Carlo wird gemeldet: Die Spielhölle hat wiederum ein Opfer gefor­dert. Der Schweizer Handelsreisende Karl Schmidt stürzte sich von der Terasse, nachdem er 20 000 Fr. verspielt hatte, die er in Nizza für seinen Prinzipal einkassierte.

Der Streit zwischen den europäischen Aus­stellungs-Kommissären und der Generaldirektion der Chicagoer Weltausstellung bezüglich der Preisverteilung ist nunmehr beigelegt. Die Amerikaner haben den Europäern nachgeben müssen. In Chicago hatte man anläßlich der Ausstellung ungeheure Spekulationen einge­gangen, weil man auf eine außerordentlich große Anzahl von Ausstellunqsbesuchern gerechnet hatte, die aber verhältnismäßig bis jetzt sehr spärlich eintreffen. Infolge dessen sind in Chicago schon mehrere Spekulationsfirmen, darunter auch eine große Bank verkracht, und dieses scheint nur einmal ein Anfang zu sein. Die Unsicherheit in Chicago für Eigentum und Leben der Frem­den ist so groß, daß wahrscheinlich unzählige Tausende auf den beabsichtigten Besuch der Aus­stellung lieber verzichten. .

Baker City (Oreg.), 14. Mai. Die be­rühmte, täglich tausend Dollars bringende White-Swan-Grube wird durch ein neues Gold lag er. das man neulich aufgefunden hat noch übertroffen. Das neue Goldlager liegt un­gefähr drei Meilen südlich von den White-Swan- und Virtue-Gruben, erstreckt sich 160 Fuß weit und schwankt in der Breite zwischen zwei und zehn Fuß. In der Stadt herrscht eine wilde Aufregung, und Hunderte wallfahrten nach dm Fundorte. Alle sind darüber einig, daß es das größte Goldlager ist, das je im Nordwesten entdeckt wurde. Ein zehn Pfund schweres Stuck Erz, enthaltend über hundert Dollars in Gold, ist in der Nationalbank ausgestellt.

Vermischtes.

(Afrikanisches.) Teure Jagdkarten gibt der Gouverneur von Kamerun aus. Nach einer Be­kanntmachung desselben kostet ein Erlaubnisschein zur Jagd auf Elefanten und Flußpferde für eiue jedesmal bestimmte Zeit 20005000 Dem Gouverneur ist jedoch Vorbehalten, Forschungs- reisenden den Erlaubnisschein gebührenfrei zu erteilen. Allerdings sind diese Dickhäuter ein wertvolles Wild, man findet sie aber auch nicht in Kartoffel- und Repsäckern.

(Nach dem Kommers.) Hauswirtin (znm Studiosus, der noch um 4 Uhr nachmittags im Bette liegt):Was soll ich Ihnen denn jetzt bringen: 's Frühstück, 's Mittag- oder » Abendessen?!"

Auflösung des Zahlenrätsels in Nr. 85.

Insel

Niel

Seil

Eis

Linse. _^

Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.