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Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.

s-, Calmbach, 5. Juni. (Korresp.) Unser l-itberiaerReichsbole. Herr Landgerichtsrat Frhr. » Kültlingen. der gegenwärtig den Bezirk bereist hat vorgestern abend im Sonnensaal unter dem Vorsitz von Schultheiß Häberlen vor einer zahlreichen Wählerversammlung gesprochen. Kuerst spricht Hr. Landgerichlsrat der Wählerschaft Anen Dank aus. für das vor drei Jahren ihm Menkte Vertrauen und geht dann gleich zur Hauptfrage des Tages, zur Militärvorlage über, für welche er. dem Zwang der Notwendigkeit gehorchend im Hinblick auf unsere Feinde rm Osten und Westen, aus fester Ueberzeugung ein- trjtt Den Gegnern der Militärvorlage, welche die verlangten Opfer für unerschwinglich halten und befürchten, Deutschland würde ein Volk von Bettlern werden, muß gesagt werden, daß Frank­reich trotz schwächerer Bevölkerungsziffer weit mehr fürs Militär aufwendet als Deutschland. Jedenfalls sind die geforderten Opfer viel ge­ringer als diejenigen, die ein verlorener Krieg sür uns im Gefolge haben würde. Bezüglich der Deckungsfrage würde der Kandidat statt einer Bier- und Branntweinsteuer, eine Börsen-, Luxus- und Erbschaftssteuer, Vorschlägen, damit der Mittel- nnd Arbeiterstand keine Mehrbelast­ung durch die Vorlage zu beklagen haben würde. Sodann verspricht der Kandidat für, Verbesser­ung der Versicherungsgesetze, sowie der Vor­schriften über das militärische Beschwerderecht und sür die Oeffentlichkeit des militärischen Strafverfahrens eintreten zu wollen. Die Er­haltung und Kräftigung des Mittelstandes in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel werde er sich stets angelegen sein lassen. Den Unzu­friedenen sei zum Trost gesagt, daß der Herr Landgerichtsrat auch nicht mit allem einver­standen ist. was uns derneue Kurs" gebracht hat. insbesondere nicht mit dem Schicksal des Altreichskanzlers Bismarck; aber zuerst müsse man für die Sicherheit nach Außen sorgen, ehe die inneren Streitigkeiten kommen. Darum möge jeder Wähler am 15. Juni bedenken, was auf dem Spiel steht und den Ernst des Tages erkennen. Dem Vorwurf der Gegner, er sei im Reichstag gegen die Entschädigung der zu Friedens­übungen eingezogenen Reservisten und Wehr­männer gewesen, tritt Frhr. v. Gültlingen energisch entgegen, indem er diese Behauptung als grobe Unwahrheit bezeichnet. Mehrere Redner sprachen dem Kandidaten den Dank aus sür das, was er für den Bezirk in der ver­flossenen Reichstagsperiode geleistet hat und loben namentlich den fleißigen pflichtgetreuen Besuch unseres seitherigen Vertreters im Reichs­tag, während andere Abgeordnete so vielfach den Reichstag im Stich gelassen haben. Möge ihm eine glänzende Wiederwahl vergönnt sein:

Neuenbürg, 7. Juni. (Einges. z. Reichs­tagswahl.) Der Kandidat der Volkspartei, Hr. Bauunternehmer Cleß aus Stuttgart, hielt am Montag eine Anzahl Versammlungen in den Waldorten und am Dienstag in Herrenalb, Loffenau, Dobel, Dennach und Höfen. Die ruhige und sachliche Behandlung aller in Be­tracht kommenden Fragen hinterließen den besten Eindruck und die Ausführungen des Kandidaten wurden überall beifällig ausgenommen.

Pforzheim, 7. Juni. Die vor wenigen Tagen in feierlicher Weise eröffnete B i j o u t e r i e - Fachausstellung gewährt in ihrer Vielseitig­keit ein farbenprächtiges Bild und überlrifft alle Erwartungen, die man auf sie gesetzt hatte. Was uns hier an halbfertiger und fertiger Waare vorgesührt wird, ist keine Durchschnitls- waare, sondern die geschmackvollste und sauberste Arbeit, welche die Goldschmiedekunst überhaupt Hervorbringen kann. Sowohl die Produkte der Estamperien, der Graveure, Emaillemaler und sonstigen Hülfsgeschäfte, als auch die Erzeugnisse der eigentlichen Goldschmiedekunst in ihren un- M>gen Formen (wie z. B. Tafelaufsätze. Dosen, «wckgnffe, Fächer, goldene Operngläser, Dia- eme, Broschen, Nadeln, Armbänder, Ohrringe

j öslgen den gediegenen Geschmack und w sorgsältige^Arbeitsmethode, welche sich heut- su.age in der Schmuckwaren-Jndustrie so prächtig "haltet haben. Einen besonderen Anziehungs­

punkt der Ausstellung bilden selbstverständlich die vielen Brillantsachcn. darunter namentlich die kostbaren, hier ausgeführten Schmucksachen Ihrer Königlichen Hoheiten der Großherzogin von Baden und der Kronprinzessin von Schweden, sowie die elektrisch betriebenen Hülfsmaschinen, welche auf dem Gebiete der Mechanik recht viele Neuerungen aufweisen. Alles in Allem entspricht die Ausstellung der Bedeutung der Pforzheimer Industrie, welche mit ihren 12 000 Arbeitern und einem jährlichen Umsätze von etwa 40 Millionen Mark die weitverzweigtesten Verbin­dungen in allen Ländern der Welt unterhält. Die Ausstellung ist geöffnet bis 30. Juni täglich von morgens 9 bis abends 6 Uhr.

Deutsches Meich.

Berlin, 8. Juni. DerReichsanzeiger" stellt fest, daß in zahlreichen Wahlflugblättern Behauptungen bezüglich der Militärvorlage auf­gestellt sind, die in wesentlichen Punkten den thatsächlichen Verhältnissen vollständig wider­sprechen; insbesondere betrage die französische Friedenspräsenz 520000, die deutsche 475000 Mann. Die Feststellung Präsenzziffer als Durch­schnittsziffer statt als Maximalziffer sei lediglich eine Geldfrage; dadurch werde kein Mann mehr ausgehoben, kein Rekrut mehr eingestellt und kein Ausgebildeter mehr entlassen. Das Ange­bot der freisinnigen Volkspartei habe, abgesehen davon, daß die Einstellung von 25000 Rekruten mehr ohne Erhöung der Friedenspräsenz eine bare Unmöglichkeit sei, eine Verstärkung der Armee nur in ganz geringem Maße zur Folge. Eine Verjüngung der Armee werde dadurch überhaupt nicht erreicht.

Berlin, 8. Juni. Der Reichskommissar Peters erklärt, alle Nachrichten über den Tod Emin Paschas seien falsch.

Auf Seiten der Regierung wird bekanntlich großer Wert darauf gelegt, denjenigen Wünschen der Handwerker nach Verbesserung ihrer Lage, welche auf dem Wege der Verwaltung sich erfüllen lassen, auf diesem bei allen sich darbietenden Gelegenheiten entgegenzukommen. Es wird aber auch nicht verabsäumt, ein Vor­gehen auf gesetzgeberischer Bahn vorzubereiten. Ueber die Ziele, welche nach Ansicht der Re­gierung hierbei erreichbar sind, sind seinerzeit im Reichstage bestimmte Erklärungen abgegeben worden. Was dabei die Regelung des Wesens der Abzahlungsgeschäfte betrifft, so hat sich ja bereits der vorige Reichstag mit einer darauf bezüglichen Vorlage beschältigt, die allerdings wegen der Auflösung unerledigt blieb, jedenfalls aber erneuert werden dürfte. In anderen Fragen nehmen die vorbereitenden Arbeiten einen befriedigenden Fortgang. Von dem Ge­werbebetrieb im Umhecziehen berichteten wir dies bereits vor einiger Zeit. Aber auch die Fragen der Organisation, der Umgestaltung des Lehrlingswesens u. a. werden schon seit längerer Zeit vorbereitet. Nach dem gegenwärtigen Stande dieser Arbeiten hofft man im nächsten Herbst oder Winter mit weiteren Vorlagen, die sich auf die Hebung des Handwerkerstandes be­ziehen, an die gesetzgebenden Körperschaften des Reichs herantreten zu können.

Blaukenburg, 8. Juni. In der Stadt Hasselfelde sind 85 Gebäude in drei Straßen gänzlich niedergebrannt. Das Feuer verbreitete sich bei der herrschenden Trockenheit mit außerordentlicher Geschwindigkeit über die Holzbauten. Die Telegraphen sind zerissen. Die Feuerwehr wurde von den fernliegenden Orten herbeigerufen. Viel Vieh ist verbrannt. Kein Menschenleben ist zu beklagen, doch ist die Not groß.

Hanau, 3. Juni. Im Wahlkreise Hauau- Gelnhausen-Orb wird am 15. Juni das Fahr­rad zu Ehren kommen. Da nämlich die Ort­schaften dieses Wahlkreises weit auseinander liegen und infolge dessen die Wahlergebnisse sonst erst zwei bis drei Tage nach der Wahl einlaufen, so ist eine Anzahl hiesiger Radfahrer mit Herren in Gelnhausen und Orb in Ver­bindung getreten, um am Wahltage eine Staffetlensahrt zu veranstalten. Auf diese Weise wird es möglich sein, das Gesamtergebnis noch am Wahltage bis spätestens 10 Uhr abends in

die Hände der Wahlausschüsse gelangen zu lasten. Das ist ein glücklicher Gedanke, und den Rad­fahrern kann es nur zur Ehre gereichen, sich und das Stahlroß dem so wichtigen Wahlnach­richtendienst zur Verfügung zu stellen.

In Bayern finden in der 1. Hälfte des kommenden Monats die allgemeinen Landtags­wahlen statt. Angesichts der gegen den niederen bayrischen Klerus immer mehr um sich greifen­den Stimmung der katholischen Landbevölkerung in Bayern darf die klerikale Partei, wie bei den Reichstagswahlen, io auch bei denjenigen zum Landtag auf eine Reihe von Mandatsverlusten sich gefaßt machen.

München. 8. Juni. Bei dem gestrigen Empfangsabend der Wanderversammlung der deutschen Landwirtschaftsgescllschaft im Rathaussaale hob der Ehrenpräsident Prinz Ludwig hervor, gerade die Landwirtschaft be­weise die unbedingte Notwendigkeit des Zu­sammenwirkens der Berufsarten und der In­dustrie. Allerdings sei es schwer, die richtige Ausgleichung der Gegensätze herauszufinden. Er (der Prinz) bevorzuge keinen Stand und kein Land, sondern suche nur das allgemeine Beste zu fördern. Ein treues Zusammenstehen aller Stände sei notwendig, und dies sei am höchsten verkörpert im deutschen Reiche. Prinz Ludwig schloß mit dem Rufe:Das Reich lebe hoch!"

Nach der Nonnenkalamität droht den bayr. Waldungen abermals eine Gefahr. Man hat in den Staatswäldern der Gegend von Straubing (Niederbayern) die G espinnstblattWespe (OMn ll^potropllion) in größeren Massen ent­deckt und auf 1 O.-M. Bodenfläche bereits ca. 300 Larven gefunden. Wie es scheint, hat das Forstpersonal diese neue Gefahr noch rechtzeitig wahrgenommen.

Karlsruhe, 6. Juni. Nach einer Ver­mengung von Berliner und badischen Nachrichten sollen bei den Kaisermanövern des XIV. Armeekorps Reservisten, die zugleich tüchtige Radfahrer sind, eingezogen werden, um den Depeschendienst auf weitere Entfernung zu ver­mitteln. Bekanntlich sind diese Versuche schon anderwärts mit günstigem Erfolg durchgeführt worden.

Von den verschiedensten Seiten laufen Nachrichten über schwere Wetterschäden ein. In der ganzen Pfalz sind starke Gewitter nieder­gegangen. Der Blitz schlug in Niederhochstadt, Böbingen, Lustadt und in die prostetantijche Kirche zu Speyerdorf ein. In dem Dorfe Ober- vorschütz (Kreis Fritzlar) schlug der Blitz während des Nachmittagsgottesdienstes in die Kirche; drei Personen wurden getötet, mehrere gelähmt.

Die Militärvorlage nnd die Deckungsfrage.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß die Verstärkung der deutschen Wehrkraft, wie sie durch die einstweilen gescheiterte Militärvorlage geplant wird, an und für sich in viel weiteren Kreisen der Nation volle Zustimmung findet, als dies bis jetzt scheinen könnte. Aber die vorgeschlagene Art und Weise der Bestreitung der Kosten war es eben und ist es auch noch die vielfach da auf lebhaften Wider­spruch stieß, wo man sonst mit den Beweg­gründen und dem eigentlichen Zweck der beab­sichtigten Heeresreform ganz einverstanden ge­wesen wäre. Dies kann wenigstens von der Erhöhung der Brau- und Branntweinsteuer gelten, denn die hierauf zielenden Regierungs­vorschläge sind offenbar unpopulär geblieben, trotz aller für sie ins Feld geführten Gründe. Nur die stärkere Heranziehung der Börse zu den Kosten der Militärvorlage erfreute sich von Anfang an fast allgemeinen Beifalles, und nach dem die angesehensten Vertreter der Berliner Börse inzwischen offen erklärt haben, daß ihnen die Durchführung der Militärvorlage im Interesse eines gesicherten Geschäftsganges nur erwünscht sei, fällt das Argument, die Börse würde durch eine erhöhte Besteuerung ihrer Geschäfte schwer geschädigt werden, hinweg.

Regierungsseitig scheint man den Plan einer Luxussteuer ernstlich zu erwägen. Bekannt­lich besteht in England und in Frankreich bereits