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Deutsches Weich.

Zur Militärvorlage.

Bon Seiten einzelner der Militärvorlage günstigen Kandidaten der freisinnigen Bereinig­ung. wie Alexander Meyer, wird zur Deckung der Kosten eine Reichseinkommensteuer vorge­schlagen. Bereits im Jayre 1887 war von der­selben Seite die Anregung gegeben, die Kosten sür die damalige Milstärvorlagc auf diesem Wege -u decken. Herr Meyer meinte, man könne mit einem Einkommen von lOOOO anfangen, so daß etwa °/° °/o Steuer angesetzt werden könnten und bemerkte:Ich habe guten Grund anzu- nehmen, daß der Vorschlag in den entscheidenden Kreisen jetzt mit günstigeren Augen betrachtet wird. Ich bin der Ansicht, daß es eine Ehrenpflicht der besser gestellten Klassen ist, die Kosten dieser Vorlage nicht aus die arbeitenden Klassen abzu­wälzen."

Der Vorschlag läßt sich wohl hören, in­dessen steht ihm ein Bedenken gegenüber, daß in unserem Gesamtsteucrjystcm die Einkommen­steuern der Fruchtbarmachung durch die Landcs- gesetzgebungen Vorbehalten und in diesen, nament­lich in Preußen neuerdings bereits sehr erheb­lich herangezogen sind.

Ueber die Haltung der Opposition in der Militärfrage stellt dieNordd. Allg. Ztg." Betrachtungen an, indem sie die früheren Aus­sprüche der Führer jener Seite damit vergleicht. Wörtlich zitiert sie eine Rede des Herrn Eugen Richter, die jener im Jahre 1874 im Reichstage hielt, worin es unter anderem heißt:Wir wollen die Kriegspräsenz unseres Heeres durch­aus nicht vermindern, wir haben gar nichts da­gegen, wenn recht viele Rekruten ausgrhobcn werden, damit sich die Wehrkraft, die Kriegslast auf möglichst viele Schultern verteilt, daß sie sür jeden Einzelnen möglichst erträglich wird, damit namentlich die älteren Jahrgänge desto mehr auf Kosten der jüngeren geschont werden können. Das beweist meiner und meiner politi­schen Freunde ganze Haltung in der Militär- srage. Wir haben ja niemals die Wehrkraft an sich zu schmälern versucht, es ist uns nur dar­aus angckommen, durch Verminderung der Dienst­zeit sie für jeden Einzelnen möglichst erträglich zu machen."

Berlin, 2. Juni. DieKreuzzeitung" meldet aus Gastein: Der Kaiser und die Kaiserin von Oesterreich werden nach Schluß der Dele­gationen zu längerem Aufenthalt hier erwartet.

Berlin, 2. Juni. Die heutige Früh­jahrsparade über das Gardekorps ver­lief bei schönem Wetter. Die Truppen waren in zwei Treffen ausgestellt. Den Oberbefehl führte Generallieutenant von Winterfeld. Es fand ein zweimaliger Vorbeimarsch statt, erst in Kompagniefronten, dann in Regimentskolonnen. Beim Vorbeimarsch des zweiten Garderegiments führte dasselbe der Kaiser der Kaiserin vor. Unter dem Gefolge des Kaisers befanden sich die Prinzen Leopold von Bayern, Ferdinand August von Sachsen, Albrecht von Braunschweig, der Graf v. Turin und der Herzog Albrecht von Württemberg.

Trier, 2. Juni. In den beiden ver­gangenen Nächten sank das Thermometer unter den Gefrierpunkt. In der Eifel und auf den Höhen der Mosel sind vielfach die Kartoffeln erfroren.

Fulda, 30. Mai. Ein hiesiger Imker hat dieser Tage ein Bienenvolk aus dem Kau­kasus erhalten. Die Jmmchen haben die 5000 Kilom. weite Reise ziemlich wohlbehalten trotz der großen Hitze zurückgclegt. Der betreffende Bienenzüchter will den Versuch machen, ob sich die kaukasische Bienen «klimatisieren wird.

Nach einer Mitteilung der Neisser Zeitung hat Pfarrer Kneipp wenige Tage vor seiner beabsichtigten Reise nach Oberschlesien in Wöris- hosen einen unglücklichen Fall gcthan und dabei dreifachen Rippenbruch erlitten. Bei dem Alter des Pfarrers er steht im 73 Lebensjahre ßt die Heilung eine langsame.

.. Pforzheim, 2. Juni. Die Bestrebungen, wlOtägige Gültigkeitsdauer der Rück­fahrkarten auch in Baden einzuführen,

sind endlich von einem gewissen Erfolge inso­fern begleitet, als auch die badische Eisenbahn- verwaltung in der letzten Sitzung der ständigen Tarif-Kommission der deutschen Elsenbahnver­waltungen sich einem Anträge in obiger Richtung angejchlvssen hat. Ganz abgesehen davon, daß es noch zweifelhaft ist. ob auch die Generalver- vcrsammlung der deutschen Eisenbahnvermal. Hingen diesen Antrag genehmigt, wird auf jeden Fall eine sehr geraume Zeit vergehen, ehe der Antrag zur Abstimmung kommt und che even­tuell die Neuerung cingeführt wird. Ein so langes Zuwarten dürfte aber für die badische Eisenbahnverwallung jetzt, wo sie sich mit jene» Bestrebungen im Prinzip einverstanden erklärt hat, nicht am Platze sein, da der Schwerpunkt ihrer Interessen nicht nach Norden, sondern noch Süden neigt, wo die größten Eijenbahnver- waltungen, die bayerische und die würtlember- gische, die lOiägige Gültigkeitsdauer der Rück­fahrkarten bereits seil langem eingeführt haben.

Nach einer in der Denkschrift des preuß. Kultministers für die Chicagoer Weltausstellung enthaltenen Statistik beträgt die Zahl der öffentlichen Schulen im Deutschen Reiche 56 563. In ihnen wurden von 120 032 voll­beschäftigten Lehrkräften, unter denen sich wenig­stens 13 750 Lehrerinnen befanden, 7 925 688 Schulkinder unterrichtet. Der unmittelbare Auf­wand für die Volksschulen, abgesehen von den Ausgaben sür die allgemeine Schulverwaltung, Schulaufsicht, Lehrerbildung u. bergl., stellt sich mindestens auf rund 242400000 wovon wenigstens 69 305000 üfL aus den Staatskassen fließen. Bei 49 428 470 Einwohnern des Reiches entfallen auf je 100 Einwohner 16,03 Bolks- schülcr und auf durchschnittlich 874 Einwohner je eine Volksschule. Eine Lehrkraft hat im Durchschnitt 66 Schüler zu unterrichten. Die Kosten eines Schulkindes der öffentlichen Volks­schulen berechnen sich auf jährlich 30,58

Württemberg.

Stuttgart, 2. Juni. In der Kammer gab heute der Herr Ministerpräsident Dr. Frhr. v. Mitt nacht eine Erklärung ab in Betreff der vor einigen Monaten imBcob." publizierten Wahlansschreiben an Beamte bei polit. Wahlen, insbesondere den Septenatswahlen vom Jahr 1887. Es entspann sich nach der mit großem Beifall anfgcnommenen Rede des Herrn Minister­präsidenten eine längere Debatte, an welcher sich beteiligten die Abgeordneten Haußmann (Gera- bronn), Haußmann (Balingen), v. Hofacker, Gröber, v. Wolfs. Frhr. v. Wöllwarth, Probst Schnaidt, v. Schad. Die Abgeordneten Hauß- mann und Gen. brachten folgenden Antrag ein: Die Kammer fordert die Kgl. Staatsregierung auf, dahin zu wirken, daß bei politischen Wahlen die Beamten nicht ihren amtlichen Einfluß dazu verwenden, die diesem Einfluß unterliegenden Wähler und Untergebenen zu veranlassen." v. Göz stellte einen Gegenantrag:Im Hinblick auf die befriedigenden Erklärungen, welche der Herr Präsident des Staatsministeriums über die Rechte und Pflichten der Staatsbeamten bei politischen Wahlen abgegeben hat, geht die Kammer über den Antrag Haußmann und Gen. zur Tagesordnung über." Auf Anfrage ProbstS hatte der Herr Ministerpräsident mitgeteilt, daß die von ihm vorgetragene Erklärung im Sinn und Einverständnis mit dem Gesamtministerium abgegeben worden sei. Der Antrag v. Göz wurde mit 63 gegen 12 Stimmen angenommen. Es folgt die Beratung des Antrags Schnaidt und Gen. auf Abbestellung der Kaisermanöver: Nach eingehender Debatte wird ein Antrag des Präl. v. Sandberger mit 39 gegen 35 Stimmen angenommen. Dieser Antrag lautet: Die Kammer wolle der Regierung das Vertrauen ansjprechen, daß sie bei etwa fortdauernder oder gesteigerter Bedrohung unserer Ernteerträgnisse mit der Anordnung der Manöver nach Ort, Zeit und Umfang den Bedürfnissen des Landes wohlwollende Rücksicht tragen werde.

Stuttgart. 31. Mai. Abgeordneten­kammer. Heute beriet die Kammer der Abge­ordneten über die indirekten Steuern. Als Reinertrag der Accise wurden je 1 756 000 in den Etat eingestellt, als Reinertrag der Ab­

gabe von Hunden je 199 100 Rathgeb verwandte sich für die Ueberlassung der Hunde­steuer an die Gemeinden, worauf Minister von Riecke erwiderte, die Angelegenheit hänge mit der Steuerreform zusammen, man möge sie bis dahin ruhen lassen. Als Reinertrag der Wirt­schaftsabgaben wurden je 9 330 620 einge­stellt. Hierbei gaben einige Abgeordnete Wünschen, die sich auf die Abgabe von Wein und Obstmost beziehen, Ausdruck. Bayha wünschte eine grundsätzliche Reform dieses Wirt­schaftsabgabengesetzes; Auer beklagte sich dar­über, daß die billigen Weine verhältnismäßig viel höher veranlagt seien als die besseren, und Ebner machte auf den Mißstand aufmerksam, daß der württembergische Wcinhändler nicht unter 20 Liter Wein aus seinem Keller verkaufen dürfe, während dies jedem nichtwürttcmbergischen Weinhändler erlaubt sei. Minister v. Rlecke erwiderte, daß durch die Zollvercinsverträge der Regierung leider die Hände gebunden seien; sie werde aber versuchen, eine Aenderung dieser Verträge herbeizuführen und dabei auch auf die erhobenen Beschwerden Rünsichl nehmen.

Stuttgart, 2. Juni. (Strafkammer.) Der 28 Jahre alte led. Dienstknecht Bauer von Flein, OA. Heilbronn trat am 4. v. Mts. aus leinem Dienstverhältnis bei einem Bauern in Oßweil; morgens 4 Uhr stieg er in den Stall ein und machte einen Stier und ein Kalb seines Dienstherrn von der Kette los, um sie mitzu- nehmeu. Der Stier war aber störrisch und lief nicht mit, was denselben nötigte, ihn wieder im Stall anzubinden. Das Kalb führte er auf den Winnender Markt und verkaufte es um 38 ^ Aber noch che er den Erlös cingezogen hatte, verhaftete ihn ein Landjäger. Der Angeklagte wurde wegen schweren Diebstahls zu 1 Jahr 2 Monat Zuchthaus verurteilt.

Tübingen, 1. Juni. In der ersten Wählerversammlung des VI. Wahlkreises, welche gestern abend im Ochsensaal in Lustnau stall­fand und wozu sich zahlreiche Mitglieder der Deutschen Partei eingefunden Hallen, entwickelte der Kandidat der Volkspartei R.A. Payer von Stuttgart seine politischen Ansichten. In ständ­iger Rede verbreitete sich der Redner über die Militäroorlage und ihre Deckung und suchte mit Zahlen nachzuwcisen, daß der erforderliche Auf­wand sür die Steuerzahler unerschwinglich werde. U. a. hieß es: Wir werden me (!) in die Lage kommen, unsere Soldaten verwenden zu können (als ob nicht jedermann damit einverstanden wäre, wenn dieser Fall verhindert, d. h. wenn der Frieden dauernd erhallen werden könnte). Im übrigen ließ der Redner an der Vorlage kein gutes Haar und verbreitete sich außerdem nach seiner Weise über alles Mögliche. Die Rede war ein demagogisches Meisterstück und trug dem Kandidaten den gewohnten Beifall seiner Anhänger ein. Sofort enlgegnete ihm unser berühmter Nationalökonom Prof. Dr. Neumann: In der Deckungssrage sei er mit demVorrednereinverstanden; eine indirekteReichs- stcuer sei nicht gerechtfertigt. Auch die Deutsche Partei und nationale Blätter haben die Deck­ungsvorschläge der Regierung für ungerecht­fertigt erklärt. Der Redner habe aver die Börsensteuer, welche 13 Milk, abwerfe, nicht er­wähnt. Eine Wehrsteuer würde 20 Mill. tragen, eine Luxussteuer 16 Mill., eine Erbschaftssteuer mit progressiver Belastung 25 Mill. Im Ver­gleich mit ander« Staaten sind wir nicht über­bürdet. Gerade diese Vorlage gebe eine will­kommene Gelegenheit, die oberen Klassen zu be­lasten. Es handle sich nicht um Angstmacherei. Die Steigerung des Miluärstandes betrage in Deutschland 100:127, in Frankreich 100:150. Unsere Kriegsmacht reiche nicht aus. Der reiche Mann verliere bei einerOkkupalion nicht so viel, als der arme, dessen Viehstand meist verloren gehe. Kein guter Bürger könne dem Vaterlande den nötigen Schutz verweigern. Stürmischer Beifall folgte der klaren und eindringlichen Rede. Dr. Geiger machte noch geltend, daß zwei aner­kannte Sachverständige, Major Hinze von der freisinnigen Partei und v. Huene vom Zentrum sich ganz entschieden für die Vorlage erklärten. Der lebhafte Verlauf der Verhandlung zeigte, daß der Kampfes- und Siegesmur mehr auf