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Merl'crge zu Mr. 83 des Knzthcr^ers.
Neuenbürg, Donnerstag den 1. Juni 1893.
Zur Militärvorlage.
III.
Der Reformplan. Die neue Organisation der Vorlage verfolgt den doppelten Zweck, einmal die vorhandenen Schäden (Mangel an Friedensstämmcn, Zersetzung der Truppen bei der Mobilmachung, Ungleichheit der Dienstzeit bei den Fußtruppen) möglichst zu beseitigen und zweitens bei der abgekürzten Dienstzeit der Fußtruppen die Güte der Ausbildung, die Kriegstüchtigkeit des einzelnen Soldaten zu sichern, Die Vorzüge des genau durchdachten Planes beruhen nicht zum wenigsten darin, daß die Ausgleichsmaßregeln (Kompensationen) für die zweijährige Dienstzeit gleichzeitig dazu dienen, den anderen Zweck, die Heilung bestehender organisatorischer Schwächen zu erreichen.
Jedes Regiment soll ein 4, Bataillon zu 36 Unteroffizieren und 159 Gemeinen erhalten. Die vierten Bataillone bilden mit den zu ihnen gehörenden aktiven Offizieren für den Mobilmachungsfall einen festen Rahmen für die Aufstellung von Reserve- und Neuformationen, sie entlasten die Feldbataillone von den zersetzenden Abgaben an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften. Im Frieden entlasten sie die Feldbataillone von einer Reihe störender Nebengeschäfte (Ausbildung von Bolksjchullehrcrn, Oekonomiehandwerkern. Ordonnanzen, Burschen, Nachersatz, Uebungen des Beurlaubtenstandes) und erleichtern so eine ungestört fortschreitende intensive Ausbildung der Fußsoldaten in kürzerer Zeit.
Ferner sollen die Etats stärken der Truppen mit zweijähriger Dienstzeit erhöht, d. h. cs sollen die Jnfanteriebataillone, die Feld balterien und die Bataillone und Kompagnien der Spezialwaffen mit zweijähriger Dienstzeit der Kopfzahl nach stärker gemacht werden, um sie einerseits im Mobilmachungsfalle zu Abgaben an Neuformationen mehr zu befähigen und um andererseits in der Nekrutenausbildungszeit nach dem Wegfall des dritten Jahrgangs ihre Aus- rückestärke nicht zu schwach werden zu lassen.
Die Militärvorlage unterscheidet sich von jeder ihrer Vorgängerinnen seit dem Bestehen des Reichs dadurch, daß sie nicht blos der Zahl nach, sondern auch durch eine neue Organisation das Heer verstärken will. Dieser Gesichtspunkt ist im Anfang der Militärdebatten fast ganz unterschätzt und wird in manchen Kreisen heute noch nicht nach Gebühr gewürdigt. Die neuen organisatorischen Ideen, auf denen die Vorlage beruht, wie Vermehrung der Friedensstämme. Verjüngung der Feldarmee, intensive Ausbildung, gleichmäßige Verteilung der Militärlast, konnten erst allmählich in der öffentlichen Meinung siegreich Vordringen, und wer in den oft gehörten, von einem Blatt dem andern nachgesprochenen Tadel über die Einführung und Behandlung der Wehrfrage in die öffentliche Erörterung einzustimmen Lust verspürt, der mag vor Allem überlegen, wie schwierig es war und welche Vorsicht es erforderte, die bestehenden Mängel unserer Organisation offen darzulegen und gegen den übertriebenen Glauben an die unbedingte Vortrefflichkeit und lleberlegenheit unserer Einrichtungen anzugehen.
Durch die Ausführung des Reformplans wird erreicht:
1. DievolleAusnutzung der Wehrkraft. Es wird ganze Arbeit und der Schraube ein Ende gemacht. Frankreich kann uns das mit seiner geringeren Bevölkerung in der Zahl nicht nachthun.
2. Schleunigere und bessereMobilen a ch u n g als Folge der größeren Zahl der bei den Fahnen stehenden Streiter und als Folge der Errichtung von Re- fervekadres.
3. VcrjüngungderFeldarmee und Schonung der älteren Familienväter
und wirtschaftlich wertvolleren Kräfte. Die dann der Zahl nach viel stärkeren, im besten Kriegsalter stehenden Jahrgänge bis etwa zum 30. oder 32. Lebensjahre können ausrichten, was jetzt mit 14—17 Jahrgängen ausgerichtet werden müßte. Aus Punkt zwei und drei folgt
4. Höhere Stoßkraft des Heeres bei Beginn des Krieges und größere Ausdauer in der Kriegführung.
5. Erleichterung derpersönlichen Di en st l ast bei den Fußtruppen. Wegfall der Unbilligkeit, daß ein Tauglicher 3 Jahre, der andere 2 Jahre, der dritte nur Wochen oder Monate dient.
Württemberg.
Stuttgart, 24. Mai. Ständisches. Der Kammer der Abgeordneten sind im ganzen 11 Petitionen zugegongen, worüber der Bericht der volkswirtschaftlichen Kommission, deren Referent v. Leibbrand ist, ausgegeben wurde. Zur Kenntnisnahme beantragt die Kommission der Regierung folgende Eisenbahn-Petitionen zu überweisen: 1) um Erbauung einer normal- spurigen Eisenbahn von Kirchheim u. T. nach Oberlenningen im Lauterthal; 2) um Weiterführung der Eisenbahn von Münchingen durchs Schmiechenthal nach Schelklingen; 3) um Fortführung der Eisenbahn von Münsingen nach Laichingen; 4) um Verwilligung eines Staatsbeitrags zu einer Jagstlhal-Dampfstraßenbahn Möckmühl-Dörzbach; 5) um Erbauung einer schmalspurigen Eisenbahn von Mergentheim über Wachbach nach Dörzbach; 6) um Erbauung einer schmalspurigen Eisenbahn von Aalen beziehungsweise von Unterkochen nach Neresheim und Dischingen; 7) um Erbauung einer normal- spurigen Eisenbahn von Freudenstadt durch das Murgthal bis zur badischen Landesgrenze bei Schönmünzach zum Anschluß an die von badischer Seite in Aussicht stehende Fortsetzung der badischen Murgthalbahn von Gernsbach (Weißenbach) bis zur württem- bcrgischen Landesgrenze und 8) um Erbauung einer Eisenbahn von Biberach nach Ochsenhausen. Was 9) die Bitte um Erbauung einer Lokalbahn von Schussenried nach Buchau anbelangt, so beantragt die Kommission, die Regierung um Einbringung einer Vorlage über die Herstellung dieser Nebenbahn in thunlichster Bälde zu ersuchen. Nachdem der Versuch der Stadt Bönnig- heim, die Führung der Zabergäubahn über Bönnigheim zuwege zu bringen, als gescheitert zu betrachten ist, hat 10) der Abgeordnete Winter um Ausführung der Zabergäubohn von Laufen , a. N. nach Güglingen (wie cs der Vorschlag der Regierung bei der letzten Etats- bcratung war) petitioniert. Die Kommission ersucht nun ihrerseits die Regierung, in thunlichster Bälde eine solche Vorlage einzubringen. II) liegt eine Petition gegen die geplante Erbauung einer normalspurigen Sekundärbahn von Langenburg über Gerabronn nach Blau- felden vor. Die Petenten führen an, daß eine solche Teilstrecke ohne Weiterführung nach Rothenburg a. T. gar keine Rentabilität erwarten lasse und nnr zwei Gemeinden zu gut komme. Auch die Petition soll der Regierung zur Kenntnisnahme überwiesen werden
Stuttgart, 26. Mai Abgeordnetenkammer. Nachdem der Gesetzentwurf, betr. die Entlaßbarkeit untauglich gewordener Körperschaftsbeamten verschiedenemal von der Tagesordnung wieder abgcsetzt worden ist, gelangte derselbe heute endlich zur Beratung in erster Lesung. In der Generaldebatte nahm als erster Redner das Wort der Abgeordnete Untersee. Derselbe begrüßte die Einbringung des Entwurfs ; er streift die Frage der Abschaffung der Lebenslänglichkcit und meint sodann, was die Pensionsbcrechtigten der Köeperschaftsbeamten betrifft, wir werden, wenn dieselbe abgelehnt
wüide, nur noch minderfähige Leute in die Korporationsämter bekommen. Maurer ist hierüber anderer Meinung. Wir werden auch ohne Pensionsberechtigung tüchtige Korporationsbeamte bekommen; dagegen würde es große Unzufriedenheit und großen Mißmut bei der Bevölkerung Hervorrufen, wenn die Abgeordnetenkammer den Körperschaftsbeamten Pensionsberechtigung zubilligen würde. Die arbeitende Bevölkerung aller Klassen sei jetzt gerade an der Grenze der Leistungsfähigkeit angekommen und verwahre sich gegen weitere unnötige Belastung. Der Gesetzentwurf, betr. die Pensionsberechtigung der Körperschaftsbcamten wolle den Gemeinden 261000mehr als bisher aufladen. Redner bittet das Haus, den Entwurf kurzer Hand abzulehnen. Hartranft tritt als Vorstand des Vereins württemb. Gemeinde- und Korporationsbeamten warm für die Pensionsberechtigten ein und spricht dem Minister von Schmid Dank für die Einbringung des Gesetzentwurfs aus. Haußmann (Balingen) spricht gegen die Pensionsberechtigung.
Stuttgart, 30. Mai. In der Kammer der Abgeordneten haben heute die Abg. Schnaidt. Holzherr, Storz, Maurer, Rath, Wagner, Winter, Aldinger, Commerell. Kälber, Klaus, Conrad Haußmann, Hartmann, Friedrich Haußmann, Brodbek, Ehninger, Haigold, Rathgeb folgenden Antrag gestellt, Angesichts der allseitig anerkannten großen Not, welche zufolge der letzten Winter- und Frühjahrsfröste, hauptsächlich aber zufolge der anhaltenden Dürre dieses Frühjahrs bei den zahlreichen kleineren Bauern, Weingärtnern und bei den Feld- oder Weinbau treibenden Handwerkern teils schon vorhanden, teils im Entstehen begriffen ist, stellen wir den Antrag: Die Kammer der Abgeordneten wolle beschließen, an die königl. Staatsregierung die Bitte zu richten, geeigneten Orts darauf hinzuwirken, daß die für bevorstehenden Spätsommer geplanten Manöver des württ. Armeekorps unterbleiben oder wenigstens möglichst eingeschränkt werden. — Der Schluß der Landtagssession wird bestimmt am nächsten Samstag erfolgen. — Die Kammer nahm heute mit 61 gegen 17 Stimmen den Antrag Götz an, wonach die vorgeschlagene Steuererhöhung für das Jahr 1893/94 abgelehnt, für das Jahr 1894/95 aber bewilligt wird. Der Finanzminister behielt sich die Erklärungen der Regierung zu diesem Beschlüsse vor.
Stuttgart, 23. Mai. Eine für die zahlreichen Imker Württembergs interessante Entscheidung ist dieser Tage vom Reichsgericht getroffen worden. Ein süddeutscher Honigfabrikant hatte bis vor kurzer Zeit seinen von ihm fabrizierten „Schweizer Alpenhonig" zum Verkauf angepriesen. Sein Fabrikat wurde jedoch vom Landgericht einer Prüfung unterzogen, wobei es sich herausstellte, daß der gepriesene „Schweizer- Alpenhonig" aus Chile bezogen war, ein Kunstprodukt sei und 58 pCt. Glykose — aus Kartoffeln- oder Stärke-Zucker — enthalten, im übrigen aber aus einem Absud verschiedener Kräuter bestehe. Das Landgericht glaubte den Begriff „Honig" dahin definieren zu müssen, daß darunter der von den Bienen gesammelte Blütensaft zu verstehen sei und verurteilte den Honigsabrikanten zu 3 Wochen Gefängnis und 1000 Geldstrafe. Hiegegen legte der Honigfabrikant Revision beim Reichsgericht ein, weil nach seiner Ansicht der Begriff Honig vom Landgericht unrichtig definiert worden sei. Das Reichsgericht trat jedoch den Ausführungen des Angeklagten entgegen und trat dem Urteil des Landgerichts in allen Punkten bei.
Stuttgart, 29. Mai. In der vom Reichsgericht an die Strafkammer II. hier zurückverwiesenen Strafsache gegen den Redakteur des Beobachters Karl Schmidt und Bauschreiber Herrmann wegen Beleidigung des Hauptmanns Frhr. v. Varnbüler war auf 6. Juni neu6