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Der Bund derLandwirte erläßt einen »Miaufcuf. worin folgende Forderungen erbeben werden: 1. Erhaltung der jetzt bestehenden landwirtschaftlichen Zölle. Ablehn- aller Handelsverträge, welche dieselben berabzusetzen bestimmt sind; 2. Sperrung unserer Grenzen gegen die Einfuhr von Vieh aus verseuchten Ländern; 3. Entschädigung für die Berluste. welche die Landwirtschaft durch die von ihr nicht verschuldeten Verheerungen der Mul- und Klauenseuche erleidet; 4. Beschränkung des Börsenspiels mit de» wichtigsten Volks- nobrungsmittcln ; 5. Vereintachung der Unfallversicherung. des Alters- und Jnvaliditätsgesetzes io Bezug auf Verbilligung der Verwaltung und den Markenzwang; 6. Klärung und internationale Regelung der Währungsfrage.
ZZ Büchenbronn, 18. Mai. Gestern Abend '/-II Uhr brach in der Scheune des ledigen Goldarbeiters Heinz Feuer aus. Es brannten drei Wohnhäuser und drei Scheunen nieder. 8 Familien sind obdachlos. Die Gruu- bacher Feuerwehr hat im Verein mit denen von Pforzheim-Brötzingen und Dill-Weißenstein Nichtig gearbeitet.
Württemberg.
Stuttgart, 17. Mai. Abgeordneten- lammer. Mit Rücksicht auf die große Trockenheit. welche herrscht und die namentlich unter der kleinbäuerlichen Bevölkerung große Not hervorgerufen hat, richteten die Abgeordneten Frhr. v. Gültlingen und Genossen folgende Anfrage an die Minister des Innern und der Finanzen: 1. ob und welche Maßnahmen die Regierung zur Linderung dieser Not zu nehmen gedenke und 2. ob insbesondere der Finanz- ininister geneigt sei, Anweisungen zu geben zur Abgabe von Waldgras, sei es unentgeltlich oder gegen billige Entschädigung. Haußmann (Balingen) beantragte, diesen Antrag als einen dringlichen zu behandeln, was übrigens ohnehin geschehen wäre. Finanzminister v. Riecke will sich sofort mit dem Minister des Innern ins Benehmen setzen. Es könne jedoch vielleicht zur Beruhigung dienen, wenn er mitteile, daß er eine Anfrage, die sich auf die Abgabe von Waldgras beziehe, der Forstdirektion zu beschleunigter Beantwortung übergebe. (Beifall).
Wie schon mitgeteilt, sind auch in Württemberg die Borbereitungen zur Reichstags- wahl seitens der einzelnen Parteien in vollem Gang. Aber erst die sozialistische Partei hat für sämtliche Wahlkreise ihre Kandidaten nominiert, darunter für den 15. den „Schriftsteller" Dr. Josef Maier in Stuttgart, Kameral- verwalter a. D. Derselbe war lange Jahre hindurch Kammeralverwalter in Münsingen. Ernstlich in Betracht dürfte aber nur der sozia- Wsche Kandidat für den 1. Wahlkreis, Schreiner Kloß in Stuttgart, kommen. Sowohl von der Volkspartei als von der deutchen Partei sind noch nicht alle Kandidaten bekannt. Für den 1. Wahlkreis kandidiert namens der Deutschen Partei der bisherige Abgeordnete Geheime Kommerzienrat Siegle; die Volkspartei ist noch un- jchlüssig, ob sie Friedrich Haußmann oder den Regierungsrat a. D. Dieffenbach als Kandidaten im 1. Wahlkreis aufstellen will. Letzterer scheint überhaupt nicht mehr kandidieren zu wollen. Friedr. Payer hat nun die Kandidatur für den K. Wahlkreis (Tübingen) definitiv angenommen.
Stuttgart, 18. Mai. Heute Vormitta verunglückte das Gefährt eines Wirtsehepaare aus dem Oberamt Cannstatt, das in Stuttga: für eine bevorstehende Festlichkeit Einkäufe gl wacht halte, in der Nähe der Neckarbrücke bl Berg, indem, das Pferd vor einem Heranbrausei den Eisinbahnzug scheute und samt dem Gefühl w den Ncckarkanal sprang. Die beiden Eheleui wurden noch rechtzeitig vom Tode des Ertrinken gerettet, das Pferd blieb unbeschädigt, der Wage ; übel zugerichtet und die Waren läge m Wasser. Als die Frau nach einigen Minute wder zum Bewußtsein gebracht war, fragte si Mrst nicht nach ihrem Mann, sondern nai °em Champagner«. Mitleidige Fischer solle e Chagipagnerflaschen auch großenteils wiedk y ausgesischt haben, die anderen Vorräte Ware »Moren oder total verdorben.
Ein neuer Industriezweig in Stuttgart ist die von der Blumenfabrik P. Naschold hier, gegenwärtige Inhaberin Frau M. Ott. cinge- führte Konservierung von Pflanzen, namentlich Palmblättern jeder Art, wie sie zumeist zu Sarg- und Grabschmuck verwendet werden. Durch das von der genannten Fabrik angewendete Verfahren wird nicht sowohl das Verdorren verhindert, als vielmehr das Verdorrte wieder zur Frische gebracht, worauf die Blätter nach Wunsch der Besteller die grüne Naturfarbe behalten, in Gold, Silber, Kupfer bronziert werden oder Farben verschiedener Schattierung bekommen. Die Blätter werden damit zugleich glatt und fest und sind leicht zu reinigen, so daß sie schließlich den schönsten Zimmerschmuck bilden.
Glück im Unglück hat in der Sonntag- Nacht ein junger Mann in Stutigart gehabt, welcher außerhalb des Zimmers eingeschlafen war, nach dem Erwachen sein Zimmer aufjuchen wollte, jedoch statt der Thüre ein Fenster erfaßte und aus demselben einen Stock hoch herabstürzte, ohne jedoch Schaden zu nehmen; derselbe verspürte am anderen Morgen nur geringe Schmerzen und konnte seinem Geschäft ruhig nachgehen.
Cannstatt, 16. Mai. In verschiedenen Weinbergen hier — bevorzugte Lagen — sind seit einigen Tagen blühende Trauben (Trollinger und Sylvaner), auch reife Prestlinge zu finden.
Nürtingen, 14. Mai. Das hiesige Schullehrer-Seminar feiert in diesem Jahre sein 50- jähriges Jubiläum; hiesür sind der 24. und 25. August in Aussicht genommen. Mit dieser Feier soll unter Zustimmung der K. Oberschulbehörde und im Einverständnis mit dem Ausschuß des evangelischen Volksschullehrer-Vereins auch ein Lehrergesangfest im Zusammenhang mit der musikalischen Aufführung des Seminars in der Stadlkirche verbunden werden. Im Anschluß an dieses Jubiläum wird der evangelische Volksschullehrerverein seine Plenarversammlung ebenfalls in Nürtingen halten, und zwar am 26. August.
Backnang. Dieser Tage wurden vier junge Burschen aus Murrhardt eingeliefert, welche am Himmelfahrtsfest an einer, einsam im Walde stehenden Sägmühle nicht unbedeutende Sachbeschädigungen.anrichteten, indem sie mir vandalischer Zerstörungswut die Fenster einwarfen, die Dachplatten zertrümmerten und mit schweren Steinen die Wände einzurennen versuchten. Die jungen Frövler haben eine strenge Bestrafung zu gewarten.
Anstand.
Im Prager Landtag kam es in der Sitzung vom 15. Mai wieder einmal zu einer jener Skandalszenen, welche die Jungczechen meisterhaft zu arrangieren wissen. Als die Errichtung eines Kreisgerichts in Trautenau auf die Tagesordnung gesetzt wurde, erhoben sich die Jungczechen, stampften mit den Füßen, hoben drohend die Fäuste und schrieen: „Das ist Gewaltakt!« und ruhten nicht eher, als bis der Punkt wieder von der Tagesordnung abgesetzt wurde. Es herrschte ein entsetzlicher Lärm, in dem niemand zum Worte kommen konnte.
Mit gleichsam verhaltenem Atem lauschen die Franzosen auf die in Deutschland hörbaren Stimmen gegen die neue Militärvorlage. Unsere westlichen Nachbarn sind klug genug, ihre eigenen Meinungen zurückzudrängen, um den Patriotismus derjenigen Deutschen, die seither gegen die Militärvorlage waren, nicht wach zu rufen. Doch gestehen die französischen Blätter ohne Weiteres zu, daß Frankreich das größte Interesse daran habe, daß die deutsche Heeresvermehrung nicht zu stände komme, weil die Franzosen trotz aller Geldaufwendungen nicht mehr Leute ausheben könne als bisher. Man kann es ihnen auch nicht verargen, wenn sie ihre Chancen im Falle eines Krieges mit Deutschland, den sie so sehnlich herbeiwünschen. nicht verschlechtert wissen wollen. — Die Franzosen sind in großer Sorge vor den Anarchisten, welche neuerdings wieder Dynamitbomben anferligen. Eine derartige geheime Fabrik wurde rechtzeitig
entdeckt. — Der ungemein herzliche Empfang des aus Dahomey zurückgekehrten siegreichen Generals Dodds in Marsaille und ebenso in Paris hat einen Teil der republikanischen Presse Frankreichs geängstigt. Die guten Leute fürchten, Dodds könnte ein 2. Boulanger werden, wozu aber dieser offenbar keine Neigungen hat.
Paris, 17. Mai. Das „Echo de Paris« meldet: In Belford, Epinal, Nancy u. anderen Grenzstädten befinden sich gegenwärtig überaus zahlreiche Elsaß-Lothringer, die nach fünfjähriger Campagne in Algerien, Tonking und Dahome zurückgekehrt, von allem entblößt und in großem Elend sind.
New-Iork, 18. Mai. Nach Meldungen aus Ohio herrscht dort seit Sonntag ein heftiges Unwetter. Ein Transportschiff und zwei Schovner sind auf dem Eriesee unlergegangen; man befürchtet, daß auch noch andere Fahrzeuge Schiffbruch gelitten haben. Soweit bekannt, sind 12 Personen tot Verschiedene Viadukte sind infolge von Ueberschwemmungen unpassierbar. mehrere Gebäude und Schuppen sind in Clevcland zerstört. Der Mahonina und andere Flüsse sind ausgetreten, der Eriesee ist außergewöhnlich hoch. Die Feuerwehr ist fortgesetzt mit Reltungsarbeilen beschäftigt. Die Eisenbahnverbindungen sind unterbrochen. Aus verschiedenen Orten Pennsylvaniens werden Ueberschwemmungen gemeldet.
Unterhaltender Heil.
C l e m e n t i n e.
Eine Pfingst-Erzählung von Erich zu Schirfeld.
(Fortsetzung.^
(Nachdruck verboten.)
Großvater Berkwitz war sehr erfreut, als sein Schwiegersohn mit Philipp auf Grünau anlangte. „Nun kannst Du nach Herzenslust herum toben, mein Junge,« sagte er, „und den Straßenstaub der Großstadt aus der Brust herausjagen. Unser alter Gärtner weiß viele Vogelnester im Park, die soll er Dir zeigen, Du darfst sie aber ja nicht anrühren.« Des Knaben Augen glänzten vor Vergnügen und eingedenk der Bitten seiner Frau hielt es Hellmuth für nötig, der Aufmunterung des Großvaters einige Worte der Warnung hinzuzufügen. Namentlich verbot er ihm, dem Teich zu nahe zu kommen und allein in den Wald zu laufen. Damit glaubte er seine Schuldigkeit gethan zu haben, denn weitere Gefahren gab es hier nicht und außerdem war ja der alte Gärtner, der den Knaben von seinem ersten Jahre an kannte und sich gern mit ihm beschäftigte, fast fortwährend bei ihm.
Der Großvater hielt nach dem Mittagsmahl seine gewohnte Siesta, Philipp war bei dem Gärtner im Park und Sarrow stieg in das alte bekannte Zimmer empor, welches für die Familie allezeit bereit stand. Er öffnete die Fenster und ließ seine Blicke hinausschweifen über den Garten und zum Park, der im Frühlingssonnenschein im frischen Laubgrün und bunten Blütenschmuck prangte. In den Lüften nah und fern zwitscherten und sangen die Vögel und dazwischen klang das Helle Lachen seines Knaben. Hellmuth fühlte sich so frei, so wohl, so sicher wie lange nicht. Ein lebhaftes Gefühl der Lebensfreude überkam ihn, so daß er dem Drange, in den Gesang der Vögel einzustimmen, nicht widerstehen konnte. Er nahm seine treue Begleiterin, die Flöte, aus dem Koffer und ließ die Töne hinaufjchweben zum blauen Himmel. Plötzlich brach er jäh ab und die Flöte entsank seiner Hand. Er lauschte. War das der Schrei eines Menschen, der so schrill vom Park herüber gellte? Sollte . ? Der Atem stockte ihm in der Brust und bebend flog er hinaus, dem Park zu. Auf halbem Wege kam ihm der alte Gärtner entgegengestürzt.
„Herr.« rief er. „ein entsetzliches Unglück! Aber ich bin unschuldig, so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde. In einem hohen Baume entdeckte des Knaben scharfes Auge ein Nest, das ich ihm absichtlich nicht gezeigt hatte. Ehe ich's hindern konnte, kletterte er wie ein Eichhörnchen hinaus, immer höher. Mit einem