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Mei5crge zu Mr. 52 des HnzEü^ers.
Neuenbürg, Mittwoch den 5. April 1893.
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
— Neuenbürg, 1. April. Am Gründonnerstag den 30. März hielt der landw. Bezirksverein eine zahlreich besuchte General- Versammlung im Gasthaus zum „Löwen" in Salmbach ab. Der stellvertretende Vorstand, Hr. Oberamtsverweser Maier, eröffnet? die Verhüllung mit einer kurzen Ansprache und hieß die Anwesenden herzlich willkommen. Hieraus wurde sofort in die Tagesordnung eingelreten und zunächst das Ergebnis der Vercinsrechnung für das abgelaufene Jahr durch den Kassier, Oberamtstierarzt Böpple, vorgetragcn Einwendungen hiegegen wurden nicht erhoben, weshalb die Versammlung dem Rechner Decharge erteilte. Vercinssekretär Kübler erstattete alsdann den Rechenschaftsbericht für das Jahr 1892. Dieser Bericht wurde auf Veranlassung der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft erstmals aus eine ziemlich breite Grundlage gestellt und beschränkte sich nicht blos auf die engere Wirksamkeit des Vereins, sondern es wurden auch alle die wohlthätigcn Einrichtungen, die zur Förderung der Landwirtschaft im Bezirk bestehen, einer näheren Beleuchtung unterzogen. Auf die Einzelheiten des Berichts einzugehen, würde heute zu weit führen, wir behalten uns aber vor, später darauf zurückzukommcn. Im Anschluß an den Rechenschaftsbericht wurden verschiedene Wünsche vorgebracht. Der Herr Vorsitzende empfahl nach- drücklichst die Einrichtung von Ortslesebibliothcken und munterte zur Benützung der Vereinsbibliothck, die so viel Interessantes biete, auf. Ein Antrag des Schullehrers Weiretcr —Engelsbrand auf Veröffentlichung eines Katalogs über die Vereins- Bibliothek wurde zum Beschluß erhoben. Schultheiß Wagner—Salmbach sprach über die Darlehenskassen und Vichversichcrungs-Vereine. Bei Letzteren bemängelte der Redner insbesondere die unzweckmäßige und in vielen Gemeinden recht ungerechte Verteilung der Lasten und brachte die Ausstellung eines Normalstatuts durch den Verein behufs Durchführung einer Reform in Anregung. Müller Bätzner—Birkcnfeld brachte die große Streunot zur Sprache und sprach den Wunsch aus, der Verein möchte sich um Abgabe von Waldstrcu aus Gemeinde- und Staatswaldungen verwenden, was der Hr. Vorsitzende auch zusagte. Die Erörterung der Frage der Meheinkaufs-Verhültnisse und dcs immer mehr überhand nehmenden Judcnhandels mit all seinen auhängenden Schäden rief eine ziemlich lebhafte Debatte hervor. Der Viehhandel liegt nämlich in unserem Bezirk fast durchweg in den Händen von Händlern und vorwiegend Juden. Der Handel vollzieht sich meist im Umherzichen und an einigen Orten (Loffenau, Ottenhausen)- gehen jüdische Händler sogar soweit, an bestimmten Wochentagen Vichverkäufe in größerem Maßstab zu veranstalten. Diese Gestaltung dcs Vieh- Handels ist die Quelle vieler Mißstände und Unzuträglichkeiten und die im hiesigen Bezirk fast gar nie mehr erlöschende Maul- und Klauenseuche hat ihre Ursache wesentlich in dieser Gestaltung des Zwischenhandelns. Es ist beschämend für die Bewohner des Bezirks und mehr noch für diejenigen der betreffenden Gemeinden. wenn sic zu ihrem eigenen Schaden selbst noch dazu beitragen, eine solche Mißwirtschaft cinzubürgern. Es ist den Käufern noch nie zum Vorteil geraten, wenn sie sich mit gewissenlosen Händlern eingelassen haben. Daß man es aber thalsächlich mit gewissenlosen Händ- lcrn zu thun hat, davon kann sich jeder persönlich überzeugen, wenn er die Schundware betrachtet, die den Leuten aufgehalst wird, und wenn er die Vorgänge beim Handel selbst mit vnsteht. Die Verkäufe werden in der Regel im Wirtshaus abgeschlossen; zuerst werden die Liebhaber mit geistigen Getränken gehörig reguliert, dann erscheinen die gedungenen Schmuhser, Leute aus dem eigenen Ort oder aus den umliegenden ^rten, verkommene Kreaturen, die ihre verächt
lichen Dienste in ganz abscheulicher Weise zu Gunsten der Händler ausüben. Diese traurigen Zustände haben dem Vereins Ausschuß Veranlassung gegeben, die Frage zu erwägen, wie denselben erfolgreich entgegen zu arbeiten wäre. Als Mittel zur Bekämpfung wird vorqeschlagen, eine energische Agitation in Wort und Schrift, die in erster Linie von den Gcmeiudeältesten ausgehcn sollte, um den Leuten klar zu machen, auf welch schiefer Ebene sie sich befinden. Ein anderer Vorschlag geht dahin, der Verein selbst solle von Zeit zu Zeit einen Transport schöner Zuchtkühc der gewöhnlichen Landrassen — sei es auf Märken oder auf dem Land — auskaufen und in diu Bezirk einführen lassen, auch solle sich der Verein die nötigen Geldmittel verschaffen, um die Viehkausschillinge unter Umständen auch anborgeu zu können. Diese Vorschläge fanden den Beifall der Versammlung und es wurde der Vereinsausschuß beauftragt, sofort die nötigen Schritte einzuleiten, um noch im Laufe des Frühjahrs einen Viehtransport einsühren zu können. Wir wollen nicht unterlassen, sämtliche Interessenten jetzt schon auf dieses Unternehmen aufmerksam zu machen und ihre Blicke darauf zu richten. Ein weiterer Punkt der Tagesordnung bildete die Beratung des Etats pro 1893. Die Einnahmen wurden auf 2211 vkL, die Ausgaben auf 2090 ^ fcstgestcllt. Zum Besuche der deutschen landwirtschaftlichen Ausstellung in München im Juni d. I und des landw. Haupt- festes in Cannstatt im September d. I. wurden Reisikostenvergütungen ousgesetzt. Herr Land- wirtschaftsinspeklor Dr. Wiedersheim von Reutlingen hielt einen Vortrag über die Grundsätze der staatlichen Rindvieh-Prämierungen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für unsere Rindviehzucht. Einleitend bemerkte Redner, daß dieses Thema ein sehr zeitgemäßes sei und ging dann über zur technischen Seite dieser Prämierungen. Die letzteren seien ein Glied in der langen Kette der staatlichen Fürsorge für die Landwirtschaft und cs sei erfreulich das hohe Interesse, das Regierung und Landstände auf dem Gebiet der Landwirtschaft bethätigen. Zur Verwendung für die Rindvieh-Prämierungen allein sei eine Summe von jährlich 100 000 ^ zur Verfügung gestellt. Anerkennung verdiene die Einführung eines einheitlichen Systems für die Prämierungen gegenüber dem früheren verschiedenartigen Verfahren in den verschiedenen Gegenden dcs Landes. Das jetzige System der Prämierung sei dem badischen System angepaßt und Baden habe seine Viehzucht durch dasselbe auf eine ziemlich hohe Stufe der Blüte gebracht, während Württemberg gewissermaßen stehen geblieben sei. Unsere Viehzucht sei also durch Baden thatsächlich überflügelt gewesen. Daß übrigens auch die württembergische Viehzucht auf einer ziemlich hohen Stufe stehe, beweise das Ergebnis der deutschen landw. Ausstellung in > Straßburg, wo Württemberg recht schöne Erfolge zu verzeichnen gehabt habe. Der geeigneste Viehschlog für die kleinbäuerlichen Verhältnisse in Süddeutschland sei die Simmenlhalcr Rasse, weil dieselbe im Zug wie in der Nachzucht und im Nutzen gleich vorteilhaft sei und allen anderen vorangehe. Das bei den Prämierungen in Württenberg zur Anwendung kommende Messungs-Verfahren sei das vom Badenser Lydthin ins Leben gerufene Pointieruugssystem, welches eine genaue Abschätzung der einzelnen Körperteile dcs Viehes ermögliche und die sichersten Anhaltspunkte für die Beurteilung eines Tieres abgebe. Als Grundlage für die Messung diene die Bughöhe. Mit dieser Bughöhe berechne man für die übrigen Körperteile eines normal gebauten Tieres folgende Maße: Rückenhöhe 3—4 cm tiefer, Kreuzhöhe höchstens 4 cm höher, Schwanzhöhe höchstens 10 cm höher, Brusttiefe mindestens die Hälfte, Brustbreite mindestens ein Drittel, Beckenbreite mindestens ein Drittel. Die durch diese Messungen sestgestellten Zahlen und Unterschiede bilden
dann die Grundlage für die Aufstellung der Tiere zur Prämierung. Außerdem seien noch besondere Vorzüge der Tiere mitbestimmend. Für die Prämierung seien vier Klassen festgestellt. Die Preise bewegen sich für Farren von 140 sür weibliche Tiere von 120 abwärts. Die Zahl der zur Vergebung kommenden Preise richte sich nach dem Gcsamlviehstand eines Bezirks. Die Beurteilung der im Vorjahr zur Prämierung ausgestellten weiblichen Tiere sei etwas mild gewesen. cs werde eben später eine strengere Beurteilung platzgreifen; dagegen sei die Beurteilung der Farren schon das erstemal eine strenge gewesen, weil man eben davon ausgehe, daß die männlichen Zuchttiere die beste Grundlage für eine rationelle Viehzucht bilden. Die Farren- haltungen ließen zwar immer noch viel zu wünschen übrig und es sollte von allen hiezu berufenen Organen, namentlich aber von der Farrenschau auf ein besseres Material mit Nach- druck hingewirkt werden. Redner empfahl die Uebernahme der Farrenhaltungen in eigene Regie und so lange dies nicht durchgeführt sei, eine kräftige Unterstützung durch die Gemeinden. Insbesondere sollten zum Ankauf schöner Tiere Beiträge ausgesetzt werden. Schließlich wies Redner noch auf die dermalige ungünstige Lage der Landwirtschaft hin, die überall das Bestreben zur Hebung der Viehzucht hervortreten lasse. Die gegenwärtige, durch ganz Deutschland gehende Bewegung der Bauern sei lediglick ein Ausdruck der Notlage der Landwirtschaft und richte sich namentlch gegen den Abschluß dcs deutschrussischen Handelsvertrags, der überhaupt nur ans Kosten der Landwirtschaft möglich sei. Durch die bisherigen Handelsverträge sei der Landwirtschaft ohnedies schon ein großer Teil des unentbehrlichen Schutzes, den sie vorher besessen habe, genommen worden, während sie anderseits der Industrie nicht das gebracht hätte, was erhofft wurde. Wenn die gegenwärtige Handelspolitik Deutschlands in ihrer neuen Bahn fortfahre, werde die Landwirtschaft schlechten Zeiten entgegengehen, weil eben der Getreidebau kaum mehr rentiert. Aus diesen Verhältnissen könne immerhin die Viehzucht gewissermaßen als Rettungsanker herausbelfen, weshalb dieselbe künftig noch mehr zu pflegen sei als bisher. Dabei sollte eine größere Stabilität in dem Besitzstand schöner Tiere eintreten, weil sonst die Opfer nicht ausgewogen werden, in welcher Beziehung insbesondere die Viehzuchtgenossenschasten einwirken sollten. Mit einem kräftigen Appell an die anwesenden Landwirte, der Viehzucht ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und die gegebenen Anregungen zu beherzigen, schloß Redner seinen lehrreichen Vortrag. Reicher Beifall lohnte den Redner, dem der Herr Vorsitzende in herzlichen Worten sofort Ausdruck verlieh. Stadtschultheiß Bätzner von Wildbad sprach sich in längerer Rede > im Allgemeinen zustimmend zu den Ausführungen des Vorredners aus, nur bezüglich des russischen Handelsvertrags betonte er seine abweichende Meinung, indem er sich im Interesse der Industrie für denselben aussprach. — Als letzter Punkt der Tagesordnung wurde noch die Vorstandswahl erledigt. Diese Wahl konnte natürlich nicht schwer fallen angesichts der Thatsache, daß der Verein seit seiner Gründung die Ehre hatte, von den Herren Oberamtsvorständen geleitet zu werden, wie denn auch der bisherige Vorstand, Hr. Regierungsrat Hofmann sich um den Verein ganz außerordentlich verdient gemacht hat. Der dermalige Oberamtsverweser, Herr Assessor Maier war 5 Jahre an der landwirtschaftlichen Akademie in Hohenheim thätig und ist daher mit den Verhältnissen der Landwirtschaft vertraut. Mehrere Redner schlugen die Wahl dieses Herrn durch Acelamation vor, die alsdann durch die Versammlung einstimmig und mit großem Beifall erfolgte.