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Unterhaltender Heil.
In der Irre.
Eine Ostergeschichte von Erich zu Schirseld.
(Nachdruck verboten.)
(Schluß.)
Dieser Vorgang hatte zunächst nur die eine Folge, daß der Müller wegen seiner Niederlage von den Burschen und Mädchen gehänselt wurde. Sein Geselle, der unbemerkt Zeuge seiner Niederlage gewesen war. hatte geplaudert. Er selbst strafte Lore mit Verachtung. Wer es erfahren hat, der findet nichts Besonderes darin, daß sich die Gunst der Menschen über Nacht in Ungunst verwandeln kann, man erlebt es ja so oft. Die Frau des Schmieds aber konnte es nicht fassen, weshalb man ihr auswich und nicht mehr mit ihr zu thun haben wollte. Sie war arbeitsam, fleißig, bescheiden, trat keinem Menschen zu nahe, und trotzdem sah sie sich gemieden, sodaß die Sorge um das tägliche Brot ansing, leise an ihre Thür zu pochen. Was sollte werden, wenn ihr auch die letzten Hilfsmittel entzogen wurden? Sie fragte sich, ob der Mann, der sie verlassen und sich nicht mehr um sie gekümmert hatte, fernerer Aufopferung noch wert sei und ob sie nicht am Ende doch besser thue, sich nach einer andern Hilfe umzusehen. Wie würde der Müller gejauchzt haben, wenn er hätte sehen können, wie in dem Herzen der Frau die stolze Sprödigkeit zu weichen begann. Dieser Triumph
— er war sein Werk. Die Leute flüsterten es sich zu, daß es mit Lore's Tugend nicht weit her sei. Der Müller nährte die Schlange der Verleumdung vorsichtig und klug. Er verfolgte seinen eigenen Plan und gedachte einen Streich zu vollführen, der das begehrte Weib in seine Hand geben mußte. —
Der Winter war vergangen. Zart schimmerte das erwachende Grün auf den Feldern und im Gebüsch. Morgen war Ostern! Wie vor fünf Jahren prangten die Straßen des Dorfes in festtäglicher Sauberkeit und freudig schauten die Menschen dem nahenden Lenz entgegen. Nur Lore war traurig und dachte zagend an die Vergangenheit und die Zukunft. Ihr Leben lag wie tot und abgestorben hinter ihr. Sollte kein Ostermorgen sie zu neuem Dasein rufen? Der volle Mond leuchtete in ihr kleines Gemach. Die Helle that ihren verweinten Augen weh. Sie ging in die Schlafkammer und beugte sich über das Bett ihres schlummernden Kindes. Wie heiter es im Traum lächelte! Ach. es kannte den Jammer des Lebens noch nicht. Die Fenster stehen offen. Wird die Nachtluft dem Kinde nicht schaden? Doch die Luft ist so mild, so weich! Sie blickt hinaus in den Garten, der vom Mondenglanz fast taghell beleuchtet ist. Weit kann man freilich nicht sehen, ein großer Lindenbaum wirft seinen Schatten weit hinaus.
— Ob sie nicht doch lieber das Fenster schließt?
Sie tritt demselben einen Schritt näher und schrickt zurück. Regte sich dort nicht etwas? Jetzt ein Kopf, ein Arm, ein ganzer Oberkörper
— und im nächsten Augenblick steht ein Mann vor ihr, er, — der Müller. Sie will schreien, doch das Entsetzen schnürt ihr die Kehle zu. „Keinen Laut," zischle er, „oder Du bist verloren." „Da wären wir ja nun, trotz Alledem! — Lore! Sei gescheidt und jmach' keine Dummheiten. Willst Du mein sein? Ja oder Nein! Besinne Dich. Sagst Du „nein," so steig' ich hier zum Fenster auf die Straße hinaus und ich habe dafür gesorgt, daß es Andere sehen. Bist Du aber vernünftig, dann
— ich schwör' es Dir, — dann sollst Du's nicht bereuen." Ohnmächtig stand sie da und starrte ihn an. Wo war ihr Mut, ihre Entschlossenheit, ihre Kraft geblieben? Dahin, dahin, erloschen, gestorben wie ihr Glaube, ihre Hoff- nung. — „Du willst, Du bist. mein. Lore, mein!" jauchzte er und wollte sie umarmen. Da tauchte ein Schatten vor dem Fenster auf und dann noch einer. Lore fuhr wie aus einem schweren Traum erwachend empor, stieß den Unhold von sich und „Hilfe! Hilfe!" gellte ihr Schrei in die Stille der Nacht hinaus. Schierig lachte heiser. „Du willst es also nicht besser," rief er, „so trage denn den Schimpf und die
Unehre, ich wasche meine Hände in Unschuld." — Er riß das Fenster auf und sprang laut lachend auf die Straße.
„Holla, wen haben wir da?" rief in diesem Augenblick draußen eine Stimme und zwei starke Fäuste packten den Müller. „Schierig! Du?" Dieser stieß einen Schrei aus. „Die Toten stehen auf," rief er zitternd, „Gnade, Gnade!"
Der Klang der fremden Stimme dort draußen dnrchdrang Lore's Herz wie Glockenklang. „Martin," jauchzte sie an's Fenster stürzend, „Du lebst, Du kommst wieder, Du hast mich von dem Schicksal befreit O Gott, ich danke Dir, nun wird Alles wieder gut!"
Und draußen wimmerte derMüller: „Gnade, Gnade!"
Der Fremde hob ihn in die Höhe nnd schleuderte ihn weit fort auf den Erdboden. „Hinweg mit Dir." rief er, „die Abrechnung soll Dir nicht erspart werden, aber diese Stunde will ich nicht entweihen." Leute aus dem Dorf hatten sich, von dem Lärm angelockt, eingestellt, und führten den stöhnenden Müller fort. Martin aber ging in das inzwischen geöffnete Haus zu seinem Weibe, das ihm weinend an die Brust sank.
„Du Arme," sagte er mit bebender Stimme, „was wirst Du erduldet haben. Lore, Lore Wirst Du mir jemals vergeben können? Ich habe schlecht gehandelt, wie ein Schulbube, in kindischem Eigensinn an meinem Wort von damals, daß ich nur als reicher Monn zurückkehren wolle, festgehallen, und nun. nun bin ich doch wieder bei Dir als ein Armer. O. mein braves Weib, rede, wirst Du mir vergeben und vergessen können, was ich Dir gelhan?" Sie lächelte ihn schmerzlich an. „Ich habe es mir wohl gedacht," sagte sie, „daß es so kommen würde. Aber ich habe Dich ja wieder und so ganz arm sind wir nicht. Ich habe das Geld von damals zur Sparkasse getragen, es ist nicht weniger geworden. Was ich gebrauchte für mich und das Kind, das Hab' ich verdient, ich halte ja das Arbeiten noch nicht verlernt."
„Lore!" jauchzte er und hob sie in die Höhe, „Lore, herrliches Weib, wie soll ich Dir das jemals vergelten! Aber sei unbesorgt, auch ich bin nicht so ganz arm." Ich habe mein Wort ganz erfüllt und als bemittelter Mann 'ehre ich zurück. Sauer genug ist's mir freilich geworden, aber es hat mir doch Gewinn ge- bracht, und nicht nur an Gold, sondern auch an Charakter. Siehst Du, Lore, dort draußen in dem sogenannten freien Lande habe ich erst erkennen und schätzen gelernt, was ich hier verachtete. Mein liebes, herrliches Deutschland, mein einziges Vaterland! Und noch Eins habe ich erfahren: daß das Glück überall wohnt, wo man mit Ernst und Fleiß seine Pflicht thut. Was einst in diesem dummen Schädel rumorte, das ist drüben geblieben in der andern Welt. Bon jetzt ab soll ein neues, schönes Leben beginnen." — Dann erzählte er, wie er Tag und Nacht gereist sei, gerade zum Ostermorgen daheim zu sein und wie er sich vom Nachtwächter habe zu ihr bringen lassen; was er Alles erlebt im rcmden Lande unter den fremden Menschen und wie selig er sei, wieder daheim zu sein. Und ie wurde nicht müde, ihm in'S Auge zu sehen und seinen kraus durcheinander geworfenen Reden zn lauschen, bis der Morgen graute. —
Die Sonne stieg rosig empor nnd die Morgenglocken läuteten das Fest ein, das Osterfest
Und dankbar blickten zwei Menschenkinder zum Himmel empor, zu dem allgütigen Vater, der sie nach der dunkeln Nacht der Irrungen und Leiden aufcrstehen ließ zu einem neuen, glücklichen Dasein.
Ragnit an der Memel, 6. März. Den merkwürdigen Lebenslauf eines hundert» jährigen Patriarchen erzählt die „Kreuzzeitung" wie folgt: Sein hundertstes Lebensjahr vollendete heule der Ehrenbürger unserer Stadt, Rentner v. Bachr. Er hieß ursprünglich Neumann. Am 6. März 1793 zu Ragnit als Sohn der Neumann'schen Eheleute geboren, erlernte er in Memel das kaufmännische Gewerbe. Im Jahr 1808 trat er beim Militär, und zwar bei den
Pionieren ein, war bei der Verteidigung des Brückenkopfes in Danzig und machte die Befreiungskriege mit. Während der Militärzeil vermochte er seiner Neigung z» kartographischen Arbeiten größeren Raum zu geben, und es erfolgte nach kurzer Zeit seine Beförderung znn, Offizier. Die Ausbildung in der Kupferstcch- kunst verschaffte ihm Anstellung bei der Landesausnahme, und bei den hierbei nötigen Reisen gewann er das Herz einer Gräfin Solms, mit der er sich verheiratete. Leider zerriß der Tod bald dieses Band. Die Mutter der Verstorbenen adoptierte hierauf den Schwiegersohn und dieser wurde unter dem Namen v. Baehr geadelt. Später verheiratete sich Herr v. Baehr mit einer anderen adeligen Dame und siedelte nach Halle an der Saale über, wo er sich vorwiegend mit der Leitung kartographischer Arbeiten beschäftigte, bei der Herstellung von topographischen Karten !
für das Brockhaus'sche Konversationslexikon mit- !
wirkte und vielfach im Interesse der topo- ^
graphischen Landesaufnahme thätig war. Auch !
unterhielt er regen Verkehr mit Männern wie Alexander v. Humboldt u.s.w. Im vorgerückten j Lebensalter kehrte Herr v. Baehr nach seiner Geburtsstadt Ragnit zurück, wo er im Kreise einiger Töchter in seltener Rüstigkeit und Frische seinen Lebensabend verbringt, geachtet und geehrt von jedermann. Im Jahre 1882 verlieh ihm die Stadt das Ehrenbürgerrecht.
(Ein Monstreprozeß). in welchem gegen 4000 Verklagte zu verhandeln ist, spielt sich gegenwärtig vor dem Amtsgericht I zu Berlin ab. Der Prozeß bildet ein Nachspiel zu den Zwistigkeiten zwischen Vorstand und Mitgliedern des Vereins „Zukunft". Bekanntlich ist ein großer Teil der Letzteren ans dieser Kasse aus- geschieden, ohne die Vercinsbeiträge für den Monat des Austritts zu zahlen. Gegen diese Personen, 4000 an der Zahl, hat der Vorstand die Klage erhoben und seit etwa 3 Wochen wird vor dem Amtsgericht I. in Sachen „Zukunft" contra Mitglieder, und zwar jedesmal summarisch gegen 25—100 Personen, verhandelt.
Die Kosten des Riesenprozesses hat zum größten Teil der Verein „Zukunft" zu tragen, da die von demselben gestellten Forderungen meist zu hoch sind und die Verklagten sich ohne weiteres zur Zahlung der ursprünglich und gesetzlich normierten Beiträge bereit erklären.
(kar äistaneo.) „Wie — Sie stehen mit Ihrem Schwager nicht auf gutem Fuß?" — „„Unsere Beziehungen sind sehr gespannt, wir reden miteinander nur per Telephon!""
Die vierten Wataissone.
Es streiten sich die Leute um Die vierten Bataillone,
Der Eine nennt die Sache „dumm"
Der Andere „nicht ohne".
Der Eine meint, daß es den Stamm Des Regimentes schone,
Der Andere sagt: „Es sind ein Schwamm Die vierten Bataillone".
Der Eine spricht: „Die Lahmen nur Steckt man hinein zum Hohne".
Der Andere: „Nehmt den Namen nur:
Die vierten Bataillone".
Der spricht: „Es hat sür die Reform Erklärt sich auch die Krone."
Und Der: „Die Kosten sind enorm Der vierten Bataillone".
Bewilligt hat schon die Partei,
Die nahe steht dem Throne,
Wenn auch nicht ohne Schmerzensschrei,
Die vierten Bataillone.
Zu'n Nationallibralen spricht Bennigsen-Cicerone:
„Geht in Euch und versaget nicht Die vierten Bataillone".
Im Turm des Zentrums gelten noch Windthorst's Resolutionen —
Und zugeneigt ist Mancher doch Den vierten Bataillonen.
Herr Richter spricht: „Fest bleibt Ihr stehn! Bewilligt nicht die Bohne!"
Herr Hinze seufzt: „Sie war'n doch schbn,
Die vierten Bataillone".
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.