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erläge zu Wr. 5o des Knzthülers.
Neuenbürg, Donnerstag den 30. März 1893.
Deutsches Keich.
Wann ist der Anspruch auf Invalidenrente begründet? Das Reichsversicherungsamt hat neuerdings entschieden, daß der Anspruch aus Invalidenrente nur dann begründet ist, wenn der Versicherte nicht nur in seinem Beruf, sondern überhaupt durch irgend welche seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechende Lohnarbeit den a. a. O, näher bestimmten Lohnbetrag nicht mehr zu verdienen vermag. Bei Prüfung dieser Frage sind allerdings die individuellen Kräfte und Fähigkeiten insofern nicht ohne Bedeutung, als es nicht angchen würde, den Rentenbewerber auf eine Thätigkeit zu verweisen, die er mit den ihm zu Gebote stehenden Kräften und Fähigkeiten zu leisten offenbar außer Stande ist. Ferner hat das Reichsversicherungsamt entschieden, daß unter der „dauernden" Erwerbsunfähigkeit nur eine solche verstanden werden kann, deren Beseitigung in absehbarer Zeit nach menschlicher Voraussicht nicht möglich ist.
Von dem Vorsitzenden des Rheinisch-n Hauptvereins der Gustav-Adolf-Stiftung, Pastor Terlinden in Duisburg, angeregt, sind seit 2 Jahren im evang. Deutschland Sammlungen zum Bau einer Lutherkirche in Rom im Gange, die bis jetzt 119446 ergeben haben.
Die „Bad. Korr." teilt mit, daß die Pläne für die Murgthalba hn im wesentlichen fertig gestellt sind, die Verhandlungen zur Offenlegung derselben werden demnächst statlfinden. Schwierigkeiten ergeben sich nur hinsichtlich der Abzweigung von der Station Gernsbach durch die Gemarkung Gernsbach, doch sind in dieser Beziehung Verhandlungen im Gange, die voraussichtlich bald zum Ergebnis führen werden, so daß in einigen Wochen mit dem Bau der Bahn wird begonnen werden können. — Für die Bahn von Etten Heimmünster an den Rhein ist das Projekt aufgestellt; die Pläne werden demnächst geprüft und der Bau sodann so rasch gefördert werden, daß die Bahn noch im Laufe dieses Jahres fertig gestellt werden kann.
Württemberg.
Se. Maj. der König hat den Revisor bei dem Verwaltungsrat der Gebäude - Brandversicherungsanstalt Konzlcirat Braun seinem Ansuchen entsprechend in den bleibenden Ruhestand versetzt und demselben aus diesem Anlaß in Anerkennung seiner langjährigen treuen Dienste das Ritterkreuz 1. Klasse des Friedrichsordens verliehen. (Anm. d. Red. Braun war in den 60er Jahren Oberamts-Aktuar in Neuenbürg.
Stuttgart, 25. März. Der feierliche Akt der Konfirmation zweier Mitglieder des kgl. Hauses, der Prinzessinen Elsa und Olga, fand heute mittag 12 Uhr in der königl. Schloßkapelle hier statt. Die sämtlichen Mitglieder des königl. Hauses, sowie zahlreiche zur Feier erschienene Fürstlichkeiten hatten sich in der Fürstenloge der Kapelle versammelt, und als Ihre Maj. der König und die Königin erschienen waren, begaben sich die fürstlichen Teilnehmer in feierlichem Zuge vor den Altar. Hinter dem Altar hatte Hofprediger Braun und die russische Geistlichkeit Platz genommen. Anwesend waren ferner der Ministerpräsident und Minister des kgl. Hauses Dr. Frhr. v. Mittnacht, die Gesandten Bayerns und Rußlands, dahinter Hoskammerpräsident von Tscheruing, Generaladjutant Frhr. v. Falkenstein, der kommand. General v. Wölckern, die Hofstaaten rc. Die Konfirmandinnen, beide in einfachster schwarzer Kleidung ohne jeden Schmuck, saßen dicht vor dem Altar. Rach einem kurzen Orgelspiel des Hoforganisten Reichardt hielt Oberhofprediger v. Schmid eine ^Miache an sdie Konfirmandinnen, welcher er me Worte der Offenbarung zu Grund legte: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die des Lebens geben." Redner betrachtet «lese Worte als einen Gruß aus dem Jenseits, der
am heutigen Tage die Konfirmandinnen beglücke; aber es gäbe heute noch mehrere Grüße aus dem Ewigen, so der des früh Heimgegangenen Vaters, den die beiden Töchter nicht kennen lernen durften, und die Grüße eines edlen Königspaares, Karl und Olga von Württemberg, welche dem Schwesterpaar und seiner Mutter die liebevollsten. zärtlichsten Großeltern und Eltern gewesen sind. Sie alle schlafen hier unter uns, aber im Geiste sind sie mitten im Festkreise und grüßen die Konfirmandinnen. Redner schloß mit der Mahnung, ein stets gottgefälliges Leben, ein Leben der christlichen Liebe und Treue zu führen, dann werde ihnen auch die Krone des Lebens werden! Der kgl. Singchor sang hierauf unter Hrn. Reichardt's Leitung das „Vaterunser" von Lvoff in tiefergreifender, weihevoller Weise, woran sich die Konfirmationshandlung schloß
Stuttgart. In der Kammer der A b- geordneten trat bei Kapitel 77 des Kultetats der Abgeordnete Essich für die Turnvereine ein und empfahl die Gewährung von Staatsbeiträgen an Gemeinden für die Errichtung von Turnstättcn, worauf Minister Dr. v. Sarwey bemerkte, daß Staatsbeiträge an Gemeinden bisher schon gegeben werden. Bei Kapitel 79 Schullehrerseminarien wurde von Haffner und Stälin die Frage des Handfertigkeitsunterrichts berührt. Bei Kapitel 93 Kunstschule und Kunstsammlungen wies der Berichterstatter Dr. v Göz darauf hin, daß die hiesige Kunstschule im Vergleich zu denjenigen in München und Karlsruhe nicht zu rechter Blüte gelangen wolle, wovon die Ursache in verschiedenen Umständen gesucht werde. Der Minister meint, es gäbe wohl keine Kunstschule, die nicht Angriffen ausgesetzt sei. Die Angriffe, die gegen einzelne Lehrer an der Kunstschule gerichtet werden, seien derAusfluß subjektiver Anschauungen einer kleinen Künstlerschar, dinen jede Begründüng fehle; in den weiteren Kunstkreisen werden diese Anschauungen nicht geteilt. Der Etat des Kultdcparte- ments wurde darauf vollends ohne Debatte erledigt. — Bei der Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend den Zuschlag zur Liegenschafts- accise durch die Gemeinden, begrüßten die Berichterstatter, Dr. v. Göz und Betz, den Entwurf, während Sachs meint, er werde in den kleineren Gemeinden keineswegs besondere Genugthuung Hervorrufen. Er sowohl wie Stälin möchten lieber die ganze Liegenschafts- accise den Gemeinden zugcwiesen wissen. Die beiden Staatsminister v, Schmid und v. Riecke beantworten einige an sie von Dr. v. Göz und Betz gerichtete Anfragen, betr. die Erkenngelder, Aenderung der Bauordnung u. s. w., worauf man, nachdem noch Haug. Ebner und v. Leibbrand das Wort ergriffen haben, in die Einzelberatung der Vorlage eintritt. Es soll die Erhebung des örtlichen Zuschlags im Höchst- betraae von 80^ auf je 100 des der staatlichen Accise unterliegenden Werts solchen Gemeinden erteilt werden können, bei welchen die zur Bestreitung der Gcmeindebedürfnisse durch Umlagen auf Grundeigentum, Gebäude und Gewerbe aufzubringenden Mittel den Betrag der Staatssteuer übersteigen. Die Erlaubnis wird durch das Ministerium des Innern für eine bestimmte Zeitdauer erteilt, die den 31. März 1897 nicht überschreiten darf. Das Gesetz fand allgemeine Zustimmung. Die ganze Gesetzesvorloge wurde mit allen abgegebenen Stimmen unverändert angenommen. — Bei der Generaldebatte über den Justizetat brachte Abg. Betz verschiedene Wünsche, die sich auf die freiwillige Gerichtsbarkeit beziehen, zur Sprache, welche der Justizminister einer sorfältigcn Prüfung unterziehen will. Haußmann brachte die Frage der Entschädigung unschuldig Verurteilter, sowie die Wiedereinführung der Berufung zur Sprache, worauf der Justizminister die Mitteilung machte, daß beide Fragen gemeinsam vor einer reichsgesetzlichen Regelung stehen.
Nagold, 27 März. Bei großem Andrang von Zuhörern wurde gestern im Seminarfestsaal unter der bewährten Leitung von Mustkoberlehrer Hegele das Oratorium „Paulus" von Mendelssohn aufgeführt.
In Mergentheim erschoß am Sonntag ein Buchdruckergehilfe seine Braut und hierauf sich selbst, nachdem er zuvor seinen Verlobungsring verkauft und für den Erlös einen Revolver angeschafft hatte. Das Mädchen hatte ihm, dem Vernehmen nach, den Berlobungsring zurückgegeben und ihre Gunst einem Anderen zugewendet.
Ausland.
Die französische Gesandtschaft in Washington ist zum Range einer Botschaft erhoben worden. Die Vereinigten Staaten werden zur Gegenleistung ihre Pariser Gesandtschaft nächstens gleichfalls in eine Botschaft umwandeln.
Der bis jetzt von der Pariser Polizei vergeblich gesuchte Urheber des furchtbaren Dynamit- Attentats im Restaurant Very zu Paris, der Anarchist Matthieu, soll nach einer Mitteilung des Pariser Polizeipräfekten verhaftet worden sein. Hoffentlich ist es endlich der richtige Matthieu, den man diesmal erwischt hat.
Paris, 28. März. Der Graf von Paris hat an die Präsidenten der departementalen monarchistischen Ausschüsse ein Schreiben gerichtet, in welchem es heißt: Angesichts der gegenwärtigen Lage empfänden Männer von ehrenhafter Gesinnung das Bedürfnis, sich zur höchsten Krastanstrengung zu vereinigen. Die Monarchisten müßten mit gutem Beispiel vorangehen und jedes nützliche Bündnis annehmen, um Frankreich begreiflich zu machen, daß die Monarchie allein eine starke, dauernde und geachtete Regierung gewähren könne. Er werde von seinem Sohne unterstützt, der vor keiner Anstrengung zurückweichen werde, um das Vaterland wieder zu erheben.
Das Attentat, welches ein geistig nicht normal veranlagter Mensch gegen den König von Italien durch Schleudern einer mit Unrat gefüllten Papierhülse gegen den Wagen des Monarchen begangen hat, entbehrt offenbar einer besonderen politischen Bedeutung. Wie eine offiziöse römische Meldung vom 26. ds. besagt, wurde der „Attentäter," Berardi mit Namen, einer nochmaligen ärztlichen Untersuchung unterzogen. Dieselbe ergab, daß Berardi an Verfolgungswahnsinn leidet; er verweigert die Nahrungsaufnahme.
Wien, 24. März. Der hiesige Ingenieur Scarnejo behauptet nach der W. Presse in dem Dowe'schen kugelfesten Stoff den von ihm vor mehreren Jahren erfundenen und öffentlich ausgestellten, in einzelnen Exemplaren auch verkauften Panzerstoff zu erkennen, der patentiert, von der Heeresverwaltung erfolgreich geprüft, jedoch wegen finanzieller persönlicher Differenzen nicht erworben worden sei.
Unterhaltender Teil.
In der Irre.
Eine Ostergeschichte von Erich zu Schirfeld.
(Nachdruck verboten.)
Martin Winkler war der Schmied des Dorfes. An einem geräumigen Platze, unweit der Schule stand sein bescheidenes Wohnhaus mit dem kleinen Garten dahinter. Die Wirtschaft war nicht groß, aber doch sein Eigentum, das ihm der Vater, als er starb, schuldenfrei hinterließ. Früh am Morgen, ehe die Sonne aufging, oder am Abend, wenn nächtliches Dunkel die Dorfgasse erfüllte, leuchtete das rotglühende Schmiedefeuer weit hinaus und die Funken stoben knisternd umher unter den gewaltigen Hammerschlägen des Mannes.
Aber nicht immer bot die Schmiede das erfreuliche Bild schaffenden Fleißes. Es kamen