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eitcrge zu Ar. 42 des Gnzthüters.
Neuenbürg, Donnerstag den 16. März 1893.
Zustand.
Der seit dem 8. März vor dem Pariser Schwurgerichtshof spielende Panama-Bestech- ungs-Prozeß hat jetzt die schon vor Beginn des Prozesses erwartete hochpolitische Wendung genommen. Justizminister Bourgeois hat seine Entlassung eingereicht, weil er durch die Aussagen der Frau Cottu, der Gattin des im ersten Panamaprozeß verurteilten Mitgliedes des Ver- waltungsratcs der PanamcvGesellschaft, bedenklich bloßgestellt erscheint. Der Kernpunkt der Enthüllungen von Madame Cottu besteht darin, daß ihr der inzwischen seines Postens enthobene Direktor der allgemeinen Sicherheit, Soinoury, die Freilassung ihres Gatten versprochen haben soll, wenn sie irgend einem konservativen Deputierten kompromittierende Schriftstücke ausliefere; Soinoury soll hierbei im Aufträge seines Chefs, des Justizministers Bourgeois, gehandelt haben. Sofort nach den Aussagen der Frau Cottu am Samstag ließ der Präsident des Gerichtshofes Soinoury zur Stelle schaffen. Soinoury bestritt zuerst, der Frau Cottu das ihm zur Last gelegte Anerbieten gemacht zu haben, als sie aber bei ihren Aussagen verblieb, gab er halb und halb zu, gegen Frau Cottu sich in der gedachten Weise geäußert zu haben. Der Zwischenfall hat in den Pariser Kreisen großes politisches Aufsehen erregt, und vielfach herrscht die Anschauung, die Demission des Justizministers werde nicht vereinzelt bleiben, sondern wahrscheinlich den Rücktritt des ganzen Kabinets Ribot nach sich ziehen. Bourgeois selbst spielt vorläufig den tief Ge- liänkten, er verlangt als Zeuge im Panama- Prozeß vernommen zu werden und hat er ferner auch in der Kammer Erklärungen abgegeben.
Der gewiß arbeitsreichste und verantwortungsvollste Posten, den in diesem Jahre ein Amerikaner begleitet, ist ohne Frage der des Generaldirektors der Weltausstellung in Chicago. Man hat dieses Amt in die Hand eines Mannes gelegt, der allem Anscheine nach der Sache wohl gewachsen ist. Es ist George R. Davis, ein „Loli walle wau", der schon früh den Kampf ums Dasein aufnehmen mußte, der aber mit großer Zähigkeit und durch hervorragende Intelligenz sich emporzuarbeiten verstand. Wichtig ist, daß er ein Weltmann ist, der nicht in engherzigen nativistischen Anschauungen sich bewegt, ein solcher wäre für den Posten eines Weltausstellungsdirektors auch nicht - am Platze. Davis schätzt, nach der Mitteilung eines deutschen Berichterstatters, der ihn jüngst interviewte, die Zahl der täglichen Besucher der Ausstellung auf 250 000. Auf die Frage, welchen Eindruck auf Chicago und dessen Bürger ein Besuch des Kaisers Wilhelm machen würde, erwiderte er: „Sein Besuch würde als ein sehr großes Kompliment und als Ausdruck der Freundschaft Deutschlands für Amerika betrachtet werden. Man würde ihn sicherlich mit all der Auszeichnung und der Feierlichkeit empfangen, die seinem Range gebühren, und die Bundesregierung würde alles aufbieten, seinen Besuch zu einem unvergeßlichen Ereignis zu gestalten." Zum Schluß der Unterredung kam der Direktor nochmals speziell auf die Deutschen zu sprechen und bemerkte: „Sagen Sie dem deutschen Volke, daß Millionen seiner fleißigen, gebildeten und menschenfreundlichen Söhne zu den besten und bravsten unter unfern Bürgern zählen. Deutschland hat uns große Zuvorkommenheit erwiesen, indem es so freigebig für eine Ausstellung gesorgt hat, und wir wissen die Bemühungen seines Kommissars wie die lebhafte Teilnahme seiner Fabrikanten mit vollster Anerkennung zu würdigen.»
Telegramme an den Enzthäler.
Paris, 15 . März. Panamaprozeß. Die verlesene Aussage des Liquidators Monchi- cvurt ergibt, daß sich Lesseps weigerte, dem
selben die Namen der Empfänger der 7 Millionen in Bons mitzuteilen. In der Aussage Cottu's ist konstatiert, daß Lesseps allein sich mit der Verteilung der Summe befaßte. Der Advokat Monchicourt verlangte, daß die veruntreuten Gelder an die Panama-Kompagnie-Kasse zurückerstattet werden.
Rom, 15. März. Opinione Diritto melden, in Entraque bei Cuneo sei ein in der vorigen Woche daselbst angekommener französischer Arbeiter an Cholerasymptomen gestorben. Der Leichenbefund bestätigte die Cholera. Der Präfekt ordnete strenge Maßregeln an.
Riga, 15. März. Wegen Vollziehung kirchlicher Handlungen nach lutherischem Ritus an Griechisch-Orthodoxen wurde Pastor Meyer unter Aberkennung der geistlichen Würde zu Monatlichem Gefängnis verurteilt. Ein anderer Geistlicher erhielt einen strengen Verweis und wurde auf 7 Monate vom Amte suspendiert.
Knteryattender Heit.
Aus diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege.
Eine heitere Geschichte aus dem Soldatenleben.
(Nachdruck verboten.)
Mehr und mehr nehmen in öffentlichen Blättern die Heiratsgesuche beiderlei Geschlechts überhand. Trotz der fortwährenden Klage älterer Damen über die geringe Heiratslust des stärkeren Geschlechts bieten sich täglich eine größere Anzahl von Herren in allen Blättern an, die von immerwährenden Rosenketten umschlungen zu sein wünschen.
Aber wie kommt es, daß so wenig dieser Heiraten zu Stande kommen?
Man kann da mit einem schon gewöhnlichen Sprichworte antworten: Wo kein Geld ist, ist auch keine Liebe.
Da letztere bekanntlich nur noch in Romanen vorkommt, so ist es Vielen — wir wollen nicht sagen allen — darum zu thun, ihre Verhältnisse zu verbessern. Sie glauben das am besten durch Heirat zu erhalten.
So dachte aber nicht im entferntesten der Fähnrich von Heidebach von der Kavallerie. Er sah alles, was Ehe und Liebe anbetraf, von einem durchaus idealen Standpunkte an. Daher schwärmte er für einen Walther von der Vogelweide, kannte das Gedicht von Hero und Leander auswendig und begeisterte sich für jedes liebende Herz.
Auf Geld brauchte er ja nicht zu sehen; bekam er doch von seinem Vater, dem Rittergutsbesitzer von Heidebach auf Heidenburg einmal ein Vermögen, welches ihn in den Stand setzte, zu heiraten, wen er wollte.
Die ganze Sache hatte nur einen Haken; der Fähnrich von Heidebach war nämlich in Damengesellschaft schüchtern, sogar etwas sehr schüchtern und diese Eigenschaft hatte ihm schon manche schlimme Stunde bereitet.
Gerade das Gegenteil von ihm, aber trotzdem sein bester Freund, war der Referendarius Roller. Dieser hatte es während seiner Studienzeit fertig gebracht, eine ansehnliche Menge von Schulden zu machen, die er zu bezahlen vorläufig gar nicht dachte.
Für ihn war die Ehe gewissermaßen nur ein Geschäft, welches zwischen zwei Menschen abgeschlossen wird. Dafür, daß er sich herabließ und ein Mädchen sein ganzes Leben bei sich behielt und sie überall hinsührte, mußte ihm sein Schwiegerpapa doch ein anständiges Honorar aussetzen. Was man in den Romanen Liebe nannte, das fand sich gewiß noch später; darüber brauchte man sich vorläufig noch gar keine Sorgen zu machen.
Diese beiden entgegengesetzten Ansichten
wurden dann jeden Abend ausgetauscht, wo die beiden Freunde fast stets zusammen waren und wo dann der eine den andern von der Richtigkeit seiner Ansicht zu überzeugen suchte.
So saßen sie auch wieder eines Abends in einer Restauration der kleinen Garnison, wo v. Heidebach stand. Letzterer hatte soeben das zweite Glas Bier bestellt, sah inzwischen nach der Decke und seufzte.
Der Referendar lachte. Das ging immer so; wenn der eine vergnügt war, konnte man gewiß sein, daß der andere sich in schlechter Laune befand. Größere Gegensätze, wie °"- beiden Freunde, ließen sich überhaupt nicht denke».
„Sagen Sie mal, mein lieber Heidebach, was fehlt Ihnen eigentlich wieder?" fragte Roller, indem er seinen Freund teilnehmend anblickte.
„Das läßt sich nicht mit einem Worte sagen," seufzte der Angeredete, „aber wenn Sie auch meinen größten Kummer kennen lernen, teurer Freund, helfen können Sie mir nicht."
„Vielleicht doch," lachte dieser, „schütten Sie mir Ihr Herz aus und dann wollen wir sehen.»
„Sie sind mein Freund!" sing endlich nach längerem Schweigen der junge Krieger an.
„Nun, natürlich!" entgegnete der Referendarius verwundert.
„Da hören Sie also und urteilen Sie selbst, ob ich nicht der unglücklichste Mensch auf Gottes Erdboden bin."
Roller hatte sich inzwischen eine frische Zigarre angesteckt und verfolgte mit den Augen einige blaue Rauchwölkchen, die sich nach der Decke schlängelten.
„Sie wissen." fuhr Heidebach fort, „was ich bei den Damen für Unglück habe. Aller Mut, den ich in mir fühle, und der mich beim tollsten Ritte und bei den kühnsten Evolutionen der Schwadron nicht verläßt, ist in Gegenwart einer Dame augenblicklich zum Teufel.
Schon der Anblick einer solchen macht mich etwas ängstlich, doch bin ich äußerlich noch ruhig. Wenn sie mit dem reizendsten Lächeln den Mund zum Sprechen öffnet, dabei eine Reihe kleiner, weißer Perlenzähne zeigt und das Parfüm ihres Haares mich umweht, dann bekomme ich, so große Mühe ich mir auch gebe, kein Wort mehr heraus und muß anderen gewandteren Leuten das Feld räumen."
Der Referendarius nickte lächelnd mit dem Kopfe und rauchte ruhig weiter.
Nachdem von Heidebach sich durch einen langen Zug gestärkt hatte, fuhr er fort: „Gestern Abend erging es mir ähnlich. Ich war, wie Sie wissen, zu meinem Rittmeister eingeladen. Mit gewohnter militärischer Pünktlichkeit erschien ich und wurde nach den ersten Bewillkommens- formeln in den Salon geführt, wo erst zwei Damen anwesend waren, die verwitwete Majorin Schlippenbach mit ihrer Tochter.
Ein unbehagliches Gefühl beschlich mich, als der Rittmeister mich allein ließ, ungefähr so, als wenn ich zu spät zum Regimentsexerzieren komme und den Oberst bereits vor der Front halten sehe. Nichtsdestoweniger nahm ich mich zusammen und that ein paar gleichgiltige Fragen. Hätte die Tochter der Majorin mir nicht permanent nach den Stiefeln gesehen und dabei gelächelt, dann wäre alles gut gegangen, aber so wurde ich immer verwirrter und war eben im Begriff das Zimmer zu verlassen, als das Erscheinen anderer Gäste mich aus meiner peinlichen Situation erlöste."
Und gleichsam in der Erinnerung daran seufzte er wieder schwer und sah traurig in sein Glas.
Roller, der immer verschmitzter gelächelt hatte, konnte sich jetzt nicht mehr halten und lachte laut auf.
„Lachen Sie nicht, Sie schadenfroher Mensch, sondern bedauern Sie mich lieber," sagte der Fähnrich betrübt.