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vom Strafsenat des Kgl. Oberlandesgerichts zum -weiten Male wegen ungenügender Feststellung des Thatbestands an die Strafkammer des Kgl. Landgerichts Rottweil zurückgewiesen wurde. Dieses Justizkuriosum hat eine nicht minder sonderbare Entstehungsgeschichte. Vor etwa zwei Jahren beschwerte sich die Frau Rechnungsrat Müller bei Apotheker Knieß über eine von ihm bezogene Zinksalbe, die sie mit den ironisch gemeinten Worten zurückbrachte: „Das ist eine schöne Salbe. Darin sind ja Brocken!" Der in seiner Berufsehre sich beleidigtfühlende Apothekebesitzermeinte, so unverschämt sei ihm noch niemand begegnet. Darob forderte der Schwiegersohn der Frau Rechnungsrat den Apotheker auf Pistolen, worauf letzterer nicht einging. Hierauf reichte Rechnungsrat Müller namens seiner Frau Privatklage ein. wogegen der Beklagte Apotheker Knieß Widerklage erhob. Kläger und Beklagter (Widerkläger) wurden für straffrei erklärt. Ersterer erhob Berufung an das Kgl. Landgericht Rottweil, welches den Apotheker zu der Geldstrafe von 5^ verurteilte. Hwgegen legte dieser Revision an das Kgl. Oberlandesgericht ein. Der Strafsenat wies die Sache wegen ungenügender Feststellung des Thatbestands an die Strafkammer Rottweil zurück. Diese erkannte aufs neue in sehr ausführlich begründetem Urteil gegen Apotheker Knieß aus eine Geldstrafe von 5 Mark. Letzterer legte aufs neue Revision ein und nun ist, wie oben geschildert, dieses Urteil vom Strafsenat des Kgl. Oberlandesgerichts hier nochmals aufgehoben und wegen ungenügender Feststellung des Thatbestands an die Borinstanz zurückverwiesen worden. Privatkläger ist durch Rechtsanwalt Dr. Elsaß von Cannstatt, Beklagter durch Rechtsanwalt Fr. Haußmann vertreten. Recht muß Recht bleiben, aber gut bei Kasse muß man dabei zuweilen auch sein, wie es hier zutreffen soll.
Der höchste Angestellte Stuttgarts, der Turmwächtcr auf dem Stiftskirchenturm, Cyriakus Staib, ist gestern (9. Febr.) unerwartet schnell entschlafen. Die Leiche wurde gestern abend in einem Korb mittels Seiles heruntergclassen und in den am Fuße des Turmes stehenden Sarg gelegt, worauf die Ueberführung nach dem Leichenhaus erfolgte.
Voll OA. Göppingen, 4. Febr. Es gibt doch noch ehrliche und reuige Diebe in der Welt. Erhält da in den letzten Tagen ein hiesiger Bürger und Schäfer, Johannes H., eine Posteinzahlung mit dem Postzeichen Göppingen von 12 welche der anonyme Briefschreiber dem H. vor mehreren Jahren gestohlen haben will. Sein Gewissen lasse ihm keine Ruhe, weshalb er das Gestohlene hiemit wieder ersetze und reumütig um Verzeihung bitte. Dieser Bitte fügte er noch die Ermahnung an die Bestohlenen bei, sie möchten doch ehrlich und redlich bleiben, denn sonst können sie vor Gottes Richterstuhl nicht bestehen. Allen Respeckt vor einem solchen Dieb; möchten sich ihn nur alle großen Diebe, die in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen, zum nachahmungswerten Vorbild nehmen!
In Kirchensall bei Oehringen bereitete eine Mutter ein warmes Bad. Während sie sich umwandte, siel ihr 3'/rjähr. Kind in das heiße Wasser und verbrannte Brust und Arme derart, daß es Tags darauf starb. — Auch inWolfegg starb das 6jährige Töchterlein des Rentbeamten Waldraff infolge eines Sturzes in einen Zuber voll siedenden Wassers.
Ausland.
Aus der Schweiz, 9. Febr. Das Obergericht von Basel-Land hat in dem Prozesse wegen des Mönchensteiner Eisenbahnunglücks ebenfalls die Frage der groben Fahrlässigkeit bejaht.
(Das erste Urteil im Panamaprozeß). Nach der sehr eingehenden Untersuchung, welche der Untersuchungsrichter Franqueville vorge- nommen, war die Arbeit des Gerichtes in Sachen des Panamaprozesses leicht und würde noch leichter gewesen sein, wenn die Verteidigungsreden nicht sehr viel Zeit in Anspruch genommen hätten. Das von uns in Nr. 23 zur Kenntnis der Leser gebrachte, gestern gefällte Urteil erscheint in Anbetracht des von den Ver
urteilten angerichteten Schadens sehr gering: Karl v. Lesseps fünf Jahre Gefängnis u. 3000 Franken, Fontane und Heinrich Cottu je zwei Jahre Gefängnis und 3000 Franken sowie Eiffel zwei Jahre Gefängnis und 20000 Fr. Geldbuße. Wenn auch Berufung erfolgen sollte, es wird sich wohl kaum ein Richter finden, der diese Urteile umstößt. Das Rechtsgefühl des Volkes verlangt dagegen eher nach höherem Strafmaß. Der Fall Eiffel erscheint da als der bemerkenswerteste. Der Mann, welcher 33 Mill. bei dem Panamageschäft eingeheimst hat, wird nur um 20000 Franken gekränkt. Das ist wenig, aber von Rechts wegen wird da kaum mehr zu machen sein; vielleicht können die geprellten Inhaber der Panamapapiere noch auf dem Wege der privaten Klage etwas ausrichten und wenigstens etwas von den ihnen aus den Fingern gespielten Spargeldern zurückgewinnen. Der Staat, das heißt Kammer und Regierung, scheinen keine Neigung zu haben, den Verlust zu decken; obgleich gerade die staatliche Unterstützung des Panamaschwindels die meisten Leute verleitet hat, von den anscheinend so sicheren Papieren zu kaufen. Aber wer von den Hunderttausenden von armen Teufeln hat den Mut und Geld, auch noch einen Prozeß zu führen? Und wird erst einmal die Aussicht auf eine Entschädigung eröffnet, dann geht eben diesen armen Teufeln der ganze Nutzen dennoch verloren; dann kauft Rotschild oder ein anderer von den Geldgewaltigen den ganzen Krempel auf und steckt den riesigen Gewinn, der aus der Entschädigung erwächst, in seine Jagdtasche. Wer weiß, ob nicht jetzt schon der größte Teil der augenblicklich wertlosen Papiere in wenigen Händen vereinigt ist. Billig war ja dieses Papier zu haben. Für die Verurteilten liegt trotz des niedrigen Strafmaßes die Sache schlimm genug. Betrug und Vertrauensmißbrauch haftet den Millionären Lesseps, Fontane, Cottu und Eiffel an; abzubüßen ist es. abzuschütteln kaum. Sie sind gebrandmarkt. Wenn auch die menschliche Gesellschaft das Recht der Sühne gellen lassen wird, sie schauen auf ein fluchbeladenes Leben zurück, und der Jammer, den sie über so unzählich viele Unglückliche gebracht haben, wird ihnen die Gewissensruhe rauben, so lange sie nicht durch eine innere Umkehr die Schuld noch einmal gebüßt haben.
Paris, II. Febr. Cottu und Eiffel haben die Revision beim Cassationschef eingelegt. — In Rouen, wo der Deputierte Linard Bürgermeister ist, hat der Gemeinderat beschlossen, den Lesseps-Staden in Boisquilbert-Staden umzutaufen.
Am Strudel derPanama-Ereignisse in Frankreich taucht plötzlich Cavaignac als der „kommende Mann" auf. Die Rede, welche dieser republikanische Abgeordnete in der Sitzung vom 8. d. M. über die Panama-Affaire hielt, hat in Frankreich im Parlamente wie im Lande einen großen Eindruck gemacht. Denn die Cavaignac- sche Kundgebung war von reiner Vaterlandsliebe durchglüht, gleichzeitig enthielt sie jedoch einen unverhüllten Tadel gegen die Regierungsmänner von heute in Frankreich, daß sie sich der durch die Panama-Affaire gezeitigten Lage so wenig gewachsen zeigten. Eine derartige Sprache hat man in Frankreich schon lange nicht mehr gehört. deshalb erfreut sich Cavaignac jetzt plötzlich des allgemeinsten Interesses, und gilt er für viele schon als künftiger Präsidentschafts- Kandidat. zumal er der Träger eines berühmten historischen Namens ist. Im Uebrigen ist das Ministerium Ribot durch die Annahme der Cavaignac'schen Tagesordnung seitens der Kammer in eine unliebsame Lage gekommen, da sich die Tagesordnung als ein Gemisch von Vertrauen und Mißtrauen gegen die Regierung charakterisiert. Das Ministerium will daher bei nächster Gelegenheit eine Erklärung in der Kammer behufs Beseitigung der vorhandenen „Zweifel" abgeben.
Paris, 9. Febr. I-u Sensation äu sour oder äes^ours, d. h. dasjenige Ereigniss, welches neben Panama die letzten Tage über ganz Paris in Atem hielt, war der Prozeß Luna de San Pedro, die Verhandlungen gegen den spanischen Maler, der in einem Eifersuchtsanfall
I seine Frau und seine Schwiegermutter erschossen 1 und seinen Schwager angeschossen hatte. Die französischen Blätter bringen spaltenlange Berichte über alle Einzelheiten des Familiendramas, aber auch auswärtige, z. B. „Times" u. „Daily Telegraph" bringen lange Depeschen darüber. Die Geschworenen erklärten, wie die „Temps" mitteilt, nach 3tägigen Verhandlungen den Maler für nichtschuldig. Mit dem Strafprozeß war gleichzeitig auch ein Zivilprozeß, eine Entschädigungsklage der Familie der Ermordeten verbunden. Das Gericht sprach ihnen — einen Franken zu.
Die in Marseille herrschende Epidemie soll nach neueren Meldungen doch nicht die Cholera sein, wenigstens sind in den Dejektionen der Kranken keine Cholerabazillen entdeckt worden. Ein Teil der Aerzte in Marseille neigt sich der Ansicht zu, daß die vorgekommenen cholera- verdächtigen Krankheits- und Todesfälle eine Folge von Influenza seien, die sich auf die inneren Organe geworfen habe. Gegenüber der ursprünglichen Meldung, es seien bereits an 50 Personen der Seuche erlegen, besagt eine neuere Meldung aus Marseille, daß an der verdächtigen Krankheit bis jetzt im Ganzen nur 9 Personen gestorben seinen.
Paris, 10. Febr. Das Schiedsgericht, welches die Behringsseestreitigkeiten zwischen England und den Vereinigten Staaten entscheiden soll, tritt am 23. Februar im Ministerium des Aeußern zusammen.
Christ iania, 9. Febr. Wie es heißt, sind 123 Fischer bei dem Sturm auf den Lofoten verunglückt. Es ist ein Aufruf zur Unterstützung der Hinterbliebenen erlassen worden.
London, II. Februar. Der Dampfer „Pomeranian", der am 27. Januar nach New- Uork abgegangen war, ist heute unter Führung des ersten Offiziers nach Greenock zurückgekehrt. Der Decksalon, die Brücke und die Boote waren von den Wellen fortgerissen. Alle Schiffsinstrumente, ausgenommen ein Kompaß, waren verloren. Zwölf Personen, darunter der Kapitän und fünf Passagiere, hatten ihr Leben eingebußt.
Die nordamerikanifche Union hat nun doch die Schutzherrschaft über die Sandwich- Inseln übernommen, wenngleich nur vorläufig. Die Uebernahme wurde durch Hissung des Sternenbanners auf dem Regierungsgebäude von Honolulu und eine entsprechende Proklamation des amerikanischen Gesandten bekannt gegeben; Ruhestörungen kamen hierbei nicht vor. Bon einem Proteste von dritter Seite gegen diese Protektoratserklärung ist noch nichts bekannt, nur wird aus Honolulu gemeldet, daß der dortige englische Ministerresident die provisorische Regierung von Hawaii bis zum Eintreffen näherer Instruktionen anerkannt habe.
Telegramme an den Enzthäler.
Paris, 13. Febr. Hier vorliegenden Meldungen aus Madrid zufolge soll die Erregung unter den marokkanischen Stämmen im Wachsen begriffen sein. Dieselben sollen in Gibraltar Waffen ankaufen.
Madrid, 13. Febr. Die Zeitungen „La Correspondencia" und „El Jmparcial" veröffentlichen Depeschen aus Tanger, welche die Meldung von der Erhebung der Kabylen bestätigen. Der Sohn des Sultans wurde im Kampfe verwundet.
Brüssel, 13. Febr. Gestern fand ein Kongreß der Arbeitslosen statt, welchem Delegierte aus Lüttich, Genf, Lalouviöre, Antwerpen und anderen Städten beiwohnten. Die Redner griffen das Verhalten der Regierung und des Brüsseler Bürgermeisters heftig an und beschlossen eine Resolution, worin die Sympathie mit den Arbeitslosen anderer Länder ausgedrückt wird.
Marseille, 13. Febr. Von vorgestern Abend 6 Uhr bis gestern Nachmittag 2 Uhr kamen hier 35 Todesfälle vor, darunter 8 choleraverdächtige.