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des Musikdirektors Prem in dankbarer Würdigung der Verdienste des Jubilars um die Musik, als langjähriger Vorsitzender des Schw. Sängerbunds. ein Ständchen dar.
Tübingen. Auszug der Geschworenenliste des l. Quartals: Chr. Bätzner, Schuhm. in Wildbad; I. G. Braun in Liebelsbcrg; E. Gauß in Rohrdorf; Chr. Kottler in Unterjesingen; I. G. Oclschlägcr, Stiftungspfl. in Schömberg; F. Schmid in Nagold; L. Schütz in Calw; L. Weiß in stammheim.
Cannstatt, 31 Jon. In verflossener Nacht begann das Eis auf dem oberen Neckar sich in Bewegung zu setzen. Vom Wehr am Wasserhaus bei Berg an bis nach Unter- und Obertürkheim liegen gewaltige Eismassen gestaut, welche den Spiegel des Neckars um mehrere Meter gehoben haben. Ober- und unterhalb der Türkheimer Brücke, ist ein endloses Eismeer. Mächtige Eisschollen, mehrere Meter groß und 50- 60 Centimeter dick sind teilweise auf die Ufer getrieben. Zwischen Eßlingen und Obereßlingen und bei Altbach sind gleichfalls gewaltige Eisstauungen. Ob die Eismassen heute abgehen, erscheint fraglich. Um 9 Uhr vormittags lag die Eisfläche unterhalb des Wehrs am Wasserhaus bei Berg und bei Cannstatt, noch ganz ruhig.
Bietigheim, 27. Jan. Mit welcher Frechheit gegenwärtig manche junge Leute auf- treten, zeigt folgender Vorfall. In die Wirtschaft eines benachbarten Ortes trat ein junger Mann mit den Worten ein: „Nur über meinen Leib führt der Weg zur Wirtschaft hinaus", zog daS Messer, drohte jeden der Anwesenden zu erstechen, den halben Ort anzuzünden und den Octsvorsteher zu löten. Mit Mühe gelang es, den Burschen zu fesseln; einzelne Bürger ober gaben ihm eine gehörige Tracht Prügel, als wohlverdienten Denkzettel für seinen frechen Ucbermut.
Vaihingen, 29. Jan. Stadtschulth. Dietrich ist plötzl. vom Tode weggerafft worden. Seit letzten Montag fühlte er sich krank, doch so, daß er und die Seinen entfernt nicht an eine Gefahr dachten. Heute früh zwischen 4 und 5 Uhr verkehrte er noch mit seinen Kindern; als es Tag geworden, fanden sie ihn tot. Der Verstorbene ist in Plochingen am 20. März 1840 geboren. Zuerst war er in Adelsberg Ortsvorstcher, dann in seinem Geburtsort; seit 1877 in der hiesigen Obcramtsstadt.
Baihingen, 26. Jan. Die letzte Sonntagsnummer des hier erscheinenden demokratischen „Enzboten" wurde wegen Kaiserbeleidigung konfisziert.
Ausland.
Paris, 30. Jan. Am Mittwoch kommt die Anklage gegen Lcsseps und die sieben Parlamentsmitglieder vor der Kammer zur Verhandlung.
Paris, 28. Jan. Zu was nicht „Panama" gut ist! Sechs „ckovalisseurs äs villas", sechs abgefeimte Villenplünderer haben am Hellen lichten Abend mitten in Paris das Palais des Marquis Paniffe in der Avenue Marceau rein ausgeplündert. Die Kerls müssen gewußt haben, daß der Marquis mit Familie in Mentone sich aufhält, sonst hätten sie wohl nicht die Frechheit zu dieser Thal gefunden. Sechs Mann hoch gut gekleidet, erschienen sie gestern Abend bei dem Hausminister und erklärten, sie seien vom Panama-Untersuchungsrichter Franqueville beauftragt, eine Haussuchung vorzunehmen. Hierauf wurden der Hausminister und seine Frau gefesselt, und die Ausplünderung des Palais bis nach Mitternacht durchgcführt. Man wird sich denken können, daß die Kerls nichts Wertvolles zurückgelassen haben. Vor dem Palais hatten sie zwei Wagen stehen, in welches sie alles luden. Sie blieben ungestört, und man hat noch keine Ahnung, wer sie sind.
Die Weltausstellung in Chicago ist, nach einem heule eingelaufenen Telegramm, von einem Mißgeschick betroffen worden. Ein Teil der Gebäulichkeiten der Ausstellung ist zusammen- gestürzt; der Schaden beträgt ca. 150 000 Doll. Die Katastrophe soll durch den starken Druck des gefallenen Schnees herbeigeführt worden sein.
Telegramme an den Enzthäler.
Berlin, 3l. Jan. Die Kaiserin Friedrich hat heute 7 Uhr 40 Min. ihre Reise nach London angetreten. Sie wurde vom Kaijser und von der Kaiserin zum Bahnhofe geleitet, wo auch der Erbprinz und die Erbprinzessin von Meiningen zur Verabschiedung erschienen.
Berlin, 31. Jan. Die Militärkommission des Reichstags trat heute Vormittag in die Spizialberatung ein und nahm nach längerer Debatte den Antrag Richter auf Einsetzung einer siebengliedrigen Subkommijsion zur Klarstellung der finanzpolitischen Seite der Militärvorlage an.
Berlin, l. Febr. An dem gestrigen Dine? beim Ministerpräsidenten Grafen v. Eulenburg nahmen der Reichskanzler Caprivi, die Minister und zahlreiche Abgeordnete, darunter Frhr. v. Manteuffel, die Grafen Stolberg und Arnim Teil. Der Kaiser erschien um 8 Uhr. Das Diner, wobei die angeregteste Stimmung herrschte, fand erst in später Stunde seinen Abschluß.
London, l. Febr. (Oberhaus.) Bei der Adreßdebatte erklärte Lord Salisbury, er billige die auswärtigeRcgicrungspolitik betreffs Ugandas und Aegyptens. Bezüglich Aegyptens behielten Englands Versicherungen trotz der jüngsten Vorgänge dieselbe Kraft, allein diese Vorgänge hätten die Aussicht auf die Räumung erschwert.
New-Jork, 1. Febr. Der Gouverneur des Staates New-Jersey ernannte den bisherigen amerikanischen Gesandten in Berlin Phelps zum Richter beim Appellationsgericht in New- Jersey.
Antwerpen, 1. Febr. Aus dem ganzen mittelländischen Meere wütet ein furchtbarer Sturm. 10 Schiffe sind vollständig verloren gemeldet.
Unterhaltender Heil.
Nelly's Verlobung.
Eine nächtliche Geschichte von Reinhold Ortmann.
iNachdruck verboten.)
„Nur diese Decke noch, mein Herzchen! — Und die Kapotte etwas tiefer ins Gesicht! — So! — Nun lege Dich recht behaglich in die Ecke zurück und laß uns versuchen, diese beiden Stunden zu verträumen?"
Der Wagenschlag war zugefallen. Der Kutscher hatte mit der Peitsche geknallt, weil ihm der Zuruf, an den seine Gäule sonst gewöhnt waren, in einem gewaltigen Gähnen unterging, und diesem Aechzen und Knirschen, das wie ein Ausdruck des Aergers über die nächtliche Anstrengung klang, setzten sich die Räder des bequemen Landauers in Bewegung.
Zwei junge lebhafte dunkle Augen, die aus einem Wall von Tüchern, Decken und anderen schützenden Umhüllungen hervorschauten, sandten durch das trübe Wagenfenster, an dem der Regen in vielen Bächlein herniederriesclte, einen letzten dankbaren Blick zu den hell erleuchtenden Scheiben des Hauses zurück, und ein leichter Seufzer war die Antwort auf die freundliche Aufforderung der älteren Dame, die sich's unter dem Schutze eines mächtigen Pelzmantels in der anderen Wagenecke bequem gemacht hatte.
Träumen! — Darunter verstand die Tante zweifellos nichts Anderes als Schlafen! — Und wie man gleich nach einem Balle schlafen könne, war für Nelly von jeher etwas völlig Unbegreifliches gewesen, Nun gar während der beständigen Bewegung einer mehr als zweistündigen Wagenfahrt unv unter den mannigfachen Geräuschen, welche das gleichmäßige Traben der Pferde, das Rollen des Wagens und das Niederströmen des Regens hervorbrachten! Hatte sich
doch der rasche Schlag ihres Herzens kaum beruhigt. klangen ihr doch die lustigen Tanzweisen noch immer im Ohre nach und zuckte es ihr doch in den Füßchen, als müßten sie sich auf der Stelle zu ihrem Lieblingswalzer in Bewegung setzen. Es war eigentlich jammerschade, daß statt der Eltern, die durch einen unerwarteten Besuch auf dem Gute festgehalten worden waren, Tante Dorette ihre Begleiterin auf dem Balle gewesen war. Sie hatte ihr mit ihrer großen Sorgfalt und Aengstlichkeit schon einen guten Teil des Vergnügens verdorben, und durch die tausendmal wiederholte Mahnung, sich ja nicht zu sehr zu erhitzen und anzustrengcn, gerade die schönsten Augenblicke recht garstig gestört; das Schlimmste aber war jedenfalls Tante Dorettens unzeitiges Schlummerbedürfnis, das jetzt, wo doch die prächtigste Gelegenheit dazu gewesen wäre, jeden Meinungsaustausch über die bedeutsamen Erlebnisse der letzten Stunden unmöglich zu machen drohte. Eine gute Weile hatte Nelly das drückende Schweigen in der unheimlichen Fensternische ertragen. Sie hatte sich die lieblichen Bilder des hinter ihr liegenden Festes in buntem Durcheinander vor die Seele gezaubert und mehr als einmal still vor sich hin gelächelt, wenn sie der unverkennbaren Huldigungen gedachte, die ihr von dem liebenswürdigen und eleganten Assessor von Behrendt zu Teil geworden waren. Aber gerade, als diese ihre Gedanken sich mehr und mehr auf diesen einen Gegenstand zu vereinigen begannen, steigerte sich ihr Wunsch nach Mitteilung zu einem unwiderstehlichen Bedürfnis.
„War es nicht wunderschön auf dem Balle, Tantchen?" fragte sie einleitungsweise mit etwas schüchternem Ausdruck; aber ihr Mut wuchs sogleich, als unter dem Pelzmantel hervor einige Laute vernehmlich wurden, die zwar an und für sich durchaus unverständlich waren, die aber immerhin erkennen ließen, daß der Gott des Schlummers von Tante Dorette noch nicht ganz Besitz genommen habe. Das aber war für Nelly vollkommen genügend.
„Ein wie liebenswürdiger Herr ist doch der alle Präsident!" fuhr sie fort. „Und nun gar erst seine Frau und seine Töchter! — Sie sind wirklich zu reizend! — Findest Du nicht auch, Tantchen?"
Wieder erfolgte die Antwort in Gestalt jener schwachen, unverständlichen Töne und Nelly trug darum kein Bedenken ihre Stimme zu erhöhen, als sie jetzt nach der außerordentlich diplomatischen Einleitung auf den Kernpunkt der Unterhaltung losging.
„Der Assessor von Behrendt ist ein Neffe des Präsidenten, nicht wahr, Tantchen?"
„Hm! Hm!"
„Er tanzt ausgezeichnet! — Keiner von den jungen Offizieren, unter denen doch gewiß gute Tänzer waren, tonnte sich mit ihm messen. Hast Du es auch bemerkt!"
„Hm!"
„Dabei weiß er so lustig zu plaudern, daß man aus der Heiterkeit gar nicht herauskommt, wenn man ihm zuhört! — Weißt Du, Tantchen, was er von Dir gesagt hat?"
„Er sagte —, aber Du hörst doch auch zu?"
„Rrrrr!"
Diesmal war Tante Dorettens ohnehin recht einsilbige Konversation in ein wahrhaftiges, unzweideutiges Schnarchen übergegangen, und mit einem abermaligen Seufzer gab die arme Nelly den hoffnungslosen Versuch aus, eine gleichgestimmte Seele für ihr Unterhaltungs- bedürfnis zu finden. Sie drückte sich mit trotziger Energie noch tiefer in ihre Ecke und versuchte sich auf eigene Hand mit ihren jungen Erinnerungen und ihren wache» Träumereien die Zeit zu vertreiben. Sie wollte sich die Einzelheiten ihrer heileren Konversation mit dem Assessor von Behrendt zurückrufen; aber merkwürdigerweise kam ihr trotz alles Nachdenkens keines seiner Scherzworte und keiner seiner geistreichen Einfälle wieder in den Sinn. Sie errinnerte sich jedoch, daß er auch mit ihrer besten Freundin, dem Fräulein von Merkelwitz, mehrere Mal getanzt hatte, und daß dieselbe nachher in einem Augenblick heimlichen Geplauders mit großer Wärme von ihm gesprochen. Ganz naturgemäß schweiften