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das herkömmliche Recht Frankreichs sei, alle elf Jahre eine Weltausstellung zu veranstalten. Dieses traditinonelle Recht sei von den Mächten stets anerkannt worden. Obgleich der Plan, eine Ausstellung in Paris zu veranstalten, nicht nur der in Deutschland kundgegcbenen Absicht, sondern grade wegen des deutschen Planes auftauchte, sucht man von einigen Seiten nach einer Beschönigung des seltsamen Schachzuges, indem man behauptet, daß keineswegs eine deutschfeindliche Kundgebung beabsichtigt sei, daß im Gegenteil Frankreich, indem es die Weltausstellung für das Ende des Jahrhunderts vorbereitete, dadurch seine friedliche Gesinnung und die feste Absicht kund- thue, den Frieden in dieser Zeit nicht zu stören. Dem französischen Minister des Aeußern Ribot wurde mitgetcilt, daß man in Deutschland den Gedanken einer Weltausstellung in Berlin erwäge, dessen Verwirklichung allerdings noch von Umständen abhänge. Die große Schnelligkeit, mit der nun der Pariser Plan aufgeworfen wird, beweist, daß der leitende Beweggrund dieses Vorgehens lediglich dahin zielte, die Berliner Ausstellung zu Hintertreiben. Vorher war noch gar nicht von einer Pariser Ausstellung für das Jahr 1900 die Rede gewesen, auch nicht, als dem Minister Ribot die deutschen Eröffnungen gemacht wurden.
Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß auch die diesjährige Ernte in zahlreichen russischen Gouvernements einen schweren Ausfall ergeben wird, so daß der dortige Notstand nicht nur keine Linderung, sondern eine weitere Verschärfung erfahren dürfte; dazu kommt, daß von Persien her die Cholera in dem südlichen Rußland ihren Einzug gehalten hat und immer weiter nordwärts vordrängt. Die russische Regierung braucht wieder einmal Geld und möchte vor allem in Deutschland das Verbot der Be- lehnbarkeit russischer Wertpapiere bei der Reichsbank aufgehoben wissen. Die sichere Folge einer solchen Maßregel deutscherseits wäre, daß dem deutschen Kapital wieder einige Hundert Millionen russischer Obligationen aufgehalst würden. Mit Recht warnt daher die Kölnische Zeitung vor der Aufhebung dieses Verbots.
Ein am letzten Dienstag veröffentlichtes Dekret der Königin von England löst das britische Parlament förmlich auf; die Wahlagitation ist aber schon in ganz England im Gange und sie hat in Irland schon zu bedeutenden und blutigen Wahlexzessen geführt, wobei es schon mehrere Tode und zahlreiche Verwundete gab. Der alte Gladstone kennt kein anderes Ziel mehr als die Einführung des Homerule in Irland. Die konservativen Parteiführer Salisbury und Balfour bekämpfen diesen Plan mit aller Energie, weil sie von dessen Verwirklichung sogar einen Bürgerkrieg fürchten. Während Gladstone den Forderungen der Arbeiter um eine gesetzliche Besserung ihrer Lage keinerlei Gehör schenkt, versprechen die Konservativen, der Arbeiterfrage wohlwollend näher zu treten, falls sie im nächsten Parlament wieder die Mehrheit haben und demgemäß am Ruder bleiben. Großes Aufsehen in England erregt auch ein Wahlaufruf des Lords Rosebery, welcher unter dem letzten Kabinet Gladstone Minister des Auswärtigen war. Rosebery warnt die Engländer, eine Gladstonianische Mehrheit ins Parlament zu wählen, weil Gladstone ein Freund Rußlands sei und England mit dem Dreibund verfeinden würde, wodurch Englands Interessen namentlich in Indien furchtbar geschädigt werden könnten.
London, 30. Juni. Während eines Festes im Kristallpalast, woran über 7000 Sonntagsschüler teilnahmen, platzte ein Luftballon in einer Höhe von 100 Fuß. Die Insassen stürzten herab, der Luflschiffer, Capitain Dale, wurde angesichts seiner Frau und Tochter getötet, zwei andere tödlich verwundet.
Hlnierhattender Heil.
Eine Woche.
Kriminal-Roman von M . . . - <3. Fortsetzung.^
4. Kapitel.
Daß der April unbeständig und launenvoll fft, das ist eine längst bekannte Thatsache. Aber
auch auf seinen älteren Bruder, den März, ist nicht recht Verlaß.
Als ich am Morgen des 2. März erwachte war es bereits Heller Tag. Ich sah nach der Uhr, der Zeiger stand auf neun. Ich hatte folglich volle 6 Stunden geschlafen. Ich fühlte mich frisch und erquickt. Ohne mich lange zu besinnen, sprang ich aus dem Bett — Beschluß und Handlung sind eins beim Detektiv. Ich zog den Vorhang auf und blickte hinaus Strahlend blauer Himmel, herrlicher Sonnenschein. Aber kalt war es heute; der Thermometer zeigte fünf Grade unter dem Gefrierpunkt.
Ich kleidete mich ganz langsam an. Ich hatte ja keine sonderliche Ecke. Und dann hatte ich so viel zu denken!
Ich dachte an den Gemordeten-- Ben
jamin Hvod's ganzes Leben zog an meiner Seele vorüber. Ich verfolgte im Geiste die Spur, die meiner Meinung nach zum Ziele führen mußte, ich suchte mir die dunkeln Punkte zu erklären, ich zog meine «Schlußfolgerungen.
Benjamin Hood war eine der bekanntesten Persönlichkeiten in ganz New-Iork. Vor zwei Jahren war sein Namen in aller Leute Munde. Auf den Straßen kaufte man Flugblätter, welche seine Lebeusschicksale enthielten. Heute sollte sein Name abermals in oller Munde sein — und ich war auserlesen, das dunkle Rätsel zu lösen, ich sollte unter den hnndertausenden von Bewohnern dieser Weltstadt ein Individuum ausausfindig machen und sagen: „Du bist der Verbrecher. Du hast Benjamin Hood ermordet!"
Doch ich will Thatiachen berichten.
Benjamin Hood war der Sohn reicher Eltern und erhielt eine seinen Verhältnissen entsprechende Erziehung; er war ein schönes Kind und wurde von seinen Eltern sehr verzärtelt. Als er älter wurde, begann er ein ausschweifendes Leben zu führen. Er nahm schon lange vor der Zeit an allen möglichen Vergnügungen teil, die nur einem gesetzten Alter zukamen. Kaum zum Jüngling heraugereift, hatte er sich schon einen Namen in der jonnosse äoros Von New-Uork gemacht. Seine Geschicklichkeit als Billardspieler war allgemein anerkannt und im Reiten nahmen es nicht viele mit ihm auf.
Aber dem alten James Hood, Benjamins Vater, fing die Sache an bedenklich zu werden. Er selber war sein ganzes Leben lang strebsam und fleißig gewesen, und obwohl im Besitze unermeßlicher Reichtümer, war ihm jeder Dollar, den er ausgebcn mußte, ein Kummer. Als nun der Sohn dem Vater eines Tages einen ganz beträchtlichen Wechsel vorlegte, den er in vierundzwanzig Stunden einlösen mußte, da geriet der alte Herr dermaßen außer sich, daß er einen Schlaganfall bekam.
Aber James Hood war zähe, erholte sich bald wieder und stand seinem Geschäfte mit ununterbrochener Kraft vor; er kaufte und verkaufte mit derselben Berechnung und Klugheit wie früher, verdiente ebcusoviel Geld wie früher und verbrauchte unendlich viel mehr. Alle seine Vorstellungen waren fruchtlos. Der Sohn setzte sein ausschweifendes Leben fort.
Da in der elften Stunde erschien ein Retter in der Not! Benjamin Hood hatte einen Jugendfreund. Archibald Förster, der in jeder Beziehung das Gegenteil von ihm war. Er iah bleich und mager aus und war sehr zurückhaltend, seine blauen Augen drückten aber so viel Kraft und Verstand aus, daß man ihn unwillkürlich beachten mußte. Sein Körper war sehnig und elastisch. Schon mit zwölf Jahren hatte er mit eigener Lebensgefahr einen Kameraden vom Ertrinken errettet. Mit fünfzehn Jahren bändigte er ein scheugewordcnes Pferd, das in wahnsinnigem Galopp den Broadway hinabstürmte.
Archibald Förster war rastloser Natur. Der bleiche, stille Jüngling wollte hinaus in die Welt, er sehnte sich danach, seine Kräfte zu erproben, in seiner Seele brannte ein Feuer, das zugleich der Fluch und der Seegen des Menschen ist — der Ehrgeiz.
Er ging zur See und war viele Jahre fort, ohne daß man das Geringste von ihm hörte. Seine Eltern waren gestorben. Weitere Angehörige hatte er nicht.
So verfloß eine Reihe von Jahren, und dann kehrte Archibald Förster eines Tages in seine Vaterstadt zurück.
Es war fast unmöglich, ihn wieder zu erkennen. Aus dem bleichen Jüngling war ein Mann geworden. Er hatte sich entwickelt, war breitschulterig und sonnengebräunt. Nur die dunkelbraunen, blitzenden Augen hatte er noch. In seinem ganzen Auftreten lag ein bewußter, männlicher Ernst.
Archibald Förster hatte seinen Jugendfreund nicht vergessen. Die alte Beziehungen wurden wieder erneut. Benjamin Hood, der Förster sein Leben verdankte — er war der Kamerad, den Archibald aus den Wellen gezogen — sollte ihm noch mehr zu verdanken haben. Denn auf Forster's Vorstellung gab Benjamin Hood sein ausschweifendes Leben auf. Er erfüllte den Lieblingswunsch seines Vaters und trat als Teilhaber in eines der größten New-Aorker Geschäfte ein.
Archibald Förster war nicht allein in seine Vaterstadt heimgekehrt. Er halte einen Diener mitgebracht, einen Neger, ein wahres Prachtexemplar. ohne jenen dummen, schläferigen Ausdruck, welcher gewöhnlich den Negergesichtcrn eigen ist. Im Gegenteil, er sah aus, wie die verkörperte Schlauheit. Und wenn er lachte — was er nach Art der Neger oft that — und dabei seine weißen, glänzenden Zähne zeigte, da mußte man zugeben, daß er der schönste Neger war, den man sich senken konnte.
Und auf diesen selben Neger hatte ich in der verflossenen Nacht Jagd gemacht. Ihn hatte ich in der Spielhölle getroffen, wo er sich über einen seiner Mitspielenden gestürzt hatte, um dann aus meinem Gesichtskreis zu verschwinden. Warum ich gerade an ihn dachte, daß ich ihn für schuldig hielt, ihn, einen Neger, — das will ich gleich näher erklären.
Es war ganz natürlich, daß Archibald Förster bei seiner Rückkehr ein gewisses Aussehen erregte. Er war mit einem Worte interessant. So drückten sich wenigstens die jungen Damen aus. Und vielleicht hatten sie recht.
Archibald Förster verheiratete sich mit Anny Dowsing, die um diese Zeit die unbestrittene Beherrscherin der New-Iorker Solons war. Sie war eine ächte amerikanische Schönheit, groß und schlank, von herrlichem Wuchs und königlicher Haltung. Sie hatte eine paar dunkelbraune, tiefe, strahlende Augen, das Anziehendste an ihr war aber ohne Zweifel ihr stets wechselndes intelligentes Mienenspiel. Wenn mau mit ihr sprach sah man, wie sie jedes Wort auffaßte, und die treffenden, scharfsinnigen Aeußernngen, die man als Antwort erhielt, zeugten davon, daß man eine Frau vor sich habe, die geistiger Beziehung ebenso bevorzugt war wie in körperlicher.
Benjamin Hood verkehrte, wie das ja ganz selbstverständlich war, viel im Hause des Freundes. Der alte James Hood war gestorben. Er war über das Schicksal seines Sohnes beruhigt ins Grab gestiegen. Benjamin hatte das alte Sprichwort zur Wahrheit gemacht, daß die schlimmsten Buben die besten Männer werden.
Bcnjemin Hood verkehrte zu viel im Hause seines Freundes — wenigstens währte es nicht lange, bis sich gewisse Gerüchte, ihn und Anny Förster betreffend, verbreiteten.
Waren dieselben begründet?
Nein, ich bezweifle es. Das, was die Welt sah, war unmöglich, unerklärlich — wenigstens hatte man keine Beweise, und eine Sache, welche der Beweise entbehrt, hat für einen Polizisten keine Bedeutung.
Und weshalb sollte Anny Benjamin Hood vor Archibald Förster den Vorzug geben?
Sie waren beide schöne, stattliche, intelligente Männer. Förster war eine verschlossene Natur, Hood war lebhaft und zugänglich. Dafür besaß Archibald Förster aber unendlich mehr Bildung, hatte mehr Gemütsticfe und liebte seine Gattin leidenschaftlich.
Warum sollte sie da den Liebhaber vor ihrem Manne vorziehen? Ja warum! Und doch zeigte sich bald, daß dies wirklich der Fall war. Nicht, daß sie ihre Pflichten verletzt, ihre Ehre geschändet hätte — Anny Förster war nicht die Frau da-