zeitgemäße bezeichnet werden, kann. Wir haben den sogen. Vieh-Verstell-Verein im Auge, welcher dort schon verschiedene Jahre existiert, sich als äußerst nutzbringend erwiesen und seinem Gründer, dem regen und um seine Gemeinde hochverdienten Stadtschultheißen und früheren Landtagsabgeordneten Kupserschmid schon viele Anerkennung von kompetenter Seite eingetragen hat. Laut den Vertrags-Bstimmungen vermietet die Stadt Spaichingen an dortige Bürger auf die Dauer von 6—8 Jahren Vieh gegen eine jährliche Rente, welche sich nach der Höhe des Wertes des gemieteten Stückes richtet. Der Mieter übernimmt die Verpflichtung, das Tier gut zu nähren und zu halten und dasselbe zu keiner anderen Arbeitsleistung als zur Bebauung seiner eigenen Oekonomie zu gebrauchen. Das jährlich zu entrichtende Mietgcld ist fällig, sobald die Kuh kälbert und das Kalb verkauft wird, event. ist Martini als ordentlicher Termin anzujehen. Den Verkauf der Kälber übernimmt die Stadt und wird der Erlös an der Miete abgerechnet. Wenn die entrichteten Mietbeträge die Höhe derjenige Summe, zu welcher das Stück gewertet ist, erreicht haben, so hört das Mietsverhältnis aus und geht das Objekt auf den seitherigen Mieter als Eigentum über. Es ist selbstverständlich, daß der Mieter der Vermieterin gegenüber haftbar bleibt gegen etwaigen durch ungünstigen Verkauf, Notschlachtung, Unfall oder Krankheit verursachten Schaden. Das Risiko des Mieters ist indessen ein ziemlich geringes, da er die Verpflichtung hat, das gemietete Vieh sofort nach dem Inkrafttreten des Mietsvertrags in den ebenfalls von der Stadtgemeiude ins Leben gerufenen Viehversicherungsverein aufnehmen zu lassen. Etwaige Streitigkeiten werden durch das Stadtschultheißenamt bezw. dessen jeweiligen Vorstand in bindender Form geschlichtet. Der gerichtliche Weg ist ausgeschlossen. Nach unseren an Ort uud Stelle eingeholten Informationen ist übrigens bis jetzt ein schiedsrichterliches Einschreiten nur sehr selten erforderlich gewesen, in den ersten 3 Jahren beispielsweise gar nicht. Der Nutzen einer Gründung, wie sie vorstehend in ihren Hauptzügen klargelegt wurde, ist einleuchtend, insbesondere, wenn Gegenden in Betracht kommen, in denen die Landbautreibende Bevölkerung weniger günstig situiert und beim Viehbezug fast ausschließlich auf die gewerbsmäßigen Zwischenhändler angewiesen ist. Dieser kann nach Lage der Sache dem Käufer gegenüber nur eine unzulängliche Garantie bieten, verlangt dagegen von demselben ein solches in ausreichendster Weise und fordert zu dem bei Teilzahlungen, um die es sich ja meistens handelt, einen den wirklichen Wert oft ganz bedeutend übersteigenden Preis. Aber auch wohlhabenden Gemeinden würde unseres Erachtens eine Einrichtung wie die Spaichinger zu statten kommen. Manchem kleineren Grundbesitzer dürfte eine Ergänzung bezw. Vermehrung seines Viehstandes aus die angegebene Weise wünschenswert erscheinen, ohne daß er nötig hätte, zu Händlern seine Zuflucht zu nehmen. Mil Genugthuung darf konstatiert werden, daß die Schöpfung des Herrn Stadtschultheißen Kupserschmid nicht nur, wie eingangs schon erwähnt, vielfache Anerkennung, sondern auch da und dort schon Nachahmung gefunden hat. Nach dem Spaichinger Vorbild wurden ähnliche Anstalten bereits in Straßburg, Neuwied a. Rh., Heddersdorf, Tübingen, Großraitingen u. s. w. gegründet. Je mehr sie sich ausbreiten, desto mehr wird dem vielbeklagten Vieh-Wucher und was drum und dran hängt, Eintrag gelhan.
Ausland.
Paris, 3. März. Der Matin enthält große Skandale über Mißstände in der Armeeverwaltung und im Lieferungswesen; 800000 Soldatenschuhe wurden in zerfallendem Zustande in den Magazinen entdeckt. Der Kriegsminister Freycinet, nicht im Stande, die Mißstände in der Verwaltung abzustellen, habe sich entschlossen, den Kammern den für eine Mobilisation gesähr - lichen Zustand zu unterbreiten.
Paris, 3. März. Die heute vor der Kammer abzugebende Erklärung der Regierung
betont, die bisherigen Gesetze seien ausreichend zur Sicherstellung der Rechte des Staates gegenüber der Kirche. Die Entwicklung der Armee und die Rolle der Diplomatie, welche Frankreich Allianzen gewonnen habe, seien die besten Mittel, um Frankreich den Frieden zu sichern, welcher dem gegenwärtigen Kabinet ebenso teuer sei, wie dem früheren.
Der diplomatische Vertreter Bulgariens in Konstantinopel, Vulkovich, ist am Hellen Tage dnrch einen Dolchstich tätlich verwundet worden und bald darauf gestorben. Es ist kein Zweifel darüber möglich, daß der Mörder mit russischem Gelde gedungen war und auch auf ein russisches Schiff entkommen ist und auf dem Friedhof zu Philippopel, wo Vulkomich mit großem Pomp beerdigt wurde, sprach ein Redner dies offen aus. Dem „heiligen" Rußland sind alle Mittel recht, um seinen Haß gegen bulgarische Patrioten zu befriedigen.
In Griechenland hat König Georg an der Wirtschaft des Ministeriums Delyannis, welche das Land in die größte Finanznot brachte, satt bekommen, und dem Kabinet einfach den schlichten Abschied erteilt. Delyannis ließ sich von seinen die Mehrheit in der Deputiertenkammer bildenden Anhängern nochmals ein Vertrauensvotum geben; aber der König bestand auf seinem Recht, Minister einzusetzen und zu entlassen. Ein Uebergangsministerium unter Konstantinopulos wurde ernannt. Dieses wird zunächst die Kammer auslösen und Neuwahlen anordnen. Der konservative Trikupis sollte für seine frühere Amtsführung vor den Staatsgerichtshof gestellt und so zeitlebens auf die Seile gedrückt werden. Aber dieses Manöver Delyannis fand so allgemeine Mißbilligung namentlich bei dem König, daß Delyannis in der Kammer selbst die Verzichtleistung auf die Klageerhebung befürwortete.
Unterhaltender Teil.
Ein seltsamer Fall.
Kriminalgeschichte von F. Arnefeldt.
(14. Fortsetzung^
„Erklären Sie sich endlich deutlicher; aus wen richtet sich Ihr Verdacht?"
„Auf meinen Vetter Sigmar Hardheim, den Bauführer," erwiderte Albertine, und einen Augenblick herrschte Totenstille in dem Raume; den Kriminalrat kam ein Frösteln an, der Protokollführer ließ die Feder sinken.
„Der Bauführer Sigmar Hardheim?" wiederholte der Untersuchungsrichter, „der eigene Neffe der Frau Klingenmüller?"
„Der Sohn ihrer einzigen Schwester; ich bin die Tochter eines Bruders von ihr," erklärte Fräulein Albertine, „sie hat ihn erziehen und studieren lassen und sehr, sehr viel an ihn gewendet."
„Und dennoch?"
„Leider, leider," seufzte Albertine und erzählte nun, daß der Vetter, sehr zum Aerger der Tante, ein leichtes, lustiges Leben geführt und sehr viel Geld verbraucht habe, das er der Frau immer wieder abzuschmeicheln gewußt, obgleich sie jedesmal versichert, nun sei es das letzte Mal und Sigmar sollte nur nicht erst den Versuch machen, er bekomme nichts wieder. Er habe ihn aber doch immer wiederholt und mit Erfolg, denn die Tante hätte eine Schwäche für ihn gehabt, und ihr hätte cs in der Seele leid gethan, daß der hübsche, reich begabte Mensch dadurch in seinem unordentlichen Lebenswandel bestärkt wurde, und sie habe es für ihre Pflicht gehalten, der Tante Vorstellungen zu machen. Das hätte sie denn auch in den letzten Tagen gethan, denn sie hätte gewußt, Sigmar würde sich wieder einfinden; es sei gerade gewesen, als witterte er es, wenn Frau Klingenmüller frisch bei Kasse gewesen sei. Gestern Nachmittag habe er sich denn auch richtig eingestellt und zum ersten Male sei Frau Klingenmüller fest geblieben und habe ihm nichts gegeben. *
„Wie viel verlangteer?" fragte der Kriminalrat.
„Sechstausend Mark; er forderte immer viel und war schließlich auch mit weniger zufrieden. Diemal ober war er ganz besonders dringend, er dauerte mich, aber ich riet der Tante doch, fest zu bleiben, ich that es zu seinem Besten; hätte ich ahnen können, daß er so verzweifelt war, ich hätte doch der Tante nicht ad- geredet."
„Und Sie meinen, daß er der Mörder ist?" fragte der Kriminalrat.
Albertine nickte. „Sobald ich das Unglück sah, erfaßte mich der furchtbare Gedanke. Sigmar weiß Bescheid im Hause, er hat der Tante die Zeichnung zu der Veranda gemacht und den Thürverschluß angegeben, er ist ein ausgezeichneter Turner und klettert wie eine Katze. Er hat sich keinen andern Rat gewußt, har gedacht, er wolle sich in der Nacht, während die Tante schlief, das Geld holen, sie ist aufgewacht und da ist das Unglück geschehen. Das Alles packte mich bei der Leiche der Tante, und darum flüsterte ich: das ist mein Werk."
„Das sind ober doch nur Vermutungen, die vorläufig jedes Beweises entbehren," versetzte der Kriminalrat.
Noch einmal kämpfte Albertine mit sich, dann sagte sie: „Nein, ich habe einen furchtbaren Beweis: das Taschentuch, welches der armen Tante in den Mund gestopft war, gehört meinem Vetter; ich habe selbst die Tücher gekauft, gesäumt und gestückt, die ihm die Tante zum letzten Geburtstage schenkte"
Der Kriminalrat nahm das Tuch zur Hand, das ihm als Beweisstück mit eingeliefert war, und betrachtete es genau. „Wir haben bisher angenommen, es sei ein Tuch der Frau Klingenmüller, es ist mit 8. gezeichnet, und sie hieß Sophie. Sie haben dem nicht widersprochen."
„Ich konnte mich nicht entschließen, ihn anzuklagen, aber es ist Sigmars Tuch, ich habe es auf den ersten Blick erkannt."
„Und Sie ließen es geschehen, daß der Gärtner eingezogen ward?"
„Ich dachte, er würde wohl seine Unschuld beweisen und Sigmar inzwischen davon kommen, denn er ist ja heute früh verreist; und dann dachte, ich auch wieder, Windenbruch könne cs doch vielleicht gewesen sein, und ich lhue meinem Vetter Unrecht; Sie dürfen es nicht so genau mit mir nehmen, ich bin ein schwaches, hilflofes Mädchen, das durch den schrecklichen Vorfall ganz betäubt.-ist. Nun wissen Sie aber alles, nun habe ich mein Gewissen entlastet."
Der Kriminalrat ließ ihr das Protokoll vorlesen, sie unterschrieb und erklärte sich bereit, es zu beschwören.
Nachdem Fräulein Albertine Wenzel sich entfernt hatte, saß der Kriminalrat noch eine zeitlang überlegend, dann klingelte er und befahl, den Polizei-Inspektor Grosser zu rufen, dem er den Auftrag gab, sich schleunigst das Signalement des Bauführers Sigmar Hardheim zu verschaffen, auf ihn zu fahnden und eS auch nach allen Richtungen hin zu telegraphieren, dabei aber doch zu bemerken, daß man mit einer gewissen Schonung zu verfahren habe. Nachdem dies besorgt war, wollte er den Gärtner nochmals vorsühren lassen, besann sich aber eines andern.
Ganz sicher bin ich doch nicht, ob der Kerl den Mord nicht ausgeführt har, oder wenigstens dem andern dabei behilflich gewesen ist, überlegte er. Es kann auf keinen Fall schaden, wenn ich ihn festhalte, bis wir den andern Vogel haben. Stellt sich alsdann seine Unschuld heraus, so ist es immer noch Zeit, ihn loszulassen; die paar Tage Arrest sind dann seine gerechte Strafe für das Spielen in der ausländischen Lotterie, das dem Herrn Behrend auch noch mehr kosten soll, als es ihm eingebracht hat.
Mil dieser Erwägung begab er sich aus dem Kriminalgebäude nach seiner Wohnung, das Tagewerk für heute beschließend.
(Fortsetzung fotzt.)
Mit einer Beilage
von Georg Schuster, Musikinstrumenten- und Harmonika-Fabrik in Markneukirchen i. S.
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.