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Beilage zu Nr. 116 -es EnHiilers.
Neuenbürg, Donnerstag den 24. Juli 1890.
Nliszrllen.
Der Schwanenritter.
Roman von E. von Martine;.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
Sie zündete kein Licht mehr an, sondern trat zum Fenster und sah über den See hinüber. „Er kann mir mein Glück nicht nehmen," sprach sie leise, „o, Du mein Gott, welch' eine ungeahnte Wonne durchflutet meine Seele, — ich habe bisher nicht gelebt, ich habe bisher nicht gebetet. — Allmächtiger, wie gütig bist Du," sie sank auf die Kniee und indem sie ihren Kopf zum Himmel erhob. faltete sie die Hände und betete.
Während dessen saß Alscnhorn unten im Speisesaal und ließ sich eine Flasche Sekt nach der andern bringen. Mit jedem Glas wurde er ruhiger.
„Lappalie," sagte er zuletzt, während ein häßliches Lachen sein Gesicht entstellte, „mein ist sie doch. — Dörau hatte ganz recht, das Geld allein regiert die Welt, damit kann man sich alles kaufen. — Ich habe mir ein schönes junges Weib gekauft, es ist mein. —"
Der köstlichen Mondnacht folgten kalte trübe Regentage und dieselbe Stimmung wie draußen in der Natur, herrschte auch in der reichen Billa des Fabrikanten. Der Hausherr hatte drohende Wolken auf der Stirne, und sein Mund öffnete sich nur, um Flüche und Verwünschungen auszustoßen ; trotz all' seines Geldes, mit dem er sich Alles kaufen zu können glaubte, was er wollte, konnte er sich doch die frohe Laune, das freie leichte Gemüt nicht erwerben. Der lustige Kuno brachte die meiste Zeit außer dem Hause zu, denn die ungemütliche Stimmung war ihm unangenehm und dem Unangenehmen geht man aus dem Weg, so viel man kann. Seraphine war bleich und aufgeregt. Die Schwester behandelte sie mit verächtlicher Gleichgültigkeit, während sie alles versuchte, sich bei dem Schwager angenehm zu machen.
„So lange ich da bin, ist auch ein guter Wächter da," raunte sie ihm zu. „Geh Du nur ins Geschäft, ich wache schon, mir entgeht nichts, darauf verlasse Dich."
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Die Abende wurden immer kürzer und kühler. Das Laub färbte sich gelb und rot, die Blumen hingen vom Reife verbrannt ihre Köpfchen traurig zu Boden. Das fröhliche geschäftige Singen und Schwirren der Vögel verstummte, denn sie ahnten, daß der kalte Winter mit seiner starren Schneedecke immer näher und näher heranrückte. Alles war in melancholischer Herbststimmung. nur Lillis Wangen blühten, wie die Rosen im Frühling und ihre Augen leuchteten im sonnigsten Lichte, fortwährend lag ein seliges Entzücken auf ihrem Gesichte, trotzdem Wochen verstrichen, ohne daß Kalenberg gekommen war. Der Graf blieb Tage lang allein
und suchte die einsamsten Spaziergänge auf, selbst das Interesse an dem Bau hatte er verloren. Seine Stimme war immer ernst und sein Blick traurig. Manchmal bestieg er den Wagen und fuhr in der Richtung nach Tauber, doch auf halbem Wege kehrte er wieder um. Sein Diener Andreas, der ihn seit seiner Kindheit kannte, schüttelte den Kopf und sah ihm besorgt nach. „Was ihn nur so verstimmt," brummte er, „was ihn nur so quält und so ruhelos umhertreibt. Ich fürchte, die schwarzen Augen der Frau Alsenhorn haben es ihm angethan."
Der erste Schnee siel in großen Flocken, als der Bau der Burg eingestellt wurde. Alles glaubte nun, daß der Graf seine Koffer packe und das kleine langweilige Dörfchen Seewinkel verlassen werde. Allein er machte zur größten Verwunderung seines Dieners gar keine Anstalten zur Abreise.
Der Winter kam dieses Jahr ungewöhnlich rasch, die Berge hatten sich früher als sonst von oben bis unten in einen Schneemantel gehüllt und den See überzog bald eine dicke, feste Eisdecke. Während die älteren Bewohner von Tauber und Seewinkel sich an den warmen Ofen setzten und mit unwirrschen Blicken dem Schnee- gewirbel zusahen, eilte die Jugend unter lautem Jauchzen hinaus, um sich mit Schneeballen zu bewerfen und sich im Schlitten und auf dem Eise herumzutummeln.
Auch die Offiziere benutzten fleißig die Eisbahn und weil Seraphine eine gewandte, graziöse Schlittschuhläuferin war, schlug sie eine maskierte Unterhaltung auf dem Eise vor. In der nächsten Woche sollte am ersten schönen Tag das Fest vor der Villa Alsenhorn stattsinden. Konstantin erklärte sich bereit es dann durch einen Ball zu beschließen.
Die Offiziere hielten eine Versammlung, um das Komitee zu wählen.
„Ich reite nach Seewinkel hinüber," sagte Brem, „ich weiß, daß Kolenberg noch immer dort ist, er darf bei dem Felle nicht fehlen."
„Was, bei diesem Wetter! Bist Du in den Schwanenritter etwa auch verliebt, wie sämtliche junge und alte Mädchen der hiesigen Stadt," lachte Oberst Pürner.
„Wenn ich ein Weib wäre," gab Brem zurück, „glaube ich sicher, daß ich hierin keine Ausnahme machen würde, denn bei Gott, das muß ihm selbst sein bitterster Feind lassen, er ist der liebenswürdigste Mensch, den man sich denken kann."
„Ach was," rief ein junger, noch bartloser Lieutenant, „er ist ohne Feuer und macht sich aus den Frauen nichts, und das eben ist es, was diese so anzieht. Mir unbegreiflich, auf Ehre, — man sollte meinen, er wäre der einzige Mann auf der Welt. Aber natürlich seine Stellung, sein Vermögen sind die Dinge, die bei den Mädchen ins Gewicht fallen. Jede möchte Gräfin Kolenberg werden.
Wir sind, so lange er hier ist, ganz ohne Interesse für die hiesigen Damen."
„Aus Ihnen spricht der pure Neid," erwiderte Brem, doch es nutzt Sie nichts, lieber Schulze, ich reite dessen ungeachtet hinüber, den unüberwindlichen Rivalen zu bitten, mit feiner Person dem Feste den höchsten Glanz zu verleihen."
Obwohl der Graf bei sämtlichen Offizieren , Schulze vielleicht ausgenommen, eine sehr beliebte Persönlichkeit war, wunderten sich doch alle, als sie Brem zu Pferde steigen sahen, um nach Seewinkel zu reiten, denn die tief herabhängenden Wolken schüttelten immer rascher große Schneeflocken auf die Erde hernieder, Roß und Reiter damit bedeckend.
„Gott sei Dank, daß ich heute doch nicht wieder umsonst komme. Es ist ein wahres Wunder, Sie zu treffen, Herr Graf," sagte nach der ersten Begrüßung Brem.
„Bei dem Wetter," rief dieser, „das muß eine wichtige Sache sein, die Sie zu mir führt, aber machen Sie es sich vor allem bequem."
„Meine Kameraden rieten, einen Brief oder Diener zu Ihnen zu schicken, aber ich wußte, daß dies umsonst wäre, darum bin ich trotz Schnee und Sturm selbst gekommen. Sie dürfen mir meine Bitte nicht abschlagen."
„Wenn es in meiner Macht liegt, lieber Brem, sei Ihr Wunsch gewährt."
„Die nächste Woche ist ein großer, maskierter Schlittschuhtanz auf dem See; Alles kommt, Sie dürfen nicht fehlen."
„Nun und?"
„Sonst nichts."
„Was der Tausend, um meiner Person willen sind Sie hierher geritten, lieber, guter Brem, natürlich komme ich, das wäre ja ganz abscheulich, eine so liebenswürdige Bitte abzuschlagen."
„Sie sind mir die ganze Zeit über abgegangen, ich hatte eine wahre Sehnsucht, Sie wieder einmal zu sehen. Warum verstecken Sie sich so; der Bau kann nicht Schuld daran sein, da er seit Wochen eingestellt ist."
„Nein, der nicht — sondern mein Gemüt, lassen wir das, sprechen wir von etwas Anderem, von dem Feste, was soll es denn geben?"
„Erst eine Schlittenfahrt um die Stadt, dann auf dem See, wo eine Schlittschuhquadrille getanzt werden soll; wer nicht dabei beteiligt ist, fährt auf kleinen Schlitten, das heißt die Damen lassen sich fahren. Abends Ball und Souper bei Alsenhorn."
„Gut, ich komme, die Sache ist abgemacht."
„Wie werden sich die Damen freuen."
„Das wäre kindisch, ja thöricht," erwiderte der Graf, „denn zur Unterhaltung trage ich nichts bei."
„Dessen ungeachtet sehen alle Augen auf Sie, bedenken Sie doch, lieber Graf, Sie sind unvermählt, Sie werden Ihrer Frau einmal ein schönes Leben bereiten können. Nach einem so glänzenden Loos