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sei, nach Berlin zu gehen, so gehe er dennoch hin, um den Anteil Frankreichs an den Wissenschaften vertreten und sich über die Fortschritte der Chirurgie in der ganzen Welt zum Besten in der französischen Wissenschaft zu unterrichten. Charakteristisch ist der Schluß, in welchem Lesart erklärte: daß man bei allem Patriotismus den deutschen Aerzten für die Pflege dankbar sein müsse, welche sie 1870 den französischen Verwundeten in absolut gleichem Maße wie den deutschen Verwundeten zu Teil werden ließen.
Der Gedanke, dem russischen Kaiser eine Gefälligkeit zu erweisen, indem man Ferdinand von Bulgarien den guten Rat gab. sich vom Throne zurückzuziehen, schien sowohl in den französisch-orlean- istischen Kreisen, insbesondere auch bei der Mutter des jungen Bulgarenfürsten als gleichzeitig in den diplomatischen Kreisen der Republik Anklang gefunden zu haben und um so mehr Erfolg zu versprechen, als der gleiche Gedanke auch als Resultat eines Coburger Familienbeschlusses auftrat und, wie es hieß, die Sanktion des deutschen Kaisers gefunden hatte. Somit schien Alles recht gut geordnet, aber bei dieser bulgarischen Rechnung stimmte eine Hauptsache nicht. Fürst Ferdinand selbst wollte nichts davon wissen, daß es durchaus notwendig sei, seinen Thron zu verlassen. Ferdinand beschloß, in Sofia auszuharren und kehrte von Karlsbad schleunigst nach der kleinen Hauptstadt zurück.
Man muß nun sehen, ob die Bulgarentreue kein leerer Wahn ist, denn jedenfalls stellt sie Fürst Ferdinand höher, als die platonische Freundschaft der Großmächte, die allesamt nicht viel Interesse zeigen, thatkräftig für die Coburger Dynastie im unteren Donauländchen einzutreten. Nicht unerfreulich klingt die Nachricht, daß sich die Beziehungen der Türkei zu dem abhängigen Bulgarien fortdauernd gebessert haben. Wenn auch das offizielle Oesterreich es aus bekannten Gründen vermeidet, Ferdinand von Bulgarien und sein Land zu auffällig zu unterstützen, die Coburger Familie und der Fürst selbst haben bei Hofe, unter den Staatsmännern, in der Armee, ihren Anhang und starke Sympathien, die nicht zu unterschätzen sind, wenn die Zeit heranrückt, in welcher die bulgarische Frage und ihre Weiterungen, die großbulgarische und panslavistische Frage, zur Entscheidung kommen werden.
Der Kaiser hat in Christiania zwei allerliebste Ponies gekauft, die er seinem zweiten Sohne, dem Prinzen Eitel Fritz zu dessen jüngsten Geburtstage geschenkt hat.
Mit freudiger Teilnahme hat man in weiten Kreisen des deutschen Volkes die Nachricht von der glücklichen Ankunft Dr. Peters in Zanzibar vernommen, womit die seltsamen Kreuz- und Querfahrten dieses Gelehrten durch teilweise noch nie erforschte Gebiete des östlichen Afrikas zum Abschlüsse gelangt sind. Der eigentliche Zweck seiner Expedition, die Entsetzung Emin Paschas, ist freilich von Dr. Peters nicht erreicht worden, einfach, weil ihm hierin Mr. Stanley auf allerdings etwas fragwürdige Weise zuvorgekommen war, aber dennoch hat Dr. Peters
auf seinem Unternehmen so Kühnes und Hervorragendes geleistet, daß er die Teilnahme und Anerkennung seiner Landsleute gewiß verdient. Ueber den Zeitpunkt ieiner Rückkehr nach Deutschland sind noch nähere Nachrichten abzuwarten, dieselbe dürfte aber wohl erst zum Herbst erfolgen, da Dr. Peters auf der Heimreise vermutlich in Egypten einen Erholungs- Aufenthalt nehmen wird.
Wie der „Times" aus Zanzibar gemeldet wird, reist Dr. Peters direkt nach Berlin ab.
Namentlich seitens der Geschäftsreisenden u. s. w. wird bekanntlich schon seit geraumer Zeit die Einführung sogenannter Kilo met erb i lle ts angestrebt. Neuerdings ist nun beantragt worden, die seit längerer Zeit in Ungarn eingeführte Einrichtung des Kilometer- Wertmarkensystems auf den Verein deutscher Eisenbahnverwaltungen auszudehnen. Der Personenverkehrsausschnß des Vereins hat indessen wie der „Post" mitgeteilt wird, für die bevorstehende Generalversammlung die Ablehnung dieses Antrags befürwortet.
Berlin, 17. Juli. Die Schloß- freiheit-Lotterie hat. wie der „Con- fektion" mitteilt, 20 jungen Mädchen aus der Arbeitsstube des Modebazars Gerson u. Co. je 740 in den Schooß geworfen. Als das Los angeschafft werden sollte, konnte ein junges Mädchen den auf sie fallenden Anteil von 1 vkL 50 nicht erübrigen. Damit diese nun aber nicht leer ausgeht, hat eine jede der Arbeiterinnen von ihrem Gewinn 20 ^ geopfert, um auch der Kollegin eine Freude zu bereiten.
Mardurg, 18. Juli. Falsche Fünfzigmarkscheine, welche auf photographischem Wege sehr täuschend hergestellt und deshalb von echten Scheinen nur schwer zu unterscheiden sind, sollen im Umlauf sein.
Eisenbahnfrachtbriefe. Die roten Eilgutfrachtbriese werden nach einem Beschluß des Deutschen Eisenbahn-Verbands durch weiße Formulare, die mit einer breiten roten Einrahmung versehen sind, demnächst ersetzt.
Württemberg.
Seine Majestät der König haben durch Allerhöchste Ordre vom 13. Juli d. I. in Bestätigung des Spruchs eines Ehrengerichts den karakterisierten Hauptmann z. D. Miller in Riedlingen, zuletzt Premierlieutenant im Grenadier-Regiment König Karl Nr. 123, wegen Verletzung der Standesehre unter erschwerenden Umständen des Offiziertitels und des Rechts zum Tragen der Militär-Uniform verlustig erklärt.
Ulm, 15. Juli. Am Schwörmontag den I I.Aug. soll hier ein großes Kostümfest abgehaltcn werden.
Tübingen, 16. Juli. Ein schreckliches Unglück hat sich heute in der Familie des Taglöhners Schreiner am Osterberg zugetragen. Während früh morgens die ihrer Entbindung entgegensetzende Mutter von ihrem Manne ins Klinikum verbracht wurde, kam das Bett, in dem 2 Kinder, ein 3 jähriges Mädchen und ein etwa 1 jähriger Knabe schliefen, in Brand und fand der heimkehrende Vater das jüngere
Kind tot mit ziemlich stark verkohltem Gesicht vor. Das Mädchen erlitt unbedeutende Brandwunden am Kopf und wurde in die medizinische Klinik verbracht.
Nagold, 17. Juli. In nicht geringe Aufregung geriet ein großer Teil der Ein- 'wohncr von Jselshauseu, als man dort gestern nacht gegen 11 Uhr in der Scheuer des Bauers Fr. Mast Lichtschein entdeckte. Einige beherzte Männer thaten sich zusammen und fanden, daß 2 Stromer daselbst ihr Nachtlager aufgeschlagen und, um es besser zu finden. ab und zu ein Zündholz angezündet hatten. Die Eindringlinge wurden von den entrüsteten Bauern etwas unsanft aus ihrer Ruhestätte entfernt und in den Ortsarrest verbracht. Auf dem Wege dorthin drohten sie, sich zu rächen. Einer davon hatte ein ziemlich großes Küchenmesser bei sich, das er vor einiger Zeit zwischen Marbach und Backnang auf der Straße gefunden haben will: der andere, ein Schneider, führte wohl seines Berufes wegen eine große Scheere mit sich. Die gefährlichen Burschen wurden an das K. Amtsgericht eingeliefert.
O e st e r r e i ch.
Bozen, 21. Juli. Der Bahnverkehr zwischen Waidbruck und Brixen ist unter- brachen. Selbst der Wagenverkehr ist unmöglich. Die Wiederaufnahme des Verkehrs vor einigen Tagen ist undenkbar. Bozen wimmelt von unfreiwilligen Gästen.
Ausland
Brüssel, 22. Juli. Wie verlautet, trifft Kaiser Wilhelm am 2. August in Ostende ein und reist am 3. August wieder ab. Er wird dort mit König Leopold Zusammentreffen.
London. 21. Juli. Der Herzog von Cambridge nahm heute in der Wellington-Kaserne die Parade über das 2. Bataillon der Garde-Grenadiere ab und hielt dabei eine Standrede, in welcher er das Bataillon ermahnte, in Zukunft die Schande der Meuterei durch gutes Betragen auszulöschen Hierauf wurde das Urteil deS Kriegsgerichts, welches über drei Ma >» zwei Jahre, über zwei Mann achtzehn Monate Gefängnis verhängte, verlesen. Zwe: der Verurteilten rissen sich sodann ihre Medaillen von der Brust und warfen sie zu Boden. Die verurteilten sechs ältesten Grenadiere wurden gestern im Steafanzng in das Militärgefängnis zu Brixwn abgelieferl.
London, 22. Juli. Heule früh 5 Uhr marschierten die Garde-Grenadiere aus der Wellington - Kaserne nach der Viktoria-Station; von dort wurden sie nach Chatan befördert, wo die Einschiffung nach Bermudas stattfindet. Eine große Menschenmenge brachte ihnen Huldigungen dar. Die Verheirateten nahmen schmerzlichen Abschied von ihren Weibern. Wenigstens drei Viertel der verheirateten Soldaten hatten ohne Erlaubnis der Behörde geheiratet, so daß die Weiber nicht allein in England Zurückbleiben, sondern auch der besonderen Heiratszulage verlustig gehen.
Wtt einer Vellage.
Redaktion, Druck und Verlag von Chrn. Meeh in Neuenbürg.