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trauensmännerversammlung der deutschen Partei statt. Eröffnet wurde dieselbe um 1t Uhr durch Dr. Götz von hier. Nach Begrüßung der zahlreich Anwesenden aus allen Bezirken des Landes wurde als Vorsitzender Dr. Götz gewählt und zur Tagesordnung übergegangen. Es handelte sich zunächst um Verstärkung der Partei­organisation. Die Organisation der ein­zelnen Wahlkreise wurde der Reihe nach durchgesprochen. Interessant waren hiebei die gegebenen Berichte über die Thätigkeit der deutschen Partei und die der Gegen­partei bei den letzten Wahlen. Eine Reihe von Anregungen wurde gegeben zum praktischen Vorgehen betreffs Agitation. Als zweiter Punkt stand auf der Tages­ordnung stand auf der Tagesordnung die Gründung eines eigenen Parteiorgans. Es wird mitgeteilt, daß Rechtsanwalt Stockmayer und Kommerzienrat Kohl­hammer bereit sind, vom 1. Oktober ab eine täglich erscheinende Zeitung der deut­schen Partei herauszugeben, gegen eine Subvention von jährlich 25 000 Mark, zunächst auf 2 Jahre. 10 000 Mark hievon sind bereits von Stuttgarter Parteifreunden gezeichnet. Dieses Anerbieten wurde mit großer Freude begrüßt und wird die noch fehlende Summe von Parteifreunden des Landes gezeichnet werden. Dr. Schall referiert über die Erweiterung des Partei­programms die nationalen und liberalen Grundsätze der Partei, über die Stellung­nahme zur Regierung, Religion, zu den Militärfragen, zur Kolonialpolitik, zu den Fragen über ein bürgerliches Gesetzbuch, die freiwillige Gerichtsbarkeit, die Organi­sation der Gemeindeverwaltung, Ver- fassungsreviston, Steuer- und Sozialpolitik, über die Stellung zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft nnd der Klein­gewerbe rc. Großer Beifall wurde dem Herrn Referenten gespendet für seinen klaren umfassenden Vortrag und beschlossen, denselben zu veröffentlichen. Wegen vor­geschrittener Zeit mußten zwei weitere, auf der Tagesordnung stehende Punkte auf die nächste Versammlung verschoben werden.

Trichtingen OA. Sulz, 15. Juli. Ein schlafender Knabe, der 10jährige Sohn des Postboten Dr., befindet sich hier. Dieser Knabe schläft, wie derSchw. B.» schreibt, schon seit 14 Tagen, mußte während dieser Zeit künstlich ernährt werden, blieb unempfindlich gegen mechanischen Reiz, wie Reiben mit Bürsten rc. und ist erst seit gestern erstmals aufgewacht. Mit dem Erwachen ist jedoch das volle Bewußtsein noch nicht zurückgekehrt, noch weniger kann er über die Sprache verfügen.

Aidlingen OA. Böblingen, 15. Juli. Gestern ging ein hiesiger Mann namens Christoph Wagner auf den Markt in Plie­ningen und übernachtete daselbst in einer Wirtschaft. Diesen Morgen nun traf ein Telegramm an seinen Angehörigen ein, Wagner sei in der Wirtschaft die Treppe heruntergefallen und augenblicklich ge­storben. Der Unglückliche sowie seine An­gehörigen werden allgemein bedauert.

Von den Börsen.

Stuttgart, 18. Juli. Der nun- mehr wirklich eingetretene Hochsommer, welcher die Leute in die Sommerfrischen«

treibt, verödet die Börsen und lähmt das Geschäft, so daß fast jeden Tag der Re­frain wiederkehrtGeschäftsstille drückte.» Die Börse macht zwar von Zeit zu Zeit einen Anlauf, um die Kurse wenigstens zu halten, teilweise sogar zu steigern, aber bald sinkt sie allemal wieder ermattet zu­rück. Deutsche und ausländische Renten behaupteten in der adgelaufenen Berichts­woche im allgemeinen ihren Kursstand, da die politische Ruhe wenigstens vor­läufig nicht als gefährdet betrachtet wird; nur dieexotischen" Südamerikaner spe­ziell Argentinier finden kaum noch Käufer selbst bei sehr gedrückten Kursen. Die bedauerliche und wie es scheint uns Deut­schen wie ein Erbübel anhaftende Sucht, alles was vom fernen Ausland kommt anzustaunen und sogar die wildfremdesten Wertpapiere als etwasrecht Vornehmes" unbesehen zu kaufen, hat manchem deutschen Kapitalisten wieder einmal eine kräftige Ohrfeige versetzt, aber die Geschlagenen verdienen kein Mitleid. Wer Argentinier s. Z. kaufte, konnte und mußte sich sagen, daß er ein sehr gefährliches Spiel wagt. Im Ausland kennt man diese lächerliche Schwäche der Deutschen genau und beutet sie gehörig aus. Deswegen ist es auch den englischen Spekulanten gelungen, mit ihren faulen Gold- und Diamant- Shares-(Aktien) eine große Anzahl deutscher Kapitalisten ganz gehörig einzu­seifen und gerade in Württemberg soll dank den täglichen Kursnotierungen jener Shares in einigen Blättern schweres Geld verloren worden sein. Eine scharfe Cotierungssteuer für solche exotische Werte dürfte deshalb einen heilsamen Damm gegen so unheilvolle Ueberflutungen des deutschen Kapitalmarktes bilden. In Folge des schlechten Wetters in den ersten Wochen des Juli haben österreichische Exportbahnen eine Steigerung erfahren und dieselbe in der Hauptsache auch fest- halten können, andere Bahnen haben kleine Einbußen erlitten, leitende Banken blieben stationär bei schwachen Umsätzen. Kohlen, und Eisenwerte bröckeln ihre Kurse ab, weil die Kohlen- und Eisenpreise in er­sichtlich unaufhaltsamem Weichen begriffen sind. Mehrere Kohlen-Zechen mußten Schichtfeiertage einlegen, weil der Absatz mit der Produktion nicht gleichen Schritt hält, die Eisen- (Blech rc.) Industrie klagt über mangelnde Aufträge, ein größeres Blechwalzwerk an der Sieg hat sogar seinen Betrieb ganz einstellen und die Arbeiter entlassen müssen, weil es gar keine Aufträge mehr bekommen konnre. NachdemriesigenAufschwung" im vorigen Jahre kommt jetzt der unvermeiüliche Rück­schlag. Die Warnungen einsichtiger Männer wurden im vorigen Jahre als Kassandrarufe verhöhnt. Der Geldstand an der Börse bleibt anhaltend ein flüssiger.

O e st e r r e i ch.

Reichen hall, 19. Juli. Gestern Abend 4 Uhr ging hier ein furchtbares Unwetter nieder. Die Hagelkörner erreich­ten zum Teil die Größe einer Faust. Der Schaden läßt sich noch nicht schätzen.

Jüterbogk 19. Juli. Gestern Abend platzte auf dem Militärschießplatz eine schwere Granate. Ein Kanonier blieb tot, 6 weitere wurden schwer, 3 Mann leicht verwundet. Dem Marineoffizier

Graf Monts wurde der rechte Fuß zer­schmettert.

Aus Brünn wird gemeldet: Die Gattin des Hoteliers in Tischnowitz, Frau Kalendofsky brachte Vierlinge, und zwar lauter Buben zur Welt.

Ausland.

Athen, 19. Juli. Die Kronprinzessin Sophie, Sch ^er des Kaisers Wilhelm, wurde heute n n neun Uhr unerwartet von einem So ' glücklich entbunden.

Rom, 16. ^ Es ist eine sensa­tionelle BroschüLe erschienen, deren Ver­fasser vermutlich ein höherer Offizier ist. In derselben wird ausgeführt, daß die Mannschaft für den Kriegsfall ausgezeichnet instruiert, discipliniert, das Offiziercorps jedoch an Zahl zu gering sei. Da Frank­reich den Krieg mit Italien wolle, so sei der Tag der Feuerprobe der Tripelallianz nahe.

London, 18. Juli. Der Welt­friedenskongreß will dem Kaiser Wilhelm durch eine Deputation die Bitte vorlegen, zur allgemeinen Abrüstung die Initiative zu ergreifen.

London, 18. Juli. Das 2. Bataillon der Gardegrenadiere, welches am 7. Juli den Gehorsam verweigerte, hat Befehl er­halten, sich am Dienstag nach Capstadt in Südafrika einzuschiffen.

Newyork, 19. Juli. Ein Feuer­schaden hat die Bureaux der Western- Union-Telegraph-Compagny betroffen; der Verlust wird auf 250 000 Dollars geschätzt. Der Telegraphendienst der Western Union wurde durch das Feuer erheblich gestört, die Geschäfte der Ncwyorker Börse auch sonst infolge Ausbleibens der Telegramme bedeutend verzögert.

Furchtbare Stürme verwüsteten in Pensylvanien und New - Iersey während der letzte drei Tage vollständig die Ernte und richteten unermeßlichen Schaden an. Ganze Bauernhöfe sind zer­stört, von Hunderten von Häusern die Dächer abgerissen, mehrere Kirchen schwer beschädigt, riesige Strecken Waldes furcht­bar heimgesucht, eine Anzahl Personen ist vom Blitz getötet, die JachtCathleen" umgeworfen, über 50 Personen sind er­trunken.

Miszellen.

Der Kchwanenritter.

Roman von E. von Martinez.

(Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

Um die festgesetzte Stunde kam am nächsten Tag der Schwan herübergesegelk. Das Wetter war köstlich, der Zauber eines reinen, milden Herbsttages tag über der Landschaft, der Himmel war klar und wolkenlos, ein frischer und doch zarter Wind strich über die Wellen, als die Ge­sellschaft, welche aus dem Grafen, Alsen- horn, Rittmeister Brem, Herrn Dorau und den beiden Damen bestand, über den See fuhr und dicht unter der Burg hielt. Der Berg war bereits mit schönen Wegen ver­sehen, die sowohl ringsherum in verschie­denen Wendungen, als auch direkt durch zwei Wege auf die Burg hinauf führten. Rechts hatte man stellenweise einen schönen Blick über den See und das jenseitige