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Leilage zu Nr. 111 des Eiythiilers.
Neuenbürg, Dienstag den 15. Juli 1890.
Mizellen.
Aer Schwanenritter.
Roman von E. von Martine;.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.,
„Kuno erklärte sich bereit, sie darin zu unterweisen, und so fuhren beide öfters dem gegenüberliegenden Ufer zu. Lilli hingegen stand in mancher mondhellen Nacht von ihrem Lager auf, eilte ans Fenster und sah nach der immer höher und stattlicher werdenden Burg hinüber. So oft der Mond schien, floh sie der Schlaf, sie gedachte des jungen Mädchens, welches drüben wohnte in der Nahe des Schwanenritters. Wenn er sie so genau kannte, daß sie sogar sein Schiff taufte, dann war auch kein Zweifel darüber, daß er sie liebte. — Denn wer liebte sie nicht, der sie näher kannte? — Ein quälendes Gefühl durchwogte ihre Seele. Als wäre ihr plötzlich die Luit in dem hohen großen Gemach zu schwül, öffnete sie das Fenster. Das Mondlicht glitzerte auf den Wellen, die mit leisem Geplätscher sich an dem Kiesel des Landes brachen. Zahlreiche Blumen, von den Lüften bewegt, verbreiteten ihren zarten Duft in die Nacht hinaus. Sie bog weit den Kopf vor, aber nicht um sich an dem Geruch zu erquicken, sondern unverwandt auf den weißen Gegenstand starrend, der sich von der Wasserfläche abhob. Es war ein seltsam traum- artiges Bild, das sich vor ihren Sinnen und Augen ausbreitete. Die von Blumengeruch durchschwängerte Luft, das gleichmäßige Murmeln der Wellen, der schwarz- blaue Himmel mit feinem Stcrnenmeer, in dessen Mitte der Mond in seiner königlichen Pracht erglänzte, die hohen Umrisse der Berge, die sich scharf vom Firmament abgrenztcn, und die im Mündlich silberspiegelnde Fläche des Sees, aus dem ein mächtig großer Schwan mit ausgebreiteten Flügeln so rasch geschwommen kam, als flöge er in der Luft. Hinter den dichtesten Hecken des Gartens der Billa Alsenhorn stieß geräuschlos ein kleiner Kahn in den Lee. Eine weibliche Gestalt in einem phantastischen weißen Gewand, das die vollen Arme bis zum Ellbogen entblößt ließ, saß darin und blickte nach dem anderen Ufer. Einzelne Lichter blinkten noch in den Häusern, aber cs waren nur wenige, die meisten Bewohner von Lee- wmkel waren um diese Zeit in festem Schlaf. Auch die Rosenvilla lag im Schatten der Berge da. Deutlich aber konnte die nn Kahne sitzende die Umrisse des Schwanenschiffes sehen, das direkt auf sie znfuhr. Sie zog die Rnder ein und nur das Steuer lenkend, bog sie sich zurück und unverwandt den Schwan anstarrend, erwartete sie seine Ankunft. So sehr sie aber auch ihre Augen anstrengte, um die Person zu sehen, welche sich auf dem Schiff befand, sie konnte nichts entdecken. Der nächtliche Fahrer mußte hinter einem der Segel verborgen sein, schon hörte
sie das Durchschneiden der Wogen. Da der Schwan gar keine Wendung machte, wurde ihr Fahrzeug offenbar nicht gemerkt. Nun war es die höchste Zeit für sie das Steuer zu drehen und dem dahersausenden Schwan auszuweichen. In demselben Moment zuckte sie zusammen und ließ im Schrecken über einen lauten Zuruf das Steuer fahren. Ein heftiger Anprall, ein gellender Schrei, — dann Totenstille. — Das kleine Schiff mit seiner Last war vom Spiegel des Sees verschwunden. Vom Bord des Schwanes aber schaute das totenbleiche erschrockene Gesicht Emmerichs auf das Wasser, das nur durch seine immer weitergehenden Ringe anzeigte, daß es soeben ein Opfer in seine Tiefe hinabgezogen habe.
„Mein Gott!" rief er, „war es ein Traum, was vorhin mein Auge erblickte oder —
Er sprang in das dunkle Wasser, tauchte tief unter um das spuckhafte Traumbild zu erhaschen und cs mit der einen Hand weit von sich haltend, erschien er einige Minuten nachher unweit seines Schiffes oberhalb der Wasserfläche. Nicht ohne Anstrengung gelang es ihm, sich und die Gerettete in dasselbe zu bringen, wo er sie behutsam auf den Boden desselben legte und voll Staunen in ihr vom Mondlicht geisterhaft beschienenes Gesicht schaute. Ihr leichtes Gewand triefte und legte sich eng und fest um den wunderbar schön geformten Körper, dem das Leben entwichen schien. Er versuchte durch Reibungen und Einatmungen sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, allein all sein Mühen war umsonst, die Augen blieben fest geschlossen, kein Atem hob die Brust. So hielt er sie in Todesangst in seinen Armen, während sich das Schiff der Billa Alsenhorn näherte. Endlich lag das ersehnte Ufer vor ihm. Mit seiner Last entstieg er dem Schiff, dasselbe herrenlos dem See überlassend und eilte nach dem Thor, das bereits geöffnet war und unter dem ihn Lilli erwartete.
„Meine Schwester," flüsterte sie, „ich dachte, ich ahnte es, als ich Sie kommen sah. Machen Sie kein Geräusch, ich bitte Sie um Gottcswillen."
„Aber meine Gnädige," sagte Emmerich, „wir brauchen Hilfe, sehen Sie denn nicht, — ich sürehte das Schlimmste, lassen Sie mich den Arzt holen, so lange es nicht zu> spät ist."
Unterdessen betraten beide den Gartensalon , wo Emmerich seine Last auf das Sopha niederlcgte, während Lilli mit zitternden Händen ein Licht anzündete. Sie beugte sich über die Schwester, dann nickte sie ihm zu und sagte:
„Sie atmet. —"
Auch er hörte nun einen Seufzer. Seraphinens Augen öffneten sich, sahen einen Moment in die seinigen und schlossen sich wieder.
„Gehen Sie." bat Lilli, „ich werde alles übrige allein besorgen. Verlassen
Sie sich auf mich," setzte sie hinzu, als er noch immer zögerte.
Er sah auf die junge Frau vor sich, sie trug einen leichten weißen Schlafrock, der ihre volle Gestalt wenig verhüllte. Unter einem kleinen verschobenen Häubchen drängten sich die langen schwarzen Flechten hervor, was ihr etwas kindliches, jungfräuliches verlieh, das nicht zu ihrem bleichen Gesicht mit den leidenschaftlich flammenden Augen paßte.
„Ich werde Ihnen mein Eindringen in Ihr Haus morgen erklären," sagte er.
„Schweigen Sie über die peinliche Geschichte," flüsterte sie ihm zu. indem sie ihn hinausführte, dann kehrte sie zurück in den Salon, um sich mit der Schwester zu beschäftigen.
Vor dem Hause stand Emmerich einen Moment still.
„Gut abgefertigt," murmelte er, während ein sarkastisches Lächeln den schönen Mund umzuckte, „da steh ich wie ein Ritter mitten im Zauberreich. Meine nassen frierenden Glieder allein erinnern mich, daß alles Wahrheit und kein Märchen ist. Mein Schwan, wo bist Du, daß Du mich heimbringst?"
Er trat ans Ufer und dickte über den See. Da sah er weit in der Ferne die geblähten Segel hinziehen.
„Es bleibt mir also nichts anderes übrig als zu Fuß zu gehen, drei Stunden werde ich brauchen, bis ich Seewinkel erreiche."
(Fortsetzung folgt.,
Vorausbestimmung des Nachtfrostes.
Vor etwa zehn Jahren hat der Astronom Klinkerfuß darauf aufmerksam gemacht, daß die in der Atmosphäre enthaltene Dunstmenge am Abend in enger Beziehung steht zu der Morgentemperatur, daß insbesondere morgens Frost ein- tritt, wenn abends die Dunstmenge auf einen bestimmten Werl >,4,6 mm) herabstnkt. Es ist das allerdings nur eine wahrscheinliche Regel, nicht eine durchweg gültige. Immerhin hat sie ihren Wert, wenn der Dunstdruck sich einfach bestimmen läßt.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß ein kalter Körper in einen feuchten Raum gebracht, sich mit Tau beschlägt. Es wird die ihn umgebende Luft abgekühlt, soweit, daß schließlich der in ihr enhaltene Wasserdampf als solcher nicht mehr bestehen kann und in Wassertröpschen niedergeschlagen wird: die zugehörige Temperatur heißt der Taupunkt. Der Zusammenhang zwischen der Menge des Wasserdampss oder der Größe des Dunstdrucks und dem Taupunkt ist , ein komplizierter und wird für gewöhnlich aus Tafeln entnommen. Wenn an einem Frühlingsoder Herbstabend der Himmel heiter und die Temperatur ziemlich tief ist, so befürchtet man das Eintreten eines Nachtfrostes, da man weiß, daß der Regel nach die Temperatur während der Nacht bis gegen Sonnenaufgang abnimmt.
Enthält die Luft viel Wasserdampf, so wird beim Sinken des Thermometers ein Teil desselben niedergeschlagen und dabei Wärme frei. Diese frei werdende Wärme wirkt dem Sinken des Thermometers entgegen, es wird also bei feuchter Luft die Abkühlung langsamer vor sich gehen, als bei trockener. Ist genügend Wasserdampf in der Atmosphäre, so sinkt die Temperatur nicht leicht unter den Taupunkt, sondern bleibt auf diesem stehen, da im Augenblick, wo der Taupunkt erreicht ist, immer wieder Wasserdampf niedergeschlagen und Wärme frei wird,