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selbe nicht international werde, könne die deutsche Industrie nicht wettbewerbungs­fähig bleiben; die Regierung verbürge die Gleichberechtigung der Arbeiter und der Arbeitgeber, während die Sozialdemokraten die Arbeitgeber auf den Kopf schlagen wollten.

20. Mai. Fortsetzung der Be­ratung. Minister v. Berlepsch wider­legt die Behauptungen des Abg. Grillen­berger, daß die Vorlage die Versprechungen der kaiserlichen Erlasse nicht erfülle und die besitzenden Klassen einen Einfluß aus die Vorlage ausgeübt haben. Die Bundes­regierungen hätten unabhängig von den Parteien gearbeitet und mit der Vorlage den Versuch gemacht, den Frieden anzu­bahnen. Die Bestimmungen über die Frauen- und Kinderarbeit sowie über die Sonntagsruhe bezweckten, einen gesunden kräftigen Arbeiterstand zu erziehen und das Familienleben zu stärken. Gegen Aus­schreitungen, wie sie jüngst stattgehabt, seien eingehende Bestimmungen nötig. Unter den Streikenden waren mehr als 87 pCt. Kontraktbrüchige. Der Maximalarbeitstag sei diskutierbar, seine Einführung für die männlichen Arbeiter hinderten aber die augenblicklichen Verhältnisse. Ein zu rasches Vorgehen werde die deutsche In­dustrie schädigen. Man solle die Vorlage wohlwollend prüfen. Nach längerer De­batte wird die Vorlage einer aus 28 Mit­gliedern bestehenden Kommission über­wiesen.

Berlin, 20. Mai. König Karl von Württemberg überwies dem Zentral- komite zur Errichtung eines Bismarck- Denkmals in der Reichshauptstadt 1000 c/lL

Spandau, 14. Mai. Eine in den Staatsfabriken bekannt gegebene Anord­nung verbietet den darin beschäftigten Arbeitern, Geldsammlungen für streikende Arbeiter zu veranstalten.

Kassel, 20. Mai. Eine verheer- endeFeuersbrun st ist in Ober schice- d orn bei Medebach entstanden. Dreißig Häuser und eine Anzahl Scheunen wurden von den Flammen ergriffen.

Oberammergau, 18. Mai. Heute fand bei prächtigem Wetter die Haupt­probe des Passionsspieles vor minde­stens 3500 Zuschauern in gelungenster Weise statt. Viele Schriftsteller und Künstler aus Bayern, Württemberg und auch aus andern deutschen Ländern waren anwesend. Die Vorstellung zeigte neben den früheren Vorzügen noch bedeutende Fortschritte. Das Theater selbst ist neu, die Dekorationen großartig, die Kostüme prächtig. Zahlreiche Engländer sind be­reits hier.

Karlsruh e, 20. Mai. Der Finanz- minister beantragt die Wiedereinstellung eines Betrags von einer Million für weitere Hafenanlagen und Lagerplätze auf der Mühlau in Mannheim. Es ist ein neuer Plan ausgearbeitet, welcher, die Zu­stimmung Bayerns vorausgesetzt, die An­lage eines offenen Flußhafens und eines Hafenkanals in sich schließt. Die Gesamt­kosten sind auf 4 380 000 veranschlagt, einschließlich der betr. Zufahrtsstraßen.

Pforheim, 9. Mai. Dem Rat der Stadt ist kürzlich ein kolossales Malheur passiert, worüber einerseits Aufregung,

anderseits große Heiterkeit herrscht. Das projektierte Kaiserdenkmal soll gegenüber dem Bahnhof errichtet werden, dort wo schon seit Jahrzehnten eine Sodawasserbude ihrStandrecht" erlangt hatte. Das Sodawasserhäuschen mußte anders plaziert werden und zu diesem Zwecke wurde über eine unschuldige Linde das Todesurteil ge­sprochen und auch sofort vollstreckt. Nach­dem auf diese Weise die Wafferbude glück­lich plaziert war, lispelte sich eins ums andere in die Ohren, daß unsere biederen Stadtväter eigentlich einen unverantwort­lichenJustizmord" auf sich geladen haben, denn der gefällte Baum entpuppte sich nachträglich als die zur Erinnerung an den Friedensabschluß im Jahre 1871 ge­pflanzte sogenannte Friedenslinde. Einen Trost haben wir, den nämlich, daß dieser neueste Schwabenstreich diesmal außerhalb des württ. Grenzpfahls auch eine schöne Erinuerung ist.

Württemberg.

Stuttgart, 19. Mai. Großfürst Nikolaus von Rußland, Bruder I. M. der Königin, ist mit einem aus sieben Herren bestehenden Gefolge Samstag nachmittag hier angekommen. Ein zahl­reiches Publikum, welches sich am Bahn­hof einfand, begrüßte ehrfurchtsvoll den Gast des Königshauses. Großfürst Ni­kolaus nebst Gefolge hat heute früh mittelst Orientexpreßzugs Stuttgart wieder ver­lassen.

Stuttgart, 19. Mai. Die Be­erdigung des dahingeschiedenen König!. Hofjägermeisters Grasen von Uxkull- Gyllenband fand heute vormittag 11 Uhr auf dem Pragfriedhofe statt, nachdem im Trauerhause ein Gottesdienst durch Hofprediger Dr. Braun stattgefunden hatte. Auf Befehl Sr. Maj. des Königs hatte Hofgärtner Ehmann sowohl das Gemach, in welchem der Hausgottesdienst gehalten wurde, wie auch das Grab auf dem Fried­hofe prächtig mit Pflanzen geschmückt. Zahlreiche Blumen und Kränze waren am Sarg niedergelegt worden, darunter von Ihren Maj. dem König und der Königin 2 prachtvolle Palmblätter, Kränze mit Bändern in württ. Farben und mit goldgedruckten Widmungen von dem Prinzen Wilhelm von Württemberg, dem Prinzen Weimar und der Frau Herzogin Wera. Dem Sarg folgten zahlreiche Wagen, in erster Linie die Wagen der K. Majestäten. Neben dem Sarg schritten 6 Park- und Forstwächter, welche ihn auch zum Grabe trugen. Hstr hatten sich ein­gefunden und umstanden dasselbe in weitem Kreise: Se. Hoheit Prinz Wilhelm von Württemberg, <s. K. H. Herzog Albrecht von Württemberg, Fürst Karl von Urach, die Vertreter Ihrer Maj. des Königs und der Königin und weitere Vertreter, ferner der gesamte Hofstaat und die höchsten Hofbeamten, die Staatsminister, ebenso mehrere Generale und andere hohe Offi­ziere und Beamte, die Beamten der Kgl. Forstdirektion und des Hofjägermeisteramts bis zu den Park- und Forstwächtern von nah und fern. Am Grabe sprach Hof­prediger Dr. Braun über die Worte des ProphetenIch habe Dich je und je ge­liebt und deshalb habe ich dich zu mir gezogen", welche so ganz auf das von Glück getragene Leben des Verstorbenen

passen. Trotz mannigfacher Heimsuchungen im Familienleben habe ihm doch, wie wenigen, die Sonne des Glückes geleuchtet in seiner Laufbahn, von der Stelle des Forstassistenten in Neuenbürg an bis zum hohen Amte des K. Hofjägermeisters. Es war ihm vergönnt, seine treuen Dienste drei Königen seines Landes zu widmen. Alle Zeit hat ihn die Huld und Gnade seines Königs beglückt und nach langem verdienstvollen Leben durfte er schmerzlos hinttberschlummern in die Ewigkeit, nach­dem er am 23. Januar sein 89. Lebens­jahr zurückgelegt hatte. Seine letzten Lebensstunden durfte er in der herrlichen Maienfrische des Waldes zubringen und dann die Augen schließen. Nach dem Geistlichen sprach Forstdirektor v. Dorrer und legte mit Worten des Dankes in treuer Erinnerung an die einstige Leitung der Forstdirektion durch den Verewigten einen Lorbeerkranz nieder; Frhr. v. Ow folgte Namens des St. Georgen-Vereins und der Ritterschaft, ebenfalls einen Kranz niederlegend.

Stuttgart, 20. Mai. II. MM. der König und die Königin lasten am 31. d. Mts. auf der Wilhelma einen großen Hofball abhalten, zu welchem an alle fremden Diplomaten, an die Herren Staats­minister, hohe Staatsbeamte, Offiziere je nebst Damen, kurz an die gesamte hof­fähige Gesellschaft von Stuttgart und weiterer Umgebung Einladungen ergehen sollen.

Salzstetten 14. Mai. Ueber das schlaf ende Mädchen, welches auch wir schon öfters erwähnt hatten, meldet der Neck. B.: Bei Beginn der 10. Schlafwoche (vor ca. 8 Tagen) öffnete die schlafende Patientin die Augen und sieht seither nor­mal. Das Bewußtsein ist vollständig zu­rückgekehrt. Es fehlt immer noch die Sprache, auch besitzt die Kranke noch nicht die Kraft, das Bett längere Zeit zu ver­lassen.

Ausland.

Budapest, 20. Mai. Räuber über­fielen heute Nacht das Besitztum des Grafen Kowisz, sperrten den Grafen und seine Gemahlin ein und raubten das Schloß voll­ständig aus. Ein Verwandter des Grafen wurde ermordet. Als Führer der Räuber­bande soll ein ehemaliger Debreczyner Polizeiwachtmeister erkannt worden sein.

Seit voriger Woche tagt in der französischen Hauptstadt der inter­nationale Telegraphen-Kongreß, auf welchem auch Deutschland durch drei Be­vollmächtigte vertreten ist. Die offizielle Eröffnung der Versammlung wurde am Freitag durch eine vortreffliche, die fried­lichen Zwecke und Ziele des Kongresses hervorhcbende Rede seitens des Handels­ministers Roche vollzogen. Der Senior der auswärtigen Delegierten, der norweg­ische Delegierte Nielson, erwiederte namens seiner Kollegen, worauf der deutsche Dele­gierte Hake für den so freundlichen Empfang, den die auswärtigen Bevollmächtigten in Paris gefunden, herzlich dankte. Zahl­reiche Festlichkeiten zu Ehren der Kongreß­mitglieder sind in Aussicht genommen.

Aus Warschau wird von einer furcht­baren Katastrophe in der sibirischen Uni­versitätsstadt T omsk berichtet. Der Tom ist aus seinen Ufern getreten und hat