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Beilage zu Nr. 68 -es Cnzthiilers.
Neuenbürg, Donnerstag den 1. Mai 1890.
Miellen.
Um Held und Heldeswert.
Roman von M. Widdern. lNachdruck verboten.- (Forlsetzung.l
„Das ist jetzt altes Dein, Katharina," flüsterte Guido und seine Augen glühten. Dann setzte er leidenschaftlich hinzu : „Endlich findet Deine stolze Schönheit ihren passenden Namen, Geliebte! Endlich kann mein schönes junges Weib sich schmücken, wie es der Gattin einesBormissen zukommt!"
Fast entsetzt fuhr Katharina bei Nennung dieses Namens, den sie so lange verleugnet, in die Höhe. Angstvoll schaute sie nach der Thür, hinter welcher sich so leicht ein Lauscher bergen konnte. Und doch durfte es, um die Welt! Niemand erfahren, daß Guido ein Bormissen und der Name ein angenommener gewesen, unter dessen Schutz die beiden sich in das Haus eingeschlichen. Hätte cs sich doch sonst nie, nie für sie geöffnet, da Guido Niemand anders als der älteste jener beiden kurländischen Neffen war, die der alte Senator ein- für allemal der Hoffnung auf seinen Besitz beraubt hatte.
So ganz gerecht handelte Herr Friedrich Vormissen in dieser Angelegenheit freilich seiner Zeit doch nicht. Die beiden Söhne seines leider zu früh verstorbenen Bruders Waren durch die Versprechungen des Senators in dem festen Glauben erzogen worden, daß sie dermaleinst die Erben einer Million sein würden. Es war nun selbstverständlich, daß sic sich da nicht besonders erfreut fühlen konnten, als der greise Onkel ihnen plötzlich die Mitteilung zugehen ließ, sie möchten ihre Ansprüche auf die Zukunft herabsetzen, da er gedächte, sich binnen kurzem — zu vermählen.
Wenn es nun auch keine Entschuldigung verdient, daß Gnido und Alfred jetzt Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um dem Senator das späte Heiraten zu verleiden, so war es doch rein menschlich gehandelt und verdiente nicht ganz die harte Strafe, welche Herr Friedrich Vormissen seinen Neffen zuerkannt, indem er sie vollständig enterbte.
Die Gewißheit, daß alle ihre Anstrengungen nutzlos gewesen und der Oheim wirklich diese kleine Ladenmamsell auf Kosten seiner^gcsetzlichen Erben zur Millionärin gemacht, raubte Guido und Alfred fast den Verstand. Sie waren keine geborenen Verbrecher und doch brachte sie der jähes Zusammensturz all' ihrer Hoffnungen schließlich zu dem sündhaften Gedanken, sich auf irgend welche unerlaubte Weise doch noch in den Besitz des Vermögens zu setzen, das ihnen dnrch Lilli geraubt worden war.
Zufällig wohnte nun in L—feld ein altes Fräulein, welches mit Katharina, der Gattin des ältesten Vormissen verwandt war. Sie diente den knrländischen Brüdern zur Spionin und widmete sich ganz der
Aufgabe, Haus Vormissen auf das Auf-> merksamste zu beobachten. Als nun der Senator gestorben war und der Prozeß,, in welchemdie Neffen das Testament ihres Onkels angefochten — zu Gunsten der Beklagten entschieden war, schrieb das Fräulein an Guido, und machte ihm den Vorschlag, seine junge Frau nach L—seid zu senden. Sie würde dann Sorge dafür tragen, daß Katharina, natürlich unter einem angenommenen Namen, in das Haus der Witwe Vormissen käme, um dort für Gatten und Schwager wirken zu können. Guido willigte diesen Vorschlag und ließ ihn das Fundament sein, auf dem er seine verbrecherischen Pläne baute.
Katharina fügte sich aber nur mit Widerstreben den Beschlüssen ihres Gatten. Sie war im Grunde genommen keine verderbte Natur. Aber sie stand ganz und gar unter der Herrschaft ihres Gemahls, der sie aus der zur Bettlerin herabgewürdigten Tochter eines gänzlich heruntergekommenen Menschen zu seiner Frau gemacht hatte. Die Dankbarkeit und eine wahrhaft leidenschaftliche Liebe für Guido zwang sie zu blindem Gehorsam. Mit gefälschten Papieren trat sie dann ihre Reise an. In L—feld angekommen fand sie zu ihrem Schreck das alte Fräulein nicht mehr am Leben. Da sie aber thatsächlich ihrer Börse beraubt worden war und ihre Effekten — noch nicht zur Stelle waren — so befand sie sich augenblicklich in der fürchterlichsten Verlegenheit. Es war inzwischen später Abend geworden und so beschloß das junge Weib, gestützt auf die Mitteilungen ihrer verstorbenenVerwandtcn, von dem gutmütigen Charakter Lilli Varmissens unter irgend welchem Vorwand die Mildherzigkeit der Senatorin in Anspruch zu nehmen. Gerade als sie das Haus der jungen Witwe erreichte, traten zwei Personen aus der Thür. Sic sprachen eifrig mit einander — und aus ihren Worten hörte die Lauscherin heraus, daß sie bei der Wirtschafterin der Senatorin zum Besuch gewesen und mit derselben ungestört ein halbes Stündchen verplaudert hätten, da die junge Herrin der ersteren zu einer Gesellschaft gefahren sei. — —
„Nun aber war es auch die höchste Zeit, daß wir uns drückten!" meinte eine der Frauen. „Jedenfalls kommt die Gnädige bald nach Hause. Dann aber hat Marianne keine Zeit mehr, sich um Gäste zu kümmern."-— —-
Also Lilli Bormissen war nicht daheim! Katharina war erschrocken. Nur einen Augenblick jedoch — und sie nickte mit dem Köpf: „Vielleicht ist es gerade so am besten," dachte sie sich und faßte sofort einen neuen Plan. Fest in ihren pelzgefütterten Sammetmantcl gehüllt, hockte sie sich nun in eine Ecke des Portals und beschloß, auf die junge Hausherrin zu warten. Es war freilich bitter kalt, aber auch ihre kleinen Füßchen steckten in gar warmen Pelzstiefelchen und auch sonst
war sie mit einer Kleidung versehen, die sie, vorläufig wenigstens, die harte Temperatur wenig empfinden ließ. Dagegen hatte die weite Reise — die Aufregung, welche ihr gefolgt — einen hohen Grad von Müdigkeit in der Abenteurerin erzeugt, daß sie, kaum in ihrer Ecke gedrückt, auch schon einschlief.
Was dann folgte, weiß der Leser bereits. Und wir wollen ihn nicht durch eine Wiederholung der Begebenheiten langweilen. Ueberdies müssen wir das Ehepaar Vormissen vor der Hand wieder sich selbst überlassen und einige Tage zurückgreifend, Doktor Willibald Grimani auf seiner Reise
In einer Erregung, die jeder Beschreibung spottete, fuhr der junge Arzt ohne Unterbrechung zwei Nächte und ebensoviel Tage hindurch, um nur so schnell als möglich dem Ruf zu folgen, welcher au ihn ergangen war. Dennoch aber schien die Zeit Blei an den Füßen zu haben und es war ihm, als habe er eine halbe Ewigkeit durchlebt, als er endlich sein Ziel — ein kleines Städtchen in Mittelitalien erreichte. Trotzdem er in achtundvierzig Stunden kaum eine Minute Schlaf gehabt, ließ er sich doch auch jetzt nicht so viel Rast, um in ein Gasthaus zu gehen und eine Nacht hindurch der Ruhe zu pflegen, sondern besorgte sich, obgleich es bereits zehn Uhr des Abends war — mühevoll genug sofort ein Gefährt. Dasselbe sollte ihn ohne jeden Verzug nach dem Fischerdörfchen W. bringen, welches drei deutsche Meilen von der Bahnstation entfernt lag.
Der Besitzer des Wägelchens, welches der Doktor sich gemietet, war sein eigener Kutscher und da er durchaus als ein anständiger Mann erschien, so nahm Willibald nicht Anstand, sich mit ihm in eine Unterhaltung einzulassen. Glücklicherweise war unser Doktor der italienischen Sprache ziemlich mächtig. Seine Pflegemutter hatte in Rom das Licht der Welt erblickt und da auch sein Pflegevater italienischer Abstammung gewesen, so hatten beide die schöne klangreiche Muttersprache mit Vorliebe gepflegt und sic auch ihrem Liebling
(Fortsetzung folgt.)
Zürich, 12. April. Gestern war die Stadt Zürich in nicht geringer Aufregung. Doch war kein Kriminalfall vorgckommen. Im Hauptblatt des „Zürcher Tagblattes" war vielmehr an hervorragender Stelle ein fettgedrucktes Inserat zu lesen, folgenden Inhalts: „Was ist die blaue Fahne, was der Kropf, der Franziskaner und was das Metzgerbräu? Antwort in nächster Nummer." Es waren dies die dem Zürcher geläufigen allbekannten Namen der vier großen bayerischen Bierhallen in Limatathen. Erst wurde dieses Inserat in aller Frühe von der weiblichen Bedienung gelesen, und dann haben die Biernymphen im Nu die seltsame Frage mitgeteilt. Vom Frühschoppen bis zum späten