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und seinem Lande Autorität zu verschaffen wußte.

So wurde auch hier Bismarcks Ge­burtstag gefeiert. Möge er beim Scheiden aus dem Amte die sichere Ueberzeugung mitnehmen, daß sein politisches Werk auch uns in Württemberg ein unvergängliches, unantastbares Vermächtnis bleiben wird.

Neuenbürg, 1. April. Ueber die im gestrigen Blatte kurz gemeldete Mord- that in Wildbad , welche am Sonntag abend die Einwohnerschaft in Aufregung versetzte, erfährt man inzwischen Näheres. Der Verbrecher, der 27jährige verheiratete Fuhrmann Großhans, wurde gestern abend durch den Stationskommandanten hieher eingeliefert; er wird allgemein als ein überaus roher Mensch bezeichnet, der übrigens vor nicht gar langer Zeit seinem eigenen Leben, das ihm so wenig wie das seiner Nebenmenschen zu gelten scheint, durch Erhängen ein Ende zu machen versucht habe. Die unmittelbare Veran­lassung zu der grauenvollen That gab ihm der Umstand, daß er beim Zahlen seiner Zeche in einer hiesigen Wirtschaft von dem Wirt darauf aufmerksam gemacht wurde, seine Frau habe kurz zuvor ein halb Pfd. Fleisch geholt, welches er nun bezahlen möge. Darüber aufgebracht, lief der Un­hold, welcher seine Frau längst gewohn- heitsgemäß mißhandelte, nach Hause, wo er dieselbe im Stalle antraf und sie sofort bei den Haaren packte. Die Frau ent­kam ihm hievon und verschloß sich in eine uächstgelegene Wohnung. Der Flaschner­geselle Schund kam zufällig dazu, als der tobende Mensch die verschlossene Thüre einstoben wollte; er wollte abwehren, wobei ihm von Großhans ein Finger durchgebissen wurde. Inzwischen kam der ^Schwager, Zimmermann Gutdub und die Schwägerin hinzu. Großhans ergriff das Messer, schlug mit solchem zuerst nach dem Kopfe der Schwägerin und ebenso auch nach seinem an Statur größeren und kräftigeren Schwager Gutbub, dem er rechts und links Stichwunden beibrachte, wovon die eine am Hals so bedeutend wurde, daß der Tod bald darauf eintrat. Wenn sich auch der Unmensch darauf in ein Zimmer verschloß, gelang es doch bald ihn zu bewältigen und unter lauter Ent­rüstung einer großen Zahl Einwohner in das städtische Arrestlokal zu verbringen. Nachdem sich am Montag der Herr Ober- amtsrichter und die HH. Gerichtsärzte an den Ort der grauenhaften That begeben hatten, wird heute die Untersuchung des Tatbestands und die Sektion unter Leitung des ersten Staatsanwalts von Tübingen fortgesetzt.

Der Fall erregt selbstverständlich großes, berechtigtes Aufsehen. Allgemeine aufrich­tige Teilnahme bringt man dem auf so traurige Weise jählings um's Leben ge­kommenen Schwager, ZimmermannGutbub, der ein allgemein geachteter biederer Bürger war, entgegen, Teilnahme auch der be­dauernswerten Frau und Schwägerin. Letztere soll übrigens, wie wir hören, nicht so erheblich verletzt sein, als dies anfangs den Anschein hatte.

In Schömberg brach am Montag abend 7 Uhr ein nicht unbedeutender Brand aus. Ein von 4 Familien be­

wohntes größeres Haus ist niedergebrannt. Entstehnngsursache ist unbekannt. Die Ortsfeuerwehr, sowie die zur Hilfe gerufenen Feuerwehren von Langenbrand, Oberlengen­hardt und Schwarzenberg verhinderten ein weiteres Umsichgreifen des Feuers.

Kronik.

Deutschland.

Fürst Bisma rck, zwar nicht mehr des Reiches Kanzler, aber des Reiches Begrün­der, zwar nicht mehr der Träger der Politik desselben, aber doch derjenige, der dieser Politik Inhalt gegeben und ihr auf Jahr­zehnte hinaus die bestimmten Bahnen ge­wiesen, hat die Reichshauptstadt, diebisherige Zeugin seiner Größe, verlassen, nachdem er sich von allem, was bisher ihn ver­pflichtend band, losgelöst. Bon einem nur löste er sich nicht, von seinem Volke, das gerade in den letzten Stunden des Scheidens jede Gelegenheit suchte, dem großen Manne seine begeisterte Liebe und Verehr­ung huldigend kundzuthun. Wohl war Fürst Bismarck seit langem der Liebling seiner Nation; wie sie aber an ihm hing, wie fest die gewaltige Persönlichkeit des ehernen Kanzlers in dem Herzen des deut­schen Volkes wurzelte, das hat sich erst in diesen letzten Tagen gezeigt, als die Liebe und Verehrung wieder und wieder in Hellen Flammen aufschlug, als Männer wie Weiber um den Scheidenden sich drängten, noch einmal die Hand des Ge­waltigen, der jetzt mit einem Male durch die gemeinsame Empfindung des Trennuugs- schmerzes ihnen so menschlich nahe gerückt war. zu erfassen suchten, Thronen der Rührung im Auge und Rufe begeisterter Huldigung auf den Lippen. Es zeigte sich auf der ernsten Fahrt, die der Fürst, den blanken Kürassierhelm tief im Nacken, von allen seinen Orden nur mit dem eisernen Kreuze geschmückt, nach Charlottenburg unternahm, um dort, ganz allein, in die Gruft unseres großen Kaisers sich zu be­geben, um, wie es in dem öfsiziösen Berichte derNorddeutschen" heißt,sich auch bei dem hochseligen Kaiser Wilhelm abzu­melden." Der eherne Kanzler abschied­nehmend am Sarkophage seines alten Kaisers welch eine Welt von Erinner­ungen und Empfindungen liegt in diesem weltgeschichtlichen Momente, welch' ein er­schütternder Ernst, welch ein rührender Schmerz spricht aus diesem letzten Lebe­wohl ! Die zahllose Menge, welche den Rückkehrenden erwartete, verstand diesen Zug weltgeschichtlicher Bedeutung, und in den ernsten Huldigungen spiegelte der Charakter dieses letzten Ganges sich wieder.

Berlin, t. April, vormittags. Als Fürst Bismarck in Friedrichsruh ankam, wurde er von der Generalität mitHoheit" angeredet. DasDeutsche Tagblatt" will wissen, daß dem Fürsten der Titel eines Herzogs von Lauenburg mit Erst­geburtsrecht vom Kaiser verliehen worden sei. Der Kaiser habe dem Fürsten Bis­marck beim Abschied die bestimmte Zusage gemacht, ihn demnächst in Friedrichsruh zu besuchen.

DerReichsanzeiger" veröffentlicht die ErnennungdesReichskanzlersv.Caprivizum preußischen Bundesrats-Bevollmächtigten.

DerReichsanzeiger" bringt im nicht­amtlichen Teile einen ausführlichen Bericht über die Abreise des Fürsten Bismarck und schließt mit überaus herzlichen Worten.

B e rlin . 3l. März. Freiherr von Marsch als übernimmt morgen die Ge­schäfte des Staatssekretariats.

Berlin, 1. April. In hiesigen Kreisen laufen Gerüchte über weiter bevorstehende Veränderungen in den Ministerien um. Nach besten Informationen ist für die nächste Zeit jeder derartige Wechsel aus­geschlossen.

Fr i e d richs r u h, 31. März. Graf Wilhelm Bismarck und Graf Rantzau sind heute hier angekommen. Die ganze Familie des Fürsten ^Bismarck ist ^nun hier ver­sammelt.

Friedrichsruh, 3l. März. Der Fackelzug der Hamburger Bürger für den Fürsten Bismarck ist heute äußerst glänzend verlaufen. Tausende von Fackel­trägern zogen vor das Schloß. Der Fürst trat mit seiner Familie heraus, unterhielt sich auf das Freundlichste mit dem Aus­schuß und dankte für diese Kundgebung. Doktor Nolte hielt eine schwungvolle An­rede und schloß mit dem Wunsche: Gott möge den Fürsten noch lange zum Segen des Vaterlandes erhalten. Unter Absing- ung der LiederWacht am Rhein" und Deutschland, Deutschland über alles" wurden dann die Fackeln zusammenge­worfen.

Köln, 1. April. DieKöln. Ztg." meldet den Besuch Kaiser Wilhelms beim russischen Manöver im Sommer als fest­stehend.

Württemberg.

Stuttgart, 3l. März. Seine Majestät der König empfieng gestern vormittag den von Berlin zurückgekehrten Prinzen Hermann zu Sachsen-Weimar. Hoheit.

Laut Staatsanzeiger werden anläßlich der Osterfeiertage am 5.. 6.. 7. u. 8 April u. a. außerordentliche Personenzüge aus­geführt auf den Bahnlinien Bietigheim- Stuttgart, Bietigheim-Heilbronn, am Oster­montag u. a. auch zwischen Mühlacker. Bietigheim.

Stuttgart. 1. April. Am Bis­marck-Denkmal, gegenüber dem Wilhelm- Palais, waren heute Morgen mehrere Lorbeerkränze niedergelegt. Die Wid­mungen bezeichnten dieselben als ein Zeichen der Verehrung von den Frauen Stuttgarts.

O e st e r r e. i ch.

Wien, 3l. März. Ein Maurer­und Steinmetzstreik hat begonnen; 20 000 Maurer drohen mit Ausstand mehrere Exzesse haben heute morgen stattgehabt; dabei sind einige Verwundungen vor­gekommen.

Ausland.

Brüssel, 31. März. Die Regierung beschloß lautAllg. Ztg.", die Arbeiter- Kundgebung am 1. Mai zu untersagen.

Mit einer Beilage.

Für die Redaktion verantwortlich : Chrn. Me eh; Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.