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zufalleu; Jean ergriff jedoch schnell ihren einen Arm, und Hektor den anderen, so daß sie vor dem Fall bewahrt blieb.
„Ach, liebe Cousine." rief Jean, „wie haben Sie mich erschreckt! Ohne die Unterstützung des Herrn Lauziere wären Sie unfehlbar in die Tiefe gestürzt!"
Diese Worte sprach er mit so ernster Miene, daß Madame Daupin nun wirklich erbleichte.
Allerdings hätte sie leicht in große Gefahr kommen können, wenn sic wirklich gefallen wäre, denn sie befand sich dicht an der Treppen-Oeffnung.
Während die Gräfin ihre Tante aus einem Riechfläschlein eine stärkende Essenz einatmen ließ, überschüttete die gute Dame Herrn Lauziere, der sie neben Jean erst in zweiter Linie vor dem Fallen beschützt hatte, mit ihren Danksagungen! Und im Verlauf des ganzen übrigen Teils der gemeinschaftlichen Promenade sprach sie nur noch von ihrem Unfall und von der Lebensgefahr, in der sie geschwebt hatte.
Als sie mit ihrer Nichte schon den Wagen zur Rückfahrt bestiegen hatte, lehnte sie sich noch einmal zu ihrem „Retter" hinaus, und sagte mit freundlichem Lächeln:
„Ich rechne mit Bestimmtheit auf Ihren recht baldigen Besuch! . . . Ueber- morgen trifft der Graf Vidione bei uns ein; ich werde Sie einander vorstellen, und Sie werden sich überzeugen, daß der Graf — wenngleich in gewisser Hinsicht ein Ungeheuer — dennoch ein höchst liebenswürdiger Cavalier sein kann!" . . .
Nachdem der Wagen mit den beiden Damen verschwunden, traten die beiden Freunde schweigend den Rückweg zur Stadt an. Jeder überließ sich seinen Gedanken, die nicht gerade geeignet waren, ein heiteres oder auch nur harmloses Gespräch auf- kommen zu lassen.
In der Richtung des Schlosses Bros- selles zog sich am Himmel ein schweres, dunkles Gewölk zusammen; Hektor deutete mit der Hand dorthin und sagte zu seinem Freunde:
„Siehst Du es wohl . . .?"
„Ja," erwiderte Jean mit Beziehung, „ich sehe: es droht von dorther ein Ungewitter . . .!"
IV.
Am nächstfolgenden Tage, als Madame Daupin und deren Nichte um zwei Uhr nachmittags von ihrem Besuch in der ^.dbaxe-ckos-Lois nach dem Schlosse Brosselles zurückkamen, überbrachte ihnen, bevor sie noch aus dem Wagen gestiegen waren, ihre Kammerfrau eine telegraphische Depesche, die während der Abwesenheit der beiden Damen eingetroffeu und an Madame Daupin adressiert war.
„Vermutlich vom Grafen!" sagte Letztere, indem sie die Gläser ihres Lorgnons putzte. „Willst Du die Güte haben, die Depesche zu öffnen, Martha?"
„Vielleicht verschiebt er seine Reife", dachte die Gräfin„o, wenn er doch gar nicht käme!"
Als sie jedoch einen Blick aus den Inhalt des Telegramms geworfen, senkte sie betrübt den Kopf.
„Was enthält denn die Depesche?" fragte die Tante besorgt. „Jst's eine schlimme Nachricht?"
„Lesen Sie selbst, liebe Tante!" erwiderte Martha, ihr das Papier hinreichend :
Mit lauter Stimme las Madame Daupin nun:
„Verehrte Madame Daupin. Ich habe meine Abreise beschleunigt, und werde bereits heute nachmittags um vier Uhr bei Ihnen cintreffen. Achtungsvoll grüßt Graf von Vidione."
Das Papier zusammenfaltend, sagte sic:
„Wir müssen sogleich nach dem Bahnhof fahren, um den Grafen bei seiner Ankunft zu empfangen. Er ist Dein Gemahl, und wir dürfen die üblichen Höflichkeitsformen nicht verletzen!"
Im Grunde war die alte Dame über die Ankunft des Grafen hocherfreut. Obgleich sie fortwährend von dem Abscheu und der Verachtung sprach, welche der Gatte ihrer Nichte durch sein Betragen ihr einflößte, so blendete sie doch immer sein hochadeliger Name und der Ruhm seiner Vorfahren, deren Stammbaum sich bis zur Zeit der Kreuzzüge Nachweisen ließ. Es schmeichelte ihr nicht wenig, mit dem Grafen von Vidione verwandt zu sein, dessen Anwesenheit im Schlosse Brosselles ihr selbst ein gesteigertes Ansehen in der ganzen Umgegend geben mußte.
„Fahren Sie allein nach dem Bahnhofe, liebe Tante", entgegnete Martha; „ich fühle mich zu erschöpft, und bedarf der Ruhe!"
„Wie Du willst! Nur bitte ich Dich, inzwischen die erforderlichen Aufträge zu erteilen, damit Alles zum Empfange des Grafen in Bereitschaft gesetzt wird."
„Darüber können Sie unbesorgt sein!"
Sobald Madame Daupin fortgefahren war, begab sich die Gräfin in ihr Schlafgemach, wo sie sich einschloß und lange bitterlich weinte, das Gesicht in die Kissen gepreßt, um ihr Schluchzen zu ersticken.
Dann aber richtete sie sich plötzlich auf, denn sie besann sich, daß ja nun ihre für denselben Abend verabredete Zusammenkunft mit Hektor Lauziere unmöglich sei, und daß sie diesen davon benachrichtigen müsse.
Hastig warf sie, mit vor Erregung zitternder Hand, einige Zeilen auf's Papier, steckte das in einen Umschlag, den sie versiegelte und durch den ihr gänzlich ergebenen Sohn des Gärtners, einen dreizehnjährigen schlauen Burschen, nach Marville sandte.
Nachdem dies geschehen, setzte sie sich, etwas beruhigter, an's Fenster, und blickte sinnend in die Ferne.
Vor ihrem geistigen Auge zog nun ihre ganze Vergangenheit vorüber. Zunächst ihre der Elternliebe beraubte Kindheit. Da sie schon früh verwaist war, so brachte sie ihre erste Jugend in einem vornehmen Erziehungs-Institut zn. Welche Hoffnungen hegte sie damals von der Zeit, wenn sie in's Leben der großen Welt eintreten würde, wovon man ihr so glänzende Schilderungen machte; . . . und wie bitter wurde sie später enttäuscht! . . . Ihre, von der Tante so dringend befürwortete Vermählung mit dem Grafen von Vidione, dem es sicherlich nur um das große Vermögen des bürgerlichen
jungen Mädchens zu thun gewesen, hatte sie grenzenlos unglücklich gemacht; denn ihr gewissenloser Gatte setzte auch nach seiner Verheiratung die frühere leichtsinnige und verschwenderische Lebensweise fort.
Alles, was sie seitdem erduldet, durchlebte sie in Gedanken noch einmal, und sie fragte sich, was ihr die Zukunft wohl bringen werde? ... Da stieg Hektars Bild vor ihrer Seele auf; sie sah sich an seiner Seite, glücklich, namenlos glücklich durch seine treue Liebe, die sie im unbeschränkten Maße erwidern durfte, denn sie fühlte sich frei und aller anderen Pflichten ledig!
Aus diesen beseligenden Zukunsis- träumen erwachte sie aber nur zu bald, und sie sagte sich, daß deren Erfüllung ja nur möglich sei durch die Erlösung von dem Grafen.
Hatte sie denn an dessen Tod gedacht? Hoffte sie etwa gar darauf? . . . Ein solcher Gedanke allein kam ihr schon wie ein Verbrechen vor, und sie sprang entsetzt auf.
Um sich diesen Träumereien zu entziehen, verließ sie ihr Schlafgemach und begab sich in das untere Stockwerk, wo der Empfangsaal sich befand. Dort angelangt. fühlte sie sich förmlich erleichtert, als sie eben vor dem großen Schloß- Portal den Wagen Vorfahren sah, in welchem Madame Daupin in Gesellschaft des Grafen anlangte.
(Fortsetzung folgt.;
(Ein reiches Blumenmädchen.) Aus Neapel wird der „W. Pr." geschrieben: „Dem eleganten Blumenmädchen, welche unter der Bezeichnung die „schöne Adelina' manchen Besuchern unserer Stadt gewiß noch in Erinnerung sein wird, wurde aus ihrer Wohnung Geld und Schmucksachen im Werte von 40 000 Lire gestohlen. Man wird gestehen müssen, daß das Blumen- verkaufen bei uns in Neapel zu den einträglichsten Geschäften gehört."
(Zwei Fliegen mit einer Klappe.) Eine ergötzliche Aufschrift trug ein amtliches Schreiben, welches einem Geistlichen der Diözese Trier, der früher in der Armee gedient, von dem Bezirksfeldwebel zugieng. Dieselbe lautete: „An den hochwürdigen Herrn Unteroffizier . . . ."
Gemeinnütziges.
(Die Wunden unserer Haustiere) werden meist recht vernachlässigt, und erst, wenn sie dadurch bösartig werden, nimmt man sie in Behandlung, die dann natürlich weit langwieriger und schwieriger sein wird, als wenn man gleich damit begonnen hätte. Grundsatz sollte deshalb sein, alle Wunden, auch wenn sie ganz unbedeutend sind, mit reinem Wasser auszuwaschen, bluten sie stark, so kann man dem Wasser mit Vorteil etwas Alaun zusetzen. Um eine E,ter- ung der Wunde zu verhindern, überstreichi man dann die Wunde mit Kollodium, dieses bildet, wie es mit der Wunde in Berührung kommt, eine dünne aber dichte Haut, die die Wunde abschließt, jede Verunreinigung, die ja meist me Ursache der Eiterung ist, verhindert. Unter oer schützenden Decke, die hin und' wieder ernem werden muß, geht dann auch die Heilung ung - stört vor sich.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.