566
Paris, 15. Aug. Der Eindruck der Verurteilung Boulangers ist mäßig. Der Abend verlief ruhig und ohne Zwischenfall. Die hervorragenden Mitglieder des boulangistischen Komites reisten gestern abend nach London, um mit Boulanger eine Proklamation abzufasfen.
MisMen.
Aer Sonnenwirl.
Von Erich Norden.
. (Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung.)
John kam von einem weiten Spaziergang über Felder und durch den Wald zurück und gieng, ganz in Gedanken versunken, bei dem Häuschen der Sonnenwirtin vorüber.
Die Sonnenwirtin stand vor der Thür und rief ihn heran. Aus ihren Augen rannen Thränen um Thränen, aber in ihrem Gesicht sprachen sich Glück und Freude aus.
^ „Wissen Sie's schon ?" rief sie, „wissen Sie's denn schon? Jetzt kommt's an den Tag, daß mein Mann unschuldig ist! Mein armer, armer Mann! Acht Jahre lang hat eine Schuld auf ihm gelegen, von der er nichts wußte, acht Jahre hat er verloren!"
„Acht Jahre!" sagte John, „ach, das ist eine kurze Zeit, und nun ist seine Unschuld bewiesen! — Danken Sie Gott", fügte er schnell hinzu, als besinne er sich, daß er der Sonnenwirtin doch etwas Freundliches sagen müsse. Dann eilte er in sein Zimmer zurück und schloß sich ein.
An dem Abend war das Gasthaus zur Sonne übervoll, und man sprach nur vom Sonnenwirt, der doch nun bald wiederkommen müsse und überlegte, was er wohl beginnen werde.
Während es in der Wirtsstube noch gar lebhaft zugieng und keiner daran dachte, nach Hause zu gehen, verließ John das Gasthaus, gieng langsamer denn je die Straße hinab. Nach wenigen Schritten hielt er immer wieder an, es war als seien alle Kräfte von ihm gewichen, als sei er ein müder, totmüder Wandersmann, der seine Füße wund gelaufen und seine Kräfte verbraucht habe.
Rosels Fenster war, wie immer um diese Zeit, noch erleuchtet. John schaute in das Stübchen. Da lag Rosel neben ihrer Truhe und weinte bitterlich, als müsse ihr das Herz brechen. John hörte sie schluchzen. Er wußte Wohl, warum Rosel weinte, und an seinem Herzen riß es, daß er meinte sterben zu müssen.
Rosels Jugend, ja ihr ganzes Leben war verloren, nicht durch ihn, denn er hatte nicht verbrochen, was man ihm zur Last gelegt. — aber doch um seinetwillen, — und jetzt weinte Rosel um ihn, — er wußte es.
Wenn er jetzt vor sie hinträte ob ihr Herz ihr sagen würde, wer es sei?
Sie hatte ihn noch nicht Don nahem gesehen, er hatte eine Begegnung geschickt zu vermeiden gewußt.
John verließ plötzlich das Fenster und schritt auf Rosels Hausthür zu. Schon lag seine Hand auf der Klinke, schon war er im Begriff, dieselbe niederzudrücken,
als er schnell wieder die Hand zurückzog. Nein, er wollte und durfte nicht vor sie hintreten, ehe nicht seine Unschuld klar am Tage war.
Er kehrte ins Gasthaus zurück. Dort war immer noch Leben und er hörte das Wort „Sonnenwirt" bis in den Hausstur.
„Der Sonnenwirt ist unschuldig — unschuldig — unschuldig", klang es fortwährend in seinen Ohren.
Es war so wie man sich im Dorfe erzählte: Wilhelm Härtel hatte sich dem Gericht gestellt, um des Sonnenwirts Unschuld zu bezeugen und sich selbst als Thäter dem Arm der Gerechtigkeit zu überliefern.
Seit Rieke Schulz gestorben war, hatte Wilhelm ein entsetzliches, qualvolles Leben geführt. Er war geflohen aus seiner Heimat, aus einer Provinz in die andere, hatte hier und da Arbeit gesucht, aber nirgends konnte er es aushalten; endlich war er über die Grenze nach Frankreich gegangen. Er hatte einen steten Begleiter, der ihm Schlaf und Ruhe raubte, der ihm das Leben zu einer Höllenpein gestaltete: das böse Gewissen. Er hatte das Verbrechen begangen, für welches der Sonnenwirt im Zuchthaus büßte. Des Wirtes unvorsichtige Reden hatten im Augenblick einen furchtbaren Racheplan in ihm entstehen und auch sofort zur That werden lasten, und eine eigentümliche Verknüpfung der Begebenheiten ließ seine Rache glücken.
Keinem der Wirtshausbesucher war es aufgefallen, daß er gleich nach des Sonnenwirts unvorsichtigen Reden über Feuer und Versicherung während zehn Minuten sich entfernt hatte. — „Ich muß noch einmal nach Riekes Fenster schauen", hatte er zu seinem Freunde Lehfeld gesagt. — Er kannte ja die Räumlichkeiten der Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Sonnenwirts bis in den unscheinbarsten Winkel. So brauchte er nicht viel Zeit, um in den Stall und in die Scheune zu gelangen, und sein Vorhaben so auszuführen, daß erst nach einer geraumen Zeit das Feuer thatsäch- lich ausbrechen konnte. Auch verließen die Gäste fast sofort, nachdem er seinen Platz wieder eingenommen, das Wirtshaus; er folgte mit Lehfeld und des Wirtes Gang um die Scheune half ihm seine Anklage begründen und die Gerichte von der Schuld des Sonnenwirtes überzeugen.
Seiner Rache war genügt, aber seine Ruhe war verloren. In seinen Träumen sah er sich immer nur von Flammen umgeben, sodaß schließlich jedes Lichtlein ihm ein fatales Gefühl verursachte. Als nun gar Rieke starb und er sich und nur sich allein Schuld an ihrem Tode beimesten mußte, jagte ihn seine Schuld wie ein schreckliches Phantom von Ort zu Ort.
Er konnte schließlich nirgend mehr Arbeit und Beschäftigung erlangen, sein zerfahrenes, scheues Wesen, sein unheimlich finsteres Gesicht, sein heruntergekommenes Aeußere hielten jeden ab, seiner Bitte um Beschäftigung Gehör zu geben. Zerlumpt und bettelnd irrte er so von einem Ort zum anderen und die Qualen seines bösens Gewissens wurden so ungeheuerlich, daß er nur noch einen
Wunsch, nur noch ein Ziel hatte: in seine Heimat zurückzukehren und seine Schuld zu bekennen. Der Gedanke, in einer kleinen Zelle mit hartem Lager, der Freiheit beraubt, aber doch mit freiem Gewissen, seine letzte Lebenszeit büßend zubringen zu dürfen, hatte etwas Erlösendes für ihn.
So kehrte er in seine Heimat zurück und überlieferte sich dem Gericht.
(Fortsetzung folgt.)
Berlin, 10. Aug. Das Opfer eines komischen Mißverständnisses wurde kürzlich ein Franzose auf der Durchreise in Spandau. Der drollige Vorgang trug sich, nach der Darstellung des „A. f. d. H,", folgendermaßen zu: Am 22. v. M. langte in Spandau ein elegant gekleideter Herr mit der Hamburger Bahn von Berlin an, welcher ein Billet nach Aachen gelöst hatte. Bei der Ankunft bemerkte der Schaffner, daß der Reisende sich auf einer falschen Strecke befand, da derselbe die Lehrter statt der Hamburger Strecke hätte benutzen müssen. Der Bahnhofsvorsteher wollt: nun dafür Sorge tragen, daß der Fremde, der kein Wort deutsch sprach, nach dem Lehrter Bahnhof gelangte, und holte eine Droschke herbei, welche der Reisende bestieg. Als Begleiter wurde demselben ein Bahnbeamter beigegeben. Letzteren, der Uniform trug, muß der Passagier wohl für einen Polizeibeamten gehalten haben, denn anscheinend in der Furcht, daß er verhaftet werden sollte, sprang er während der Fahrt plötzlich aus dem Wagen, seine sämtlichen Reisesachen darin zurücklassend, und entfloh. Die Sachen wurden der Polizei übergeben und dieselbe durchsuchte den Koster. Der Inhalt der Schreiben zeigte den Fremden als Friseur, der in Petersburg gearbeitet hatte und sich ans der Reise nach Frankreich befand. Er hat bis heute seine Reisesachen, die bei der Polizei lagern, nicht zurückverlangt.
Ein heiter es Geschichtchen wird vom letzten Aufenthalt unseres Kaisers in Wilhelmshaven erzählt. Der Kaiser erblickte, von seiner Nordlandsfahrt heimkehrend, einen Zug Störche. — „Ah> Störche", rief einer der Herren des Gefolges, „wo mögen die hinziehen?" — „Vielleicht nach Berlin", sagte der Kaiser lächelnd, „wenn nur kein Hoflieferant darunter ist!"
Das verkehrte Duell.
Kannst Du wer nicht sagen, was das is: ä Duell? — Denk Der, es heißt Dich Einer ä Gauner und Du forderst ihm— I, so Hab ich gestern gehabt mit unser» Grafen ä verkehrtes Duell. — Wieso verkehrt ? — Ich hob erst gefordert und darnach Hot er mich geheißen ä Gauner.
Gemeinnütziges.
(Gegen schmerzhafte Durchfalle im Sommer!, die meist durch Erkältung entstehen, erweist M in den meisten Fällen der Kampferspiritus, au Viertelstunden 5 bis 8 Tropfen aus Zuaerg^ nommen, als hilfreich. Dies ist das beste - beugungsmittel gegen die Cholera, wft zay- reiche Erfahrungen in England, Italien u Amerika beweisen.
Mit einer Beilage.
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.