Knaben. Redner verweilt länger bei den lyrischen Gedichten, weil Mörike darin entschieden seine Hauptstärke zeigt. Das erste Werk, mit dem der Dichter vor die Oeffent- lichkeit trat (1832 im 28. Lebensjahre M.) war der Roman: „Maler Nolten". Demselben liegt das Problem zu Grunde, daß auf einem Mann, der den Schwur seiner ersten Liebe bricht und ein zweites Verhältnis eingeht, der Fluch ruht und der Nemesis erliegt. Die Sprache, voll poetischer Schönheiten, erinnere, ohne in Nachahmung zu verfallen, an Goethe. In dem Buche finden sich auch einige der populären lyrischen Produkte des Verfassers, z. B. das allbekannte vielgesungene, im Volkston gehaltene: „Früh, wenn die Hähne krähn"; „Das verlasseneMägdlein";,,Jung Volker"; ferner das „Lied vom Wind, Sausewind, Brausewind, dort und hier, deine Heimat sage mir" rc. Redner macht auf das 1836 von Mörike mit W. Zimmermann gemeinschaftlich herausgegcbene „Jahrbuch schwäbischer Dichter und Novellisten, worin das Märchen „der Schatz", aufmerksam; ferner die „Iris", eine Sammlung erzählender und dramatischer Dichtungen (1839) mit dem Märchen „der Bauer und sein Sohn", worin der Bauer, der sein Vieh malträtierte, empfindlich dafür gestraft wird, er verlumpt vollständig. Der Sohn dagegen, der Pferd und Ochsen „alle Liebe anthat" wird dafür belohnt. Die Tendenz des Märchens ist im letzten Satz klar ausgesprochen: „Seit dieser Zeit hat sich im ganzen Dorf kein Mensch an einem Tier mehr versündigt." M. sucht also der Tierquälerei entgegen zu treten. Die weiteren Geistesprodukte Mörikes werden vom Vortragenden kritisch eingehender behandelt, weshalb wir des Raumes willen nicht zu folgen vermögen und uns Beschränkung auferlegen müssen. Wir entnehmen nur kurz: „Lucie Gelmroth", die „Regenbrüder" zugleich Operntext, „Klassische Blumenlese", „Die Idylle vom Bodensce oder der Fischer Martin." — Besonders zu erwähnen „Das Stuttgarter Huzel- männlein", ein Produkt, das nach keiner Seite hin angefochten werden kann. Mörike hat sich in diesem Märchen vollständig in die Empfindungen des Volkes eingelebt. Der Handwerksbursche Seppe mit seinem Huzellaibchen und Glücksschuhen, derDoktor Veylland mit seinem Stiefelknecht, der die Bupsinger Baurn fängt; der in der Luft schwebende Färbersgeselle in Metzingen u. A. — all' das sind Figuren, die den Leser aus dem Lachen nicht herauskommen lassen und durch ihre gut schwäbische Sprache noch mehr anmuten. Nicht zu vergessen, daß das Märchen auf gut schwäbischem Boden sich abspielt. — 1856 erschien „Mozart auf der Reise nach Prag", eine prächtige lebenswahre Schilderung mit nie endender Spannung. — Anlangend bei Mörikes Gedichten, die 1878 in 7. Auflage erschienen sind, wüßte Redner als ächten Lyriker neben dem Altmeister Goethe außer Uhland keinen zu nennen, der den Volkston so glücklich getroffen hat wie Mörike. In dem Schlußwort sagt er von ihm: M. ist ein ganz eigenartiger und selbstständiger Dichter voll Anmut, Natürlichkeit und herzgewinnender Liebenswürdigkeit, ausgestattet mit einem jovialen Humor. All' diese Eigenschaften machen die Lektüre
unseres Dichters zu einem wahren, seltenen Genuß; je mehr man sich darin vertieft, desto mehr Goldkörner findet man, die sich unserer Seele einprägen, weil sie selbst auch aus dem tiefsten Herzen quellen.
Schweiz.
Nach dem „Berner Jntelligenzblatt" sind dem schweiz. Bundesrat die Warnungen wegen eines auf das BnndesratShaus geplanten Attentats von einer „befreundeten Macht" zugegangen. Die Eingangsthüren sind jetzt stets geschlossen und die Tag- nnd Nachtwachen verstärkt. (Die Schweiz hat auch lange genug mit dem Feuer gespielt.)
Ausland.
Paris, 5. Febr. Eine Privatdepesche aus London meldet, mehrere Regimenter hätten den Befehl erhalten, sich nach Egypten einzuschiffen. (F. I.)
In dem Augenblicke, da der Entsatz Chartums und die Bcfreiuung Gordon's durch die Fortschritte der englischen Expedition gesichert erschien, kommt die betrübende Nachricht, daß Chartnm durch Verrat in die Hände des Mahdi gefallen und wahrscheinlich Gordon gefangen ist. General Wolseley hat dies nach London gemeldet, nicht als Gerücht, sondern als Thatsache. Was wird nun aus der Expedition? Ein Unmaß von Mißgeschick ruht auf dieser englischen Affaire. Die Waffen werden kaum noch etwas erreichen können, jetzt muß abermals das Gold sprechen und der Prophet wird vor Allem die Anerkennung seiner Macht, seines Berufes — mindestens seines faktischen Besitzes fordern. Die Freilasfung Gordon's wird jedenfalls erwirkt werden — würde zu diesem Zweck gesammelt, so würde Großbritannien eine Milliarde aufbringen.
(A. N.)
Ein neuer großer Tunnel, der dazu bestimmt ist die Stadt New-Iork mit dem gegenüberliegenden Jersey-City zu verbinden, wird, wenn vollendet (was nunmehr bald der Fall sein dürfte), ein ebensogroßes Wunderwerk der modernen Wasserbankunst sein, als die Brücke über den Cast-River zu New-Iork Bon der Größe der Probleme und Schwierigkeiten, welche der Ban den leitenden Ingenieuren darbietet, kann man sich einen Begriff machen, wenn man hört, daß der Tunnel in seiner ganzen bedeutenden Länge nicht etwa durch Felfen und Gestein, sondern durch vom Wasser durchtränkten Sand und Schlamm hindurchgeführt werden muß, den man vermittelst eines von eingepumpter Luft ausgeführtcn Drucks mühsam in seiner Lage zu erhalten genötigt ist. Der ganze Bau wird aus 2, in einer Entfernung von 17 (engl.) Fuß parallel laufenden Tunnels bestehen, von denen jeder im Innern eine Weite von 68,1 , eine Höhe von 17 Fuß haben wird und je für ein Geleise bestimmt ist, indem durch den einen Tunnel die Züge nach Osten, durch den andern nach Westen fahren sollen.
Miszellen.
Unterwegs.
Aus den Aufzeichnungen eines Polizeibeamten mitgeteilt von Karl Chop.
(Fortsetzung.)
Ich begab mich deshalb zu dem Wirte hinunter, um bei ihm meine Untersuchung zu beginnen und fand ihn in der Gaststube mit Anordnung des Mittagstisches für den Kaufmann Reinecke beschäftigt.
„Entschuldigen Sie mich, wenn ich störe, Herr Reinhardt," sprach ich. „Aber die Angelegenheit Sturms läßt mich nicht zur Ruhe kommen."
„Ach, lassen Sie vielmehr mich in Ruhe," entgegnete er etwas ärgerlich. „Die Sache ist ärgerlich genug. Hätte den Burschen von Herzen gern geschont, wenn er nicht allzu frech gelogen hätte. Denn sehen Sie, Herr Jnspekor, was ich weiß, das weiß ich, verstanden? Er aber leugnet mir ab, was meine Augen sahen; und Sie glauben mir nicht. Also lassen Sie mich ungeschoren, basta."
„Nein, nicht basta, wenn Sie erlauben, Herr Wirt. Können Sie mir sagen, wann jener Fremde, den wir für jetzt Sturm nennen wollen, bei Ihnen logiert?"
„Ei warum denn nicht," erklärte Reinhardt, indem er bereitwillig sein Kontobuch aus dem massiv eichenen Schrcib- pulte hervorholte. „Warten Sie einmal! Der Bursche logierte auf Nummer Eins. Da haben wirs schon. Eine Flasche Haute- Sauterne, ein warmes Abendessen, ein Kapaun, Butter und Käse—. Ja, der Bursche weiß, was gut schmeckt-"
„Und die Zeit, die Zeit, Herr Reinhardt?" wiederholte ich ungeduldig.
„Der Herr hat das Zimmer vom 10. März Abends bis zum 16. Morgens bewohnt," erklärte der Wirt, „da findet sich noch die Angabe: Kaffee mit Gebäck. Die ganze Zeche beträgt — —"
„Darauf kommt jetzt nichts an. Genug, am 16. Morgens hat er Ihr Haus verlassen?"
„Ja, so ist es. Nicht wahr, Christian?"
„Ja wohl, Herr. Am Freitag den 11. gab er mir den Brief, für den ich auf der Post zwei Groschen verlegte. Ich weiß es ganz genau, weil es so schändlich ist, einen armen Dienstboten um sein Geld zu betrügen. Fünf Tage später, am Mittwoch, es war ein Marktag, also, na warten Sie einmal, richtig, am 16. früh brannte er uns durch."
„Am 16. ?" wiederholte Reinecke, welcher seine Mahlzeit im Stiche gelassen hatte, um näher hinzuzutreten, im Tone aufrichtiger Veränderung. „Das ist just derselbe Tag, an welchem ich die Schuld an Sturm zurückzahlte."
„Bravo!" rief ich unwillkürlich. „Das paßt vortrefflich. Wann kam Sturm zu Ihnen?"
„Hm, ich möchte kaum noch behaupten, daß es Sturm sesbst gewesen sein müsse, wenigstens könnte ich dies nicht mehr beeidigen."
„Nun, wann also kam der vermeintliche Sturm wegen jener Zahlung zu Ihnen?"
„Am 14. März gegen 7 Uhr Abends."
„Also im Zwielichte, so daß Sie die