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reichten sich in froher Begeisterung die Hand zum Bunde und gelobten sich, treu und thatkräftig zu Kaiser und Reich zu stehen, bei freier Prüfung der Einzelheiten die Sozialpolitik des großen Kanzlers, dem gegenüber der Dank nie aussterbeu kann, entschlossen zu unterstützen, die Selbst­ständigkeit und Unabhängigkeit der nat.lib. Partei nach allen Seiten hin zu wahren. Einstimmig nahm man die Resolution an, welche rückhaltslos auf dem Boden der Versammlungen von Heidelberg und Neustadt steht. Hob recht war es, der als Präsident von den 4500 Delegirten aus allen deulschen Gebieten diesen Ge­danken zuerst klaren, körnigen Ausdruck gab. Als v. Benda dann die Resolution verlas, wurden die einzelnen Sätze mit donnerndem Beifall ausgenommen. Jubel erschallte, als er darauf mit warmen, edlen Worten das Gelübde ernster Arbeit an der Sozialpolitik ablegtc. Aber ein Beifall, wie er in Berlin wohl selten ge­hört worden ist, erklang, als v. Bennig­sen zu seiner großen staatsmännischen Rede die Tribüne bestieg. Er, wie später Miguel, stellten mit Meisterschaft den Gegensatz fest, der mit der Gesammtauf- fassung des sozialen Problems die Natio­nalliberalen von dem Fortschritt und dessen Anhängseln trennt. Ferner sprachen Kie­fer, v. Wolfs (Stuttgart). Es ist schwer zu sagen, an welchem Punkte der Ver­handlungen die Begeisterung am höchsten stieg. Der Eindruck, den der Parteitag auf alle Teilnehmer ausübte, ist unbe­schreiblich. (S. M.)

Der Landesverrats-Prozeß, wel­cher in den letzten Tagen vor dem Reichs­gericht verhandelt wurde, hat durch die heute erfolgte Urteilsverkündigung seinen Abschluß gefunden. Beide Angeklagte, Hentsch und Kraszewski, sind mit verhält­nismäßig schweren und doch angesichts ihrer Handlungsweise nicht zu harten Strafen belegt worden. Hmtsch erhielt 9 Jahre Zuchthaus, Kraszewski aber 3'/- Jahre Festung, also eine nicht entehrende Strafe, in welcher Beziehung wahrschein­lich seine Qualität als Ausländer in Be­tracht kam. Selbst aber in besseren pol­nischen Kreisen ist man doch darüber einig, daß das Benehmen des greisen Schrift­stellers der deutschen Regierung gegenüber, nachdem er freiwillig deutscher Staats­bürger geworden, kein korrektes war.

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Rüdes heim, 14. Mau Die erste Berglokomotive der Niederwaldbahn ist vorgestern auf das Zahn-Schieneugeleise gebracht worden. Die Lokomotive stammt aus der Eßlinger Maschinenfabrik und trägt den NamenKaiser Wilhelm". Es werden drei Maschinen in Dienst gestellt und eine weitere als Reservemaschine dienen. Jede Maschine befördert zwei (ausnahmsweise drei) Wagen für je 40 Personen und befindet sich stets hinter den Waggons. Es fährt etwa alle 40 Minuten ein Zug. Nach Bedarf werden Extrazüge eingeschaltet.

Pforzheim. Sonntag 25. Mai be­geht die Altkatholische Gemeinde ihre zehn­jährige Stiftungsfeier. Beginn um 9 Uhr mit einem Festgottesdienst in der Waisen­hauskirche. Am Pfingstmontag 2. Juni wird das Bezirks - Missionsfest in der

Schloßkirche gefeiert. Anfang l'/s Uhr nachmittags.

Württemberg.

Stuttgart, 19. Mai. Nachdem Seine Majestät der König gestern Vormittag in gewohnter Weise den Rapport cntgegengenommen, auch dem Gottesdienst in der K. Schloßkapellc angewohnt und Sich später zu Ihrer Majestät der Königin auf die Billa begeben hatte, stellte sich Abends bei Höchstdemselben ein leichtes Un­wohlsein mit mäßigen Fiebcrerscheinungen ein, in Folge dessen Seine Majestät vor­aussichtlich einige Tage das Zimmer zu hüten genötigt sein wird. (St.-Anz.)

Stuttgart, 20. Mai. Gestern fand die nun alle 2 Jahre gehaltene General­versammlung des württ. Tierschutzvcreins im Königsbau unter Vorsitz des Grafen v. Taubeuheim statt. Der von Hofrat Stroh verlesene Rechenschaftsbericht spricht sich anerkennend über die Hilfe, welche dem Verein durch das Landjägerkorps und die Polizeimannschaften im ganzen Lande zu Teil wurde, aus, an welche denn auch Prämien von fast 600 -/lL ausbezahlt wurden.

Stuttgart, 20. Mai. Bei der gestern stattgehabten 29. ordentlichen Generalver­sammlung der Lebensversicherungs­und Ersparnisbank hier waren 641 Stimmen vertreten. Der Rechenschaftsbe­richt, welcher für das Rechnungsjahr 1883 einen Ueberschuß von 2,211,274 nach­weist, der Statuten gemäß im Jahre 1887/88 zur Verteilung gelangt und auf Grund dessen im Jahre 18841,559,779 als Dividende zur Auszahlung kommen, wurde gutgeheißen. Ebenso wurde die Erhöhung der Versicherungssumme auf ^ 100,000 unter der Voraussetzung, daß ^ 30,000 in solange rückversichert wer­den, bis eine entsprechende Zahl von Ver­sicherungen in der Höhe von ^6 100,000 bei der Bank beteiligt sein wird, ange­nommen, dagegen wird der von 12 Mit­gliedern gestellte Antrag auf Einführung eines Schiedsgerichtes abgelehnt. In den Verwaltungsrat waren 4 Mitglieder und 4 Stellvertreter zu wählen.

Zur Bewerbung ausgeschrieben: die erledigte Hauptlehrstellc an der oberen Klasse der Realschule in Wildbad.

In Folge der an den Seminaren zu Nagold, Eßlingen und Nürtingen vorge­nommenen ersten Dicnstprüfuug sind die Schulamtszöglinge Adolf Bachtelcr von Obernhauscn, Hermann Grimm von Conweiler zur Versetzung unständiger Lehr­stellen an Volksschulen für befähigt erklärt worden.

Bietigheim, 19. Mai. Eine groß­artige Naturerscheinung war das Gewitter, welches in der vergangenen Nacht zwischen 11 und 12 Uhr vorüberzog. Schon um 9 Uhr zuckten unaufhörlich Blitze am süd­westlichen Himmel und die schwüle Luft sowie die dunklen Wolkenmassen zeigten das Nahen eines schweren Gewitters an. Das Gewitter brachte den Fluren wohl- thuenden, erfrischenden Regen. (S. Bi.)

Rottenburg, 17. Mai. Letzten Freitag spielten die zwei Knaben des Kreuzwirts T. mit einem Beil, wobei es vorkam, daß der Aelterc dem Jüngeren 2 Finger abhieb. Tags zuvor hat sich

ein Knabe in Schwalldorf mit einer Zimmeraxt ebenfalls 2 Finger der linken Hand abgehauen. Wenn auch die Eltern in beiden Fällen keine Schuld trifft, so mahnen diese Unglücksfälle doch immer recht lebhaft, solche Instrumente sorgfältigst aufzubewahren und die Kinder gewissen­hafter zu beaufsichtigen. (W. L.)

Calw, 18. Mai. Von der Kanzel herab wurde uns heute die frohe Kunde, daß S. K. Hoh. Prinz Wilhelm in Ver­tretung Seiner Majestät des Königs zu unscrm Kirchcubau einen weiteren Staats- beitrag von 3500 ^ gnädigst verwilligt hat (außer bereits früher erhaltenen 3500 ^L). Auf gleiche Weise erfuhren wir, daß eine auswärts wohnende Frau in dankbarem Andenken an ihre Mutter, welche hier den Buud glücklicher Ehe schloß, 1000 zum Kirchcnbau gegeben habe. Ueberdies sind, wie fast jeden Sonntag, mehrere anonyme Gaben im Betrage von 50 und 100 der Gemeinde bekannt gemacht worden. (S. M.)

Neuenbürg, 21. Mai. Unser Laud- tagsabgeordneter Hr. Schultheiß Beutter ist vorige Woche schwer erkrankt und war der Zustand einige Tage bedenklich. Zu­verlässige Privatmitteilungen von gestern Abend konstatiren, daß das Allgemeinbe­finden nach zwei guten Nächten wieder ein sehr befriedigendes ist.

Neuenbürg, 19. Mai. Seit einigen Tagen sind auf der Schwarzlochsabrik reife Erdbeeren.

MiMllkn.

Z>ie eiserne Kand.

Eine oberöstecreichliche Donau-Sage.

(Von Dr. F. Isidor Proschko.)

(Fortsetzung.)

Aber noch hatte der Herr von Gera seine Rede nicht geendet, als sich die Türe des Seitenzimmers öffnete und der junge Oedt von Götzendorf ruhig und entschlossen den beiden Männern cntgegentrat.Hier habt Ihr den Marder, der dem Küchlein nachschleicht," rief er;nicht um Euch zu vermeiden, sondern weil ich Euch zu Hause zu finden glaubte, und hoffte, an diesem letzten Abende des Jahres, wo doch jeder edelsinnige Mann seinen alten Groll mit der letzten Mitternachtsstunde zu Grabe trügt, Euer Herz weicher gestimmt zu finden, kam ich hieher, und nur über die dringenden Bitten Eurer Tochter trat ich in diese Stube ab, auf daß sie früher noch Euer Herz sondirc und mir geneigt stimme, bevor ich mit meiner Bewerbung neuer­dings vor Euch trete."

Und da habt Ihr einstweilen den Ring im Winkel zurückgelassen?" höhnte der Alte mit schallendem Gelächter den Redner; und ein zweiter Blick auf dessen Begleiter, den Willinger, belehrte den jungen Götzendors, daß er wohl sein Leben für seine Liebe hier in die Schanze ge­schlagen habe.

Er zog, mit einer Hand die sinkende Esther erfassend, mit der andern seinen Flammberg, und würde sich vielleicht über die Hausflur durchgeschlagen haben; allein der Lärm hatte das Gesinde geweckt, und eine Stunde später lag Alfred von Götzen­dorf in der untern Stube des Hauses, während der Herr von Gera und Achatz