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Stuttgart, 22. Novbr. Gestern Abend um 5'/- Uhr wurde in der Kron­prinzstraße, in dem belebtesten Thcile der Stadt, ein unglaublich f re ch e r R a u b- ansall verübt. Vier Burschen im Alter von 2030 Jahren drangen in das Bank­geschäft von Heilbronn er, Kronprinz­straße Nr. 12, Part., ein, schlugen durch schwere Hiebe auf den Kopf den Inhaber und einen zufällig anwesenden Bekannten, Namens Oettinger (Sohn des Möbel­fabrikanten dahier) nieder und raubten, was an Geld und Papieren im Lokal vor­handen war. Als die Nachbarschaft durch den Lärm aufmerksam wurde, sahen ein­zelne Personen eben noch die vier Räuber, mit bleichen Gesichtern, die mit Geld ge­füllten Taschen mit den Händen zuhaltend, davoneilen, zwei die Lindenstraße aufwärts, die andern zwei nach der Königsstraße. In dem Bankzimmer bot sich ein schauerlicher Anblick dar: Heilbronner und Oettinger lagen am Boden, mit furchtbaren Wunden und von Blut überströmt. Heilbronner, der wieder znm Bewußtsein gekommen war, konnte Angaben machen, während Oettinger noch jetzt bewußtlos darniederliegt. Die Waffen ließen die Räuber zurück; sie sind von den Mördern augenscheinlich selbst angefertigt: an einem ca. 1 Fuß langen Stiel ist ein roh gegossenes, sternförmiges Stück Blei von halber Faustgröße be­festigt, so daß die Waffe einem Todtschlägcr oder einem der alten Morgensterne ähn­lich ist. Die Räuber waren städtisch ge­kleidet, das Aussehen gewöhnlicher Stromer hatten dieselben nicht. Ohne Zweifel war der Raub mit ebenso großer Ueberlegung geplant, als mit unerhörter Kühnheit aus­geführt; die Zeit des Ueberfalls war so gewählt, daß eben das Geschäft geschloffen werden sollte und ein Eintritt von Kunden somit nicht zu befürchten war. Wie man hört,-soll heute Nacht auf dem Bahn­hof in Pforzheim einer der Thäter ver­hasst worden sein; er soll Baum heißen und aus Chemnitz gebürtig sein; er soll 1000 bei sich geführt und angegeben haben, zwei der andern, Bahern, haben in Straßbnrg Zusammentreffen wollen. Die Aufregung des Publikums ist noch heute eine große. Lange dauerte es, bis die gestern Abend vor dem Hause ver­sammelte Menge zum Auseinandergehen zu bewegen war. Angesichts der vielen in letzter Zeit vorgekommenen frechen Mord- und Raubanfälle fragt man sich angstvoll und entrüstet, wohin wir noch gelangen werden? Die Opfer des An­falls wurden in das Katharinenhospital gebracht, wo sich Dr. H. Burkhardt ihrer annahm. Beide sind lebensgefähr­lich verletzt, sie haben eine große Zahl von Quetschwunden auf Stirn und Kopf, die fast alle bis auf den Knochen gehen; Heilbronner hat außerdem starke Quetsch­wunden an der Hand. Bei Letzterem ist Hoffnung auf Erhaltung seines Lebens vorhanden, bei Oettinger kaum.

(St.-Anz.)

Ein zweiter Bericht des Schw. Merkur lautet: In dem Heilbronner'schen Bank­geschäft waren des nahenden Geschästs- schlusses halber die ausgestellten Effekten aus dem Schaufenster eben in die Kasse gelegt worden, der Lehrling hatte sich ans die Post begeben und Heilbronner war im

Gespräch mit Kaufmann Oettinger, der auf kurzen Besuch im Laden war, als plötzlich 4 Männer in den Laden drangen, die nach der Straße und in den Hans- gang führenden beiden Thüren schlossen und auf die beiden Anwesenden nnt mit- gebrachtcn Bleihämmern der Art znschlugen, daß beide sofort ohnmächtig hinsanken. Oettinger hat neben vielen schweren Ver­wundungen einen Schädelbruch davon ge­tragen und schwebt in Lebensgefahr, Hell­brauner hat eine große Stirnwunde, die ihn so mit Blut überströmte, daß man von seinem Gesicht nichts mehr sah. Heil­bronner sah, daß der Kasscnschrank geleert, und daß eine Menge Blätter aus dein Kopierbuch gerissen wurden; wahrscheinlich hat sich einer der Mörder das Blut damit abgewischt. Inzwischen war aber doch von 2 Mädchen der Lärm im Laden bemerkt worden, dieselben äußerten zu ihren Herr­schaften, bei Heilbronner gebe cs furchtbare Prügel und ein Mädchen des Restaurateurs Werner bat, man möge doch Nachsehen, was es da gebe. Darauf hin begaben sich Werner und ein Gast an die Hinterthür zum Laden, der verschlossen war, weßhalb sie von der Straße aus hincinzukommen versuchten, jedoch vergeblich. Während sie noch an der Ladenthür rüttelten, sprangen plötzlich die 4 Männer zum Hause hinaus und flohen mit einer Eile, daß an Verfolgung nicht zu denken war. Fast zu gleicher Zeit stürzte aber auch Heil­bronner auf die Straße und schrie Mörder! Als man nun in den Laden kam, sah man Oettinger in einer ungeheuren Blutlache liegen, aber er lebte. Heilbronner ließ die Kasse untersuchen, sie war geleert, etwa 8000 ^ mögen geraubt sein. 2 standen an der Hinterthür, vermuthlich wäre der Erste, der da einzndringen versucht hätte, damit erschlagen worden.

Der Pforzh. Bcob. schreibt über die Vorgänge bei der Verhaftung des einen der Verbrecher:Gestern Abend spielte sich hier eine aufregende Scene ab. Nach einem an die hiesige Polizei-Behörde ge­richteten Telegramm wurde gestern Nach­mittag in Stuttgart das Leben und Eigen­thum des Bankier Heilbronner daselbst schwer geschädigt, ohne daß man der Thäter habhaft werden konnte. Der um '/slO Uhr von Stuttgart hier ankommende Zug wurde daher von einigen Polizei- und Gedarmeriebediensteten schon erwartet und umstellt. In einem Koupe zweiter Klasse fand der Gendarmerie-Wachtmeister ein Individuum, auf welches das unbestimmte Signalement einigermaßen paßte. Nach einigen Fragen forderte der Wachtmeister den Mann auf, das Koupe zu verlassen, was derselbe auch that. Plötzlich fiel ein Schuß, worauf die Schutzleute und Gen­darmen, die den Zug umstellt hatten, herbeieilten. Nach heftiger Gegenwehr, wobei sich der Verbrecher eines Revolvers und einer Art Höllenmaschine bediente, und wobei sämmtliche an dem Kampfe betheiligten Personen, worunter auch ein Zivilist, der zur Unterstützung der Sicher­heitspolizei hcrbeigceilt war, mehr oder minder schwere Verletzungen erlitten hatten, wurde der Verbrecher überwältigt und in das Amtsgcfängniß verbracht. Der Ver­haftete, der übrigens bei dem Kampfe durch seine Höllenmaschine selbst leicht verletzt

wurde, ist angeblich ein Sachse, gebürtig von Chemnitz und von Profession ein Schlosser."

Nach Mittheilung von Mitreisenden, war der zuvor schon eingetroffene Calwer Zug (9.36) bezüglich der Passagiere einer Beobachtung durch Polizei-Organe unter­stellt, während dessen der paratstehende Enzthalzug etwas länger außerhalb der Einsteighalle verweilte.

Calw, 20. Nov. Heute in der Morgenfrühe ist, 63 Jahre alt, Fabrikant Gustav Friedrich Wagner, einer der ersten Industriellen hiesiger Stadt, von lang­wierigen, schweren Leiden durch den Tod erlöst worden. Der Verstorbene war der Chef der Firma G. F. Wagner, früher große Wollhandlung, dann Strickereige­schäft und jetzt Wolldeckenfabrikation.

Ausland.

Valencia, 22. Nov. Die Landung des Kronprinzen erfolgt heute Vormittag um 9 Uhr. Das Empfangszelt ist nahe am Hafen aufgestellt; dasselbe ist mit deutschen und spanischen Fahnen geschmückt. Zwei Triumpfbogen erheben sich auf der Alameda-Promenade. Der Aufenthalt hier dauert bis Morgen Nachmittag 4 Uhr, die Ankunft in Madrid erfolgt am Freitag Vormittag gegen 11 Uhr.

Miszellen.

Aas gegenüber.

(Fortsetzung.)

Er ließ die Hände langsam von meinen Schultern gleiten und führte mich zu Marie, in derenWillkommen" eine Befangenheit, eine qualvolle Empfindung hindurchzitterte, die mich erschrecken machte. Ich sah die Phasen von Freude und Schmerz, die ihr Herz durchlaufen, las deutlich auf ihrem Antlitz, daß sie noch vor einem Augenblick selig, unendlich selig gewesen, und daß nur mein Erscheinen sie aus diesem Himmel aufgescheucht. Ein peinvolles Schweigen trat ein. Jeder scheute sich, die letzten Ereignisse zu be­rühren und ich fühlte nur, daß das Er­scheinen meines Bruders zerstörend in meinen Himmel gegriffen habe. Es ist ein bitteres, vernichtendes Gefühl, dort, wo wir uns heimisch fühlten, wo uns stets offene Arme und liebende Herzen empfingen, plötzlich von verletzender Kälte uns angeweht zu fühlen und den uns lieb gewordenen Platz von einem Andern besetzt zu sehen.

Louise fand am Ehesten den Ueber- gang zum alten, herzlichen Ton und be­gann zu erzählen, wie heute vor wenig Stunden ein Herr plötzlich in das Zimmer getreten, und sie geglaubt, cs sei ich, der endlich zurückgekehrt; wie sie ihn alle herz­lich empfangen, und dann sei es nicht ich, sondern der Bruder gewesen. Doch trotz Louisens Bemühen kam es nicht mehr zu einem die Dissonanz lösenden Gespräch; ich konnte der gedrückten, trüben Stimmung nicht Herr werden, ich fühlte, daß mein Bruder das Herz Mariens im Fluge wiedergewonnen habe, daß sie für mich verloren sei. Ich mußte die Ruhe, die Einsamkeit suchen und brach auf, Kopf­schmerzen, Ermüdung von der Reise vor­schützend. Mein Bruder wollte mich be-