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„Sie wollen doch", sagte sie zu der Alten, „das arme Geschöpf nicht auf die Maternite bringen?" Die Antwort war bejahend. „O, so geben Sie mir lieber das kleine Wesen, ich will es mit aller Liebe aufziehen", fiel die Arbeiterin ein und die Alte, der es gleichgiltig war, wie sie sich ihrer Last entledigte, überließ es ihr. stieg aus und war verschwunden. „Was Sie da thun, ist schön und edel", sprach ein Herr, der im Omnibus saß, zu dem Mädchen, „aber wie es scheint, könnten Sie wohl mehr Ihr Herz als Ihr Vermögen dabei befragt haben; wollen Sie mir erlauben, Ihnen meine Mitwirkung bei Ihrem edlen Werke auzutragen? Hier ist meine Karte; so oft Sie etwas bedürfen, wenden Sie sich an mich." Das Mädchen dankte und lächelte freundlich, steckte aber die Karte ohne große Aufmerksamkeit zu sich.
Neunzehn Jahre sind seitdem vergangen und sie hat nie die fremde Hilfe in Anspruch genommen. Um diese Zeit lebte in demselben Studentenviertel ein junger Maler, dessen Wohnung — sie war im sechsten Stock — nicht ahnen ließ, daß er ein glückliches Kind reicher Eltern war. Aber die Ansichten von Glück sind verschieden. Der junge Mann, den wir Rudolf nennen wollen, fand es eben nicht im eleganten Faubourg St. Honors, wo seine Eltern ein prächtiges Haus bewohnten, sondern im Lande der sorglosen Jugend, hoch über dem niederen Treiben des Alltagslebens, da wo die Sonne zuerst die stolze Stadt an der Seine küßt, kurz, im sechsten Stock. Wie der flüchtige Vogel mit seinen Liedern hoch in den Besten nistet, so fliegt auch der glückliche Leichtsinn in Paris hinauf auf die Gipfel der Häuser, und wenn in dem Gewirr der Straßen nur die feilschende Stimme des Krämers und der Lärm der Werkstätte erschallt, so flattert um die Giebel das fröhliche Gelächter der Jugend und Genügsamkeit, da wohnt der Student, der Künstler, die Grisette und die ganze sorgenlose Zigeunerwelt, lu Lollöma, von Paris und schmettert Böranger's Lieder in die heitere Luft. Da wohnte auch Rudolf, schlürfte den Aether des Ideals, sah in den blauen Himmel und — in die schönen Augen seiner Nachbarin. Ja, sie war schön, die sittsame, arbeitsame, tugendhafte Nähterin Marguerite, und wohl geeignet, die flüchtige Neigung zur stillen Bewunderung, zur ernsten, redlichen Liebe umzuwandeln. Noch flatterten alle Genien des sechsten Stocks um Rudolf's Fenster, das Glück der Jugend, die Kunst, nur einer war entflattert, der Schmetterling Leichtsinn: Rudolf liebte. Gleich und gleich gesellt sich gern, sagt das Sprichwort, und: Und unter Armen freit man schnell; es wurde ihm nicht schwer, Zutritt zu erhalten, und, was er hier sah, fesselte ihn noch mehr an die Geliebte. Tugendhaft nannten wir sie, denn sie opferte Kraft, Zeit und Vergnügen ihrer Mutter auf, die, obgleich nicht alt und beinahe noch schön, schon seit vielen Jahren erblindet und gänzlich hilflos dastand. Ein solcher Charakter erschien unserm Rudolf der beste Bürge für eheliches Glück und schnell warb er um die schöne Hand. Er erhielt sie.
(Schluß folgt.)
Eine Wodekranl'cheit.
(Schluß.)
Die Neigung zum Bronchialkatarrh ist bei verschiedenen Personen eine sehr ungleiche ; im Kindesaltcr, zur Zeit des Zahndurchbruches, ist dieselbe am häufigsten, im mittleren. Lebensalter geringer, im Greisenalter kommt die Krankheit wieder häufig vor und ist dann sehr hartnäckig. Ferner erkranken schlecht genährte Individuen von schlaffer Constitution viel leichter am Brouchialkatarrh als kräftige und gutgenährte. Wir haben schon erwähnt, daß man im Volke unter Katarrh die nach Erkältung cingetretenc Affection der Schleimhäute versteht und allerdings ist auch die häufigste Ursache des Bronchial- katnrrhs Erkältung und zwar durch Zugluft, also durch Einwirkung eines plötzlichen Temperaturwechsels auf die Haut. In rauhen und feuchten Gegenden, namentlich an den Meeresküsten, herrscht deßhalb der Bronchialkatarrh wegen der häufigen Gelegenheit, sich zu erkälten, förmlich als epidemische Krankheit. Außerdem wird aber diese Krankheit auch verursacht durch den Reiz einer mit Staub, Rauch und scharfen Dämpfen geschwängerten, oder einer zu kalten oder zu heißen Luft und manche Handwerker, z. B. Steinhauer, Bäcker, Müller, leiden deßhalb fast durch- gchends an Bronchialkatarrh. Eine andere Ursache desselben liegt in vermehrtem Zufluß und namentlich in dem verhinderten Abfluß des Blutes aus den Lungen oder Bronchien, so daß der Bronchialkatarrh Veranlassung zur Entstehung des Emphysems oder der Lungenlähmung und ebenso zum Zustandekommen der Bronchien-Er- weiterung geben kann. Bei diesen Krankheiten der Luftwege ist die Schleimhaut der Luftröhrenüste sehr gereizt, die Muskelfasern der Bronchien sind gelähmt und können zur Austreibung des mißfarbigen, schlechten Schleimes nichts mehr beitragen, so daß diese Absonderung lange liegen bleibt und gefährliche Geschwüre erzeugen kann.
Bei dieser großen Mannigfaltigkeit der einen Brouchialkatarrh und dessen unmittelbare Folgen charakterisirenden Krankheitserscheinungen kann man bei Behandlung der Brustkatarrhe dieselben natürlich nicht alle über einen Leisten schlagen und es lassen sich hierbei nur einige allgemeine Regeln angeben. Zuvörderst gilt aber auch hier der altbewährte Satz, daß die beste Hilfe die rascheste Hilfe sei; welcher Art auch darum der vorliegende Fall von Katarrh angehören mag, so muß man jedenfalls nach diesem Satze handeln und das Leiden nicht vernachlässigen. Es versteht sich hierbei von selbst, daß mau sich vor jeder auch noch so geringfügigen Erkältung in Acht nimmt und ebenso, daß man die ja schon angegriffenen Schleimhäute nicht noch weiter reizt, indem man es also vermeidet, sich in Zimmern, die mit Tabaksqualm und sonstigen Ausdünstungen angefüllt sind, lauge aufzuhalten. Bei einem plötzlichen, fieberhaften Auftreten des Bronchialkatarrhs wird schon das Allgemeinbefinden den Aufenthalt im warmen, dabei aber gut ventilirten Zimmer verlangen. Wer aber überhaupt Neigung zum Katarrh besitzt, suche sich möglichst zu kräftigen und abzuhärtcn, was am leichtesten durch vorsichtige Gewöhnung
an Temperaturwechsel, kalte Bäder und Abwaschungen wie durch regelmäßige und häufige Bewegung in der frischen Luft erreicht wird. Für Kranke, die an chronischem Brouchialkatarrh leiden, empfiehlt sich eine Frühlings- oder Herbstkur in Baden-Baden, Wiesbaden, Ems u. s. w., überhaupt ein Aufenthalt an Orten mit milderem Klima und geschützter Lage. Specifische Mittel gegen die verschiedenen Arten des Brust- und Bronchialkatarrhs anzuführen, ist hier jedoch nicht der Platz und muß dann in jedem einzelnen Falle der Arzt zu Rathe gezogen werde». Wir können aber nur die Mahnung wiederholen, in keinem Fall einen Katarrh, und sei er noch so leicht, zu vernachlässigen, es kann sich jede derartige Vernachlässigung schwer rächen und sich dann aus einer Modekrankheit, als welche ja im Grunde genommen jede katarrhalische Erkrankung zu betrachten ist, eine langwierige und in manchen Fällen tödtlich verlaufende Krankheit entwickeln.
Iotgenschrveres Mißverständnis
Ein junger Beamter hegte den Wunsch, in den Velocipedclub einzutreten, weil ihm diese Art Bewegung besonders gefiel. Nun begab es sich, daß seine Frau in Familienangelegenheiten auf einige Wochen verreisen mußte. Diese Zeit benutzte nun >der junge Ehemann, um seinen Wunsch ^»szuführen und seiner Frau bei ihrer Rückkunft zugleich eine Ueberraschung zu bereiten. Es glückte ihm wider Erwarten sehr bald, das Vilociped zu regieren und sportmäßig zu rennen. Als er nun die Ankunft seiner Frau per Draht erfuhr, verließ er seine Kanzlei früher als gewöhnlich, bestieg sein liebes Velociped und fuhr der nächsten Station zu, um seine Frau eine Stunde früher begrüßen zu können, kam aber leider einige Minuten zu spät, der Zug war bereits abgedampft und so rasch er auch nachräderte, berechnete er doch, daß seine Frau vor ihm zu Hause sein würde. Was mußte sie denken, wenn er sie weder am Bahnhof abholte und endlich zu Hause nicht einmal antraf! Seine Sorge war auch nicht umsonst. Als die Frau allein zu Hause gehen mußte und auch da den Gatten nicht anwesend fand, fragte sie verwundert die Köchin: „wo ist denn mein Mann?" „Ach, der wird wieder bei seiner Elisabeth sein, mit der fährt er jeden Mittag spazieren," referirte die Köchin. Erstarrt blickte die Frau die Köchin an — „also ist er mir untreu!" o der Falsche!" so klang es in ihrem Innern, und sie mochte keine weitere Frage thun; ein namenloses Weh durchzog ihr Herz, der Mann, den sie so sehr liebte, konnte sie also täuschen und vernachläßcgen, daß er es nicht einmal versuchte, den Heuchler zu spielen. — Unterdessen segelte der Gatte so rasch seines Weges, daß der Schweiß an ihm triefte, brachte schnell, als er die Stadt erreicht, sein Velociped unter und eilte seiner Wohnung zu. In freudigster Stimmung sprang er die Treppe hinauf und stürmte in's Zimmer. Aber erschrocken ließ er seine offenen Arme sinken, beim Anblick seiner Frau. Finster, ohne ihm nur die Hand zu bieten, saß sie da und kein „Willkommen" tönte ihm entgegen.