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Der Abend kam und fand den jungen Offizier in Begleitung seines Burschen auf dem Wege nach der Vorstadt. Der bevorstehende Krieg hatte das Verhältnis; zwischen Vorgesetzten und Untergebenen zu einem weit frenndlichern gestaltet, wie dies im Frieden der Fall ist; wußten doch die Krieger sämmtlich, daß sie im Felde gleiche Leiden, gleiche Kämpfe zu bestehen hatten, daß da der Offizier neben dem Gemeinen, zum Tode verwundet, hinsinkt und alle irdische Größe so schnell durch ein Stückchen Blei oder einen raschen Hieb vernichtet ist.
Amsler hatte nie zu derjenigen Zahl von Leuten gehört, die ihr Anjehcn dadurch zu vergrößern suchen, daß sie Untergebene recht rücksichtslos und brutal behandeln, die in der Erbärmlichkeit meinen, wenn sie recht bramarbasircnd und verächtlich gegen die Armen auftreten, die keinen Widerspruch wagen dürfen, könnten sie ihre Flachheit und Gehaltlosigkeit verbergen, ohne zu bemerken, wie jeder Gc- bidete achfelzuckend und bemitleidend sich von ihnen wendet; er achtete in jedem Untergebenen seinen Mitmenschen und selbst wenn Einer von ihnen sich eines Verstoßes gegen die militärische Ordnung schuldig gemacht hatte, übte er Milde und Nachsicht. Dafür war auch Jeder bereit, für den Premierlieutenant Amsler Alles zu unternehmen; er würde im Stande gewesen sein, das Regiment einer Baude Teufel entgegenzusühren und sie wären sicherlich nicht gewichen, so lange er Stand gehalten.
„Friedrich", sprach der Lieutenant, indem sie sich dem gräflichen Gehöft näherten, „wenn nun aber der Matczek nicht zuverlässig ist und ich in eine Falle gelockt werde?"
- „Das ist auf keinen Fall zu befürchten; wenn er auch Pole ist, er würde mir zur Liebe noch im letzten Augenblick uns warnen, sobald Verrath zu erwarten wäre!"
„Nun, ich habe ja auch meine Waffen."
„Sie werden dieselben nicht gebrauchen."
„Und sollte es dennoch zu einem Angriff kommen, was Sic in der stillen Nacht leicht hören würden, so eilen Sie herbei, um meine Feinde zu verjagen, denn ich möchte nicht, daß ich gcnöthigt wäre, von meinen Pistolen Gebrauch zu machen, es würde mich schwer compromittircn."
Friedrich versprach, achtsam, auf seinem Posten zu bleiben, gleich darauf standen sie an der Umwährung des Roslawskischen Gehöfts.
Im Hause war bereits Alles dunkel, tiefe Ruhe war ringsumher verbreitet.
Mehrere Minuten verstrichen in bangem Harren, da endlich wurden Hanz leise Schritte in ihrer Nähe hörbar, Matczek kam zu ihnen heran und flüsterte: „Es ist besser gegangen, wie ich hoffte, der Pförtner liegt, seiner Sinne nicht mächtig, im Stalle, ich habe die Schlüssel, Sic können ohne Beschwerde das Thor passiren.
Amsler stutzte, dieses Entgegenkommen erschien ihm verdächtig.
Friedrich bemerkte seine Zweifel und fragte: „Und die Comtesse?"
„Sie wartet in der Laube!"
„Matczek, das ist nicht wahr!"
Der Reitknecht drehte sich um und
brummte: „Dann glaubt cs nicht, ich bin kein Narr!"
„Friedrich", flüsterte der Offizier, „halten Sie das Thor so lange offen, bis ich zur Laube gehe."
Der Bursche nickte mit dem Kopse und Amsler, im dunklen Civilanzuge, schritt der Laube zu.
Clara stand im Eingänge derselben und flog in seine Arme.
„Sind wir sicher, mein süßes Lieb?" frug Amsler.
„Jedenfalls!" erwiederte Clara. „Doch mag jetzt kommen, was da will, ich habe Dich ja wieder."
Das waren selige Minuten, welche die Liebenden nach der langen Trennung jetzt verlebten. Sie hatten in ihrem Glück die Vergangenheit vergessen und dachten nicht an die Zukunft.
Die Zeit floh an ihnen vorüber, sie bemerkten cs nicht; aber mit dem ersten Frühroth mußte Amsler gerüstet bei seinem Commandeur sein, um sich zu dem versammelten Regiment zu begeben und mit diesem nach der französischen Grenze in den Kampf zu gehen.
Clara ruhte in seinen Armen, ihr Köpfchen lag an seiner Brust, sic empfand nichts von der Erde Leid und Schmerz, sie war selig und Hütte in ihrem Glück hinwallen mögen in jene besseren Gefilde, wo es kein Trennuugswch mehr gibt.
Da plötzlich wurde draußen auf der Straße leise gepfiffen und kaum war dieser Laut mahnend an das Ohr des Offiziers gedrungen, als er sich erhob und tiefbewegt sprach: „Wir müssen scheiden, mein Engel, es ist die höchste Zeit, daß ich mich rüste."
Ein halbunterdrückter Angstruf erglitt der schönen Polin. „Du willst mich schon verlassen?" zitterte es aus ihrem kleinen Munde und in diesen wenigen Worten lag eine namenlose Fülle von Leid ausgeprägt.
„Fasse Dich, mein Lieb, trockne Deine Thränen und mache mich nicht noch weicher. Wie viele Tausende müssen die bittere Trennung bestehen, und sic gehen sämmtlich mit der Hoffnung ans ein glückliches Wiedersehen in die Ferne, lasse auch uns hoffen!"
„Hier, mein Karl, nimm dieses Andenken mit und trage es stets auf Deinem Herzen; cs möge Dir ein Talisman werden in jeder Gefahr", schluchzte die Com- tcsfe, indem sie eine kleine goldne Kapsel hervorzog; „sie enthält mein Bild und eine Locke von meinem Haar", fuhr sie weinend fort. „O, könnte ich immer bei Dir sein!
Amsler schloß die Geliebte gerührt von Neuem in seine Arme, auch das Auge des starken Mannes wurde feucht.
„O Gott, warum müssen sich die Menschen entzweien und damit so viele Herzen brechen!" fuhr Clara fort. „Aber Karl, im Geiste werde ich keinen Augenblick von Dir getrennt sein; wo Du auch weilen magst, ob im blutigen Schlachtengetümmel oder auf stiller, einsamer Straße, immer werde ich bei Dir sein; der mörderische Blitzstrahl, der Dich vernichtete, er würde auch mich zum Tode verwunden, wirst Du mir genommen, so folge ich Dir bald in die kalte, schauerliche Gruft."
„Nicht diese schwarzen Gedanken, mein Engel, mit Lvorbeeren bekränzt werde ich zu Dir zurückkehrcn, und dann soll uns keine Macht der Erde mehr zu trennen vermögen."
(For tsetzung f olgt.)
Der Weisljeitshändker.
(Miihrchen. - Nach dem Englischen von A. R.)
(Fortsetzung.)
Radawan verlor alle Fassung und dachte an nichts, als an Flucht; was im Ganzen genommen auch nicht so unverständig war, denn die Thatsache, daß ein Todter in seinem Hause gefunden wurde, würde im Orient unfehlbar ihn selbst ver- urtheilt haben, und zwar umsomehr, als kürzlich so viele Verbrecher ungestraft entkommen waren. Hastig sein Weib umarmend , eilte Radawan auf das Dach seines HanseS, um von dort auf das seines Nachbars hinüber zu steigen und durch dessen Hans auf die Straße zu gelangen. In seinem Schrecken vergaß er, daß er selbst ein starres Gitter hatte aufrichten lassen, um die Leute zu verhindern, seine Hühner zu stehlen. Nachdem er sich vergeblich angestrengt hatte, durchzubrechen, kehrte er, kaum wissend, was er that, um; und als er zufällig über die Brustlehne schaute, sah er die ganze Straße mit Soldaten gefüllt und an ihrer Spitze den gefürchteten Polizeiaga selbst. Dieser Anblick verlieh ihm den Muth ver Verzweiflung. Ein enges Gäßchcn nur trennte ihn auf der andern Seite von einem etwas niedrigeren Hause. Mit einem Satze sprang er hinüber, wie er eben seine Thürc einbrecheu hörte. Die Furcht beflügelte ihn. Wie eine Katze rannte er über die Dächer hin, erreichte ein eingefallenes Haus, durch das er auf die Straße hinabkletterte, und kam auf Umwegen endlich an die Stadtmauer. Mit einer, für ihn wunderbaren Energie drehte er das Linnen seines Turbans aus, befestigte es an einem bevorstehenden Stein, ließ sich zur Hälfte hinab und fiel die andere Hälfte, fühlte sich zwar etwas betäubt, aber nicht beschädigt, sprang wieder auf, lief, und befand sich endlich in der Stadt der Gräber.
Einige Autoritäten erzählen nun, daß Radawan auf einem der Gräber cinge- schlafen und von dem Genius des Ortes, einem häßlichen, launigen Ungeheuer gefunden worden sei, der ihn im Nu an das Thor von Damaskus gebracht habe; Andere sagen,- er habe sich am nächsten Morgen einer nach Syrien ziehenden Karawane angeschlosscn: in der Hauptstadt Syriens befand er sich endlich, ohne besondere Abenteuer erlebt zu haben.
Zufällig bestand der ganze Geldvorrat!) des Sattlers nur ans dein Tages- crlöS. Als dieser verzehrt war, verlegte er sich mit orientalischer Resignation auf's Betteln, und wäre vielleicht sein ganzes Leben hindurch ein Bettler geblieben, wenn ihn nicht der Zufall eines Tages in einer der Vorstädte an einem großen Palast geführt hätte. Er rief an der offenen Thüre: „Mich hungert, o Herr!" Da er aber keine lebende Seele erblickte, so trat er ein und ging, ohne Jemand zu treffen, seinen Ruf wiederholend weiter, bis er in ein entlegenes Gemach kam, wo er einen Greis in tiefe Gedanken versunken er-