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Dennoch wnrde es bald klar, daß Napoleon die Zeit gekommen dünkte, in der er Rache für Sadowa nehmen könne.
Erbprinz Leopold verzichtete auf die Thronkandidatur Spaniens, weil er cs mit seinen Gefühlen als deutscher Offizier nicht vereinbaren konnte, Deutschland um seiner Person willen in einen blutigen Krieg zu stürzen und Spanien als Mitgift den Krieg zu bringen.
Damit hoffte man die Kriegsfragc gelöst.
Indessen man hatte sich geirrt.
Die empörende Frechheit Bencdettis in Ems erntete eine edle Zurückweisung; dem Grafen Bcnedetti wurde durch den dienst- thuenden Adjutanten des Königs die Thür gewiesen.
Das hatte man in Paris erwartet, die gesuchte Kriegsursache war da.
Am 15. Juli trugen die französischen Minister Ollivier und Grammont in der Dcputirteukammer vor, daß die Regierung verpflichtet sei, den von Preußen angebotenen Krieg anzunehmen, am 19. Juli erhielt der preußische Premierminister Graf Bismarck die offizielle Kriegserklärung der französischen Regierung.
Ganz Deutschland war mit einem Mal in vollster patriotischer Aufregung, überall Mobilmachung der Armeen, in jedem Flecken ertönte der Ruf „Nieder mit den Friedensstörern!"
Kaum war die erste Nachricht von dein bevorstehenden Kriege nach G— gedrungen, als Pater Lucius plötzlich unsichtbar wurde; er hatte die Rückreise nach Frankreich, dem Hauptorte seiner. Ordensproviuz, angetreten.
Clara verlor dadurch ihren Hanpt- peiniger, denn der Pater hatte sich täglich bemüht, ihren Eltern klar zu machen, welches Unglück es sei, wenn sie einen protestantischen Deutschen heirathe.
In der Brust des jungen Adjutanten regten sich bei alledem die widerstreitcndsten Empfindungen. Wie oft hatte er aus der Fülle seines Herzens gewünscht, cs möge ihm vergönnt sein, an einem Kampfe mit den Feinden seines Vaterlandes, den händelsüchtigen Franzosen, thätigen Antheil zu nehmen, und sich durch Tapferkeit und militärische Umsicht auszuzeichnen; wie gern Hütte er den übermüthigcn Franzmännern gezeigt, daß deutscher Math und deutsche Kraft alle Nationen der Erde zu besiegen vermöge; — und jetzt, da er in wenigen Tagen hinaus sollte in den blutigen Kampf an die französische Grenze, empfand er ein tiefes Weh in seinem Herzen, die Brust drohte ihm zu zerspringen, er konnte nur voll Wehmuth daran denken, daß er den ihm thenren Garnisonsort verlassen solle und vielleicht nie wiedcr- kehren werde.
„Aber es war nicht Feigheit, die sich seiner bemächtigte; o nein, sein Muth und seine Kampfeslust waren ebenso groß, wie ehemals; was ihn bewegte, das war die Sehnsucht nach der Geliebten, der Gedanke, daß er fort solle in den blutigen Kampf, ohne Der, die er mehr wie sein Leben liebte, noch einmal in das treue Auge geblickt, noch ciftmal ihr Gelöbnis; gehört zu haben, daß sie sein bleiben werde bis über das Grab hinaus.
Sein treuer Friedrich mochte Mitempfinden, was in dem Herrn vorgiug, denn er beobachtete ihn oft mit traurigen Blicken. — Zwei Tage vor dem Ausrückcn des Regiments wandte er sich an Matczek, den Reitknecht, und ließ nicht nach, diesen mit Bitten und Freundschafts-Versicherungen zu bestürmen, bis er endlich erweicht war und versprach, dem Lieutenant beizustehen, wenn er die Comtesse sprechen wolle. Schon wankend, begann er:
Die Comtesse scheint seit einigen Tagen weniger unter Aufsicht zu stehen, als bisher."
„Das macht der Krieg und die Abwesenheit des Paters", cntgegnete Friedrich.
„Kann wohl sein; wenn nur der verwünschte Schließer nicht wäre! Durch die Pforte kann der Herr nicht, da passirt Niemand bei Abeud, ohne daß er dem Grafen gemeldet ist."
„So helfen wir ihm, über die Umwährung des Gehöfts zu klettern."
„Das könnte erst geschehen, wenn Alles im Schlaf ist und ich muß am Abend die ganze Dienerschaft betrunken machen."
„Feiere doch Deinen Geburtstag, Wutki werde ich so viel besorgen, daß sie sich alle steif trinken können. Aber ich mache Dir zur Pflicht, daß Du nüchtern bleibst."
„Freilich! Es wird mir zwar schwer werden; aber ich kann das ja nachher nachholen. Wie wollen wir nun den Fremden bis in die Zimmer der Comtesse bekommen? Ihre Dienerin ist uns im Wege."
„Das geht überhaupt nicht, die Com- tcsse muß ihren Geliebten in der Laube des kleinen Gärtchens erwarten; es ist jetzt Abends so lau, daß sie sich nicht erkälten werden."
„Wird die stolze Gräfin daraus ciu- gehen?"
„Darum kümmere Dich nicht; morgen früh bringe ich Dir einen Brief, den Du ihr im Laufe des Tages zusteckst: das Andere lasse Deine Sorge nicht sein. Nur mache, daß die Dienerschaft kurz nach zehn Uhr total berauscht ist und daß die kleine Seitenpforte im Hmise offen bleibt."
„Die steht immer auf, das Hofthor ist fest verschlossen."
„Und sorge für eine Leiter an der Hinterseitc der Umwährung."
Matczek versprach auch dies und die Freunde trennten sich.
(Fvrtsetzuna folgt.)
Der WeisheilsHändLer.
(Mährchen. - Nach dem Englischen von A. R.)
„Was lachst du, Weib?" frug Rada- wan, dem eS endlich wirklich gelang, die Stirne zu runzeln. „Wo bleibt der Respekt vor meinem Barte?"
„Dein Bart, o Herr! ries das unverschämte Weibchen, indem sic mit der einen Hand in diesen geheiligten Auswuchs fuhr und die andere um seinen Hals schlang. „Wann habe ich cs je an der schuldigen Achtung siir ihn fehlen lassen? besonders seit du auf Anrathcn deines Nachbars Saad ihn hast wachsen lassen, bis er endlich so lang ist, wie unser Ali dort."
„O Weib!" versetzte Radawan indem er versuchte, sie zurückzustoßen; spotte nicht
über den Rath meines Nachbars Saad; sondern höre, was er mir heute gesagt hat. Er sagte, es sei unvernünftig von einem Manne meines Ansehens, sich mit Einer Frau zu begnügen; und er hat mir seine Tochter angctragen — eine holde Jungfrau, gerade wie eine Palme, n^it Augen wie eine Gazelle, einer Nase wie eine Silbersüule, einen Mund wie eine Roseuknospe — aber was fehlt dir, Weib?"
Ahescha fuhr zurück und stand mit so zorniger Miene und so bebender Aufregung vor ihrem Manne, daß dieser, wenn er es bemerkt Hütte, sicherlich zu Tode erschrocken wäre. Es dauerte ein Weilchen, ehe Ahescha Worte fand, endlich aber platzte sie los: „Und das Alles hat er dir von seiner Tochter erzählt? Pah! ich habe sie ja im Bade gesehen, — sie ist bleich, einäugig, plattnasig, großmäulig, schief und mager! (Hierbei blickte sie auf ihre eigene etwas volle Gestalt.) Aber gleichviel, Radawan! Heirathe so viele Weiber, als du willst; nur aber merke dir — wenn du sie hierher in's Haus bringst, daun bring' ich sie alle um, — und dann bring' ich dich um, dann bring' ich mich um, und dann — ja dann — dann bring' ich auch noch unfern Ali um!"
Bei dieser schrecklichen Drohung wurde Radawan todtcnblcich, stotterte, daß er nur gescherzt habe, wie es auch wirklich der Fall war und fand bald seinen ehrwürdigen Bart in den Händen eben des kleinen Sprößlings, dessen Leben, wie man ver- muthcn muß, er nur durch das Versprechen, sich aller Vielweiberei zu enthalten, gerettet hatte. Unglücklicher Weise war seine Haut äußerst empfindlich und das zärtliche Zupfen, dem er unterworfen wurde und über das er sich unter den obwaltenden Umständen nicht zu beklagen wagte, lockte ihm Thränen in die Augen und bewirkte eine Menge von Gesichtsverzerrungen, die das Kindchen für eine ausdrücklich zu seinem Spaß bestimmte Unterhaltung nahm. Ahescha, die den Fall besser verstand und ihren Aerger noch nicht ganz verwunden hatte, lächelte schadenfroh über die Strafe, die ihr Herr und Meister zu erdulden hatte, und tanzte lautjubelnd vor Entzücken, als Radawan, unfähig die Qual länger zu ertragen, endlich laut brüllte, daß sie ihn erlösen möchte.
Hierauf verzehrten sie in aller Behaglichkeit ihr Abendmahl. Ahescha stellte sich anfangs, als wolle sie den groß- müthigcn Radawan demuthsvoll bedienen, setzte sich aber bald mit einer bei mosle- mitischen Frauen nicht gewöhnlichenDreistig- kcit ungcnirt an seine Seite. Sie waren ganz heiter und vergnügt geworden, als plötzlich ein lauter Schrei sie unterbrach und die dicke Köchin mit den Worten hereinstürtzte: „O Herr! o Frau! ein Todter — ein Ermordeter ist im Hofe!" Eine Zeit lang konnten Mann und Frau weder sprechen, noch sich rühren. Endlich aber nahmen sie jedes ein Licht, traten aus die Gallerie hinaus und sahen wirklich den Leichnam eines Mannes mit einer großen Wunde auf der Stirn mitten im Hofe liegen. Zugleich erscholl ein lautes Pochen an der Thüre, Fackeln leuchteten zu den Fenstern herein, und die vielen