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Kronik.

Deutschland.

Uebcr die Gesetzesvorlage betr. die A bündernu g der kirchenpolitischen Gesetze im Königr. Preußen vom 5. Juni 1883 spricht sich Prof. vr. tllool. Rudolf Seyerlen in Jena, welcher die Ent­wicklung des Kampfes von jeher mit ebenso großem Scharfsinn und Vcrständniß als Sachkenntnis; verfolgt hat, in der neuesten Nummer der Prot. Kirchenz. in einer Weise aus, welche es verdient, auch in weiteren Kreisen bekannt zu werden. Wir theilen den Schluß mit:will die Kurie in Preußen geordnete kirchliche Zustände, nach welchen Klerus wie Volk gleicher­weise verlangen, herbeigeführt wissen, so muß sie ihren Eigensinn aufgebeu und die Anzeigepflicht in dem Maße anerkennen, wie es die Gesetzesvorlage normirt. Zuletzt muß es dem kathol. Volk doch zum Be­wußtsein kommen, daß die Herstellung ge­ordneter kirchlicher Verhältnisse einzig in der Hand der Kurie liegt, und daß sie allein die Schuld trifft, wenn das kathol. Volk in Preußen fortwährend der regu­lären Seelsorge entbehren soll. Nach alledem kommen wir zu dem Schluß, daß der Staat mit der Gesetzesvvrlage sich nichts vergibt, wohl aber dem katholischen Volk, soweit es nur irgend thunlich ist, eutgegenkommt. Wird, was sehr zu wün­schen ist, die politisch großartig und dabei wahrhaft liberal gedachte Vorlage Gesetz, so kann der Staat in größter Ruhe zu- setzen, ob und wann Kurie und Hierarchie es für gerathen und geboten erachten, ihrer­seits ihm Behufs Wiederherstellung regel­rechter kirchlicher Zustände in Preußen entgegenzukommen."

lieber die Verhaftung des polnischen Dichters Kraszewski und des ehe­maligen preuß. Hauptmanns Hentsch kann das D. Tagebl. versichern, daß es sich um sehr wichtige Dinge handelt, die von langer Hand betrieben wurden, und daß Geheimakten des preuß. Kriegs­ministeriums, die sich auf den Schutz eines Theils der nördlichen Grenze Deutsch­lands beziehen, dabei in Frage sind.

Die schlesischen Blätter appelliren für die Opfer der jüngsten Ueberschwemmungen an das allgemeine Mitgefühl. Ein Auf­ruf desSchles. Morgenbl." bezeichnet die Noth der ärmeren Klassen in einigen Distrikten als eine grenzenlose; Viele hätten nur das nackte Leben gerettet.

Frankfurt a. M., 23. Juni. Die lächerliche Manie der Deutschen, aus- ländischeund namentlich französischeWaaren den guten deutschen Artikeln vorzuziehen, hat wohl selten eine so drastische Illu­stration erfahren, als durch das im Fol­genden mitgetheilte Vorkommnis;. In ein seit einigen Tagen in der Nähe der Weiß­adlergasse bestehendes Kurzwaarengeschäft kam eine Frau, um Putzlumpen zu kaufen. Es wurde ihr der ganze Borrath, etwa ein halbes Dutzend Stück, vorgelegt. Da aber keines die entsprechende Qualität hatte, so ersuchte die Ladeninhaberin die Kundin, in ein paar Tagen wiederzukom­men, sie habe Lumpen in Paris bestellt und seien dieselben schon unterwegs.

B a r r, 25. Juni. Ein gräßliches Un­glück hat eine hiesige Bürgcrsfamilie in Trauer versetzt. Der Sohn des Bürgers Kuhn war nach Paris gereist, um eine Stelle als Barbier anzutreten. Unterwegs lehnte sich der junge Mann während der Eiscnbahnfahrt ans dem Wagcnfcnster heraus. Er muß sich dabei wohl sehr weit vorgebeugt haben, denn ein vorbei­fahrender Schnellzug riß ihm den Kops wie abgcschnitten vom Rumpfe weg. Erst in der nächsten Station bemerkte man den blutüberlaufenen Rumps und schaffte ihn aus dem Zuge.

In Wert hei m ist Bezirksthierarzt Oswald an Leichengift gestorben, nachdem er 24 Stunden zuvor bei einer Operation sich nur unbedeutend verwundet hatte.

Württemberg.

SeineKönigliche Majestät haben vermöge höchster Entschließung vom 23. Juni die erledigte Amtsnotarsstelle in Neuffen dem Amtsgerichtsschreiber Seeg er I. von Neuenbürg gnädigst zu übertragen ge­ruht.

Zur Bewerbung ausgeschrieben die erledigte Amtsgerichtsschreibersstelle in Neuenbürg (Kasscnstelle).

In einer Beilage zum evangel. Kirchen- und Schulblatt veröffentlicht der Ausschuß des evangel. Kirchengesang-Vereins für Württemberg einen Entwurf für eine musikalisch-liturgische Fcstfeier des Luth e r- festes am 10. und 11. November. Der Entwurf bietet die Möglichkeit, überall auSgeführt werden zu können. Voraus­gesetzt ist zunächst die Mitwirkung eines gemischten Chors.

Stuttgart, 27. Jnni. Der Tröster'sche Extrazug nach Berlin mußte abbestellt werden, da ein Verein, der die Theil- nahme fest zugesagt, gestern in eorporo wieder zurücktrat.

lieber die sonderbare Stuttgarter Geschichte wird berichtet: Wie die einge- zogenen Erkundigungen ergaben, soll das Aufgebot so vieler Personen von hier und anderen Städten nach Basel den Zweck gehabt haben, der Generalversammlung der schweizerischen Centralbahn-Gesellschaft, die heute stattfand anzuwohnen und zwar, um in erster Linie deutsche Namen in den Verwaltungsrath, in dem bisher die Schweizer und Franzosen das Uebergewicht hatten, zu wählen.

Herr Friedrich Federer, gewesener Bankier in Stuttgart, und dessen s Gattin Frau Eugenie, geb. Grammont, haben in ihrem gemeinschaftlichen Testament die Stadt Calw mit der reichen Gabe von 3428 56 L zu Schul- und Armen­

zwecken bedacht.

Blaub euren, 27. Juni. Gestern Vormittag ist unsere Feuerwehr nach 20- stündiger Abwesenheit von Asch zurückge­kommen, ziemlich müde und erschöpft von der Anstreguug und der großen Hitze der Brandstellen. Ohne die musterhafte Or­ganisation der Albfeuerwehren, die auch bei diesem Brande ruhig und sicher ar­beiteten, und ohne die Wasserversorgung wäre wohl das ganze Dorf verloren ge­wesen, da ein heftiger Ostwind die Flamme anfachte und vorwärts trieb. Es haben gestern die hiesigen Bäcker als ihre Bei-! steuer Brod geliefert, das sehr willkommen I

war und sogleich vertheilt wurde. Der verunglückte Feuerwehrmann darf völlige Wiederherstellung hoffen.

Freuden stadt, 24. Juni. Heute versammelten sich auf dem Kniebis An­hänger Prof. Dr. G. Jäger's aus Nah und Fern. Das Hauptkontigent der Theil- nehmer stellten Stuttgart und Straßburg. Da sah man kameelhaarene Anzüge, enge Hosen, Trikotkleidung verschiedener Art und Farbe, Normalschuhe, Normalhüte rc. Auch einigeganzwollene" Damen hatten sich eingefunden. Prof. Jäger hielt vor dem gemeinschaftlichen Mittagessen einen längeren Bortrag über seine neuesten Untersuchungen und Entdeckungen.

Obern Hausen, 28. Juni. Ein weiteres Zeichen von der heurigen Frucht­barkeit der Kirschenbäume gibt auch ein Baum des Traubenwirth Schempf, auf welchem mehrfach 2 Kirschen an einem Stiel, bezw. 3 Kirschen an einem Doppel­stiel zu treffen sind.

Ausland.

Die Ernteaussichten in England werden von Woche zu Woche günstiger. Den Berichten nach, die aus allen eng­lischen Grafschaften einlaufen, verspricht das Jahr 1883 ein ganz außergewöhnlich fruchtbares zu werden.

Miszellen.

Gebrochene Kerzen.

Novelle aus dem Kriege von 1870.

Von Alfred Steffens.

(Fortsetzung).

So flössen Wochen, Monate an den Liebenden vorüber, in denen ihnen das Glück nicht so hold war, sie auch nur für eine Stunde zu vereinen; der Reitknecht des Grafen, der wohl häufig von Fried­rich, Amslers Burschen ansgeforscht wurde, ob cs sich nicht bewerkstelligen lasse, daß ein Freund der jungen Gräfin einmal heimlich Zutritt zu ihr erhalte, da er dringend mit ihr zu sprechen habe, wies, jedes Ansinnen, dabei behülflich zu sein, entschieden zurück.Mögen sie sich schrei­ben, was sie einander mitzutheilcn haben," entgeguete er trotzigDu weißt, das;' ich.die Briefe pünktlich besorge; aber an ein Eindringen Fremder bis in die Wohnung der Comtesse ist gar nicht zu denken, es ließe sich nicht ausführen, ohne daß das halbe Haus Kenntniß davon er­hielte, denn die Kammerzofe ist nicht zu gewinnen, und bevor noch eine Unter­redung in Gang käme, wären schon alle Ausgänge besetzt."

^ So kam die Zeit heran, in der die ersten Gerüchte von einem Kriegsgelüste Frankreichs gegen Preußen von Stadt zu Stadt und von Mund zu Mund drangen.

Man wollte dem Unerhörten zuerst nirgends rechten Glauben schenken, denn es fehlte ja jede Ursache zum Beginn eines blutigen Krieges, und die angebliche,die verkündete Thronkandidatur des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern", war ja eine so lächerliche, daß jeder vernünftige Mensch meinte, die Franzosen würden bei all ihrer Unverschämtheit nie so weit gehen, einen augenfällig gesuchten Grund zu einem Ver­nichtungskriege zu benutzen.