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Da das Stationensystem erst im Lauf des Monats Mai zur allgemeinen Durchführung gelangt ist, so ist zu hoffen, daß der Aufwand im laufenden Monat und weiterhin sich noch mehr vermindern werde.
Die Auswahl der Stationen, nämlich Calmbach (im Winter Wildbad), Neuenbürg, Dobel (im Winter Herrenalb), Schwann, Schömberg und Engelsbrand ist so getroffen und die Verpflegung ist in solcher Weise geregelt, daß jeder Reisende, welcher auf seiner Reise weiter kommen will, im hiesigen Bezirk seine ausreichende Verpflegung erhält. Ebendeßhalb muffen aber die Bezirksangehörigen dringend aufgefordert werden, an bettelnde Reisende keine Almosen, vor allem keine Geldgaben, zu verabreichen, sondern dieselben auf die Verpflegungsstationen zu verweisen, geeigneten Falls aber die Hilfe der Polizci- organe anzurufen.
Ausland.
Paris, 20. Juni. Die chinesische Regierung fordert sämmtlichc unter der chinesischen Flagge fahrenden Handelsschiffe zur schleunigen Heimkehr auf. (F. I.)
London, 17. Juni. Zu dem gräßlichen Unglück das sich am Sonnabend in Sunderland ereignete wird weiter geschrieben: Die Gallerie, auf welcher sich ca. 1000 Kinder befanden, fing an sich zu leeren. Die von der Gallerie herabkommenden Kinder hatten, um in's Freie zu gelangen, eine Fallthür zu passircn, welche, nachdem eine Anzahl Kinder den Ausweg gewonnen, durch irgend eine Zufälligkeit sich so festsetzte, daß nur immer ein Kind hindurch konnte. Dadurch entstand unter den Hunderten von Kindern an der Thür und ans der nur fünf bis sechs Fuß breiten Treppe ein fürchterliches Gedränge, welches, da die Kleinen ohne jede Aufsicht oder Leitung waren, die Merkliche Katastrophe zur Folge hatte. Die vor der Thür stehenden Kinder wurden von den nachfolgenden, welche nicht sehen konnten, was vorging, buchstäblich erdrückt. In dem wilden Gedränge stürzten Hunderte von Kindern zu Boden, andere purzelten über die am Boden liegenden und bald war der schmale Raum vor der unbeweglichen Thür und der Treppe mit Leichen und Sterbenden bedeckt. Durch das Geschrei der noch lebenden Kinder und das Winseln der Sterbenden wurde endlich der Portier des Gebäudes auf die verhängnißvolle Thür aufmerksam. Durch die schmale Oeffnung sah er die schaurige Scene. Er versuchte, die Thür weiter zu öffnen, allein vergebens. Er eilte dann auf einem Umwege nach der Gallerie und vermochte zum wenigsten die dort noch befindlichen Kinder in Sicherheit zu bringen. Die Doktoren untersuchten die am Boden liegenden Kinder. Die Tobten wurden bei Seite gelegt, die noch athmen- den Kinder aber in Droschken rasch in das nächste Krankenhaus gebracht. Mit denjenigen Kindern, die noch nicht ganz erstarrt waren, wurden Wiederbelebungsversuche angestellt, die gelegentlich erfolgreich waren. Bald lagen in den Korridoren in Reih und Glied gegen 160 Kinderleichen. Mittlerweile hatte die Schreckenskunde sich rasch durch die Stadt verbreitet und bald hatten sich vor dem
Gebäude und in den benachbarten Straßen gegen 20,000 Menschen, darunter die verzweifelten Eltern der in der Halle befindlichen Kinder eingefunden. Der Andrang war so groß, daß Militär aufge- boten werden mußte, um die Ordnung aufrecht zu halten und der Polizei das Bergen und Fortschaffen der Leichen und Verletzten zu erleichtern. In den Korridoren, wo die Leichen auSgelegt waren, spielten sich herzzerreißende Sceueu ab. Blanche Eltern haben den Verlust von zwei Kindern zu beklagen. Ein Ehepaar hat seine sämmtlichen Kinder, drei Knaben und ein Mädchen, verloren. Bis jetzt zählt man 190 Tobte, wodurch über hundert Familien in Trauer versetzt worden sind. Als Hauptursache des Unglücks wird der mangelhafte Ausgang bezeichnet.
Biele Eltern verloren beim Anblick der kleinen Leichen die Besinnung, andere warfen sich über die Erstarrten, weinten und riefen sie bei Kosenamen, hoben sie aus und nahmen sie mit nach Hause, wo sie zu ihrem Entsetzen erkannten, daß es nicht ihr Kind sei, welches sic aus der Menge herausgenommen; wiederholt mußten die Unglücklichen mit der schrecklichen Bürde wieder nach der Stätte des Unheils zurückkehren, und von Neuem die Suche nach den Ihrigen beginnen. Die Leichen boten einen entsetzlichen Anblick, in Haufen von sechs übereinander gethürmt lagen die Kleinen da, mit zerrissenen Kleidern, verzerrten, dick mit Blut unterlaufenen Gesichtern. Es ist begreiflich, daß ein so erschütterndes Schauspiel die Sinne mancher Eltern verwirrte. Der Thcaterhausmeister war eben beschäftigt, die anderen Ausgänge zu öffnen, als sich die Kiuderschaar an jener Thür zusammendrüngte. Die Victoria-Halle in Sunderland faßt 3500 Personen, ist ein gut angelegtes Gebäude mit breiten Korridoren und Treppen. Die Zeitungen erinnern daran, wie wenig öffentliche Gebäude, Kirchen u. s. w. England besitzt, die den Anforderungen entsprechen, um eine herandrängende Menge ohne Lebensgefahr durch Korridore und Treppen ins Freie gelangen zu lassen. — (Angesichts solcher Vorkommnisse fordert es bei Anlage von Treppenhäusern und Ausgängen z. B. in Schulhüusern zum Nachdenken auf; die Verantwortung ist keine geringe.)
Die Einfuhr von Straußfedern vom Kap der guten Hoffnung in England erreichte im abgelaufencn Jahr einen Werth von 1,093,989 Lstrl. Die Federn wogen in Summa 253,000 Pfund.
Nliryrllen.
Gebrochene Kerzen.
Novelle aus dem Kriege von 1870.
Von Alfred Steffens.
(Fortsetzung).
Dem Offizier mußte mitten in dem Gekose ein derartiger Gedanke kommen, errichtete sich Plötzlich in die Höhe "ud sprach: „Sind wir hier auch vor,.^-jer Störung sicher, mein Lieb? Es wäre lich, wenn Dein Vater uns überraschte!"
„Fürchte nichts, mein Karl, er s.,stift und ahnt gewiß nicht, daß ich Mittel und Wege zu finden weiß, Dich zu sehen und
zu sprechen, während er glaubt, daß ich mich längst der Ruhe in die Arme geworfen habe."
„O, gäbe cs ein Mittel, ihn für unsere Liebe günstig zu stimmen."
„Es gibt eins, theurer Karl!"
„O Clara, auch Du kannst davon sprechen? Das betrübt mich sehr, denn ich glaubte, meine Ehre ginge Dir über Alles."
Die junge Gräfin schloß dem Offizier schnell mit ihrer kleinen Hand den Mund und flüsterte crröthend: „Ich will Dir ja nicht wehe thun, mein Karl; was Du für gut hältst, ist mir stets das Richtige."
„Ich danke Dir für Dein Vertrauen, mein süßes Herz. Und nicht wahr, Du sichst ein, daß ich ein Ehrloser wäre, wollte ich Deinen Papa in seinen Ansichten bestärken und ihm sogar meine Hülfe an- bicten?"
„Mein Karl, ich bin Polin, deßhalb verzeihe mir, wenn zuweilen der Gedanke in mir aufsteigt, daß unser Vaterland dereinst noch groß und mächtig werden könne, sobald treue Männer sich unserer annähmen."
„Nie, nie, Du gutes Kind, wird Polen wieder selbstständig werden! Es thut mir leid, Dir dies sagen zu müssen; indessen glaube ich, wenn Du mich so recht von Herzen lieb hast, wirst Du an meiner Seite auch in meinem Vaterlande glücklich sein."
„Ach, an Deiner Seite! Werde ich je dieses Glückes theilhaftig werden?"
Du wirst es, wenn Du standhaft ausharrst, mein holdes Lieb; seit ich weiß, daß ich Dir völlig vertrauen kann, ist mir der Muth gewachsen, und ich hege die feste Ueberzeugung, daß wir alle Anfeindungen besiegen werden. Nur um Eins bitte ich Dich noch: Hüte Dich vor dem Pater Lucius, er trachtet darnach, Dich auszuforschen, und sobald er weiß, daß wir noch in Verbindung stehen, wird dieser verschmitzte Bube kein Mittel unversucht lassen, den Ketzer von Dir zu entfernen."
„Aber Karl, Du nennst den heiligen Mann einen Buben, das ist nicht schön von Dir!" rief die Eomtcsse erbleichend.
„Mein herziges Kind, vielleicht thue ich Unrecht, den von Dir und den Deinen so hochverehrten Mann in dieser Weise zu bezeichnen. Indessen sei versichert, unsere Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit, er hält mich für-einen den ewigen Höllenqualen Anhcinrg.cfachcncn."
„Allerdings, weil Dü nullst der katholischen Religion augchörst. Aber ich glaube ihm nicht, wenn er fo etwas spricht."
„Haft Du ihm das je gestanden?"
„O nein!"
„Und weßhalb nicht?"
„Weil er dann auch mich verdammen würde."
„Und doch hältst Du ihn für einen heiligen Mann?"
„Ach Karl, laß uns nicht über solche Dinge reden!"
„Wie Du willst, mein Lieb. Jedenfalls soll uns unsere Rcligionsverschiedenheit nicht trennen."
Die Comtcsse drückte dem Geliebten, leise seufzend, die Hand.
Amsler erhob sich nnd es erfolgte ein langer zärtlicher Abschied und sie hatte ihm noch so Mancherlei zu sagen, bis end-