Schnupfen, Rheumatismus und tausend andere Dingen, von welchen eins so unangenehm als das andere ist.
Der Alte schien sich im Uebrigen ebenfalls wenig um diese winterliche Pracht zu kümmern, doch blickte er bisweilen um sich, ohne Zweifel um auf der beschneiten bahnlosen Ebene nicht den Weg zu verfehlen. Hinter ihm lag das „neue Schloß," das er allein mit dem Herrn von Kallen- heim bewohnte, welches dessen Vater vor etwa fünfzig Jahren erbaut hatte, und aus dessen Bodenräumen der Sohn jetzt die Balken sägen mußte, um nicht zu erfrieren. — Bor ihm war in einiger Entfernung das Dorf Kalleuheim. Aber nur hier und da blickte ein schwaches Licht aus den niedrigen und schwer mit Schnee bedeckten Häusern hervor, und kein Laut drang von dort herüber, nicht einmal die Stimme eines wachsamen Hundes. Kein Mensch war dort mehr aus den Straßen. Es war mithin nnnöthig zu bellen. Neu- bert jedoch wandte seine Schritte dorthin auch nicht, sondern bog, nachdem er den Weg sorgfältig geprüft hatte, gegen rechts ein, in der Richtung gegen das Gebirge zu.
Auf einem mäßig hohen Hügel, einem der Vorberge der größeren Bergkette, erhob sich dort eine dunkle Masse, und der alte Mann stieß einen schweren Seufzer aus, als er ihrer ansichtig wurde. Es waren die Trümmer des „alten Schlosses," welches man, nachdem es Jahrhunderte hindurch seine Insassen geschützt und geborgen hatte, demolirte und verließ, um ein modernes Gebäude aufzurichten, das, nach kaum einem halben Jahrhunderte, bereits zu verfallen begann. In regelmäßigen Abständen, zu beiden Seiten des Weges, welchen Neubert jetzt verfolgte und welcher auch diesen Ruinen zuführte, waren gewisse, mit Schnee bedeckte Erhöhungen zu bemerken. Der Alte blickte ingrimmig auf diese lange Reihe von kleinen Hügeln und murmelte für sich: „Der verdammte Spitzbube!" Er wußte leider nur zu gut, was die Schneedecke barg: eine prachtvolle alte Lindenallee führte vom Schlosse aus in das Dorf. Der Sequester, wie Neubert stets sich ausdrückte, hatte sie, als vollkommen nutzlos, abschlagen und das Holz für ein geringes Geld verkaufen lassen. Die stehengebliebenen Stumpfe, welche jetzt mit Schnee bedeckt waren, bildeten jene Hügel.
Nachdem Neubert einige Zeit lang zwischen denselben vorwärts gegangen war, bog er links ab und schritt auf ein Licht zu, welches vom Fuße des Hügels auszu- gehen schien, und nach kurzer Zeit stand er vor einem kleinen Häuschen, an dessen Fenster er pochte. Eine Weiberstimme von innen rief sogleich: „Welch' ein Strauchdieb ist dort außen?" Als Neubert seinen Namen genannt hatte, erwiedertc die Stimme: „Ach, Er ist's, wart' Er, ich mach' Ihm auf." Die Thür wurde dann geöffnet, und nach zwei Schritten über die vom Zimmer aus schwach erhellte Hausflur stand Neubert in der Wohnung der Person, welche er zu besuchen gekommen war.
Diese Person war die Jungfrau Sibylle Brandwedel, welche in früherer guter Zeit häufig beim alten Herrn aus und ein gegangen und, wie man sagte, sehr wohl
gelitten war, und sich das Häuschen gekauft hatte, welches sie noch jetzt bewohnte. Niemand wußte so recht zu sagen, auf welche Art sie die Mittel erhalten hatte, dieses Hans zu kaufen und, ohne eigentliche Arbeit, für sich leben zu könne». Da sic aber trotz ihres eigenthümlichen Wesens und heftigen Charakters eigentlich doch Niemanden etwas in den Weg legte, ließ man sie ruhig gewähren, wozu der Umstand noch Vieles dazu beitragen mochte, daß man sie im Verdacht hatte, im Besitz einiger kleinen, mehr oder weniger unschuldiger Hexenkünste zu sein. Obgleich Jungfer Sibylle im gleichen Alter mit Neubert war, aso etwa siebenzig Jahre zählte, hatte sie doch noch schwarze, nur mit wenig Gran gemischte Haare, blitzende Augen und meist gcröthete Wangen, so daß sie wohl für ein gutes Theil jünger gelten konnte.
Die Stube, in welche unser Freund Neubert eingetrcten, war offenbar eine ländliche Wohnung, indessen gaben Reinlichkeit und verschiedene Luxusgegcnstände, welche unbedingt früher andere Räumlichkeiten geschmückt hatten, derselben ein ganz behagliches Ansehen, und Neubert konnte nicht umhin, im Stillen einen Vergleich anzustellen zwischen ihr und der Spelunke, welche er bewohnte, ja selbst mit dem Zimmer seines Herrn.
Als die Alte hinter ihm in die Stube gekommen und die Thür geschlossen hatte, stellte sie sich vor ihm hin, machte eine tiefe Verbeugung und sagte: „Was verschafft mir die hohe Ehre, den Kammerdiener Seiner Gnaden, des regierenden Herrn von Kallenheim, noch in so später Nachtzeit unter meinem unwürdigen Dache begrüßen zu dürfen?" — „Nun," erwiderte Neubert zögend, „es ist so einsam bei uns, und da wollte ich ein wenig plaudern mit Ihr von alten Zeiten." — Sibylle warf den Kopf zurück und blickte ihn mit ihren schwarzen Augen durchbohrend an. Dann sagte sie mit vieler Bestimmtheit: „Neubert, Er lügt!" — Aber dieser, da er nicht sogleich mit der Thür ins Haus fallen wollte, blieb bei seiner obigen Angabe, worauf Sibylle weiter nichts bemerkte, als: „Will Er einen Schnaps?"
Die Versuchung war groß! Seit langer, langer Zeit war kein Tropfen des früher gewohnten Labsals über seine Lippen gekommen. Auch für die Zukunft war wenig Aussicht, dergleichen habhaft zu werden. In Gottes Namen denn! Er sagte, daß er deßhalb nicht gekommen und Aehnliches, als aber der duftende „Zwetschgen" vor ihm stand und er ihn gekostet, gestand er sich, daß ihm lange nicht so wohl gewesen. Um sich nicht Lügen zu strafen, begann er jetzt, auf das Glas zeigen: „Der alte Herr hatte auch immer solchen." — „Dummes Zeug," erwiedertc Sibylle, „der trank Wein, früher, heißt das. und zuletzt langte es blos noch für Gänsewein. Aber bei Euch," setzte sie hinzu, „geht's ja jetzt um ein Bedeutendes besser? Ich höre, daß Ihr eine Waldung auf dem Schloßbodeu aufgcfunden habt?" — Ncu- bcrt wurde roth bis über die Ohren, halb aus Scham, halb ans Acrger. Ausweichend sagte er: „Nun, der Sequester wird auch nicht ewig leben."
„Ich will Ihm einmal etwas sagen," versetzte Sibylle, „Er ist eigentlich ein guter Kerl und hat auch einen passabeln Verstand, aber vier Tollheiten hat er au sich, welche ganz über alle Maßen abgeschmackt sind. Eins: Seine Anhänglichkeit an das verkommene Edelvolk dort unten — schweig Er und laß Er mich aus- reden. — Zwei: Die Marotte, daß er keine Kartoffeln essen will, da Cr doch sonst nichts zu nagen und zu beißen hat. — Drei: die Einbildung, daß der Sequester eine wirkliche, lebende Person sei, ein Mannsbild, nach dessen Tod ihr wieder schlemmen und prassen könnt wie früher, und endlich vier, daß Er alter Kerl, der Er vormals der lüderlichste Bursche im ganzen Regiments war, jetzt tugendhaft werden will und sich cinbildet, daß Ihm die Weibsleutc nachlanfen."
(Fort setzung fo lgt.)
„Wir winden Air den Jungfernkranz"
Humoreske aus dem Waidmanusleben von Rudolf Mi,iuth.
Herr Christian Krabbe, Gutsbesitzer auf Krabbenau, war ein großer Nimrod vor dem Herrn und demzufolge präsidirten auf der Tafel bei der einzigen größeren Fete, die Herr Krabbe alljährlich und zwar am Geburtstage der Herrin von Krabbenau, den befreundeten Nachbarn gab, seit mehr denn einem viertel Jahrhundert, mehrere Hasenbraten. — Frau Krabbe besaß in der Bereitung des Hasenbratens eine allgemein anerkannte Virtuosität und die Thatsache, daß man den Hasenbraten nirgend so schmackhaft fand, als auf der Krabbe'schen Festtafel, wagte Niemand anznzweifeln; man hätte ihm die Fähigkeit, aus culinarischem Gebiete ein Urtheil zu fällen, entschieden abgcsprochen.
Die Hasenbraten bei Krabbe's hatten daher in der Gegend eine gewisse Berühmtheit erlangt und soweit die Familientraditionen reichten, war noch nie das unerhörte geschehen, daß der in der Krabbe'- schcn Familie historisch gewordene Geburts- tagshascnbraten jemals fehlte.
Herr Christian Krabbe war nicht nur groß als Nimrod, sondern dieses Adjektivum fand auch auf seine Gestalt, insonderheit auf Nase. Schnurbart, Hände, Bauch und Füße die vollste Anwendung. Wenngleich daher minder umfangreiche Dimensionen mancher Körpertheilc seiner Erscheinung keine Einbuße bereitet hätten. so wurde jedoch durch eine seltene Unterhaltungsgabe, ein feines taktvolles mit Liebenswürdigkeit gepaartes Benehmen, die unschöne Fülle bald verdeckt. — Frau Krabbe war als eine liebenswürdige Dame und freundliche Wirthin bekannt und daher kam es, daß am Tage des Familienfestes eine große Anzahl von Gästen in Krabbenau sich versammelte.
Dieser große Tag stand wiederum nahe bevor. Küche und Keller waren auf das Beste mit allen zur solennen Bewirthung der Gäste Röthigen versehen, nur eins fehlte und zwar nichts Geringeres als — die Hasen. — So sehr Herr Christian sich auch bemüht hatte, es war ihm nicht gelungen, das gewünschte Wild zu erlegen. —
Draußen fror cs Stein und Bein; der Hase hielt nicht ans und einige kleine