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Eßlingen, 22. Mai. Leider be­ginnt die Blutlaus sich an unfern in höchster Blüthcnpracht stehenden Apfel­bäumen zu zeigen. Das schneeige Weiß der Apfelblüthen, welche von dem Insekt angegriffen sind, verwandelt sich in ein rostähnliches Braun, die betreffenden Bäume gewähren dadurch einen unerfreu­lichen Anblick. (W. Ldz.)

Reutlingen, 22. Mai. Heute früh 4 Uhr zeigte das Thermometer 0 Grad. Ein Reifen deckte die Fluren, Frühkar­toffeln und Bohnen haben gelitten; ob Obst und Wein, kann bis jetzt nicht er­mittelt werden.

Bietigheim, 21. Mai. Heute be­ehrte der Ausschuß des Stuttgarter Gewerbevereins unsere Stadt mit einem Besuch. Zunächst wurde die Holz- waarcnfabrik der Gebr. Träger, daun die Kammgarnspinnerei einer genauen Be­sichtigung unterzogen. Die werthen Gäste verließen nicht ohne Befriedigung über den Gewinn, den der Besuch ihnen ge­bracht hatte, mit dem Abendzug unsere Stadt.

bl in g en, 22. Mai. Heute hatten wir Morgens buchstäblich Eis. Garten- und zartere Gewächse wurden sozusagen verbrüht. Besonders aber haben auch die Schoßen an den weicheren Holzarten und Laubhvlzern nothgelitten. (S. M.)

Neuenb ü r g , 25. Mai. Seit gestern ist die Früh-Temperatur erheblich ge­mildert; Morgens bei 812" R. Mittags warm bei 1820° R. und meist unbe­wölktem Himmel.

Ausland.

In derGazzetta Piemvntesc" vom Montag 21. Mai, lesen wir: Der Graf Moltke in Turin. Heute kam mit dem Zug 3,52 Min. in Turin mit der Linie über Savona der General Graf v. Moltke, Chef des Generalstabs und Feldmarschall des deutschen Heeres au. Er war begleitet von einem jungen blonden Herrn. Beide nahmen Wohnung im 6«1. Hotol cks lurin (Besitzer Const. Kraft aus Neuenbürg).

Was für eine Angst die Franzosen vor dem deutschen Generalfeldmarschall haben, das beweisen die Erzählungen der französischen Blätter über die italienische Reise desselben, die um jeden Preis den Zweck haben soll, einen Feldzugsplan gegen Frankreich auszuarbeiten. Sie ver­zeichnen jeden seiner Schritte, führen die Hotels auf. in denen er absteigt u. s. w.

Moskau, 22. Mai. Der Einzug des Kaisers in Moskau, das große Ereigniß des Tages hat sich vorschrifts- mäßlg und glücklich vollzogen. Das kaiser­liche Paar hat seinen feierlichen Krönungs­einzug in Moskau gehalten. Stürmischer Jubel, alle erdenkliche Zeichen der Hin­gebung und Huldigung begleiteten den kaiserlichen Zug. Was das russische Reich an Glanz und Repräsentation aufbieten kann, war in diesem außerordentlichen Zuge vereint.

MisMcn.

Kallenheim.

(Fortsetzung).

Nachdem der Mann alle diese Dinge auf eine Commode gestellt hatte, begann er einen in der Mitte der Stube stehenden

Tisch sorgfältig und umständlich zu decken, stellte dann die verdeckte Schüssel auf den­selben, und nachdem er ei» zweites Talg­licht angezündet und zu dem bereits brennenden gestellt hatte, trat er zu dem Herrn von Kallenheim und sagte ehr­furchtsvoll;Gnädiger Herr, wenn's ge­fällig ist, es ist angerichtet." Der so Angeredetc, welcher erst jetzt die Anwesen­heit eines Zweiten zu bemerken schien, blickte um nnd sagte gcmüthlich lächelnd: Ach, guter Ncubert, ich glaube nicht, daß unser freiherrliches Abendessen so bald kalt werden wird, laß mich nur erst meine Pfeife ansrauchen."

Neubert erwicderte nichts, sondern blieb schweigend hinter dem Stuhle der gedeckten Tafel stehen, einen Teller in der Hand und eine Serviette über dem Arm. Herr von Kallenheim aber, welcher eben ein Holzstück in das Feuer gelegt hatte, blickte jetzt auf die übrigen, noch neben dem Ofen liegenden Scheite, und sagte, indem er mit der Spitze seiner Pfeife leicht nach der Decke des Zimmers zeigte:Ist dieses Holz von oben?" Zu Befehl, gnädiger, Herr."Mache nur, daß uns nicht einmal das Haus zusammenfällt!" sprach Kallenheim abermals lächelnd; Neubert aber erwicderte rasch:O, ich bin erst am oberen Boden des rechten Seiten­flügels, wir reichen, kommen nicht gar zu harte Winter, sicher sechs Jahre aus, bis wir an die Stelle kommen, welche der gnädige Herr bewohnen, und auch dann fällt nichts zusammen. Ich suche blos das Unnöthige heraus." Kallenheim nickte mit dem Kopfe. Nach einer Weile sagte er:Was hast Du mir zum Abendessen gebracht?"

Ncubert schien ein wenig zu zögern, dann sagte er:Kalte Küche, Jhro Gna­den."Ah, ich begreife, Speckwnrst ans der Schenke; aber warum gibst Du mir nicht bisweilen Kartoffeln?"

Neubert machte ein zornige Bewegung, stand aber sogleich wieder respektvoll da, obgleich der Unwille seine Züge geröthet hatte.Jhro Gnaden," sagte er,da sollen eher meine Hände erlahmen, ehe ich meinem gnädigen Herrn Rittmeister das Hundezeug vorstcllc, was die verfluchten Franzosen in's Land gebracht haben, nnd was in andern Ländern selbst die Knechte nicht essen wollen."Du bist ein Narr," erwicderte Kallenheim;ich sage Dir zum hundertsten Male, daß das alte Geschicht- chen sind, daß gegenwärtig alle Welt Kartoffeln ißt, und daß die Franzosen dieselben nicht zu uns gebracht haben." Die Kartoffeln und den Sequester haben sie gebracht," behauptete Neubert hart­näckig. Kallenheim zuckte die Achseln, dann trat er zum Tische, nahm ein Stück­chen derkalten Küche" und genoß auf und ab gehend sein mäßiges Abcndbrod, was den alten Diener abermals innerlich ärgerte, indem er es für anständiger hielt, wenn sein Herr dieAbendtafel" sitzend abgehalten hätte. Doch erlaubte er sich keine Bemerkung.

Nach einer Weile blieb Kallenheim stehen und sagte:Weißt Du was, Alter, ich brauche Geld, ich muß Geld haben, nicht für mich, für den Jungen, den Wil­helm! Ich kann ihn nicht darben lassen drinnen in der Stadt. Es zerreißt mir

das Herz! Nnd ich habe ihm nur ein paar armselige Kreuzer mitgebcn können, dem armen Teufel!" Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und wandte sich ab von dem Alten, der trübselig nnd offenbar anfänglich selbst rathlos vor ihm stand. Dann sprach er aber plötzlich entschlossen: Wir borgen!"Borgen?" erwicderte Kallenheim bitter,borgen? Wer borgt mir, dem vorkommenen Edelmann, auf dessen Eigenthum fremde Leute herrschen, dem invaliden alten Soldaten, dem sie nicht einmal seine magere Pension voll­ständig anszahlen? Wer borgt mir einen Kreuzer? Und wenn es Jemanden gäbe," setzte er hinzu,wann kann ich wieder be­zahlen?" Der alte Ncubert mochte innerlich denken:das wäre das Geringste, wenn nur erst Jemand borgte," bemerkte indessen mit einer erkünstelten heitern Miene:Ach was, gnädiger Herr! Wir haben doch schon öfter geborgt beim Re­giment, nicht wahr, und sind weder Jud' noch Christ' etwas schuldig geblieben. Und am End', Euer Gnaden, müssen Sie doch wieder in Ihr Recht eingesetzt werden, der Sequester kann doch nicht ewig leben." Immer die alte Narrheit!" versetzte wider Willen lächelnd Kallenheim;und dann beim Regiment, da waren immer noch bessere Zeiten! wir müssen etwas ver­kaufen!"Lieber Gott, was denn? Holz im Walde? Sic geben uns ja nur ein paar erbärmliche Klafter alljährlich, und der schuftige Jäger, den uns die hoch- fürstliche Kammerkanzlci auf den Nacken gesetzt hat, liefert ja alles Holzgeld, was er nicht selbst behält, nach Würzburg ab. Mit dem Pachtgeld ist's auch so, und hier, aus Euer Gnaden Schloß? Die neuen eisernen Oefen sind schon alle fort, und Euer Gnaden müssen sich selbst mit dem Kachelofen aus dem alten Schlosse be­helfen. Was haben sic nicht für einen Lärm anfgeschlagen, als ich den letzten versilbert habe! Es gehöre dem Sequester, sagten sie, und das Zuchthaus stände darauf, wenn noch ein einziger Nagel verkauft würde. Ohnedies aber kauft uns niemand die Thüren und Fenster ab, und die Balken auf dem Boden, die brauchen wir selbst." Kallenheim senkte das Haupt. Er hatte recht, der alte treue Neubert, es war nichts mehr zu verkaufen, nichts! Doch was nun beginnen?

Plötzlich schien jetzt aber Neubert auf einen Gedanken gekommen zu sein.Hal­ten zu Gnaden," sagte er,es fällt mir etwas bei ich will noch heute rappor- tiren." Mit diesen Worten ging er auf die Thür zu.Halt!" rief Kallenheim, was hast Du vor? Ich muß es wissen." Aber Neubert brummte etwas von einem guten Freunde in den Bart u. drückte sich, ohne klare Antwort zu geben, gegen alle Subordination zur Thür hinaus. Draußen machte er lange Beine, um nicht zurückgerufen zu werden. Kallenheim jedoch ließ ihn gehen nnd sagte blos schmerzlich lächelnd zu sich selbst:Gute Freunde, ein armer Teufel, und Geld borgen! Du wirst lange laufen müssen, alter Neubert!"

Dieser aber setzte seinen alten mili­tärischen Hut auf und schritt nach wenigen Augenblicken zum Thor hinaus. Trotz seiner früheren soldatischen Laufbahn war