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Die große Mehrheit unseres Volkes bedarf dringend einer Besserung ihrer Er- werbsverhälmisse Nicht mit Freiheits­versprechungen, sondern nur mit ange­strengter Arbeit zur Erreichung von Wohl­fahrtseinrichtungen, nicht mit Versprech­ungen auf Steuernachlässe und große Er­sparnisse, die ja doch nicht gehalten wer­den können, sondern durch eine gerechte Bertheilung der Steuerlast und durch selbstlose Fürsorge für die nothleidenden gedrückten Stände unseres gesummten Volkes können bessere Verhältnisse wieder herbeigeführt und das hohe Gut des Frie­dens im Innern wie nach Außen erhalten werden.

Darum unverzagt an die Arbeit der Wahl! Mit Gott für König und Vaterland!

Stuttgart, den 15. November 1882.

Die Landesversammlung

der konservativen Partei Württembergs.

Neuenbürg, 17. Nov. Das gestern Abend im Saale des Gasthofes zum Schwarzen Adler" in Pforzheim von dem Violinisten N a st aus Karlsruhe ver­anstaltete Concert erfreute sich einer ziem­lich ansehnlichen Betheiligung von Seiten des kunstliebenden Publikums. Der Con- certgeber selbst (derselbe ist seit Jahren blind und leidend) verfügt nicht mehr über den starken Ton, welcher ihm einst eigen gewesen sein soll; die Reinheit des Tones jedoch läßt nichts zu wünschen übrig, und namentlich in der Cantilene zeigt sich immer noch der Meister. Frl. Kno bloch, ebenfalls aus Karlsruhe, ist noch keine große, fertige Künstlerin und wird es auch, was den Cvloraturgcsang anlangt, wahr­scheinlich nie werden; dazu ist ihre Stimme zu spröde, was aus dem Vortrag des Venzanowalzers von Arditi erhellte. Sie hätte besser diese Numer nicht gewählt. Dagegen trug sie zwei Lieder von Men­delssohn und Taubert allerliebst vor und gewann sich dadurch die Sympathien der Zuhörer. Die Palme des Abends ge­bührt entschieden dem Großherzogl. bad. Hofopernsänger Speigler. Derselbe be­sitzt einen Baß von merkwürdiger Kraft, seltenem Umfang und zauberischem Wohl­klang; er wurde deßhalb auch lebhaft applaudirt und durch Hervorruf ausge­zeichnet. Nicht vergessen dürfen wir endlich die meisterhafte Ausführung einiger Chöre durch den Pforzheimer Männer­gesangverein unter der sicheren Leitung des H. Musikdirektors Theod. Mohr, welcher auch die Klavierbegleitung zu sümmtlichen Piecen übernommen hatte und sich seiner Aufgabe in gewohnter Weise entledigte.

Kronik.

Deutschland.

Berlin, 16. Nvv. (Abgeordneten­haus.) Die Abtheilungeu erklärten bis­her 392 Wahlen für giltig. Das Haus wählte mit 390 von 397 Stimmen v. Köller (konservativ) zum Präsidenten, v. Heercmann (Centrum) mit 316 von 386 Stimmen zum ersten und v. Benda (nationalliberal) mit 256 von 347 Stim­men zum zweiten Vizepräsidenten. Der Gegenkandidat Stengel (sreikons.) erhielt 88 Stimmen.

Die Republique francaise schreibt: Wir erfahren von einem neuen Triumph des Fürsten Bismarck. Alle russischen, bei den kleinen deutschen Höfen beglau­bigten Gesandtschaften sollen vom nächsten Monat ab aufgehoben werden, außer der Botschaft in Berlin nur noch die Ge­sandtschaft in Stuttgart (letzteres mit Rücksicht auf die verwandtschaftlichen Be­ziehungen des württ. Hofes zur Czaren- familie) bestehen bleiben. Schon 1871 hatte Fürst Bismarck Rußland aufgefor­dert, dem Beispiel Frankreichs folgend, nur einen Botschafter in Berlin zu halten; aber damals antwortete Fürst Gortscha- koff, daß Rußland zwar das neue D. Reich anerkenne, aber in seinen Bezieh­ungen zu den einzelnen Staaten des Bundes nichts geändert zu scheu wünsche. Der Rücktritt Gortschakoffs hat dem preuß. Einfluß gestattet, das neue Cabinct von Petersburg zu einer bereitwilligeren An­eignung der ihm von Berlin gegebenen Rathschläge zu vermögen."

Berlin, 8. Nov. Am letzten Frei­tag verschied nach langen, schweren Leiden Herr Paul H. hier an den Folgen der tödtlichen Wunden, welche er am 16. August 1870 in der Schlacht dei Mars la Tour erhalten. Die Kugel traf ihn in die Brust, drang von der rechten Seite in der Gegend der sechsten Rippe ein, durchbohrte die Brust und trat an der linken Seite unter dem Herzen wieder heraus. An dieser Verwundung hat H. 23 Monate erst in Feindesland, dann in Deutschland dar­niedergelegen. Nur der aufmerksamen Be­handlung unserer berühmtesten Chirurgen, die wiederholt an sein Krankenlager gerufen wurden, hatte er die Erhaltung seines Lebens zu verdanken. Da die sich nie schließende Wunde stets eiterte, führte Geh. Rath v. Laugeubeck mehrmals erhebliche Operationen an demselben aus, u. A. eine Resektion der sechsten und siebenten Rippe, und entfernte dabei viele Knochen­splitter, Tuchfetzen und Theile vom Tor­nisterriemen, Hosenträger rc., die von der Kugel in die Wunde hineingerissen waren. Während seiner zwölfjährigen Leidenszeit trug H. einen zwölf Zoll langen Gummi­schlauch (sog.Draiurohr") in der Brust­wunde, durch den der Eiter entfernt wurde. Die etwa drei Finger breite Wunde mußte täglich behufs Desinfektion mit Karbol­säure durchspritzt werden und sonderte noch in allerletzter Zeit Theile des Hosenträgers aus. Alle diese Leiden ertrug H. mit standhafter Geduld. Endlich hat ihn der Tod von seinen Leiden erlöst. Bei seinem Leichenbegängniß am letzten Sonntag gaben ihm etwa 400 Freunde und ehemalige Kameraden das letzte Geleit.

Mainz, 11. Nov. Immer umfang­reicher wird die Untersuchung wegen der Militärbefreiung; aus Darmstadt, Wies­baden, Frankfurt u. s. w. werden Ver­haftungen gemeldet, die mit dieser Ange­legenheit in Verbindung stehen. Wie die Germania" vernimmt, hat ein Kaufmann in Straßburg dem Konsortium allein 12 000 Fr. dafür bezahlt, daß es seine beiden Söhne vom Militärdienst frei machte. Jetzt haben nicht nur die Eltern, die sich für ihre Söhne an dem Schwindel be­theiligten, das Geld verloren, sondern die jungen Leute, welche früher einjährig

hätten dienen können, werden jetzt auf vier Jahre eingezogen. Nach einer Mittheilung derFranks. Ztg." hat das preuß. Kriegsministerium auf Antrag des Armcekorpskommandos in Kassel verfügt, daß eine Nachmusterung aller wegen kör­perlicher Gebrechen freigewordenen Mili­tärpflichtigen bis zu dem Jahrgang 1876 zurück stattzufinden habe. Ferner habe das Kriegsministerium verfügt, daß die Militärpflichtigen sich für die Folge immer in ihrem Heimathsbezirk zur Musterung zu stellen haben.

Biebrich, 16. Nov. Das Rhcin- wasser hat den höchsten diesjährigen Stand überschritten und steigt noch. Die Schiff­fahrt ist eingestellt.

Pforzheim. Im Gartenbau- Verein hält Montag den 20. Novbr. Abends 8 Uhr imSchwarzen Adler" Hr. Dr. W. Neu dert einen Vortrag, verbunden mit einer Ausstellung von Pflanzen.

Pforzhei m. In jüngster Zeit haben sich in protestantischen Kreisen Stimmen er­hoben zu Gunsten der hiesigen altkatho­lischen Gemeinde in der Absicht, derselben zur Förderung ihrer religiösen Bestreb­ungen auch materiell entgegen zu kommen. Diese Kundgebung opferwilliger Gesinnung hat der Vorstand der altkatholischen Ge­meinde dankbarst anerkannt und wendet sich in einer Ansprache unter Hinweis auf die diesbezüglichen Bedürfnisse an den Edelsinn seiner protestantischen Mitbürger behufs Ermöglichung eines Fonds zur Unterstützung altkatholischer Reformbe­strebungen. Auch die geringste Gabe wird mit tiefgefühltem Danke angenommen.

Württemberg.

Stuttgart, 17. Nov. Heute wurde dem neuernannten Regierungsdirektor v. Lutz in Reutlingen, Mitgründer und seit­herigem Vorstände des Württcmbcrgischen Kunstgewerbevereins, von Seiten des letz­teren eine Dankadresse übersandt.

Ludwigsburg, 16. Nov. Heute kamen beim Trainbataillon 78 Pferde zum Verkauf. Es sind eine Menge Käufer dazu erschienen. Für das Pferd wurde durchschnittlich 226 ^ erlöst. Der höchste Preis pro Pferd betrug 415 der niedrigste 95

Bietigheim, 16. Nov. Die hefti­gen und anhaltenden Regengüsse in den letzten Tagen haben die Waffermassen so vermehrt, daß Enz und Mett er gestern über die Ufer traten und Gärten und Wiesen überschwemmten. Die Straße nach Bissingen war in der Nähe der Stadt nicht passirbar. An der hiesigen Kunst­mühle mußte ein Nothsteg errichtet wer­den. Die Enz fluthcte mit gewaltigem Wasser rauschend durch das Thal, doch ist ein größerer Schaden hiedurch nicht entstanden. Heute ist die Mctter wieder in ihr Bett zurückgegangen, auch das Wasser der Enz hat abgcnommen.

In Reutlingen wurde zwei Milch­händlern ihr Borrath von ca. 120 Liter wegen Verdünnung mit Wasser konfiszirt und Untersuchung wegen Milchfälschung eingeleitet.

Tübingen, 16. Nov. Gestern wurde auf Requisition der Staatsanwaltschaft Heilbronn der hier in Arbeit stehende