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sprechung um sich versammelt. Die Ansprache fand bei den Versammelten beifällige Aufnahme, dieselben erklärten, für das Zustandekommen der Sache eintrctcn zu wollen, und wie wir hören, ist in Folge davon die nöthige Anzahl von Abonnenten bereits zusainmengekommcn.
Stuttgart, 16. Jan. Ein Naturwunder sondergleichen sind die in der Liedcrhalle im Schillersaal befindlichen Zwillinge (Xipboite j„neti) Johann und Jakob Tveei aus Lvcano (Provinz Turin.) Staunte man früher bei den Siamesen, afrikanischen Nachtigallen und den böhmischen Zwillingen, die zuletzt hier waren, das Zusammenwachscn der beiden Körper an, so muß inan hier das geheimnißvolle Wirken der Natur noch mehr bewundern, da die kleinen Brüder sich von den oben Genannten dadurch auözeichncn, daß sie oben zwei, unten aber nur Eine Person werden. Kopf, Arme, Brust, Lungen, Magen sind doppelt, Unterleib, Gedärme und Beine dagegen einfach. Bon den 2 Beinen betrachtet jedes der Kleinen das eine für das ihm gehörige. Die Beine sind übrigens noch nicht so stark, daß sie den schweren Doppelkörper zu tragen vermöchten, deßhalb sitzen oder liegen die Knaben stets ans einem Stuhl oder bei ihrem Wärter. Sic sind gegenwärtig 4 Jahre 3 Monate alt, haben reizende Gesichter, singen, plaudern und lachen viel, führen übrigens ein getrenntes Leben. Während der eine z. B. die ganze Nacht schreien kann, schläft der andere ganz ruhig; der eine hat Hunger, während der andere schläft, der eine fühlt sich mehr zum Vater, der andere zur Mutter hingezogen, welche Beide die Zwillinge begleiten. Die Mutter ist jetzt 23 Jahre alt und hat nach den Zwillingen vor 2°/- Jahren noch ein Söhnchen geboren, einen kräftigen, gesunden, hübschen Knaben, der mit seinen unglücklichen Brüderchen spielt. Der Besuch der Zwillinge ist nach alldem wirklich als sehr interessant zu empfehlen.
Eßlingen, 15. Jan. Ein benachbarter Rcvierförstcr machte die Wahrnehmung, daß die Füchse seit 14 Tagen einen ungemein dichten Pelz bekamen. Dieses Anzeichen läßt nach der Ansicht des fraglichen Waidmanns auf eine baldige Kälte schließen.
Ulm, 15. Jan. Bezüglich der Nachricht, daß ein in Waldsee inhaftirter Bursche das Geständnis; abgelegt habe, daß er zu Beginn vorigen Sommers im Allmendinger Wald den Mord an einem Mädchen begangen habe, wofür seit jener Zeit ein Waldschütze in Untersuchungshaft sitze, wird dem „Staats-Anz." aus zuverlässiger Quelle berichtet: Bei einem durch den Untersuchungsrichter am hiesigen Landgericht vorgenommcnen Verhör zeigte es sich sofort, daß dieses Geständniß erdichtet war, die ganze Kenntnis; des angeblichen Mörders von der Unthat sich auf das beschränkte, was seiner Zeit in öffentlichen Blättern zu lesen war. Zum Ueberfluß wurde nun erhoben, daß der Betreffende zur Zeit der Verübung jenes Mords Mitte des Sommers vor. Jahrs — nämlich am 18. Juli — in einer ganz anderen Gegend des Landes im Gefänglich saß. Dieß der wahre Sachverhalt. Was den Stand der Untersuchung gegen den Waldschützen be
trifft, so entziehen sich die Details de^ Besprechung in Zeitungsartikeln, dagegen kann soviel wohl gesagt werden, daß es gelungen ist, Indizien der schwersten Art gegen denselben zu sammeln.
Göppingen, 16. Jan. Am letzten Samstag waren 3 Knaben eines hiesigen Fabrikarbeiters im Wi hnzimmer allein gelassen worden, während eine ältere Frauensperson sonst im Hanse beschäftigt war. Als diese hörte, daß die Knaben Unfug trieben und solchem entgegentretcn wollte, war das Zimmer von innen abgeschlossen und es wurde ihr trotz energischen Verlangens nicht geöffnet. Bis sie nun weitere Hilft herbciholtc, war einer der Knaben, der erst 5—6 Jahre alt ist, zum Fenster, das sich im dritten Stocke des Gebäudes befindet, hinausgcsprungcn und hatte sich so schwer verletzt, daß man noch im Zweifel ist, ob er mit dem Leben davon kommen wird.
Wildbad, 14. Jan. Den vielen Besuchern unseres Kurorts dürfte die Mittheilung angenehm sein, daß die auf dem rechten Enzufcr durch die Stadt führende Hauptstraße gegenwärtig eine Korrektion erfährt, die namentlich auch von den Fremden mit Freude begrüßt werden wird. Die ganze Straße erhält, wie s. Z. auch die König-Karlstraße, eine dem Bahnhof gegenüber in die Enz mündende Kanalisir- ung, deren Grabarbeiten bereits begonnen haben und durch die Herren Schittenhelm n. Cie. aus Stuttgart ausgcführt werden. An Stelle des bisherigen rauhen und theilweisc schlechten Pflasters wird eine aus gutem Material hcrgestcllte Chaus- sirung treten, ebenso werden die bisherigen äußerst einfachen Trottoirs in neue Äs- phalttrottvirs umgewandelt, so daß die Straße der im vorigen Jahre eröffneten König-KarlSstraße nicht mehr nachstehen wird. Wenn die Witterung der nächsten Zeit sich günstig zeigt, so dürften sämmt- liche Arbeiten bis Anfang Juni d. I. beendigt sein. < S. M.)
Neuenbürg, 17. Janr. Heute wurden wir mit blühenden Veilchen erfreut, welche in Hausäckern an der alten Pforzheimer Stratze gepflückt waren. Die schon länger anhaltende milde Witterung hat also unerachtet der in den letzten Tagen Morgens und Abends fröstelnden Temperatur ihren Einfluß behalten.
N c u e n b ü r g. Bei dem Temperatur- Wechsel werden die Besitzer von Privatwasserleitungen gut thun, ans dieselben acht zu haben.
— Feldrcnnach, 15.Jan. Heutehielt der Hr. Landtagsabgeordnete Beutter von Hcrrenalb vor sehr zahlreicher Versammlung einen längeren Vortrag über seine Thätigkeit in der Kammer der Abgeordneten, er besprach in populärer, eingehender Rede diejenigen Gesetze, die in letzter Sitzungsperiode zu Stande gekommen sind und diejenigen Vorlagen, welche in Aussicht stehen, sowie seine Stellung zu denselben. — ES zeigte sich auch hier, das; Hr. Beutter das volle Zutrauen seiner Wähler besitzt und es sich zu erhalten weiß. — Schließlich sprach Hr. Schultheiß Schöuthaler dem Hr. Abgeordneten den Dank der Versammlung aus und endete mit einem allseitig ausgebrachtcn Hoch auf denselben.
Miszellen.
Line Schitlersage.
(Von G. W- C. Schmidt.)
Orte, an denen große Thaten geschehen oder große Männer, Denker, Dichter und Helden gelebt, gewirkt und verschieden, haben in erzenen und steincren Statuen und Gedenktafeln bleibende Erinnerungen. Dazu gestattet die Pietät mancher Landes- fürstcn oder Stadträthe hier und da die wohlerhaltenen Geburts- und Wohnhäuser, oder doch wenigstens die Arbeitszimmer geistiger Größen ohne bedeutende Hindernisse anzusehen, den Geist längst entflohener Zeiten einzuathmen. Alle suchen möglichst viele und große Züge ihrer Charaktere sestzuhalten und aufzubewahren. Aber auch das Reich der Sage und Tradition enthält an Ort und Stelle manches Interessante und Wisscnswürdigc, das, ob wahr oder unwahr, doch lebhaft an die vergangenen Tage zurückerinnert und darin eben auf jeden Fall eine Berechtigung seiner Existenz aufzuweisen hat.
Weimar, das Athen, die Musenstadt des Vaterlandes, hat die ehernen Statuen des berühmten Viergestirns am deutschen Dichterhimmel; cs hat sein Goethe- und Schillerhaus; steinerne Tafeln bezeichnen in halbverblichenen Inschriften die Gebäude, in denen Wieland und Herder wohnten und dichteten. Aber noch manche andere Stelle in Weimars unmittelbarer Umgebung erinnert schon durch den Namen an jene große Zeit der deutschen Literatur.
Unscheinbar aber, den Wenigsten näher bekannt, findet man am linken Jlmuser, auf dem ticfgclcgensten der reinlichen Landwege, eine einfache, geflochtene „Naturbank," die „Schillerbank." Ruhig und sanft träumt zwanzig Fuß tiefer der Jlm- sluß vorüber, die niedertauchenden Weiden- ruthcn plätschern zuweilen in seinem Wasser; jenseits desselben breitet sich eine blumige Wiese mit ihren geschlängelten Fußpfaden aus, einige hundert Schritte weiter nach Osten hebt sich der Boden wieder zu einem baumbepflanzten Hügel empor. — Schiller weilte oft und gern in den schattigen Parkgängen. Auf der Schillcrbank ließ er sich dann nieder, zog sein Notizbuch hervor, dachte und dichtete. An ihm vorüber aber wunderten die ehrsamen Gestalten der Bürger und Bürgerinnen, betrachteten wohl auch nicht selten mit fragenden Blicken die wunderliche, altmodische Kleidung des großen Mannes, fragend, nicht bespöttelnd, denn dazu stand ihnen der berühmte Dichter, dem sie so oft schon Beifall zugeklatscht und zuge- jubelt, viel zu hoch. Kann es doch heute für den Weimaraner nichts Reizenderes und Anziehenderes geben, als den Jedermann geöffneten Park.
Zu Anfang der sechziger Jahre wandelte an den schönen Maiabenden Alles hinaus an das „römische Haus," um den herrlich duftenden Weichselbaum blühen zu sehen und sein Aroma zu athmcn, bis derselbe leider mit den die Schillerbank beschattenden Bäumen bei dem Sturm des Jahres 1867 ein Raub der Elemente wurde. Wenn aber noch heute draußen im Freien das Thermometer eine hohe Sommertemperatur zeigt und der Weima-