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Neber die Pfingstfeiertaqe werden v. 31. Mai bis 3. Juni ab Stuttgart nach verschiedenen Richtungen des Landes und von denselben nach Stuttgart wieder außer' ordentliche Peisonenzüge ausgeführt, darunter z. B. Calw—Teinach, Göppingen, Tübingen. Bietigheim, Ludwigsburg, Heil> bronn rc. rc.
Stuttgart, 24. Mai. Der Würt- tembergische Kriegertag findet am Pfingstmontag den 2. Juni d. I. hier (Festsaal der Liederhalle) statt: wie wir vernehmen, haben von den dem Landesverband angehörenden 350 Vereinen bereits über 200 die Theilnahme theils durch einzelne Dele- girte, theils durch größere Deputationen zugesagt. Das Festprogamm enthält im Wesenllichen Folgendes: Pfingstsonntag Vormitt. 9 Uhr Sammlung bei Paul Weiß uno hierauf Besuch des Kriegerdenkmals; Nachm. Stadlgarten, Nill's Thiergarten; Abends Konzert im Königsbau. (Von V« l2 Uhr Vormilt, an in letzterem Sitzung des Landesausschusses.) Pfingstmontag: Frühspaziergang vom Wilhelmsplatz aus über den Bopser zum Schießhaus; um 10 Uhr Abmarsch des Festzugs vom Wilhelmsplatz durch die Katharinen-, Olga-, Neckarstraße, am Palais des Ehrenpräsidenten des Bundes, Sr. Hoh. dem Prinzen Herr- mann zu Sachsen-Weimar vorbei, über die Eßlinger-, Hauptstätter- und die Königsstraße an's K. Residenzschloß, von da nach der Liederhalle, woselbst unmittelbar nach Ankunft des Zugs die Delegirtenverhand- lungen beginnen. Von '/-4 Uhr Nachm, ab Festbankett. Hierauf Konzert bei günstiger Witterung im Liederhallegarten, bei ungünstiger Witterung im Festsaal, wobei die Carl'sche Kapelle spielen wird.
Stuttgart. Am 5. Mai. hat in der hiesigen Turnlehrerbildungsanstalt wiederum ein Kurs zur Heranbildung von Turnlehrern, zunächst für die Gelehrten- und Realschulen, weiterhin aber auch sür die Volksschulen begonnen. Derselbe zählt 20 Theilnehmer, darunter einen Gymnasiallehrer (Professo- ratsverweser), einen Präzeptor, drei Kolla- boraloren, dreizehn Volksschullehrer und drei weitere Kursgenossen. Während der Vorstand der Anstalt, Professor Dr. Jäger, den größten Theil des Unterrichts theoretisch und praktisch in Uebungen und Vorträgen ertheilt, erhalten die Theilnehmer von dem ärztlichen Hilfslehrer, Stabsarzt Dr. Fetzer, Unterweisung in den für den Turnbetrieb wichtigsten Theilen der Anatomie und Physiologie des menschlichen Körpers. Für die Dauer des Kurses ist auch noch der Monat Juni in Aussicht genommen. (St. A.)
Tübingen, 20. Mai. Die Zahl der immatrikulirten Studirenden wird von der „Tüb. Chr." jetzt auf 1176 angegeben, eine Frequenz, welche das Jubiläumssemester noch übertreffen, würde.
Bei der Telegraphenstation Tein ach Bad ist bis aus Weiteres wieder beschränkter Tagesdienst, nämlich : an Wochen- und an den aus solche fallenden Festtagen von 9—12 Uhr Vormittags und von 2—7 Uhr Nachmittags; an Sonntagen von 8—9 Uhr Vorm, und von 2—5 Uhr Nachm, vom I. Juni. ds. ab eingeführt.
Böblingen. Aus Anlaß der bevorstehenden Eröffnung der Eisenbahn erläßt
der Gewerbeverein einen Aufruf; er fühlt sich verpflichtet, die Einwohner von Böblingen, namentlich die Besitzer von Häusern in den meist begangenen Straßen, aufzu- sordern, ihre Häuser und die Vorplätze derselben sauber und gefällig Herrichten zu lassen; die Gewerbetreibenden zu bitten, ihre Firmen auf eine paffende, in die Augen fallende Weise an denselben anzubringcn; in allem klebrigen aber dafür zu sorgen, daß Böblingen für jeden Besucher ein angenehmer Aufenthalt werde und wir dadurch einen gesteigerten Verkehr zum Nutzen und Frommen eines Jeden in die Stadt bringen. (Sch. M.)
Künzelsau, 22. Mai. Während aus andern Gegenden des Landes in Beziehung auf die Ueberwinterung d?r Bienen minder günstige Berichte zu lesen sind, kann das mittlere Kocherlhal durchaus nicht klagen. Im Lauf dieser Woche haben die „Bienen- väter" vollauf zu thun, um ihre „Schwärme" zu fasse» und denselben neue Wohnungen herzur-chten.
Miszellen.
Auf dem Volksgejangfest.
(Schluß.)
„Ich glaube Ihre Frage bejahen zu können, Madame", erwiderte ich mit Be stimmtheil.
„Unter den Mitgliedern des Festcomites befindet sich ein junger Mann, der nach Ihrer Beschreibung kein Anderer, als Agent Selters sein kann. Das bewegliche Wesen des jungen Mannes fiel mir sogleich aus. Dieser ist es, oder keiner, sagte ich zu mir selber."
Der erwähnte Jüngling, den ich unterzuschieben beschlossen hatte, besaß wirklich einige Aehnlichkeit mit Selters.
„Unter den Mitgliedern des Festcomitffs haben Sie ihn entdeckt?" sagte Mad. Pfeffer, „auch das stimmt, ich kenne seinen Ehrgeiz, wo es etwas dreinzureden, abzustimmen, zu unterzeichnen gilt, fehlt Selters niemals. Ich danke Ihnen, mein Herr, ich danke Ihnen! Sie haben sich um unseren Hausrieden, um das Glück meines Kindes hoch verdient gemacht. Elisabeth! sagst Du dem Herrn nicht Dank?
Das beklagenswerthe Mädchen versuchte einige Worte zu stammeln, aber ihre Zunge klebte am Gaumen, sie dankte mir durch einen Blick, dessen Uebersepung lauten würde: „Sie sind der nichtsnutzigste Ver- räther!"
„Wie fasten wir ihn aber? wir müssen gleich nach dem Thal!" rief Mama und trich mit beiden Händen ihre seidene Robe glatt.
„Mäßigen Sie sich! Madame", warf ich ein, „Sie könnten Alles verderben. Als Mitglied des Comitäs ist Selkers jetzt in der Sitzung beschäftigt, aber er kann Ihnen nicht entgehen, wenn Sie sich bis zum Abend gedulden. Der Sängerzug erscheint dann zur Verabschiedung hier auf dem Marktplatze, Sie können dann Selters ungehindert beim Schopfe fassen, ihn gewissermaßen auf frischer That ergreifen."
„Und was thun wir bis dahin? Jetzt ist Estenszeit; der Nachmittag ist gar lang!"
„Machen Sie eine Spazierfahrt nach der Ruine Falkenberg, trinken Sie dort Kaffee, und kehren Sie rechtzeitig zurück. Sie werden mich hier vorfinden!"
Mad. Pfeffer widersprach nicht, Elisabeth würdigte mich keines Blickes mehr. Wir begaben uns an die Gasttafel, die Damen bestiegen nach einer Stunde ihre Chaise, ich hielt nach den anstrengenden Promenaden des Vormittags einen gesunde:: Mittagsschlaf; die Uhr schlug auf den, Kirchthurm vier, als ich aufwachte. Halte Selters den Postzug wahrgenommen, sz mußte er sich schon nahe bei F. befinden.
Um sechs Uhr kehrten die Damen zu- rück; ich empfing sie in der angenehmsten Laune. Wir brauchten nicht lange zu warten; bald trafen die Sänger in lichten Haufen ein und schaarten sich um das Rathhaus.
Der entscheidende Augenblick war da. Wir öffneten die Fenster.
„Dort Madame, dort kommt Herr Selters! Dort neben dem schwarzbärtigen Fahnenträger!"
Ich Halle noch nicht ausgesprochen, als Elisabeth jubelnd ausrief: „Sie haben sich geirrt, so hat mein Selters nie ausgesehen!" — Mein Selters! Ich las in ihrer Seele. — „Wo haben Sie Ihre Augen gehabt?" schrie Mad. Pfeffer nicht allzuhöslich und musterte Pseudo - Selters scharf durch ihre Brille. „Agenten behandeln ihr Hände bester. O, diesen Männern fehlt doch aller Beobachtungsgeist! Ein Agent in F. und solche Hände!"
Pseudo-Selters Tatzen war.n allerdings nicht die reinlichsten ; ich hatte durch meinen Jrrthum das ästhetische Gefühl beiderDamen schwer beleidigt. Ein junger Mann mit solche» Hände», wenn auch mit rother Blums in, Knopfloch, Schnurr- und Knebeldart, und windschiefem Deckel, sollte in ihrem reichen Hause geduldet werden! Mein Credit war für immer dahin, aber Elisabeth trium- pbirte. Die plötzliche Freude verschönerte sogar ihre nicht sonderlich anziehenden Ge- sichlszüge. Madame Pfeffer deutete durch ihr Betragen sichtlich an, alle ferneren Verbindungen mit einem für polizeiliche Recherchen so unbrauchbaren Subjekte abbrechen zu wollen.
Leise, ohne Abschied zu nehmen, schlich ich aus dem Zimmer, und mischte mich unter die Sänger, um in dem bevorstehenden Kampfe auf dem Bahnhose meine müden Gebeine dem Schutze zweier Bassisten der „blauen Mappe" anzuvertrauen. Die Dunkelheit war längst eingebrochen, als wir vor dem heimathlichen Perron hielten.
Das Volksgesangssest war meinem Ge- dächtniß beinahe entschwunden, als ich neulich, auf meinem Schreibtisch ein aus den seltensten Rosen zusammengesetztes Bouquet und ein zierliches Billet fand. Der Inhalt lautete: „Bei ihrer Abreise nach Vevey empfehlen sich Heinrich Selters, Elisabeth Selters ged. Pfeffer, als ehelich Verbundene."
Mir waren alle Gewissensbisse erspart; die gerechte Sache hatte den Sieg davon getragen. Das frisch duftende Bouque! war die Abbitte Elisabeths.
Goldkurs der Staatskasfenverwaltung
vom 23. Mai 1879. 20-Fr«nkenstücke . . 16 18
Redaktion, Druck und Verlag von Jak. Meeh in Neuenbürg.