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erwartet, schoß im Wortwechsel seinen Revolver auf sie ab, ohne zu treffen. Ob man es hier mit einem Schreckschuß oder Mordversuch zu thun hat, wird die gerichtliche Untersuchung feststellcn. — Vorgestern geriethen 3 Erdarbeiter von den Eisenbahn- Viadukten bei Grunthal mit ihrem Auf- seher in heftige Unterhandlungen wegen eines ausgebrochenen Strikes, wobei der Aufseher von seinem Revolver Gebrauch machte und einen der Arbeiter in den Unterleib schoß, so daß dieser einetödtliche Verletzung davontrug. Der Thäter, ein sonst sehr solider und gebildeter junger Mann und Sohn eines der Unternehmer, ist bereits vom hiesigen Oberamts-Gericht in Hast genommen. (N. T.)
Teinach, 30. April. Auch hier legt nunmehr die Natur ihren reichsten Frühlingsschmuck an, und täglich treffen Kurgäste ein, sich den Beginn der Saison zu Nutzen zu machen, der durch den über unser schönes Thal gebreiteten stillen Frieden doppelt wirksam wird. Unter unfern ersten Gästen dürfen wir, wie im Vorjahre, den gefeierten Dichter, Dr. I. V. v. Scheffel mit Sohn aufzählen, welcher zu längerem Kuraufenthalte dahier eingetroffen ist. (S.M.)
Eßlingen, 1. Mai. Die Mädchen- Mittelschule hatte eine Ausstellung von Handarbeiten ihrer Schülerinnen veranstaltet. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich sehr deutlich der Erfolg und Werth eines methodisch geordneten Unterrichts in weiblichen Handarbeiten. Da waren, von den jüngsten Mädchen gefertigt, Strümpfe und Socken aufgelegt, dann von den älteren . gestickte und gestrickte Einsätze zu Bett- und Kiffenüberzügen, Musterstreifen, Stramin- tücher u. s. w., und in besonderer Rubrik die verschiedenartigsten Luxusarbeiten. Die ganze Ausstellung war ein sprechender Zeuge dafür, daß die beiden Lehrerinnen das Zeug zu einem derartigen Unterricht haben und daß diese Arbeitsschule in Wahrheit eine Musteranstalt ist, bei der es sich wohl verlohnt, wenn andere Städte ihre Lehrerinnen zur Information hieher entsenden.
Ergebnisse der württemdergischen Volkszählung vom 1. Dezember 1875.
(Schluß.)
Von sämmtlichen 1910 Ortschaften des Königreichs hatten Einwohner
bis 600 601—1000
im Neckarkreis im Schwarzwaldkreis im Jagstkreis im Donankreis
1001
im Neckarkreis im Schwarzwaldkreis im Jagstkreis im Donaukreis
2001—2500
im Neckarkreis 18 im Schwarzwaldkreis 8 im Jagstkreis 7 im Donaukreis 10 43
117 118
251 151
176 128
336 131
880 528
-1500 1501 -2000 87 29
64 18
75 28
62 16
a i
2501—3000 3001 u. mehr 10 17
4 19
3 10
6 11
28 57
Zusammen Orte und Bewohner
Neckarkreis
396
587,834
Schmarzwaldkreis
515
454,937
Jagstkreis
427
390,703
Donaukreis
572
448,031
1,910.
1,881,505
Zahl der bewohnten Gebäude und sonstigen Ansenthaltsorte 282,493, mehr als 1871: 8565; 1 bewohntes Gebäude aus 6,se Menschen, 1871 auf 6,84; in Stuttgart auf 20,7«, Ludwigsburg 19,rs, Cannstatt !5,rs, Eßlingen 14,»«, Ulm 13, 71 , Heilbronn 13,»i, Tübingen 11,»7, Gmünd 1I,4>, Göppingen II,,4, Hall 10,s», Tuttlingen 10,ss, Reutlingen 11, 01 , Aalen 9,s», Heidenheim 8,8» u. s. f. Art des Zusammenlebens. 1875 wurden gezählt: selbstständig einzeln lebende Personen 41,895, Haushaltungen 385,892 (eine zu 4,s, Köpfen) gegen 29,164 und 369,222 im J. 1871. Anstalten sind 1875 auffallend viel mehr als 1871, nemlich 556 mit 24,903 Personen gegen 413 mit 24,348 aufgeführt. Das Verhältniß der Geschlechter zeigt das alte Plus der schöneren Hälfte, um ein Minimum geringer als 1871 , nämlich 907,314 männliche, 974,191 weibliche Einwohner, also auf 100 m. 107,-7 w., (1871 107,8«). Ein Uebergewicht der Männer findet sich nur in den Oberämtern mit Garnisonen: Ludwigsburg, Ravensburg, Ulm, (Stuttgart trotz der Garnison und den Lehranstalten nicht). Familienstand. Konstatirt sind bis jetzt folgende Ergebnisse: 80 Prozent des Gesammtzuwachses, nemlich 50,294, kommen auf die Bewohnerschaft unter 14 Jahren. Ledige (über 14 I. sind es 1875 gegen 1871 weniger 31,707, Verheirathete mehr 41,056, aber auch Verwittwete mehr 3883, Geschiedene weniger 557. Religion. Es wurden gezählt 68.8, Prozent der Gesammtbevölkerung oder 1,296,650 Evangelische, 30 ,17 Prozent — 567,578 Katholiken; 0,r, Prozent — 4167 andere Christen; 0,8» Prozent — 12,881 Israeliten; 229 angeblich zu andern Religionen sich Bekennende. Die Zunahme gegen 1871 betrug bei den Evangelischen 3,», bei ben Katholiken 2,», bei den Bekennen, anderer christlichen Konfessionen 8,», bei den Jsrae- liten 5 ,, Prozent. Staatsangehörigkeit. 97,»s Prozent oder 1,836,218 der Gezählten sind Württemberger, 1,?s Prozent — 33,550 anderweitige deutsche Reichsbürger, 11,737 oder 0,ss Prozent Ausländer. Während 3,» Prozent Württemberger und 1,43 Prozent Ausländer mehr als 1871 gezählt wurden, haben die Angehörigen anderer deutschen Staaten, wohl in Folge der Stockung in den Gewerben, um 15,4 Prozent abgenommen. Vorübergehend in der Heimat Anwesende und von da Abwesende wurden nahezu gleichviele gezählt.
Miszellen.
(Moltke in Rom.) Moltke ist bei seiner Anwesenheit in Rom den deutschen Künstlern daselbst ein lieber Gast gewesen. Der große Schweiger, dem jederlei Ovation unlieb, besuchte u. A. in Begleitung des deutschen Gesandten v. Keudell den Künstlerklub in Fontana Trevi, in welchem an
diesem Abend auf besonder» Wunsch des Feldmarschalls eine Reihe harmloser Produktionen den verbannten Frack, die offiziellen Toaste und jedwedes ceremonielle Aufgebot durch Heiterkeit ersetzte. Auf fröhliche Kneiplieder folgten komische Inter» mezzos. Zum Abschluß des Abends erschien ein wackerer Jünger Hans Sachsens bei der Arbeit, bärtig und gefurcht das Gesicht, zerrissen das Schurzfell, die Werkstatt eine Rumpelkammer von naivster Ursprünglichkeit, die Zerrissenheit der Neparaturstücke herzbrechend. Der Alte hämmert und spricht mit sich selbst. Er ist einmal in der Türkei gewesen und hat ein Lied dort gehört. War's nicht im Jahr 39? — Ja richtig, neununddreißig wars, aber schwierig ist die Melodie. Der Alte sinnt und pfeift und der fünftheilige Takt des Prinzen Eugen kommt heraus. Ein frischer Stiefel, weit- mäulig wie irgend ein Riese des alten Testaments, wird auf's Eisen gesetzt, und nun brummt der Alte mit vielem Besinnen, bald stockend, bald sich unterbrechend und wüthend auf die alten Sohlen hämmernd, sein altes Lied. Mohammet-AIi von Egypten Ließ marschiren seine Truppen Gegen Sultan und Stambul;
Und der Türk' konnts nicht vertragen. Denn Mokammet hat geschlagen Ihn aus Rock und Kamisul!
Der Alte besann sich weiter, gab grübelnd dem corxu8 cktzlieti einige Pfriemen» stiche und sang weiter, wie Prinz Ibrahim kommandirte und Hassus Paschah an der Spitze auf die Egypter losging.
Als sie nun auf Nezzib stehen Kampfbereit, da ist zu sehen Wie ein fremder Offizier,
Ein Giaur aus Preußens Gauen,
Dem Hassus gibt anzuschauen Einen Schlachtplan auf Papier.
Der Türke aber, stolzbewußt auf seine Stärke, weiß besser, was er muß; Hassus Pascha ward geschlagen und der fremde Offizier schwor:
So was soll mir nie passiren.
Keine Schlacht werd ich verlieren. Wenn ich jemals kommandir!
Nun war bereits Niemand in der Gesellschaft, dem nicht ein Licht, eine Ahnung aufgegangen war. Ein wenig bekanntes Ereigniß aus dem Leben des Gastes, von dem der Dichter in der Türkei vernommen, war es, von dem der Schuster in seiner einsamen Werkstatt sang. Und als er nun Pfriem und Ahle hinwarf und aufstand von seinem Arbeitstische und mit hoch erhobener Rechten vorn an die Bühne trat und nunmehr nicht im Bänkelsängertone, sondern mit begeistertem Pathos die letzte Strophe sang:
Hat's gelobt und hat's gehalten,
Hat, wenn Kriegsvrommeten schallten. Triumphiert überall —
„Deutschlands unbesiegter Streiter, Deutschlands Ruhm und Waffenleiter „Moltke", Deutschlands Feldmarschall!!!" da brach ein wahrer Sturm von Begeisterung los und der erfreute Feldmarschall drückte dem Dichter wie dem wackern Sänger mit herzlichem Danke die Hände. (N. T.)
Hiezu der General-Anzeiger Nr. 46. "
Redaktion, Druck und Verlag von Jeck. Meehin Neuenbürg. (Markt- und Thalftr.)